E-Book, Deutsch, 276 Seiten
Bosetzky -ky's Literarische Trostpflaster
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-86408-197-2
Verlag: Vergangenheitsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Geschichten für alle Lebenslagen
E-Book, Deutsch, 276 Seiten
ISBN: 978-3-86408-197-2
Verlag: Vergangenheitsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
-ky's Literarische Trostpflaster sind eine neue Mischung aus originalen Texten des Berliner Bestsellerautors, die mit viel Selbstironie und einer Prise Altersweisheit angereichert wurden. Die Literarischen Trostpflaster helfen dabei, sich weniger Sorgen zu machen und erhöhen Ihren Glückszustand. Alte und Junge, auch Kinder und schwangere Frauen, Väter und Mütter, eigentlich alle, können die Literarischen Trostpflaster zu sich nehmen, ohne Risiken in Kauf nehmen zu müssen. -ky\'s neue Geschichten werden in Situationen von Stress, Liebeskummer, Langeweile, Magengrummeln und vielen anderen allzu menschlichen Zuständen eingenommen. Man kann 4 Texte auf einmal direkt auf der Zunge zergehen lassen. Gegebenenfalls müssen weitere Texte alle 5-10 Minuten gelesen werden. Es besteht dabei keinerlei Risiko eine zu große Menge zu verzehren. -ky\'s Literarische Trostpflaster: Dutzende neue Geschichten von Horst Bosetzky für alle Lebenslagen und Notsituationen, über Familie und Freunde und das liebe Leben.
-ky (Dr. Horst Bosetzky) wurde am 1.2.1938 in Berlin-Neukölln geboren. Er ist Professor für Soziologie gewesen, Mitbegründer des 'Neuen deutschen Kriminalromans' und 'Erfinder' des 'Sozio-Krimis'. Seit 1971 zahlreiche (z. T. verfilmte) Kriminalromane (u. a. 'Einer von uns beiden', 'Stör die feinen Leute nicht', 'Kein Reihenhaus für Robin Hood', 'Wie ein Tier', 'Die Bestie vom Schlesischen Bahnhof'). Neun Bände umfassende Familiensaga um 'Brennholz für Kartoffelschalen' (als TB bei dtv). 1980 Preis für den besten deutschsprachigen Kriminalroman, 1988 Prix Mystère de la critique für den besten ausländischen Kriminalroman in französischer Sprache, 1992 Ehren-Glauser des SYNDIKATS für das Gesamtwerk und die Verdienste um den deutschsprachigen Kriminalroman. 2005 Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland. 2014 ver.di-Literaturpreis für das Lebenswerk.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
I. Geschichten für Leute mit Zweifeln am eigenen Namen oder die meinen, keine Wunschkinder zu sein
Meine Eltern, das waren Hildegard Bosetzky, geb. Schattan (* 11.6.1910 in Rixdorf, † 28.5.2009 in Berlin) und Otto Bosetzky (* 24.1.1906 in Züllichau/Unterweinberge, † 17.7.1968 in Berlin). Meine Mutter ist in der Muskauer Straße in Kreuzberg groß geworden, hat ein Lyzeum am Mariannenplatz und danach die Höhere Handelsschule besucht, um dann solange bei der AOK zu arbeiten, bis sie „gemaßregelt“ wurde, wie das damals hieß, also entlassen, weil ihr Vater/mein Großvater (Oskar) Jude war. Mein Vater war ein nichteheliches Kind, ist auf der Oder auf dem Schleppkahn seiner Tante und später in einem Kreuzberger Kohlenkeller aufgewachsen, hat bei der Reichspost das Handwerk des Telegraphenbauhandwerkers gelernt, ist später zur Gaußschule gegangen und ist dort, wie man heute sagt, Ingenieur (FH) geworden. Früh in die SPD eingetreten, hat er in Kreuzberg gegen die Nazis gekämpft und stand auf deren Abschussliste, wurde aber nicht aus dem Reichspostzentralamt (RPZ) entlassen, weil er für die kriegswichtige Produktion unentbehrlich war und seine Nazi-Vorgesetzten ihre Hand schützend über ihn hielten (bis er dann Anfang 1945 doch noch „eingezogen“ wurde, also Soldat werden musste). Warum ich Horst (Otto, Oskar) heiße? Ich weiß es nicht, ich weiß nur, dass ich noch mit 77 Jahren darunter leide, zumal mein Sohn Sascha mir nach einem heftigen Streit einmal zugerufen hat: „Vater, du heißt nicht nur Horst, du bist auch ein Horst!“ Ein „Horst„ ist ja nicht nur in der Jugendsprache ein „Depp“ oder „Trottel“. „Sich zum Horst machen“ bedeutet, sich lächerlich zu machen, sich zu blamieren. Zwischenruf meiner – bei allen ganz besonders beliebten – Lehrerin für Deutsch und Latein: „Bosetzky, so wie Sie mit diesem Buch!“ Egal ... Und auch einen Zusammenhang mit dem Schwulsein gibt es, wenn man an den Witz denkt: „Wohin fliegt der schwule Storch? Zu seinem Horst.“ Es besteht aber auch eine eher tiefenpsychologische Vermutung für meine „Behorstung“: Meine Mutter hatte, wie gesagt, einen jüdischen Vater und eine jüdische Großmutter, und da war ihre Angst nicht ganz unberechtigt, einmal in ein KZ oder nach Theresienstadt verbracht zu werden oder in den Weiten des Ostens leben zu müssen. Also dachte sie, wenn ich meinen Sohn nach Horst Wessel nenne, dann bin ich mit Mann und Kind gerettet. Nicht zuletzt aus diesem Grunde bin ich froh, wenn Freunde -ky zu mir sagen. Bei den eben angerissenen mörderischen politischen Umständen ist es verständlich, dass ich nicht gerade ein Wunschkind war, und so rutschte meiner Mutter einmal raus, ich sei nur ein „Rechenfehler“ gewesen, also ein Irrtum bei der Verhütung. Die Memoiren eines Rechenfehlers – wäre das nicht ein schöner Titel? Jetzt weiß ich jedenfalls, warum ich mit der Mathematik nie zurechtgekommen bin. Nun zur ersten richtigen Anekdote. Meine Eltern waren begeisterte Paddler, hatten fast alle großen deutschen Flüsse befahren, und es wurde sogar gemunkelt, ich sei im Frühsommer 1937 in ihrem Faltboot gezeugt worden. Das erscheint mir, der ich selbst viele Sommer lang ... äh: gepaddelt bin, relativ unwahrscheinlich, selbst wenn man, was ich bei meinen Eltern ausschließen möchte, das Kamasutra sorgfältig studiert und ausprobiert hat. Fast jeden Sonntag waren sie auf den Gewässern um Schmöckwitz unterwegs, ich mit meinen vier Jahren immer vorn im Boot zwischen den Knien meiner Mutter. Mein Vater führte über jeden im Boot zurückgelegten Kilometer sorgfältig Buch, weil es vom Kanuverband bei einer größeren absolvierten Strecke einen extra Wimpel gab, den er gern am Bug seines Schiffleins flattern sah. Von daher hatte er es gar nicht gern, wenn unnötig angelegt und Zeit verplempert wurde. Da verspüre ich das, was er immer „ein menschliches Rühren“ genannt hat. „Vati, ich muss dringend groß. Ich kann es nicht mehr aushalten.“ „Dann halte es eben ein.“ Das versuche ich dann auch, aber irgendwann auf dem großen Seddinsee will mein Afterschließmuskel nicht mehr mitspielen und ich verfahre nach dem Laissez-faire-Prinzip („Alles einfach so laufen lassen, wie es gerade kommt“). Es ist eine Erlösung! Von nun an sitze ich viel weicher als vorher, und wärmer ist es auch noch. Meine Eltern paddeln zügig durch den Gosener Graben, und wenn sie wirklich ganz bestimmte Gerüche wahrnehmen, dann führen sie es auf die Düngung der umliegenden Wiesen zurück. Nach Erreichen des Dämeritzsees wird es Zeit zum Mittagessen. Zu diesem Zweck halten wir in Richtung Müggelspree auf eine Lichtung zu, an deren Ufer sich gut anlegen und aussteigen lässt. Behälter mit Buletten und Kartoffelsalat werden ausgeladen, dazu die nötigen Teller. Alles ist aus Glas und Porzellan, Plastik gab es ja noch nicht, und man muss aufpassen, dass dabei nichts entzwei geht. Schnell ist eine Stelle gefunden, sich gemütlich zu lagern. Doch kaum hat meine Mutter den ersten Bissen im Mund, schreit sie auf. „Otto, hier stinkt es!“ „Ich war es nicht“, erwidert mein Vater. Meine Mutter glaubt ihm nicht, denn er war, bevor Tomi Ungerer sein diesbezügliches Buch Der Furz geschrieben und so herrlich illustriert hatte, schon mehrfach als „Kunstfurzer“ in Erscheinung getreten, so hatte er mir beispielsweise, als meine Mutter und ich im Rahmen der Kinderlandverschickung während des Krieges evakuiert waren und er uns an jedem Wochenende besuchte, die vier Himmelsrichtungen auf ganz besondere Weise beigebracht. Bei „Nord“, „Ost“, „Süd“ und „West“ streckte er jedes Mal sein Hinterteil aus und ließ dabei – so im Berliner Jargon – mächtig einen fahren, vier richtige Knaller also. Um mich in der Flatologie kundig zu machen, recherchiere ich im Internet und finde im Spiegel 27/1987 einen Bericht über den Palast der Winde in Hamburg und auch folgende Definitionen:
Nach der Lehre der Bauch- und Darmwinde zerfällt die Gattung Furz in vier Unterfürze: 1. den geräuschvollen, gleichwohl geruchlosen und kontrollierten Preßfurz; 2. den gemeinen, lauten Stinkpups, auch vapor tonans odoratus oder „het windje“, wie die Holländer ihn verniedlichend nennen, 3. den ordinären Kolonnenknaller, der häufig nach mißbräuchlichem Genuß von Hülsenfrüchten oder Apfelwein mit Bullrichsalz auftritt, 4. den nassen, gelben Färber (vapor succulentus), den man an seinem brutzelnden Begleitgeräusch erkennt (vgl. Limbach, „Der Furz“. Handbuch der Flatologie, München, 1983, S. 20 ff). Als mein Vater bei einer Geburtstagsfeier einmal behauptet hat, er könne zaubern, sah er nur ungläubige Gesichter. „Was kannst du denn zaubern, Otto?“ „Dass die Luft nach Kacke stinkt.“ Ich weiß, wer ein wenig Psychologie studiert hat, schreit jetzt sofort auf, ebenso auf mich wie auf meinen Vater bezogen: anale Fixierung! Nein, nein, beide weisen wir nicht deren typische Merkmale auf, nämlich ein starkes Bedürfnis nach Ordnung, Sauberkeit und Kontrolle bis hin zu Geiz und Pedanterie, tief sitzende Angst vor Kontrollverlust und Hingabe. Eher ist es bei uns, um Sigmund Freud noch einmal zu bemühen, die Lust am Tabubruch. Und so erwähne ich jetzt auch das, was mir Heike, die geliebte Gefährtin meines Lebens sicher sehr übel nimmt: Angenommen ich blähe am Morgen um 7 Uhr, reiße danach das Fenster auf und lüfte stundenlang und ausgiebig, und sie kommt um 17 Uhr nach Hause, dann ruft sie sofort: „Hier stinkt es gewaltig!“ Mein Pech ist, dass sie eine so feine Nase hat, wie sie sich die Parfümeure aus Grasse (siehe Patrick Süskinds Parfum) nur erträumen können. Genug davon, nehmen wir Rücksicht auf die Koprophoben unter uns. Daneben gibt es aber auch die Koprophagen. Einen solchen habe ich einmal in einem Kriminalroman (Friedrich der Große rettet Oberkommissar Mannhardt) auftreten lassen und geschrieben: „Der Mensch lebt nicht vom Kot allein“, sagte der Koprophage und biss in einen Apfel. Damals gab es noch kein Internet und kein bashing, aber die Zahl der empörten Leserbriefe, die den Verlag erreichten, war beträchtlich. Zurück zu dem Tag, an dem ich die Hosen gestrichen voll habe. Meine Eltern schlussfolgern, dass der ekelerregende Duft (im elaborierten Kot, äh, Code: die olfaktorische Belästigung) aus dem nahen Gebüsch kommen muss. „Da haben bestimmt welche hin gemacht!“ Wir ziehen zwanzig Meter weiter, um hier unsere Decke auszubreiten und unser Picknick fortzusetzen. Wieder rümpft meine Mutter die Nase. „Hier müffelt es aber auch gewaltig!“ Daraufhin sucht mein Vater die umliegenden Büsche sorgsam nach menschlichen Exkrementen ab, denn die transportablen Toiletten waren ja noch nicht erfunden worden. Er entdeckt aber weder einen menschlichen „Haufen“ noch Kuhfladen oder Pferdeäpfel. Lange wird nun über die besagte nicht unerhebliche olfaktorische Belästigung gerätselt. Und es wird immer schlimmer, denn inzwischen habe ich alles breit gesessen und den Düften damit geholfen, sich voll zu entfalten. Dann aber sieht meine Mutter, wie sich an meinem rechten Bein vom Rand meiner Hose zum Knie hinunter ein braunes Rinnsal schlängelt. Der Fall ist aufgeklärt. Im anschließenden Prozess werde ich dann freigesprochen. „Otto, wärst du ans Ufer gefahren, ohne zu meckern, hätte sich der Junge nicht in die Hose gemacht. So hat er sich nicht getraut, was zu sagen.“ Schläge ebenso wie andere negative Sanktionen, zum Beispiel Stubenarrest und Taschengeldentzug, blieben mir also erspart – anders wie zehn Jahre später... ... als mein Vater und ich in einer übervollen Straßenbahn stehen, eingequetscht wie die Sardinen in...