Biebricher | Neoliberalismus zur Einführung | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Reihe: zur Einführung

Biebricher Neoliberalismus zur Einführung


1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-96060-113-5
Verlag: Junius Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Reihe: zur Einführung

ISBN: 978-3-96060-113-5
Verlag: Junius Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Zu Beginn der Finanzkrise 2008 prognostizierte Jürgen Habermas das Ende des Neoliberalismus. Einige Jahre und mehrere Krisen später kann davon kaum mehr die Rede sein. Doch worum handelt es sich, wenn von Neoliberalismus die Rede ist? Wenige Begriffe sind derart schillernd wie umstritten. Die vorliegende Einführung nimmt ihren Ausgang bei einer Analyse der wichtigsten Vertreter neoliberalen Denkens von Walter Eucken über Friedrich August von Hayek bis zu Milton Friedman und James Buchanan, analysiert im Weiteren Neoliberalisierungsprozesse in den USA, Großbritannien und Deutschland während der 1980er und 1990er Jahre und thematisiert schließlich die Frage neoliberalen Regierens aus der Perspektive von Governance-Theorien sowie der von Michel Foucault inspirierten Gouvernementalitätstheorie.
Biebricher Neoliberalismus zur Einführung jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


2. Theoretische Grundlagen des Neoliberalismus
Die Entstehung des Neoliberalismus ist untrennbar mit der Krise des klassischen Liberalismus verbunden. In diesem Kapitel sollen deshalb zunächst die Entwicklungen nachgezeichnet werden, die zu dieser Krise geführt haben. Dabei greifen Theorie- und Realgeschichte ineinander, und die Rekonstruktion erfolgt in bewusster Anlehnung an die Perspektive der ersten Generation neoliberaler Vordenker, da diese Interpretation der Geschichte des klassischen Liberalismus bereits integraler Teil des neoliberalen Selbstverständnisses ist.5 2.1 Die Krise des Liberalismus
Der Liberalismus in seiner politischen Dimension war einstmals für Rechtsstaatlichkeit und eine rechenschaftspflichtige Regierung sowie gegen die Herrschaft des Absolutismus bzw. des Adels angetreten. In seiner ökonomischen Dimension richtete er sich gegen alle Formen von Marktzugangsbeschränkungen, seien dies eine restriktive Berufszulassung in zunftkontrollierten Tätigkeitsfeldern oder protektionistische Importzölle als zentraler Bestandteil der vorherrschenden Außenwirtschaftspolitik des Merkantilismus. Schon die physiokratische Schule im Anschluss an François Quesnay (1694-1774) hatte an der Vorstellung, dass das Ziel der Außenhandelspolitik darin bestehen müsse, möglichst viel zu exportieren und möglichst wenig zu importieren, gezweifelt. Diese Zweifel verstärkten sich unter dem Einfluss der Ideen von Adam Smith (1723-1790) und David Ricardo (1772-1823) derart, dass spätestens ab der Mitte des 19. Jahrhunderts eine allgemeine Tendenz zur ökonomischen Liberalisierung zu verzeichnen war. Das Zunftwesen wurde in vielen Ländern abgeschafft oder verlor an Einfluss, und das Außenhandelsvolumen nahm im Gefolge von zumeist bilateralen Handelsabkommen beträchtlich zu. Selbstverständlich waren diese Entwicklungen kaum ausschließlich auf die Wirkung der Ideen der schottischen Aufklärung um Adam Smith, Adam Ferguson und David Hume zurückzuführen, denn eine entscheidende Rolle spielten handfeste wirtschaftliche Interessen. So dürfte es auch kaum ein Zufall sein, dass die Freihandelslehre am meisten Verbreitung in England fand, welches durch die Handelsverbindungen des Empires nicht nur am meisten von ihr profitierte, sondern mithilfe seines Militärs im Zeichen der Pax Britannica auch Handelswege öffnete und absicherte. Dennoch darf die Macht der frühliberalen Ideen, die in Glasgow und Edinburgh um die Mitte des 18. Jahrhunderts entwickelt wurden, nicht unterschätzt werden. Dies zeigt sich an Smiths Gedanken von der »unsichtbaren Hand« des Marktes, die hinter dem Rücken der Akteure dafür sorge, dass selbst ausschließlich eigeninteressiertes Handeln das Gemeinwohl fördere. Die Annahme, dass die unterschiedlichen Bedürfnisse der Marktteilnehmer durch geldvermittelten Tausch auf bestmögliche Weise (aufgrund von Arbeitsteilung und Spezialisierung) befriedigt werden, kann als geradezu revolutionäre sozialtheoretische Vorstellung bezeichnet werden. Mithilfe dieser Vorstellung gelang es einerseits, das produktive Potenzial, das sich aus der Verbindung von individueller Freiheit und persönlichem Gewinnstreben ergibt, nutzbar zu machen, und andererseits, die vermeintliche Konflikthaftigkeit der Marktsphäre mit ihren egoistischen Akteuren in einer allgemeinen Harmonie der Interessen aufgehen zu lassen. Eigeninteresse sei also nicht per se verwerflich, sondern trage unter den Bedingungen des Marktes sogar zum Gemeinwohl bei, wobei Smith zugleich betonte, dass ausschließliches Streben nach Profit kaum zu einem erfüllten Leben führen könne. Um die Segnungen des Marktes, dessen Entstehung er in seinem wirtschaftstheoretischen Hauptwerk Vom Wohlstand der Nationen auf die natürliche menschliche Neigung zu Handel und Tausch zurückführte, zur Geltung kommen zu lassen, forderte Smith daher die Beseitigung von Marktzugangsbeschränkungen und ein Zurückdrängen der Staatsgewalt überall dort, wo sie wirtschaftliche Freiheiten durch Privilegienvergabe, Monopolförderung oder andere Eingriffe beeinträchtige. Während Smith aus diesen Gründen den Außenhandel befürwortete, wurde das bis heute gängige Trumpfargument für Handelsliberalisierung von David Ricardo entwickelt. Anfang des 19. Jahrhunderts rechnete dieser am Beispiel von portugiesischem Wein und englischem Tuch vor, dass Handel zwischen den beiden Ländern sogar in beiderseitigem Interesse sei, wenn die Produktionskosten für beide Waren in Portugal niedriger lägen als in England. Selbst dann sei es für Portugal und England sinnvoll, sich auf die Ware zu spezialisieren, bei deren Produktion sie jeweils komparative Kostenvorteile hätten, und die andere Ware stattdessen zu importieren. Ricardos ökonomische Theorie distanzierte sich in vielen Aspekten vom Optimismus Smiths und wurde nicht zuletzt in seinen Betrachtungen zum Klassenantagonismus zwischen Kapital und Arbeit zum Bezugspunkt für Karl Marx. Dennoch blieb Ricardo bei der Vorstellung von der Harmonie marktvermittelter Interaktionen, insofern Handel gleichermaßen im allseitigen Interesse sei, solange alle Beteiligten sich auf Produktion und Ausfuhr der Ware(n) konzentrierten, bei denen sie über einen komparativen Kostenvorteil verfügen. So wurde hier wie auch bei Smith das Konfliktpotenzial des Marktes, aufgrund dessen dieser über Jahrhunderte hinweg als moralisch suspekt und regulierungsbedürftig gegolten hatte, theoretisch neutralisiert. Die Ideen Smiths und Ricardos stießen nicht nur in Großbritannien auf überaus reges Interesse, auch in vielen kontinentaleuropäischen Gesellschaften fasste das, was retrospektiv als Frühliberalismus bezeichnet werden kann, Fuß: in Preußen etwa mit Wilhelm von Humboldt, dem die Welt eines der ersten systematischen Plädoyers für einen Minimalstaat verdankt und dessen Vorstellungen auch in einige der preußischen Reformen einflossen, oder im postrevolutionären Frankreich mit Benjamin Constant, der sich in unzähligen Reden und diversen Schriften zu einem der intellektuellen Wortführer des frühen Liberalismus entwickelte. Zwar hemmte die Ära der Restauration während der ersten Jahrhunderthälfte jegliche weitere politische Liberalisierung, doch nach den mehr oder weniger erfolgreichen Revolutionen von 1848 standen die Zeichen auf ökonomische und stellenweise auch politische Liberalisierung. Zu jener Zeit kam es zu einer Radikalisierung der Forderungen der schottischen Aufklärer Smith und Ferguson durch die Wirtschaftspolitik des ›Laissez-faire‹, wie sie etwa vom französischen Ökonomen Frédéric Bastiat (1801-1850) vertreten wurde. Danach sollte sich der Staat völlig aus der Wirtschaft zurückziehen und den ›Dingen ihren Lauf lassen‹, wobei alle negativen Markteffekte von Ungleichheit bis Ausbeutung ignoriert wurden. So bildete sich mit dem aufkommenden Industriekapitalismus eine Klasse relativ verarmter Lohnarbeiter, die sich der Macht der Unternehmen gegenübersahen, welche sich weitgehend unreguliert zu Kartellen und Trusts zusammenschließen oder durch gegenseitige Übernahme Monopole bzw. Oligopole bilden konnten. Die sich daraus formierenden sozialistischen und sozialdemokratischen Bewegungen äußerten harsche Kritik gegenüber dem liberalen Staatsverständnis. Ferdinand Lassalle (1825-1864), einer der wichtigsten Arbeiterführer des 19. Jahrhunderts, brachte diese Kritik mit seinem Begriff des untätigen »Nachtwächterstaates« auf den Punkt, und auch viele Liberale konnten sich dieser Kritik nicht gänzlich verschließen. In Großbritannien, das als Stammland des Liberalismus gelten kann, führte dies mit dem Aufkommen eines New Liberalism zu der schon in der Einleitung erwähnten Bedeutungsverschiebung. Der New Liberalism schlägt sich prominent nieder in den späten Werken John Stuart Mills (1806-1873), dessen Denken in seinen unterschiedlichen Phasen die Wandlung vom klassischen Liberalism zu dieser neuen Spielart illustriert. Noch stärker kommt diese Wandlung in dem von Hegel beeinflussten Liberalismus von T.H. Green (1836-1882) zur Geltung, dessen Denken als sozialliberal bezeichnet werden kann. Und nicht nur in der Sozialdemokratisierung des liberalen Denkens zeichnet sich die aufkommende Krise des Liberalismus ab, auch die liberale Politik geriet zunehmend in die Defensive: Im neu entstandenen Deutschen Reich, in dem ohnehin die antiliberalen Vorbehalte nie ganz verstummt waren, sorgten die Finanzkrise von 1873 und die darauffolgende Rezession des sogenannten Gründerkrachs sowie die Macht von Großindustrie und Arbeiterbewegung für eine Abkehr von liberalen Politikprinzipien in Form von Protektionismus und für die ersten Schritte hin zur Formierung des Sozialstaates. In den USA wurde 1890 der Sherman Act verabschiedet, der die weitere Kartellierung der Wirtschaft verhindern sollte. Zwar entfaltete das Gesetz zunächst nur bescheidene reale Effekte, doch seine Wirkung als symbolische Zäsur am Ende einer Phase des praktizierten oder zumindest geforderten Laissez-faire war erheblich. Trotz dieser realpolitischen Rückschläge erfuhr das liberale...


Thomas Biebricher leitet die Nachwuchsforschergruppe "Krise und normative Ordnung Variationen des Neoliberalismus und ihrer Transformationen" am Exzellenzcluster "Die Herausbildung normativer Ordnungen" an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.