Buch, Deutsch, 346 Seiten, Format (B × H): 142 mm x 215 mm, Gewicht: 478 g
Kulturanalytische Skizzen
Buch, Deutsch, 346 Seiten, Format (B × H): 142 mm x 215 mm, Gewicht: 478 g
ISBN: 978-3-593-39269-1
Verlag: Campus
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Inhalt
Orte – Situationen – Atmosphären: Eine Einleitung
Beate Binder, Moritz Ege, Anja Schwanhäußer, Jens Wietschorke 9
A Whole Way of Life – Oder: Wer wird Ethnograf?
Der Lindenbaum Schattenwürfe eines Berliner Stadtgewächses
Bodo-Michael Baumunk 19
Die Lust des Forschers auf das Feld – und: Wer wird nicht Ethnograf? Ein Plädoyer
Brigitta Schmidt-Lauber 33
Die Grenzen der Kulturanalyse im Strafraum Von Theorie und Praxis im Fußballspiel
Friedemann Schmoll 45
Im Blick auf 'das Leben, wie es gelebt wird' Zur Logik von Umgangsstrategien mit Prekarität
Elisabeth Katschnig-Fasch 51
Urbane Atmosphären
Urban atmospheres – An ethnography of railway stations
Orvar Löfgren 67
Marlene Dietrich auf dem Schiff von New York nach Southampton
Joachim Schlör 77
Mapping 'Queer Berlin' – Queering space!?
Beate Binder 87
Der Weg nach unten – Zur soziosymbolischen Homologie von Raum und Programm in der DDR-Gegenkultur
Paul Kaiser 103
Am Lutherplatz
Vier Annäherungen an einen Stadtteil und seine Bewohner
Robert Lorenz 115
Strides on the Sound Side of Cities
Helmuth Berking 127
Geschmackslandschaften
BroilerScapes – oder der Geschmack des MilchhähnchensPolygrafische Erkundungen spezifisch urbaner gustativer Wahrnehmungsstationen
Ulf Matthiesen 135
Über das unerhörte Verschwinden des Hundekots
Tobias Timm 145
Räume der Konsumtion in Berlin
Erkundungen am Mierendorffplatz und im Rheingauviertel
Jens Wietschorke 151
Black Vienna – Reading the
City upside down
Anja Schwanhäußer 169
Stern des Südens
Warum der FC Bayern der typische Münchner Fußballverein ist
Johannes Moser 183
Geografische Imaginationen
Die deutsche Entdeckung Indiens um 1800 – Bilder des Wissens in Friedrich Justin Bertuchs Bilderbuch für Kinder (1790–1830)
Silvy Chakkalakal 199
Balkangroove: Blas den Blues weg
Walter Leimgruber und Nada Boškovska 223
Stephansdom und Stadtmuschel – Zur visuellen Signatur Wiens
Lutz Musner 239
Räuber, Raufer, Dickschädel Zur kumulativen Textur des Innviertels
Tobias Schweiger 247
Wo ist Hannover?
Barbara Lang 261
Zone B – ein Haiku1 mit Anmerkungen
Alexa Färber 267
Figuren und Figurationen
Die Ränke der Utopie – Jugendliche Wildererphantasien im Salzburger Land des späten 18. Jahrhunderts
Norbert Schindler 275
'Why don’t they act like who they really are?'
Zur Peinlichkeit und Performativität von wannabes
Moritz Ege 289
Schwaben in Berlin – Metamorphosen einer kulturellen Figur und ihrer urbanen Topografien
Thomas Bürk und Thomas Götz 307
The Mile-End Hipster
Montreal’s Modern Day Folk Devil
Geoff Stahl 321
'Sind doch nicht alle Beckhams!'
Autobiografische Skizzen zu Fußball, Fernsehen und Fans
Lothar Mikos 329
Autorinnen und Autoren 339
Orte – Situationen – Atmosphären: Eine Einleitung
Beate Binder, Moritz Ege, Anja Schwanhäußer und Jens Wietschorke
Konkrete Orte und Situationen, städtische Atmosphären, geografische Imaginationen, kulturelle Typen und Figuren liefern den Stoff für die Beiträge, die in diesem Band versammelt sind: Sie dienen als Ausgangspunkte für skizzenhafte Kulturanalysen sozial-kultureller Konstellationen. Die Texte bewegen sich also gewissermaßen von konkreten Situationen zu historisch-kulturellen conjunctures, wie sie schon im Erkenntnisinteresse der klassischen Cultural Studies standen (zum Beispiel bei Stuart Hall, vgl. Lindner 2000a). Damit geben sie auch einen – fraglos partiellen, tentativen und hoffentlich anregenden – Einblick in aktuelle Forschungsgebiete, Methoden und Fragestellungen der Europäischen Ethnologie, der volkskundlichen oder empirischen Kulturwissenschaft und angrenzender Disziplinen. Gewidmet ist der Band Rolf Lindner und seiner kulturanalytischen Sensibilität. Der Kreis der AutorInnen setzt sich aus KollegInnen, SchülerInnen und FreundInnen zusammen, die sich dem Format des kulturanalytischen Essays auf unterschiedliche und unterschiedlich ernsthafte Art und Weise genähert haben – nicht mit dem Anspruch, das wissenschaftliche Werk Rolf Lindners umfassend zu würdigen, sondern vor allem, um etwas von seinem Forschungs- und Denkstil aufzugreifen und weiterzuführen. So schlägt sich in den Beiträgen viel von dem nieder, wozu Rolf Lindner die AutorInnen im Austausch, in der Zusammenarbeit wie im Zusammensein angeregt hat, sei es auf direktem Weg oder auf produktiven Umwegen.
Nicht zufällig haben wir den Ansatz beim Konkreten und Topografischen gewählt. Er ermöglicht es, die besonderen Stärken einer Kulturwissenschaft vorzuführen, die qualitativ-empirisch vorgeht und eine grundlegende Offenheit gegenüber der sozialen Welt bewahrt, einen Respekt vor der Textur des Alltagslebens. Der Ansatz beim Konkreten bildet deshalb nicht nur einen zentralen rhetorischen Topos in der Darstellungsweise ethnografischer und kulturanalytischer Forschung, er bedingt auch die Forschungspraxis und das Gegenstandsverständnis – so wichtig es zugleich immer bleibt, die Fallstricke konkretistisch-lokalistischer Verkürzungen zu umgehen. Gerade theoriegeleitete Herangehensweisen erweisen ihre Qualität am empirischen Material, zum Beispiel in der Analyse spezifischer Orte und Situationen. Damit wollen wir auch Rolf Lindners Betonung des 'Sehenlernens' aufgreifen, das er in seiner Forschung und Lehre als Voraussetzung kulturanalytischer Praxis versteht. Was einen Ort ausmacht, was sich dort ereignet, was er vielleicht besagen könnte, mit welchen anderen Orten und Vorstellungen ihn verschiedene Akteursgruppen in ihrer Praxis verknüpfen, das erschließt sich über eine Befremdung des alltäglichen Blicks, die Selbstverständlichkeiten thematisierbar macht. Das Sehen setzt Offenheit voraus, ein Sensorium für Stimmungen, Indizien und unerwartete Konstellationen: Es geht auch darum, nicht immer schon Bescheid zu wissen. Der Literat und Ethnograf Hubert Fichte nannte seinen großen, unvollendeten Zyklus von Romanen und Essays eine 'Geschichte der Empfindlichkeit'. Fichte lässt sich – trotz seiner ethnologischen Affinitäten – schwerlich in eine akademische Disziplin eingemeinden, doch erinnert sein Titel an die Forderung, sich Erfahrungen auszusetzen, eben empfindlich zu bleiben. So ist die Orientierung am Konkreten letztlich weniger eine im engen Sinn methodische oder methodologische Frage als vielmehr eine Frage der Einstellung zum Gegenstand. Zu dieser gehört der Gestus, 'sich den Hosenboden mit echter Forschung schmutzig zu machen', wie der Chicagoer Stadtforscher Robert E. Park dies von seinen Mitarbeitern verlangte, das Eintauchen in andere Lebenswelten ebenso wie die Reflexion der Bedingungen solcher Alterität.