Bollmann | Angela Merkel | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 6504, 816 Seiten

Reihe: Beck Paperback

Bollmann Angela Merkel

Die Kanzlerin und ihre Zeit
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-406-81531-7
Verlag: C.H.Beck
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Die Kanzlerin und ihre Zeit

E-Book, Deutsch, Band 6504, 816 Seiten

Reihe: Beck Paperback

ISBN: 978-3-406-81531-7
Verlag: C.H.Beck
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Mit Angela Merkel zog 2005 erstmals eine Frau und ehemalige Bürgerin der DDR ins Kanzleramt ein. Aus «Kohls Mädchen», der Ministerin und Generalsekretärin der CDU, wurde die beliebteste deutsche Politikerin und eine der mächtigsten Frauen der Welt. Ralph Bollmann zeichnet in seiner grundlegenden Biografie den Lebensweg Merkels nach und erzählt mit kritischer Sympathie die Geschichte ihrer Kanzlerschaft, die von der Finanzkrise über die Flüchtlingskrise bis zur Covid 19-Pandemie enorme Anforderungen an sie stellen sollte. Sein glänzend geschriebenes Buch zeigt uns eine außergewöhnliche Frau im Zentrum der Macht, deren Politik ein ganzes Zeitalter geprägt hat.

In der Regierungszeit von Angela Merkel begannen sich Gewissheiten aufzulösen. Die vertraute Weltordnung der Nachkriegszeit verschwand, eine neue Unsicherheit trat an ihre Stelle, zuletzt in der Corona-Krise sogar bis in den Alltag der Menschen hinein. Durch die Erfahrung des Systembruchs von 1989/90 war die ostdeutsche Politikerin darauf besser vorbereitet als viele ihrer Kolleginnen und Kollegen. Sie wurde nicht zuletzt deshalb so beliebt, weil sie von den veränderungslustigen Deutschen alle Zumutungen konsequent fernhielt. Doch mit der Flüchtlingsdebatte endete diese Harmonie. Merkel konnte und wollte Deutschland nicht länger von den Weltläufen abschirmen und polarisierte selbst im Konflikt zwischen nationaler Abwehr und Weltoffenheit.

Ralph Bollmanns Biografie ist nicht nur ein fesselndes Lesevergnügen, sondern auch eine eindrucksvolle Geschichte Deutschlands und Europas seit der Wende.

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Vorwort
Es war im November 2015, ein eiskalter, aber ziemlich sonniger Novembertag in Hamburg. Angela Merkel hatte über die Jackenfarbe an diesem Morgen nicht nachdenken müssen, Schwarz stand außer Frage. Die Bundeskanzlerin sprach in der Hauptkirche St. Michaelis auf der Trauerfeier für Helmut Schmidt, den im Alter von 96 Jahren verstorbenen Amtsvorgänger. Sie hielt eine ihrer persönlichsten Reden, zeichnete so etwas wie ein Selbstporträt in der dritten Person. Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen: Merkel wagte es sogar, Schmidts berüchtigtsten Satz zustimmend zu zitieren, ihn sich zu eigen zu machen. Den nüchternen Pragmatismus des Verstorbenen rühmte sie, seine Resistenz gegenüber ideologischer Einengung. Sie lobte Schmidts Überzeugung, dass eine Entscheidung nur dann reif zu fällen war, wenn sie vorher durchdacht und mit Vernunft durchdrungen war. Und sie schloss mit einer Bilanz seiner Regierungszeit: Die Leistungen dieses Bundeskanzlers zeigten sich in den Krisen, die er zu bewältigen hatte. Ein pragmatischer Politiker, der über Entscheidungen lange nachdenkt und der sich während seiner Amtszeit als Regierungschef vor allem als Krisenmanager bewähren muss: Hier sprach eine Frau über sich selbst, die damals ziemlich genau zehn Jahre im Amt war – und über die es wie bei Schmidt lange Zeit hieß, sie sei die richtige Kanzlerin in der falschen Partei.[1] Das Bekenntnis erstaunte umso mehr, als der bei den Deutschen so beliebte Hamburger nicht immer positiv über die Nachfolgerin gesprochen hatte. Aber die Parallelen liegen auf der Hand. Ähnlich wie Schmidt war Merkel eine Kanzlerin, die das Land durch eine Serie von zuvor kaum vorstellbaren Krisen steuerte. Wo Schmidt mit den ökonomischen Problemen nach dem Ende des Wirtschaftswunders kämpfte oder mit dem Terrorismus in Deutschland, hatte sich Merkel mit der Finanz-, Euro-, Ukraine- und Flüchtlingsfrage auseinanderzusetzen, die spätestens mit der Wahl Donald Trumps zum amerikanischen Präsidenten in eine umfassende Krise des Westens mündeten; ein Virus, das die Welt überrollte wie einst eine Sturmflut die Hansestadt, kam am Ende ihrer Amtszeit noch hinzu. Der nüchterne Pragmatismus, mit dem Schmidt und Merkel diesen Herausforderungen begegneten, beruhte in beiden Fällen auf der Erfahrung eines historischen Bruchs: Helmut Schmidt war 26 Jahre alt, als der Zweite Weltkrieg zu Ende ging, Angela Merkel erlebte mit 35 Jahren den Zusammenbruch des Staates, in dem sie aufgewachsen war. Auf den ersten Blick stehen die Krisenkanzler Schmidt und Merkel im Schatten zweier Gründerfiguren. Konrad Adenauer prägte die Bundesrepublik in ihrer Anfangszeit nach 1949, vor allem, was ihre Integration in den Westen betraf. Helmut Kohl vollzog 1990 den Beitritt der DDR mit einem Sinn für die Erfordernisse der historischen Stunde, und er versuchte das von Adenauer begonnene Projekt der europäischen Einigung zum Abschluss zu bringen. In der Reihe der prägenden Kanzler wäre trotz seiner kurzen Amtszeit noch Willy Brandt zu nennen, dessen Name mit der Entspannungspolitik und einer inneren Demokratisierung der Bundesrepublik verbunden ist. Solche Leistungen stehen für sich. Das Urteil über die Krisenmanager hängt dagegen von Erfolg oder Misserfolg ab, auch über das Ende der Amtszeit hinaus: Werden die Deutschen dereinst die «Ära Merkel» zu einer guten alten Zeit verklären, die trotz aller Krisen noch Sicherheit und Kontinuität bot? Oder wird Angela Merkel als eine Frau gelten, die durch ihre Politik den Niedergang des Westens wenn nicht verursacht, so doch zumindest nicht aufgehalten hat? Lange Zeit war die Kanzlerin bei den Wählern wohlgelitten, weil sie alle Unbilden der Welt von ihnen fernhielt, obwohl sie selbst diesen risikoscheuen Zug der Deutschen skeptisch sah. Mit der Ankunft der Flüchtlinge im Spätsommer 2015 änderte sich das, wenigstens bei einem Teil der Bevölkerung. Als die vermeintlich stets Lavierende auf einmal eine Richtung vorgab, war es manchen Kritikern von einst auch wieder nicht recht. Andere bewunderten die neue Entschlossenheit, bisweilen sogar, wenn sie Merkels Vorgehen gar nicht billigten. Dabei war eigentlich nicht die Flüchtlingsfrage die Wasserscheide in ihrer politischer Karriere, sondern die Finanzkrise im Jahr 2008. Hatten Merkels spektakulärem Aufstieg von der Pressesprecherin einer ostdeutschen Oppositionsbewegung zur ersten Frau an der Spitze der damals drittgrößten Wirtschaftsnation der Welt noch der Sinn und das Ziel gefehlt, so wurde sie nun zur Krisenkanzlerin. Ein Ereignis nach dem anderen stellte den Fortbestand der vertrauten Welt in Frage. Angela Merkel, die 1989/90 bereits den Zusammenbruch eines Systems und die Umwälzung ihres gesamten Alltagslebens erfahren hatte, war darauf womöglich besser vorbereitet als andere Politiker. Dass sie die einzige Politikerin aus dem früheren Ostblock an der Spitze eines überwiegend westeuropäischen Staates war, prägte ihre Politik nachhaltig. Die Krisen veränderten allerdings auch die Rolle Deutschlands und Europas in der Welt. Helmut Schmidt nutzte das wirtschaftliche Gewicht der Bundesrepublik gezielt, um ihr – etwa über die Gipfeltreffen der G7 – auch politischen Einfluss zu verschaffen. Das hatte Merkel gar nicht mehr nötig. Unter ihrer Führung fiel den Deutschen eine Rolle zu, die sie bestenfalls widerwillig annahmen. Wo sie sich auch umsahen: Auf einmal war niemand mehr da, in dessen Schatten sich die Bundesrepublik hätte kleinmachen können. Schon in der Schuldenkrise richteten sich alle Augen auf das große und vergleichsweise stabile Land in der Mitte des Kontinents, und im Konflikt um die Ukraine fiel Deutschland die entscheidende Vermittlerfunktion zu. Das bodenständige Image Merkels, das sie mit Anekdoten über Kartoffelsuppe oder Pflaumenkuchen selbst förderte, machte die neue Macht der Deutschen für die Nachbarn erträglicher. Internationale Beobachter blickten früher und schärfer auf die Person Merkel als die Deutschen selbst. Während die meisten Bundesbürger zumindest bis 2015 annahmen, über die Kanzlerin sei alles gesagt, wuchs das Interesse im Ausland schon früh. Das lag nicht nur an der zunehmenden Bedeutung des von ihr regierten Landes, sondern auch an ihrer Lebensgeschichte, deren Besonderheiten man aus der Ferne besser erkannte, bisweilen allerdings auch überzeichnete. Kindheit und Jugend im Sozialismus, die vermeintlich unscheinbaren Jahre als Ministerin unter Kohl, der plötzliche Aufstieg in der Parteispendenaffäre, der unerwartete Machterhalt gegen alle Opponenten aus der eigenen Partei – all dies gelang Merkel aus der Rolle einer dreifachen Außenseiterin heraus: Unter den maßgeblichen Akteuren der deutschen Politik war sie die einzige Ostdeutsche, eine von wenigen Frauen und eine Naturwissenschaftlerin unter vielen Juristen. Das Unwahrscheinliche dieses Aufstiegs nährte, zumindest an den politischen Rändern, eine ganze Reihe von Verschwörungstheorien, von gezielt gestreuten Behauptungen über eine angebliche Stasi-Mitarbeit bis hin zu angeblichen Plänen für eine «Umvolkung» Deutschlands. Bis in die Mitte des politischen Spektrums reichte die Vermutung, es müsse sich hinter der Fassade der Harmlosigkeit irgendein Geheimnis verbergen. Dabei artikulierte Merkel ihre Absichten oft deutlicher, als Gegner und Bewunderer ihr unterstellen. Wer sich ihre Reden oder Interviews mit dem Abstand einiger Jahre noch einmal vornimmt, der entdeckt an entscheidenden Wendepunkten erstaunlich präzise Beschreibungen ihrer Pläne und Absichten, die sogar die Zeitgenossen oft überhörten, wohl wegen des spröden Tons, in dem sie vorgetragen wurden. In der Spätphase ihrer Karriere polarisierte die einst so konsensual agierende Merkel die deutsche Öffentlichkeit so stark, wie es in angeblich postideologischen Zeiten schon lange kein Politiker vermocht hatte. Dem Ruf «Merkel muss weg» einer lautstarken Minderheit stand eine noch immer beträchtliche Popularität in einer breiten gesellschaftlichen Mitte gegenüber, die vom liberalen Flügel der Unionsparteien bis weit ins rot-grüne Spektrum reichte. Das hing mit einer neuen Spaltung der westlichen Gesellschaften zusammen, die sich in Deutschland später vollzog als andernorts. Wie jeder Politiker handelte Merkel im Schnittpunkt von Interessen und übergreifenden Kräften der Geschichte, sie war in ihren Entscheidungen wie jeder ihrer Vorgänger nicht frei. Der globale Großkonflikt zwischen liberalen Kosmopoliten und ängstlichen Protektionisten überschattete die letzten Jahre ihrer Kanzlerschaft, ließ die Regierungschefin allerdings zu einer vorher nicht gekannten Form der Deutlichkeit finden: Nun galt sie als eine der letzten ...


Ralph Bollmann ist Historiker, Journalist und wirtschaftspolitischer Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Er hat bereits 2013 ein Buch über Angela Merkel und die Deutschen geschrieben und für diese Biografie u.a. zahlreiche Gespräche mit Zeitgenossen und Weggefährten von Angela Merkel geführt.



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