E-Book, Deutsch, 130 Seiten
Reihe: C. H. Beck Wissen
Bossong Die Sepharden
2. Auflage 2016
ISBN: 978-3-406-62263-2
Verlag: C.H.Beck
Format: PDF
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Geschichte und Kultur der spanischen Juden
E-Book, Deutsch, 130 Seiten
Reihe: C. H. Beck Wissen
ISBN: 978-3-406-62263-2
Verlag: C.H.Beck
Format: PDF
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Weltgeschichte & Geschichte einzelner Länder und Gebietsräume Europäische Geschichte
- Geisteswissenschaften Jüdische Studien Geschichte des Judentums Geschichte des Judentums außerhalb Israels/Palästinas
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Geschichtliche Themen Kultur- und Ideengeschichte
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Weltgeschichte & Geschichte einzelner Länder und Gebietsräume Geschichte des Judentums (Diaspora)
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Weltgeschichte & Geschichte einzelner Länder und Gebietsräume Geschichte einzelner Länder Europäische Länder
Weitere Infos & Material
1;Cover;1
2;Titel;3
3;Impressum;4
4;Inhalt;5
5;Einleitung;7
6;1. Die Juden in Spanien;14
6.1;Erste Spuren;14
6.2;Eine Minderheit im Westgotenreich;17
6.3;Das goldene Zeitalter im Maurischen Spanien;21
6.4;Das Ende muslimischer Toleranz;27
6.5;Die Juden im christlichen Spanien;32
6.6;Ausweg Mystik? Die Kabbala;39
6.7;Zwischen Konversion und Repression;45
6.8;Die Vertreibung von 1492 und ihre Folgen;53
6.9;Die Inquisition;58
6.10;Der Makel der Herkunft;65
7;2. Die sephardische Diaspora;69
7.1;Vom Regen in die Traufe: Portugal;69
7.2;Fluchtpunkte im Norden: Amsterdam, London, Hamburg;73
7.3;Das Geistesleben in Amsterdam;80
7.4;Zwischen Weltoffenheit und Ghetto: Italien;84
7.5;Die Bibel von Ferrara und das Ladino;88
7.6;Saloniki, das «Jerusalem des Balkans»;92
7.7;Judenspanische Literatur im Osmanischen Reich;98
7.8;Erziehung, Sprache und Öffentlichkeit;103
8;3. Das Erbe;107
8.1;Spanier ohne Vaterland;107
8.2;Der Holocaust in Saloniki;110
8.3;Die Sepharden in der heutigen Welt;112
8.4;Die Judeus von Belmonte in Portugal;115
8.5;Die Chuetas von Palma de Mallorca;120
9;Literaturhinweise;125
10;Nachweis der Abbildungen und Karten;126
11;Personenregister;127
12;Karten;129
Einleitung
Sepharden? Spanische Juden? Wir Deutsche kennen Juden als Israelis, Amerikaner oder Russen, auch Deutsche natürlich, aber Spanier? Im allgemeinen Bewusstsein ist das spanische Judentum hierzulande wenig präsent. Und doch waren die Juden spanischer Herkunft viele Jahrhunderte lang in der jüdischen Weltgemeinschaft die führende Kraft, von ihnen gingen entscheidende Impulse für die geistige Entwicklung des Judentums aus, das sie zutiefst geprägt haben. Die großen Dichter und Philosophen waren spanischer Herkunft, in Spanien erlebte die jüdische Kultur ihr goldenes Zeitalter. Umso gravierender waren die Konsequenzen der Vertreibung aus Spanien im Jahre 1492, sowohl für die Juden selbst als auch für das Land, das sie auswies oder zur Taufe zwang. In Spanien entstand unter den zum Christentum übergetretenen Sepharden ein Kryptojudentum, das die Inquisition auf den Plan rief; daraus erwuchs eine unheilvolle Spaltung der spanischen Gesellschaft in «alte» und «neue» Christen, die zu traumatischen Verwerfungen führte. In der Diaspora hingegen konnten sich die Sepharden vielfach frei entfalten und trugen so zum kulturellen und wirtschaftlichen Aufschwung des Osmanischen Reichs und der Niederlande bei. Bis 1650 waren die Sepharden im Judentum demographisch in der Mehrheit und kulturell wie religiös tonangebend. Erst später fielen sie gegenüber der neuen Kraft der Aschkenasen zurück; bis heute spielen sie jedoch eine wichtige Rolle, bis hin zur Innenpolitik des Staates Israel. Von der langen und wechselvollen Geschichte der Sepharden, die im deutschsprachigen Raum trotz ihrer Bedeutung immer noch zu wenig bekannt ist, handeln die folgenden Seiten. Beginnen wir mit einer Begriffsbestimmung. Das Weltjudentum zerfällt, wie soeben schon angedeutet, in zwei Hauptzweige, die Sepharden und die Aschkenasen, die sich seit dem Ende der Antike getrennt entwickelt haben. Das Aschkenasentum entstand in Deutschland, vor allem in den rheinischen Gemeinden Speyer, Worms und Mainz; von dort strahlte es nach Frankreich aus, wo in Troyes der große Bibelkommentator Rashi wirkte (Abkürzung für Rabbi Shelomo Isaak, 1040–1105). Im Spätmittelalter verlagerte sich nach den Verfolgungen und Vertreibungen der westeuropäischen Juden der Schwerpunkt nach Osteuropa, nach Polen, Litauen, Russland und in die Ukraine. Mit der Emanzipation der Juden im 18. und 19. Jahrhundert gewann das Aschkenasentum stetig an Bedeutung und übernahm schließlich die Führungsrolle. Das Sephardentum hingegen hat seine Wurzeln in Spanien. Es blühte nach der muslimischen Eroberung der Iberischen Halbinsel auf und hatte seine große Zeit unter arabischen und später unter christlichen Herrschern im mittelalterlichen Spanien. Nach der Vertreibung von 1492 breiteten sich die Sepharden in Nordwesteuropa, Italien, Nordafrika und im Orient aus und entwickelten sich vor allem im Osmanischen Reich zu einer bedeutenden Gruppe. Die traditionelle Sprache der Sepharden ist das Judenspanische, oft fälschlich Ladino genannt, eine Sonderform des Spanischen, die sich nach der Vertreibung aus der iberischen Heimat herausbildete. Die Sprache der Aschkenasen ist das Jiddische oder Judendeutsche, das auf dem Mittelhochdeutschen basiert und in den Jahrhunderten der osteuropäischen Diaspora seine Besonderheiten entfaltet hat. Der aschkenasische Oberrabbiner Yona Metzger (links) und der sephardische Oberrabbiner Shlomo Moshe Amar (rechts) anlässlich ihres Besuchs bei Papst Benedikt XVI. in Castel Gandolfo am 16. September 2005 (beide amtierten bis 2013) Bis heute bestehen die beiden Gemeinschaften nebeneinander. Den Versuchen, die Unterschiede im «melting pot» Israel einzuebnen, war wenig Erfolg beschieden. Jeder Jude weiß genau, ob er aschkenasischer oder sephardischer Herkunft ist; schon an den Familiennamen ist dies eindeutig erkennbar. Mischehen zwischen Sepharden und Aschkenasen sind zwar nicht verboten, aber immer noch ungern gesehen. An der Spitze des Weltjudentums stehen in Jerusalem zwei Oberrabbiner, ein aschkenasischer und ein sephardischer. Beide Oberrabbinate wurden, auf der Basis alter Traditionen, von der britischen Mandatsregierung über Palästina im Jahre 1920 eingesetzt. Der sephardische Oberrabbiner trägt den Ehrentitel rishon le-Tsion, der «Ers te zu Zion» (vgl. Jes. 41.27); bei öffentlichen Auftritten erscheint er in einem reich bestickten Talar und mit einem runden Hut, in sichtbarem Gegensatz zu seinem aschkenasischen Kollegen, der die schwarze Tracht der Orthodoxen trägt. Seit 2013 amtieren David Lau als aschkenasischer und Yitzhak Yoseph als sephardischer Oberrabbiner – beide sind politisch umstritten. Im Allgemeinen kann man sagen, dass Juden aus Europa (einschließlich Russland) und Amerika meist Aschkenasen, Juden aus Nordafrika und dem Orient immer Sepharden sind, auch wenn ihre Vorfahren nicht aus Deutschland oder Spanien stammen. Wer seine Herkunft direkt von den 1492 aus Spanien vertriebenen Juden ableiten kann, nennt sich stolz sephardi ?ahor, «reiner Sepharde»; dass Juden orientalischer Herkunft heute ebenfalls zu den Sepharden gerechnet werden, wird von vielen Spanischblütigen nicht gern gesehen. Zwischen den beiden Zweigen gibt es keine Divergenz in Glaubensfragen; es handelt sich also nicht um einen konfessionellen Unterschied wie zwischen Katholiken und Protestanten. Beide Gruppen glauben an den einen Gott, der sich Moses offenbart hat, beide berufen sich auf den Talmud als Lebensgrundlage. Die Unterschiede betreffen Sitten und Gebräuche (hebr. minhag), die Lebensweise und Essgewohnheiten, den Ritus und die Liturgie sowie die konkrete Auslegung einzelner biblischer Vorschriften, die manchmal bei den Sepharden, öfter aber bei den Aschkenasen strenger ausfällt. Die Sepharden richten sich nach der Gesetzeskompilation Shul?an ‘arukh, «der gedeckte Tisch», des in Toledo geborenen Joseph Caro (1488–1575), während die Aschkenasen sich an den Kommentaren und Ergänzungen des polnischen Rabbiners Moses Isserles (1525–1572) orientieren, die den Titel Mappa, «Tischdecke», tragen – also eine aschkenasische Decke auf einem sephardischen Tisch. Dieses Bild kann man als Symbol für die Entwicklung des Judentums in der Neuzeit sehen: die aschkenasische Weiterentwicklung der von den Sepharden gelegten Grundlagen. Ein auf den ersten Blick nebensächlich erscheinender, für die kulturelle Identität jedoch wichtiger Punkt ist die Aussprache des Hebräischen. Die heilige Sprache der Juden war zwar schon im zweiten vorchristlichen Jahrhundert als lebendige Umgangssprache ausgestorben, wurde aber all die Jahrhunderte hindurch stets in den Schulen gelernt und aktiv gepflegt. Da niemand genau wusste, wie das biblische Hebräisch ursprünglich klang, konnten sich unter den getrennt voneinander lebenden Juden in Mitteleuropa und in Spanien unterschiedliche Aussprachetraditionen herausbilden. Die aschkenasische Aussprache des Hebräischen ist vom Deutschen mit seinem starken Wurzelakzent beeinflusst; dementsprechend werden die Wörter auf der ersten Silbe betont. Im Unterschied dazu überwiegt in der sephardischen Aussprache die Endbetonung. Auch in der Realisierung einzelner Vokale und Konsonanten gibt es charakteristische Unterschiede. Der Name des geheiligten Ruhetages wird von den Sepharden shabbát ausgesprochen, von den Aschkenasen hingegen shábbes; den jüdischen Vorschriften entsprechende Speisen sind kashér für die Sepharden (vgl. franz. cachère), hingegen kósher für die Aschkenasen; das Fest der «Tora-Freude» heißt sephardisch sim?át torá, bei den Aschkenasen wird ein Lied gesungen mit dem Titel símches tóire. Aus solchen Unterschieden ergibt sich eine ganz andere Sprachmelodie, ein anderer Rhythmus beim Gebet, bei der Bibelrezitation und im synagogalen Gesang. Die Wiederbelebung des Hebräischen in Palästina am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts wurde zwar von Aschkenasen verwirklicht, diese haben aber nicht ihre eigene Aussprache, sondern diejenige der Sepharden eingeführt, so dass das heute in Israel gesprochene Hebräisch einen klar sephardischen Charakter trägt. Im Jahre 1838 beschrieb ein anonymer deutscher Aschkenase die Hamburger Sepharden. Deren Habitus, Ritus und Aussprache des Hebräischen kam ihm überaus «exotisch», aber auch besonders «edel» vor. Er berichtet unter anderem Folgendes: Judendeutsch sei völlig unbekannt, in den Familien spreche man Plattdeutsch. Die in der Synagoge verlesenen Bibel- und Gebetsübersetzungen seien alle auf Spanisch (Ladino). Abkündigungen im Gottesdienst würden auf Portugiesisch verlesen; auch die Buchführung der Gemeinde erfolge in dieser Sprache. Die Unterschiede in der Aussprache des Hebräischen werden detailliert geschildert. Schließlich bringt er das Empfinden eines Aschkenasen folgendermaßen zum Ausdruck: «Bei einiger Routine attachirt man sich sehr an diese Aussprache, und ich möchte herzlich wünschen, daß sie in Deutschland allgemein eingeführt würde …, denn ihr ungemeiner dem Spanischen gleichkommender Wohlklang lehrt uns erst, mit welchem Recht die Sprache unserer Väter auf den Ruhm einer sonoren, musikalischen Anspruch machen kann … Ihre Einführung wäre für...