Beyer | Ungefähr die Hälfte | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 420 Seiten

Beyer Ungefähr die Hälfte


2. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7597-4843-0
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 420 Seiten

ISBN: 978-3-7597-4843-0
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die Geschichte der Familie Ralf, Sophie, Kathrin, Lutz und Meike Beyer erzählt in drei verknüpften Handlungssträngen vom Alltag in der DDR. Privates ist oft schwer von Beruf und Politik zu trennen. Dabei funktionieren die Beyers wie das Land, mal mehr, mal weniger. Die Erzählung hat einen wahren Hintergrund und spielt in ihrer Zeit. Ohne späten Groll und neues Wissen schildert sie das Leben so, wie es auch viele andere gekannt haben. Ab dem Kältewinter 1978/79 geht es für Ralf beruflich aufwärts, setzt aber fürs Fortkommen recht bald die Mitgliedschaft in der SED voraus. Kaum hat er sich mühsam eine Wohnung erstritten, gerät die Familie in den Hintergrund und die Planvorgaben bestimmen seinen Tag. Oft ist dem Mangel trickreich zu begegnen. Eine brüchige Schornsteinkrone bringt ihn unter Sabotageverdacht. Ausgerechnet Politbüromitglied Siegfried Lorenz löst Zweifel am wirtschaftlichen Bestand der DDR bei ihm aus. Und als er für die bedrohliche Herstellung zweier Bauteile der Landesverteidigung verantwortlich wird, resigniert er. Für die entscheidenden zehn Jahre von 1979 bis 1988 und die Umbruchzeit ist jeweils ein Kapitel reserviert. In prägenden Ereignissen und begleitenden Rückblenden erzählt das Buch realistisch, ironisch und sarkastisch aus der Sicht eines jeweils Gleichaltrigen von vierzig Jahren DDR.

Ralf Beyer ist ein Pseudonym, beruhend auf dem zweiten Vornamen des Autors und dem Stammbaum seiner Mutter. Er wurde 1950 in der DDR geboren und lebt bis heute im Osten Deutschlands. 1970 legte er sein Abitur ab und erwarb 1974 an der TH Karl-Marx-Stadt sein Ingenieurs-Diplom. Anschließend begann sein beruflicher Wertegang in einem großen Leuchtenbetrieb. Nach der politischen Wende wechselte er in die Druckindustrie. 'Ungefähr die Hälfte' ist Ralf Beyers erster Roman über die Jahre in der DDR. Vorausgegangen sind Publikationen in seinem Fachgebiet.

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1980
Am Mittwoch treffen wir uns wieder zur Arbeit. Zum Glück hat die erste Januarwoche nur drei Arbeitstage. Die erste Stunde vergeht mit gegenseitigen Gutwünschen für das beginnende Jahr. Dann bringen wir uns auf den aktuellen Stand und die neue Woche startet, wie die alte endete. Am späten Vormittag kommt unser Chef von der Leitungsberatung beim Betriebsdirektor zurück. „Na Dietmar, das war wohl nicht so toll?“, fragt Erich sofort. „Nein, das war es nicht. Alles Gute aber erstmal.“ Wie immer zum Jahresbeginn liegen die neuen STAL-Kennziffern vor. Von der Zentralen Plankommission waren sie an unser Ministerium gegangen, von dort auf die nachgeordneten Kombinate aufgeteilt worden und von diesen wiederum auf die einzelnen Betriebe. Unsere IWP-Vorgabe liegt um vierkommadrei Prozent über dem Vorjahr. Die Bedarfsträgerstruktur folgt dieser Steigerung im Wesentlichen. Außer beim NSW-Exportanteil, den wir ohnehin nicht erfüllen könnten. Er verbleibt auf Vorjahresniveau. SW-Export ist dafür entsprechend erhöht worden. Zum ersten Mal bekomme ich Einblick in weitere Untergliederungen. Besonders frappierend sind die Rentabilitätsvorgaben: NSW=0,40, SW=1,20, Inland=1,00. Natürlich weiß ich, was Rentabilität bedeutet. Zunächst einmal eine Verhältniszahl, meist angegeben in Prozent, seltener als Dezimalwert. Im Allgemeinen vergleicht sie den erwirtschafteten Gewinn mit den dafür aufgewendeten Kosten. So ähnlich jedenfalls hatte ich das während des Studiums im Teilfach Sozialistische Betriebswirtschaftslehre gehört. Unsere Planvorgaben müssen etwas anderes bedeuten. Ich fragte Erich: „Sag mal, was bedeutet NSW-Rentabilität = 0,40?“ „Na vierzig Prozent! Unser Verkaufserlös muss im Durchschnitt des Sortimentes im NSW-Export vierzig Prozent unserer dafür erforderlichen Kosten decken.“ „Das bedeutet doch aber sechzig Prozent Verlust.“ „Ja.“ „Dann ist es doch das Beste, wenn wir gar nichts ins NSW verkaufen.“ „So darfst Du das nicht sehen. Dem liegt der Betriebspreis zugrunde, den wir zwei gar nicht kennen, weil wir die Produktion zum IAP abrechnen. Wir wissen auch nicht, wie die Exporterlöse in unsere Mark umgerechnet werden. Drittens gleicht die höhere SW-Rentabilität das wieder aus. Und außerdem ist der NSW-Export für unser Land ganz wichtig. Wir brauchen die Devisen. Zur Not eben auch zu vierzig Prozent. Nicht schön, aber schwer zu ändern.“ „Ich verstehe: die Bedarfsträgerstruktur verlangt, dass im Inland die Läden vor allem voll sind. In das NSW verkaufen wir alles unter Wert, egal ob sich das rechnet, wir brauchen die Valuta. Und unsere sozialistischen Bruderländer dürfen wir im RGW zwar nicht enttäuschen, aber bescheißen.“ „Du und Dein loses Maul! Irgendwann bekommst Du damit mal richtigen Ärger. Sei froh, dass nur wir zwei im Raum sind.“ „Ja, ich weiß. Das bin ich auch. Aber weißt Du, ich lebe hier, in unserem Land. Es ärgert mich, wenn wir unser Zeug verramschen müssen.“ Am Abend setzte ich mich zuhause hin und rechne. Unabhängig der absoluten Zahlen und vorausgesetzt wir würden die Rentabilitätsvorgaben erreichen, was gar nicht sicher schien, wäre von unserem Gesamtvolumen ein SW-Anteil von mindestens vierzig Prozent notwendig, um insgesamt kostendeckend zu produzieren. Der Plan gibt aber nur ungefähr die Hälfte davon vor. Das hieße doch aber, unser Plan sähe gleich Verlust vor. Im Westen wären wir schon vom Ansatz her bankrott. Die ‚Freie Presse‘ publiziert zu jedem Quartalsende die aktuelle Anzahl der in der BRD in Konkurs gegangenen Unternehmen, egal wie klein die mitunter waren. Wir würden dort eine ganze Seite füllen. Das konnte nicht sein, das lag außerhalb meines SBWL-Wissens. Zwei Wochen trage ich diesen Zweifel vor mir her, dann frage ich den Planungsleiter im Direktorat Ökonomie. Der Direktor selbst würde mir die Antwort wahrscheinlich verweigern. Nicht nur, weil er die Kommunikation in seiner Leitungsebene bevorzugt, sondern weil er es auch gar nicht darf. Aller interne Schriftverkehr und alle wichtigen Dokumente unterliegen Geheimhaltungskategorien. Die kompletten Plandokumente rangieren dabei als ‚VVS‘ ganz oben. In vollem Umfang sind sie nur dem Betriebsdirektor, dem Direktor für Ökonomie und dessen Planungsleiter bekannt. Alle anderen Fachdirektorate erhalten nur die sie betreffenden Kennziffern, mit deren vertraulichem Umgang sie ebenfalls verpflichtet sind. So setzt sich das nach unten fort. Ich stelle meine Frage deshalb alternativ: „Habe ich das richtig verstanden, dass….“, ich erläutere meine Überlegungen zu Rentabilität und Verlust. „Das darf ich Ihnen leider nicht sagen. Sie wissen doch, diese Angaben gelten als Vertrauliche Verschlusssache“, weicht er aus. Einfach mit „Ja“ oder „Nein“ hat er nicht geantwortet, dann ist es wohl tatsächlich so. Er denkt noch einmal kurz nach und ergänzt: „Ganz so schlimm ist es aber nicht, weil die Exportstützung NSW das zum Teil beim Nettogewinn wieder ausgleicht.“ „Wir machen planmäßig Verlust und bekommen den bezahlt?“, bin ich ehrlich erstaunt. „Wo kommt denn das Geld dafür her? Und was ist, wenn wir die Rentabilitätsvorgaben nicht erreichen?“ Er neigt den Kopf leicht zur Seite. Antworten bekomme ich nicht mehr. Wir stehen uns noch einen Moment gegenüber. So bald ergibt sich ein Gespräch mit ihm nicht wieder, überlege ich. Also lege ich noch einmal nach: „Selbst, wenn der NSW-Verlust beim Nettogewinn zum Teil ausgeglichen wird, machen es aber doch die erhöhten Herstellungskosten durch die ständigen Sonderschichten, Maschinenumstellungen und Produktionsunterbrechungen wieder schlimmer.“ „Ja, das stimmt leider. Das sehen wir dann immer bei der Nachkalkulation.“ Dann verabschiedet er sich besser, bevor ich weiterfragen kann: „Ich muss jetzt aber wieder.“ Alle Mitarbeiter sind mit ihrem Arbeitsvertrag verpflichtet, betriebliche Belange vertraulich zu behandeln. Das gilt umgangssprachlich als „Geheimhaltungserklärung“ und wird weitgehend beachtet. Dann gibt es Schriftverkehr und Dokumente mit aufgestempeltem „NfD“. Das betrifft das ingenieurtechnische Personal und alle sonstigen Mitarbeiter dieser Bereiche. Dazu gehören zum Beispiel auch Konstruktionszeichnungen, die alle ‚Nur für Dienstgebrauch‘ bestimmt sind und nicht beliebig vervielfältigt werden dürfen. VD-Dokumente sind den Mitarbeitern der höheren und oberen Leistungsebene vorbehalten, die zur Einsicht und Verfassung ‚Vertraulicher Dienstsachen‘ berechtigt sind. Und Vertrauliche Verschlusssachen dürfen nach meiner Kenntnis nur die drei Personen unseres Betriebes einsehen, die die kompletten Planunterlagen erhalten. „Gibt es in unserem Betrieb jemanden mit GVS-Berechtigung?“, frage ich Erich. „Du fragst Sachen, GVS, was meinst Du damit?“ „Na, Geheime Verschlusssachen.“ „Ach so. Nein, ich glaube nicht. Du auf keinen Fall.“ Das weiß ich selbst, aber interessant wäre es schon, wenigstens die Berechtigung für VVS zu erhalten. All Jene, die das dürfen, sind in wichtigeren Positionen als ich, die meisten zudem in der Partei. Sie arbeiten alle mit hohem persönlichem Einsatz. Überhaupt habe ich in den vergangenen Monaten viele Frauen und Männer kennengelernt, denen unsere Wirtschaft und unser Land wichtig sind, im Betrieb, im Kombinat oder unter unseren Geschäftspartnern. Fleißige Arbeiter, keine Polit-Schleimer, wie sie die Presse porträtiert. Das Tagessoll reist mich aus meinen Überlegungen. Wieder einmal läuft es nicht rund. Materialmangel. Wenn es von allem zu wenig gibt, helfen auch strukturelle Maßnahmen nicht. Die Abteilung Einkauf gehörte viele Jahre zum Direktorat Produktion. Der Direktor musste also das Material selbst beschaffen, um planmäßig produzieren zu können. Der Direktor für Absatz konnte frei von dieser Sorge nach Kundenbedarf verkaufen. Das führte immer wieder dazu, dass Produkte in den Produktionsplan gelangten, für deren Ausgangsmaterial die Bilanzanteile fehlten. Seit zwei Jahren ist das anders, jetzt sind Absatz, der eigentlich Verkauf sein müsste, und Beschaffung, also Einkauf, beim Kaufmännischen Direktor vereint. Er wird sich also hüten, Produkte zu verkaufen, deren Ausgangsmaterial er nicht besorgen kann. Eine bizarr originelle Basis für das, was eigentlich Kundenwünschen folgen müsste. Im Tagesgeschäft kommt beides auf dasselbe heraus. Materialmangel führt zu Unterbrechungen und Umstellungen im Sortimentsplan, daraus resultieren Mehraufwand, höhere Kosten, Planrückstände, viel Stress, viel Streit und viel Ärger. * Das Frühjahr ist da, das Wetter offen. Zeit ein privates Objekt anzugehen. Unser Fernsehprogramm beschränkt sich auf die beiden Programme des DFF. Eine alte Eisenleiter führt als Relikt der Fabrikvergangenheit an unserem Wohnzimmerfenster vorbei. Daran haben wir kleine...



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