E-Book, Deutsch, 96 Seiten
Benoy / Walter Panik
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-17-042752-5
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Angst und Panikattacken verstehen und bewältigen
E-Book, Deutsch, 96 Seiten
ISBN: 978-3-17-042752-5
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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1 Was ist Panik und wie unterscheidet sie sich von Angst?
Beginnen wir zunächst mit einer groben Erläuterung und der Klärung von wichtigen Begrifflichkeiten. Angst ist eine körperliche Reaktion auf Stress (Angst-Symptom) und ein wichtiges menschliches Gefühl (Angst-Gefühl). Angst wird dann pathologisch bzw. krankhaft, wenn unsere normale Funktionsfähigkeit durch sie eingeschränkt wird und wir unter den Symptomen der Angst leiden. Dann spricht man von einer Angststörung. Panik ist die extremste Form des Angst-Erlebens (Angst-Symptom). Die Panik kann als Symptom bei unterschiedlichen psychischen Störungen auftreten. Tritt Panik vermeintlich unspezifisch und immer wieder wie aus heiterem Himmel auf, spricht man von einer Panikstörung, die eine spezifische Form der übergeordneten Kategorie der Angststörungen ist. Aber was sind Angst-Symptome? Zunächst gibt es Körperempfindungen, die mit Angst einhergehen. Das sind beispielsweise Schwindelgefühle, Pulserhöhung, Zittern oder vermehrtes Schwitzen. Die Knie werden weich, das Herz klopft bis zum Hals, die Brust schnürt sich zusammen und die Luft bleibt weg. Diese Angst-Symptome können einzeln oder auch zusammen auftreten. Zu einem Angst-Gefühl wird die Wahrnehmung dieser körperlichen Reaktionen erst, wenn uns bewusst wird, dass dies nicht normal, sondern störend ist bzw. dass wir die zuvor beschriebenen Angst-Symptome selbst als bedrohlich oder störend einordnen. Angst bedeutet damit auch ein Eingeständnis bzw. die Bewertung eines inneren Erlebnisses als negatives Gefühl. Der frühere Unterschied zwischen Furcht und Angst existiert mittlerweile im allgemeinen Sprachgebrauch nicht mehr. Furcht nannte man früher die spezifische Angst, die auf ein Objekt bezogen ist, während Angst »frei flottierend« beschrieben wurde (Jaspers 1965). Heute wird eine Angst, die auf etwas sehr Spezifisches bezogen ist (beispielsweise ein Objekt oder auch eine Situation), eher unter dem Begriff Phobie beschrieben (WHO 2023). Grundsätzlich muss man festhalten, dass Angst überlebenswichtig ist und uns den vermeintlich sicheren Weg zeigen soll. Das gilt sowohl für die Angst-Symptome als auch für das Angst-Gefühl. Viel wurde über die Bedeutung von Angst in früheren Zeiten geschrieben – in der Steinzeit, als wir noch mit Speeren die Mammuts und andere wilde Tiere jagten oder wir vor ihnen davongelaufen sind. Diese Zeiten sind zwar lange vorbei, sie werden aber immer noch herangezogen, um zu veranschaulichen, dass im Überlebensmodus Angst der Schlüssel zu Sicherheit und Überleben liegt. Entweder du kämpfst oder du rennst weg. Die Angst-Symptome sind physiologisch betrachtet Zeichen einer Alarmreaktion, die im Körper wichtige Prozesse in Gang setzt, die im Kampf oder auf der Flucht lebensnotwendig sind. Heutzutage braucht es diese Reaktion nicht mehr in diesem Ausmaß, deswegen sprechen wir eher von einer Stressreaktion. Stress, ausgelöst durch innere (z.?B. Krankheit) und äußere Quellen – sogenannte Stressoren – (z.?B. Bedrohung), führt zu Angst-Symptomen und zu einem Angst-Gefühl, wenn wir diese Symptome mit Angst in Verbindung setzen und uns der Angst bewusst werden. Auch wenn sich unser heutiges gesellschaftliches Leben zwar sehr von jenem in der Steinzeit unterscheidet, ist die Angst auch heute noch von Bedeutung für unser Leben. Sie hilft dabei, Gefahrenquellen auszumachen, akute Situationen zu bewerten und zeigt uns, was für uns kritisch bzw. unbedenklich ist. Angst als Symptom und als Gefühl ist damit ein individueller und existenzieller Hinweis, der uns leitet. Je gefährlicher Umwelteinflüsse sind (z.?B. Krieg), desto unmittelbarer wird auch Angst wieder zum Schlüssel für das Überleben. Panik hingegen, als Phänomen akuter und stärkstmöglicher Angst, beschreibt einen Zustand, in dem die Angst sozusagen im subjektiven Empfinden außer Kontrolle gerät. Panik ermöglicht meist nur noch Flucht (vor dem Auslöser oder auch dem Panikgefühl selbst), und ist in der Regel immer pathologisch oder zumindest dysfunktional. Im Gegensatz zur Angst wird die Panik zudem selbst als bedrohlicher Zustand wahrgenommen. Zur Veranschaulichung kann man Angst und Panik deshalb auf einem Kontinuum anordnen, das von Ängstlichkeit über Angst zur Panik führt (? Abb. 1.1). Abb. 1.1:
Formen der Angst Bevor wir uns nun mit den genauen Ursachen und Auslösern von Angst und Panik beschäftigen, möchten wir zuerst noch auf begriffliche und theoretische Einordnungen beider Phänomene eingehen. Wie wird Angst eingeordnet?
Der Begriff Angst geht wohl auf das 8. Jahrhundert zurück und beschreibt ein beklemmendes Gefühl des Bedrohtseins. Der Philosoph Sören Kierkegaard hat sich erstmals ausführlich mit der Angst beschäftigt. In seinem Werk »Der Begriff Angst« (1844) analysiert Kierkegaard die Angst im Zusammenhang mit unserer Freiheit. Nach Kierkegaard macht die Freiheit zunächst Angst – die Angst ist der »Schwindel der Freiheit«, schreibt er. Die Freiheit ist für ihn grundsätzlich »die Möglichkeit zu können«. Wenn diese Möglichkeit ergriffen wird, versucht der Mensch, sich daran zu halten. Da ist aber nichts, woran sich der Mensch halten kann, und es entsteht Schwindel und Angst. Kierkegaard beschreibt diesen Zustand als ein Herabschauen in einen Abgrund. »Angst kann man vergleichen mit Schwindligsein. Derjenige, dessen Auge plötzlich in die gähnende Tiefe hinabschaut, der wird schwindlig. Aber was ist der Grund dafür? Es ist ebensosehr sein Auge wie der Abgrund; denn was, wenn er nicht hinabgestarrt hätte! So ist Angst der Schwindel der Freiheit, der entsteht, indem der Geist die Synthese setzen will und die Freiheit nun hinabschaut in ihre Möglichkeit und da die Endlichkeit ergreift, um sich daran zu halten. In diesem Schwindel sinkt die Freiheit ohnmächtig um.« (Kierkegaard 1844, S. 57) Angst ist demnach ein existenzielles Gefühl, sozusagen unser zentrales Gefühl. Martin Heidegger beschreibt das Angst-Gefühl ausführlich in seinem Buch »Sein und Zeit« (Heidegger 1926) und betont dabei den Charakter des Unheimlichen. »In der Angst ist einem ›unheimlich‹. Darin kommt zunächst die eigentliche Unbestimmtheit dessen, wobei sich das Dasein in der Angst befindet, zum Ausdruck: Das Nichts und Nirgends. Unheimlichkeit meint aber dabei zugleich das Nicht-zuhause-sein.« (Heidegger 1926, S. 188) Für den Existenzphilosophen Martin Heidegger ist die Angst demnach deutlich von der Furcht zu unterscheiden, die sich auf ein Objekt bezieht, vor dem wir Angst haben. Die Angst ist ein Befinden, so Heidegger, durch welches wir von allen Bindungen befreit und zu einer Erfahrung über uns selbst zurückgeführt werden, und aufgrund dessen wir entscheiden können, wie wir leben und wie wir uns zu den Dingen in der Welt verhalten sollen. Mit dieser Interpretation bedeutet das Angst-Gefühl, dass wir uns in einer Situation befinden, in der unser Verständnis vom Leben, mit dem wir uns bis jetzt abgefunden haben und in das wir nach Heidegger geworfen worden sind, zum Problem wird. »Allein in der Angst liegt die Möglichkeit eines ausgezeichneten Erschließens, weil sie vereinzelt. Diese Vereinzelung holt das Dasein aus seinem Verfallen zurück und macht ihm Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit als Möglichkeiten seines Seins offenbar.« (Heidegger 1926, S. 191) Angst ist in diesem Zusammenhang ein lebenswichtiges Gefühl für uns. Sie zeigt uns, dass es ein Problem gibt, und dass wir etwas tun sollten. Damit ist die Angst als ein existenzielles Gefühl auch als ein Hinweis zu verstehen, neue Wege zu gehen. Das Angstgefühl kann deshalb auch als eine Chance verstanden werden, unser Leben neu auszurichten. Wenn die Angst-Symptome aber zunehmen, wird das Angst-Gefühl chronisch und behindernd. Es entwickelt sich eine Angststörung, die behandelt werden muss. Eine solche Angststörung ist unter anderem die Panik-Störung, bei der ein Mensch wiederholt und über längere Zeit immer wieder wie aus heiterem Himmel Panik erfährt, ohne dass er weiß, weswegen diese Panikattacken auftreten und wie er damit umgehen kann. Die daraus resultierende Ohnmacht führt zu einer anhaltenden und chronischen Angst vor der Panik selbst. Folglich einer Angst vor einem körperlichen und geistigen Zustand, der jederzeit auftauchen könnte. Diese anhaltende und meist äußerst belastende Angst vor der Panik nennt sich Panik-Störung. Wie wird Panik eingeordnet?
Der Begriff Panik bedeutet eine allgemeine, durch ein plötzliches beunruhigendes Ereignis ausgelöste Verwirrung bzw. durch plötzlich ausbrechende Angst und wird erst...