E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Boyd Die Natur und ihr Recht
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-7110-5236-0
Verlag: ecoWing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Sie ist klug, sensibel, erfinderisch und genügt sich selbst
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
ISBN: 978-3-7110-5236-0
Verlag: ecoWing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
In der Natur, zu Lande und zu Wasser, existieren Geschöpfe, die uns Menschen in vielerlei Hinsicht das Wasser reichen können. Im Gegensatz zum Menschen wandeln sie das Klima nicht, verursachen in der Folge weder Tsunamis noch Dürreperioden. Keines dieser Mitgeschöpfe behauptet, die Erde oder auch nur einen Teil davon zu besitzen. Der bedingungslose Besitzanspruch, wie ihn moderne Gesellschaften kennen und durchsetzen, führt zum Ungleichgewicht - ja zur ökologischen Ungerechtigkeit. Ein Plädoyer für einen gerechten Umgang mit der Natur.
David Boyd ist Umweltexperte und Professor der Rechtswissenschaften an der University of British Columbia. Er berät Regierungen von Kanada bis Schweden in Umwelt- und Nachhaltigkeitsfreagen. Der Autor von neun Büchern lebt auf Pender Island in British Columbia und hält sich - natürlich - am liebsten in der Natur auf. Soeben wurde er vom UNO-Menschrechtsrat zum Sonderberichterstatter für Menschrechte und Umwelt bestellt.
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VORWORT
Es ist wenig überraschend, dass dieses Buch über Naturrechte von meiner Liebe zur Natur inspiriert wurde. Diese Leidenschaft wurde in meiner Kindheit in den Rocky Mountains entfacht, und auch heute noch gehe ich ihr nach, wenn ich die Wunder der kanadischen Westküste mit meiner Tochter Meredith und meiner Partnerin Margot erkunde. Im Jahr 2000 unternahm ich mit Freunden, die bei der Raincoast Conservation Society arbeiteten, im Great-Bear-Regenwald in British Columbia eine Segeltour. Eines Morgens, bei Tagesanbruch, entdeckte Kapitän Brian Falconer eine Schule von Schwertwalen. Bald standen wir alle an Deck, sahen immer wieder Rückenflossen auftauchen und hörten den explosionsartigen Atemstößen der Orcas zu, die die morgendliche Stille durchbrachen. Brian warf ein Unterwassermikrofon aus, stellte einen batteriebetriebenen Lautsprecher auf, und plötzlich lauschten wir den Unterhaltungen der Wale. Wir konnten verschiedene Stimmen unterscheiden; manche tief und dröhnend, andere fiepsig und beinahe im Sopran. Es war gleichzeitig fremd und vertraut. Während die Wale miteinander sprachen, kamen uns die Tränen. Wir waren uns voller Ehrfurcht des Privilegs bewusst, den Unterhaltungen dieser beeindruckenden, komplexen, sozialen und intelligenten Tiere lauschen zu dürfen. Im Jahr 2004, am Vorabend meiner Hochzeit mit Margot auf Pender Island (in der Salischen See zwischen Victoria und Vancouver), tauchten mindestens 50 Schwertwale vor unserem Haus am Strand auf. Sie hatten ihre reguläre Strecke verlassen und boten einen unvergesslichen Anblick. Orcas sprangen aus dem Wasser, sahen sich um, klatschten mit den Flossen aufs Wasser und wirkten, als hätten sie großen Spaß. Vielleichten jagten sie Lachs. Vielleicht feierten sie etwas. Vielleicht spielten sie oder vollzogen ein Ritual, von dem wir nicht die leiseste Ahnung haben. Egal was es war, es war spektakulär, und unsere Gäste waren verblüfft. Seitdem sind wir noch öfter Orca-Schulen begegnet, wenn wir um unsere Insel Kajak gefahren sind. Sie sind südliche ortstreue Schwertwale, die die meiste Zeit in den Gewässern um die amerikanischen San Juan Islands und die kanadischen Southern Gulf Islands verbringen. Es hat gelinde gesagt etwas Beunruhigendes, wenn man in einem Plastikkajak sitzt und eine beinahe zwei Meter große Rückenflosse in Weißer-Hai-Manier auf sich zukommen sieht. Plötzlich erscheint das Boot nicht sehr stabil. Einmal paddelte ich gegen starken Wind an und hatte nicht bemerkt, dass hinter mir Orcas aufgetaucht waren. Ich verlor nicht nur beinahe die Kontrolle über mein Paddel, sondern auch über meine Blasenfunktion, als plötzlich ein großes männliches Exemplar genau vor mir auftauchte, so nah, dass ich einzelne Wassertropfen von seinem massiven Rücken abperlen sah. Ein ausgewachsener Orca kann neun Meter lang werden und mehr als 5 000 Kilogramm wiegen – alles abstrakte Zahlen, bis man ihnen einmal ganz nahe kommt. Die südlichen ortstreuen Schwertwale haben manchmal meinen Schreibprozess unterbrochen. Von meinem Schreibtisch im solarbetriebenen Schreibschuppen kann ich hören, wenn sie sich vom Swanson Channel im Südosten nähern. Obwohl ich diese Lebewesen schon Hunderte Male beobachtet habe, werde ich noch immer ganz aufgeregt, wenn sie sich zeigen. Ich stehe vom Schreibtisch auf und laufe zum Meer, um ihnen nachzublicken, bis sie wieder verschwunden sind. Manchmal springe ich ins Kajak und folge ihnen ein paar Minuten lang in sicherer Entfernung. Die Wissenschaft geht den Geheimnissen dieser Tiere nur sehr langsam auf den Grund, aber das, was wir wissen, ist faszinierend. Orcas leben in Mutterlinien, ihre soziale Struktur organisiert sich also um Gruppen von Müttern und deren Nachwuchs. Ihr ganzes Leben – das in manchen Fällen mehr als 100 Jahre umspannt – verbringen sie in engen Familiengruppen, Schulen genannt. Die Schule zieht gemeinsam die Jungtiere auf, teilt die Nahrung mit ihnen und lehrt sie die Jagd. Ältere Weibchen durchleben als eine von nur zwei nicht menschlichen Arten die Wechseljahre (die andere ist der Kurzflossen-Grindwal). Wissenschaftler sind der Meinung, dass älteren Weibchen in Schulen wichtige Rollen bei der Aufzucht der Jungtiere jüngerer Weibchen und beim Auftun von reichen Futtergebieten zukommen. Verschiedene Gruppen haben unterschiedliche Dialekte, Nahrungsvorlieben und Paarungsmuster, es gibt also kulturelle Unterschiede. Wissenschaftler und geschulte Amateurbeobachter können einzelne Orcas anhand ihrer Größe, der Rückenflosse und des Farbmusters unterscheiden. Schwertwale haben große Gehirne und benutzen Echoortung zur Navigation, Nahrungssuche und Kommunikation. Ihre Stimmen können den Ozean kilometerweit durchdringen. Wir können nur darüber spekulieren, was sie einander mitzuteilen haben, warum sie in so engen Verbänden leben und welche Art von Kultur sie entwickelt haben. Sowohl in den USA als auch in Kanada zählen Schwertwale zu den bedrohten Tierarten. Ende der 1960er- und Anfang der 1970er-Jahre wurden ungefähr 50 der südlichen ortstreuen Art gefangen, um in Aquarien vorgeführt zu werden. Ein weiteres gutes Dutzend wurde dabei getötet. Die Geschichten dieser Entführungen und Tode sowie der verzweifelten Bemühungen der ausgewachsenen Tiere um ihre Jungen sind herzzerreißend. Es muss diese engen Schwertwalgemeinschaften erschüttert haben, so auseinandergerissen geworden zu sein, und sie haben sich noch nicht davon erholt. Es gibt heute nur noch 80 Orcas der südlichen ortstreuen Art. Ihr Überleben wird von einem Mangel an Königslachs bedroht (ihrem Hauptnahrungsmittel), der Ansammlung von giftigen industriellen Chemikalien in ihren Körpern (die ihre Gesundheit schädigen und ihre Fortpflanzung behindern), Militärübungen und dem Lärm von Schiffsverkehr, der ihnen Stress bereitet und ihre Jagdfähigkeiten einschränkt. Angesichts solch mannigfaltiger Bedrohungen sind die südlichen ortstreuen Schwertwale dem Punkt gefährlich nahe, an dem ihr Fortbestehen unmöglich wird. Aber es besteht noch Hoffnung. Während des Jahres, in dem ich dieses Buch schrieb, haben die Weibchen der hiesigen Population mehrere Kälber zur Welt gebracht. Obwohl die Sterblichkeitsrate dieser Jungtiere sehr hoch ist, gibt es wenige Anblicke, die mehr Freude und Optimismus auslösen als die winzige Rückenflosse eines neugeborenen Schwertwalkalbs an der Seite seiner Mutter, die das Wasser durchbricht. Es gibt Momente im Leben – bei mir sind sie selten und nur kurz –, in denen man plötzliche Einsichten hat. Vor einigen Jahren nahm ich an einem Treffen von Aktivisten aus Nord- und Südamerika in einem abgelegenen Tagungszentrum in den Redwood-Wäldern in der Nähe von San Francisco teil. Eines Morgens wachte ich auf, und mir drehte sich der Kopf von rasenden Gedanken. Um mich etwas zu beruhigen, ging ich joggen. Leider war es draußen stockfinster, ich hatte keine Stirnlampe, und ich kannte mich in der Gegend nicht aus. Ich brauchte einen Plan B, und glücklicherweise gab es im Konferenzzentrum einen kleinen Pool, vielleicht acht Meter lang und sechs Meter breit. Zum Längenschwimmen war er zu kurz, und da niemand anders da war, versuchte ich, im Kreis am Rand entlangzuschwimmen. Anfangs machte es noch Spaß, aber allmählich ließ das Gefühl nach. Es war körperlich anstrengend, mich alle paar Sekunden um 90 Grad krümmen zu müssen. Das mehr als ein paar Minuten lang machen zu müssen, wäre nicht nur unangenehm, sondern würde jeden völlig irre machen. Und in diesem Moment ging mir ein Licht auf. Wenn das für mich schon unangenehm war, wie fühlte es sich wohl für gefangene Schwertwale an? Tagein, tagaus, Woche für Woche, Jahr für Jahr in einem winzigen Becken, von ihren Familien und Gemeinschaften, ihrer Heimat getrennt – so leben weltweit Hunderte Orcas in Aquarien. Die Lebenserwartung gefangener Orcas ist weit geringer als die ihrer wilden Artgenossen. Wilde Orcas haben eine durchschnittliche Lebensspanne von 50 Jahren, obwohl manche bis 100 Jahre alt werden. In Gefangenschaft beträgt die Lebenserwartung lediglich 25, wobei einige Orcas bis zu 40 werden. Obwohl wir ihnen so viel Leid zugefügt haben, haben wilde Schwertwale noch nie einen Menschen angegriffen oder verletzt. Orcas in Aquarien haben jedoch mehrere Menschen getötet, auch ihre Trainer, und viele verletzt. Während ich in jenem winzigen Pool meine Kreise zog, wurde mir klar, dass ich zum Schutz dieser wundervollen Tiere beitragen musste. In Anbetracht der Freude und des Staunens, das ich ihnen zu verdanken hatte, war dies das Mindeste, was ich tun konnte. Die Regierungen in Kanada und den USA sind dabei, Gesetze auf den Weg zu bringen, die zum Schutz der südlichen ortstreuen Orcas beitragen sollen. Obwohl sie in den USA und Kanada zu den bedrohten Tierarten zählen und unter den US-Schutzplan für Meeressäuger fallen, gibt es immer weniger von ihnen. Hätten sie mit rechtlichen Ansprüchen größere Überlebenschancen? Das zweite Lebewesen, das immer wieder meine Arbeit an diesem Buch unterbrach, ist eine gefleckte Katze namens Neko, die nach heftigen Diskussionen vor zwei Jahren zu uns kam. Meredith...