E-Book, Deutsch, 200 Seiten
Blobel Die Clique
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-401-80360-9
Verlag: Arena
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 200 Seiten
ISBN: 978-3-401-80360-9
Verlag: Arena
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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1. Kapitel Ich möchte als Fisch wiedergeboren werden. Einer von diesen Fischen, die im warmen Meer schwimmen, Indischer Ozean oder so. Ich möchte vor einer Insel an einem Riff leben, wo es bunte Korallen gibt und ganz viele andere Fische, die sich alle von Algen und Plankton ernähren und den winzigen kleinen Krebsen. Winzige sandfarbene Krebse, die nur dazu da sind, von Fischen gefressen zu werden. Auch komisch, wenn du als Futter zur Welt kommst. Hoffentlich denken die Krebse nicht darüber nach. Wer weiß, vielleicht bilden selbst diese minikleinen Krebse Familien und große Lebensgemeinschaften, so was wie Dörfer oder Städte. Ich hab keine Ahnung. Aber darauf würde ich auch keine Rücksicht nehmen. Das könnte ich gar nicht, wenn ich ein bunter Fisch wäre, ein Korallenfisch, der am Korallenriff lebt. Es gibt Fische, die sind vollkommen königsblau, haben silberne Flossen und rote Köpfe. Oder sind gelb mit breiten Mäulern und durchsichtigen Augen. Es gibt breite Flossen und schmale. Schnelle und langsame, schlanke und dicke Fische. Ich wäre ein schlanker, schöner Fisch mit großen Augen und einem weichen Maul. Vielleicht würde ich doch nur Algen fressen und keine Krebse. Ich glaube, ich möchte ein vegetarischer Fisch sein, wenn ich wieder auf die Welt komme. Ein friedlicher Fisch, der niemandem etwas tut. Hoffentlich werden Fische wie ich nicht sofort von irgendwelchen Barrakudas oder Haien gefressen, weil wir so schön sind oder so selten oder einfach nur, weil wir uns nicht so gut verstecken können. Es gibt Fische, die haben genau die gleiche Farbe wie die Korallen, eine Tarnfarbe, sie können sich also zwischen den Korallen verstecken und warten, wenn ein Killerfisch vorbeischwimmt. Der sieht sie einfach nicht. Das wäre auch schön, wenn man in seiner Umgebung so verschwinden könnte, dass man gar nicht auffiele, aber trotzdem für sich irgendwie einzigartig und besonders wäre. Aber wahrscheinlich komme ich doch bloß als Scholle oder Dorsch auf die Welt und muss in der kalten Ostsee herumschwimmen und werde von blöden Fischern in ihren Gummilatzhosen, die bis unter die Achseln gehen, gejagt. Egal. Gegen das kalte Wasser hat man dann eben die Fettschicht, da macht einem das nichts aus. Als Scholle oder Dorsch weiß ich ja auch nichts von den schönen türkisfarbenen Buchten der Karibischen Inseln. Als Fisch bin ich zufrieden, so wie ich bin, weil ich perfekt bin. Niemand erwartet von mir etwas anderes als das, was ich bin: ein Korallenfisch, der herumschwimmt, sich von Algen ernährt, sich zwischen Korallen versteckt, mit anderen Korallenfischen spielt. Oder nein, ich fang noch mal an. Ich möchte als Fisch wiedergeboren werden, weil Fische stumm sind. Weil sie in der Stille leben, schwerelos, weil sie, wenn ihnen eine Gegend nicht gefällt, einfach weiterschwimmen können in die nächste Bucht oder weit hinaus in den Ozean, wo sie keiner kennt. Ich glaube, dass ein Fisch das glücklichste Wesen überhaupt ist. Delfine sind ja eigentlich keine Fische, weil sie Säugetiere sind, aber sie leben im Meer, tummeln sich herum, tauchen manchmal auf und dann sieht es aus, als würden sie lächeln. Das liegt natürlich nur an ihrem Maul, das so nach oben gebogen ist. Und wir Menschen beurteilen ja alle Wesen nach ihrer Ähnlichkeit mit uns. Es heißt, dass Gott uns nach seinem Ebenbilde gemacht hat. Also, dass er uns Menschen ähnlich ist. Aber sind wir Gott immer noch ähnlich? Ich habe da meine Zweifel. Zu viel ist schiefgelaufen und noch mehr wird schieflaufen, wenn wir so weitermachen auf dieser Welt. Manchmal wünschte ich, am Himmel würde so ein großes rot-weißes Schild auftauchen, auf dem STOPP steht. Bis hierhin und nicht weiter! Hört auf! Besinnt euch! Solche Sachen gehen mir durch den Kopf und manchmal hab ich davon Albträume und deshalb sitze ich jetzt am Computer und versuche, das in Worte zu fassen, was in mir vorgeht. Versuche, meine Erlebnisse irgendwie in den Griff zu bekommen, indem ich sie aufschreibe. Vielleicht versteh ich dann alles besser, am Ende. Eine Weile bin ich herumgelaufen wie eine Blinde. Als hätte ich mir selber ein schwarzes, undurchdringliches Tuch über die Augen gebunden. Ich wollte einfach nicht sehen. Aber ich wollte auch nichts hören. Man nennt das, glaube ich: verdrängen. Es gibt Augenblicke im Leben, da entscheidet sich der Weg für die nächsten Monate, Jahre, vielleicht auch für das ganze Leben. Aber man wird ja nicht gewarnt. Man weiß nicht, dass zum Beispiel dieser Augenblick, als die Clique mich unter Druck gesetzt hat, damals, in der S-Bahn nach Friedrichshain, der Wendepunkt für mich war. Eigentlich ein normaler Tag wie jeder andere. Eigentlich ein schöner Tag. Ich gondelte mit meiner Clique, meinen Freunden, mit der S-Bahn durch Berlin. Es war der Tag, an dem Madonna in die Stadt kam und alles auf den Beinen war. In der Luft Musik. So ein Beat-Rhythmus. Aber ich bin schon mitten in der Geschichte. Und dabei wollte ich es doch machen wie ein Profi. Ein richtiger Anfang. Man muss richtig anfangen. Also, noch einmal: Ich bin Lara Weisskamp, vierzehn Jahre alt und besuche seit zwei Jahren das Helene-Lange-Gymnasium in Berlin. Ich habe Fotos von mir als Baby gesehen, die Bilder von der Taufe, nein, stimmt gar nicht, von der Taufe gibt es ein Video, mein Papa rannte, als ich klein war, immer nur mit der Videokamera herum. Lara, dreh dich mal um, lächel mal. Lara, steh mal auf, geh mal rüber da zu der Schaukel, nein, nicht so hastig, langsame Bewegungen und jetzt zu mir schauen, nein, nicht blinzeln, mach die Augen weit auf … Ja, und jetzt puste deine Geburtstagskerzen aus. Schön lächeln dabei. Ich glaube, wenn Papi wissen will, wie ich als Kind wirklich war, muss er sich die Filme reinziehen. Aber es macht nichts, ich hab ihn trotzdem lieb. Wenn ich in meinem nächsten Leben als Fisch wieder auf die Welt komme, werden meine Eltern natürlich nicht da sein. Frau Dohse, meine Biolehrerin, mit der ich über die Wiedergeburt und so was rede, sagt ja, das sei alles vollkommen unerforscht, wie eine Wiedergeburt überhaupt vor sich geht. Ob es das wirklich gibt. Es gibt Religionen, in denen glaubt man ganz fest daran. Der Buddhismus zum Beispiel, er lebt sozusagen von der Idee, dass man mit jedem Leben dem Nirwana näher kommt, der ewigen Seligkeit. Dass man sich vorarbeitet zum Glück, in jedem Leben ein bisschen mehr. Im indischen Glauben ist es ähnlich. Ob man als Tier oder als Mensch auf die Welt kommt, hängt von den guten oder schlechten Taten ab, die man im vorherigen Leben begangen hat. Das ist das Karma, das große Weltengehirn sozusagen. Meine Mama findet es blöde, dass ich über Wiedergeburt und so was nachdenke. Wir leben im christlichen Glauben und der sagt, es gibt ein Leben und danach trittst du vor deinen Gott und er wird deine guten und deine schlechten Taten wiegen, und wenn du ein böser Mensch gewesen bist, kommst du in die Hölle, wenn du aber gut warst, darfst du im Himmel weiterleben. Oder wie immer man das dann nennt. Mir kommt das mittelalterlich vor. Der Himmel – wo soll der sein? Zwischen den Flugbahnen der Flugzeuge? Und düst manchmal ein Satellit genau durch die Gegend, in der wir das Himmelreich vermuten? Und verursacht ein großes Gemetzel? Der Himmel hat in unserer Vorstellung ja nur so lange Gott gehört, wie wir keine Flugzeuge und Spaceshuttles und so was gebaut haben. So lange wir keine Möglichkeit hatten, das Universum zu erforschen. Jedenfalls glaube ich, dass alle Lebewesen eine Seele haben. Und ich glaube – aber nein, ehrlicherweise hat das meine Biolehrerin gesagt –, die Seele: Das ist wie eine Energie. Eine unsichtbare, unmessbare Energie. Bis heute jedenfalls haben wir nichts gefunden, womit wir die Seele messen und fühlen können. Aber ich weiß, dass es eine Seele gibt. Es ist der Teil des Körpers, der so wahnsinnig wehtut, wenn du traurig bist. Wenn jemand dich beleidigt oder ausgelacht hat. Es ist der Teil im Körper, der weinen kann, ohne dass du Tränen siehst. Und der dich zum Beispiel an schöne Dinge wie ein blaues Meer denken lässt, wenn eigentlich die Welt um dich herum gerade in Trümmer zerfällt, weil deine beste Freundin dich belogen hat, oder wenn solche Dinge passieren wie die, die ich gerade jetzt … Aber nein, ich will nicht von den Schmerzen meiner Seele reden. Ich will nicht. Ich will nicht. Ich hasse Benni, ich hasse Sonja und Carus sowieso. Carus ist ein widerlicher, aufgeblasener, eitler und brutaler Spinner. Der dreht jetzt völlig durch. Dass ich einen Jungen wie Carus mal geliebt habe, will mir überhaupt nicht mehr in den Sinn. Ich verstehe auch gar nicht, wieso ich seine Fotos noch nicht zerrissen habe oder die Seiten, die er in meinem Tagebuch vollgekritzelt hat. Ja, so dämlich war ich mal: Ich hab Carus nicht nur mein Tagebuch lesen lassen, nein, er durfte mit seiner ekligen Klaue und seinen siffigen Filzstiften da sogar was reinschreiben!!! Ich bin ein so blöder, riesiger Idiot. Aber ich lass mich von denen nicht fertigmachen. Nein, nein! Das habe ich mir geschworen. Wer bin ich denn, dass ich nachts zehn Papiertücher vollheule? Nur wegen dieser blöden Clique? Wegen diesen gehirnamputierten Schwachköpfen? Als wenn die Welt nicht voller schöner Dinge wäre. Als wenn...