E-Book, Deutsch, 280 Seiten
Brandes Digitale Heimat
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-8438-0654-1
Verlag: marix Verlag ein Imprint von Verlagshaus Römerweg
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Verortung und Perspektiven
E-Book, Deutsch, 280 Seiten
ISBN: 978-3-8438-0654-1
Verlag: marix Verlag ein Imprint von Verlagshaus Römerweg
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Vorwort
Harald A. Summa
Einführung: Koordinaten für die Verortung
der Digitalen Heimat
Wolfram P. Brandes
Die schöne neue Welt der Arbeit
Lucia Falkenberg
Digitale Nomaden
Gerd Simon
Im Zeitalter der "Digital Labour Force"
Axel Schack
Künstliche Intelligenz: Potenzial und nachhaltige
Veränderung der deutschen Wirtschaft
Arthur D. Little & eco
Digitale Ethik
Georg Rainer Hofmann
Ohne Cybersicherheit gelingt keine Digitale Heimat —
Keine Heimat ohne Sicherheit
Norbert Pohlmann
Digitalisierung setzt Strom voraus
Staffan Reveman
Digitale Wirtschaft und digitale Souveränität
Alexander Gerybadze
Kernthesen und Perspektiven
Wolfram P. Brandes
Danksagungen
VORWORT
Harald A. Summa Zu Hause bin ich in Köln, aber meine Heimat ist die digitale Welt. Damit bin ich, wie jeder, der über seine Heimat Auskunft geben soll, befangen. So wie es Eltern schwerfällt, objektiv über ihre Kinder zu sprechen, geht es mir mit dem Internet. Meine, unsere digitale Heimat liegt mir viel zu sehr am Herzen. Ich bin nicht nur befangen, ich bin womöglich manchmal auch naiv. 1995 fingen wir an, das Internet nach Deutschland zu holen. Wir hatten mit dem eco – Verband der Internetwirtschaft e. V. zwar einen Verein gegründet, um die kommerzielle Nutzung des Internets voranzutreiben. Aber ich hatte, da gibt es nichts zu beschönigen, von der zugehörigen Infrastruktur nicht viel Ahnung. Ich hatte auch keinen Plan. Ich wusste nicht einmal, was ein Internetknoten ist. Wie sollte ich auch? Die digitale Infrastruktur, die wir heute für selbstverständlich nehmen, musste erst noch entwickelt werden. Genauer gesagt: Wir mussten sie entwickeln. Dabei fehlte es uns an allem. Im Anfang war das Wort, heißt es in der Schöpfungsgeschichte, aber wir hatten nicht einmal das. Die Namen für das, was wir aufbauten, durften wir uns selbst ausdenken. Einem unserer »Babys« gaben wir den schönen Namen: Deutscher Commercial Internet Exchange, Rufname DE-CIX, gesprochen: Dekicks. Es war eine steile Lernkurve. Wir haben damals in Frankfurt viel über das Internet geredet. Viel haben wir darüber nachgedacht, wo das alles hinführen sollte. Ehrlich gesagt haben wir kaum über etwas anderes gesprochen. Wir dachten, wir hätten einen ganz guten Überblick und wir waren – vielleicht kann ich mich auch deshalb so lebhaft an die Zeit erinnern – sehr guter Stimmung. Aber so sehr ich mein Gedächtnis auch bemühe: In keiner meiner Erinnerungen erwähnt auch nur einer von uns die Möglichkeit, dass aus »unserem Baby« einmal der wichtigste Datenumschlagplatz der Welt werden könnte. Keiner hatte das auf dem Schirm. Oder eine Vorstellung davon, was findige Menschen mit diesen Daten einmal alles anstellen würden. Dass selbst die utopischste aller Visionen – alles Wissen dieser Welt an jedem Ort der Welt für jeden Menschen – so selbstverständlich sein würde wie Strom aus der Steckdose. Oder dass unser kleines Internetbusiness erst gemächlich aber stetig und schließlich immer schneller jede nur erdenkliche Branche unserer Wirtschaft, in der – im Gegensatz zu dem, was wir hier taten – echte Produkte mit einem richtigen Nutzen hergestellt und für richtiges Geld gehandelt wurden, in symbiotische Beziehungen verwickeln würde. Dass, käme einer von uns auf die Idee, in unserem Laden den Stecker zu ziehen, das ganze Land in die Knie gehen würde. Wir waren naiv und wahrscheinlich war das auch ganz gut so. Denn wäre ich das nicht gewesen, hätte mir die Verantwortung vielleicht ein kleines bisschen den Spaß an der Sache genommen. Das Internet und die digitale Infrastruktur, die die weltweiten Datenströme und die digitalen Ökosysteme ermöglichen, sind wichtig. Mehr als das, sie sind entscheidend für das Aufrechterhalten von Gesellschaft, Wirtschaft und Privatleben. Unsere digitale Infrastruktur ist, wie seit der Covid-19-Krise überall zu lesen ist, kritische Infrastruktur. Das bedeutet, unser Betrieb soll auch im Krisenfall aufrechterhalten werden. Eine Aufgabe, auf die wir, weil Business Continuity und die Vorbereitung auf Unvorhergesehenes bei uns und unseren Partnern ein zentraler Bestandteil des Geschäftsmodells ist, bestens gewappnet sind: Keine Branche, keine Familie, die von der Krise nicht betroffen war, aber das Internet lief. Stabil, verlässlich, unauffällig. Die Digitalisierung ist die Grundlage für eine gute Zukunft. Von dieser Tatsache muss ich heute niemanden mehr überzeugen. Hierüber besteht in Zeiten der Polarisierung ein bemerkenswerter Konsens. Doch dass wir eine Sache wichtig finden, heißt noch lange nicht, dass wir sie auch richtig angehen – oder uns darüber einig sind, was »richtig« überhaupt bedeutet. Dazu kommt: Der technische Fortschritt verläuft inzwischen dermaßen rasant, dass nicht nur die Politik, die dafür zuständig sein sollte, die Entwicklung mit Leitplanken zu versehen, zunehmend schwerfällig wirkt und auch die Zivilgesellschaft Mühe hat, sich an neue Wirklichkeiten anzupassen. Nein, selbst einige derjenigen, die den Fortschritt vorantreiben, empfinden das Tempo als gewagt. Was zu der Frage führt: Wer ist überhaupt dazu in der Lage, unsere digitale Zukunft sinnvoll zu gestalten? Die deutsche Industrie mit ihren Erfolgen in der Ingenieurskunst steht vor einer besonders schwierigen Aufgabe. Das qualitativ einwandfreie Produkt gilt uns traditionell nicht als theoretisch erreichbares Fernziel, sondern als Minimum. Ohne ausentwickeltes Produkt kein Einstieg in den Markt, so lautet die durch und durch solide und verantwortungsbewusste Maxime. Und die trifft im World Wide Wettbewerb auf Ideen wie »Done is better than perfect«, »Ship it, then fix it« oder das »Minimum Viable Product«, das Produkt, das eben genau nicht ausentwickelt werden, sondern gerade mal so überlebensfähig sein soll – und bei dem vor meinem inneren Auge unweigerlich Bilder vom Frühchen im Brutkasten auftauchen. Vielleicht mit Ausnahme der Schweiz fällt mir kein Land ein, in dem das Bedürfnis nach Sicherheit ebenso ausgeprägt ist wie in Deutschland. Im Zusammenhang mit dem Internet wird oft von Datensparsamkeit gesprochen, aber der Wert von Daten liegt nicht darin, dass sie sparsam erstellt werden oder wir sie (uns) sparen könnten. Der Wert von Daten liegt darin, welche Erkenntnisse wir aus ihnen ziehen. Und auch wenn ich mich gerne zurückhalte, wenn ich Prognosen über die digitale Welt der Zukunft abgeben soll, so bin ich mir doch in Bezug auf eines ziemlich sicher: Von dem im 21. Jahrhundert neu entstehenden Vermögen wird keines durch herausragende Leistungen im Bereich Datensparsamkeit erwirtschaftet werden. Dabei lässt sich mit Sicherheit durchaus Geld verdienen. Was wäre unsere Automobilbranche ohne ihr Versprechen von Sicherheit? Auch in der Geräte- und Software-Entwicklung ist Sicherheit ein Geschäftsmodell. Kein PKW wurde jemals gekauft, weil man sich darin sicher aufhalten kann – viele werden allerdings gekauft, weil man sich darin sicher von A nach B bewegen kann. Wir kaufen keine Software, in der unsere Daten so sicher aufgehoben sind wie in einem Tresor – wir kaufen Software, die uns sicher mit unseren Daten arbeiten lässt. Sicherheit ist wichtig, aber sie ist kein Selbstzweck. Sicherheit sollte kein Ziel sein. Worauf es ankommt? Sicher zum Ziel zu gelangen. Der technische Wandel geht Hand in Hand mit einem mentalen Wandel. Unsere Welt ist zunehmend digital, wir sind es nicht. Unsere Gehirne, unser Denken entwickelten sich über zehntausende Jahre Stammesgeschichte, von denen wir den größten Teil als Jäger und Sammler zugebracht haben. Wir sollten nicht zu ungeduldig mit uns selbst sein, wenn wir versuchen, uns auf die neuen Umstände einzustellen. Wir sollten uns aber auch nicht zu zaghaft vorantasten. In meinem Buch Über Leben im digitalen Ökosystem zeige ich, mit welchen Kompetenzen und Fähigkeiten wir uns selbst für unsere digitale Zukunft rüsten können. Die Welt, in der wir künftig leben, erschaffen wir gerade erst. Aber das Zeug dafür, uns in dieser Welt gut zurechtzufinden und uns erfolgreich darin zu behaupten, haben wir bereits. Zuversicht ist eine der wichtigsten Voraussetzungen, um eine positive Zukunftsvision zu entwickeln und die Courage aufzubringen, darauf hinzuarbeiten. Resilienz ist wichtig, um mit Rückschlägen umzugehen und füreinander einzustehen, auch wenn es schwierig ist – eine Aufgabe, die angesichts der neuen Arbeitswelten mit selbstständiger und selbstorganisierter Erwerbstätigkeit und den damit einhergehenden, neuartigen Formen der Absicherung sicher noch sehr viel wichtiger wird. Agil und effizient vorzugehen, Ziele, Wege und Strategien so festzulegen, dass sich verändernde Umstände nicht zum Scheitern führen, sondern zu einer Art Erfolg, die am Anfang nicht absehbar war. Das sind einige der Fähigkeiten, die in jedem Einzelnen von uns, in jeder Organisation und in uns als Gesellschaft bereits angelegt sind. Sie haben uns als Menschheit schon weit gebracht. Wir stehen unter gewaltigem Druck, daran anzuknüpfen, denn gelingt uns das nicht, verharren wir – eine Vorstellung, die im erfolgsverwöhnten Deutschland gar nicht so unangenehm wäre – nicht einfach nur im Status Quo. Stattdessen koppeln wir uns von der Zukunft ab. Solange wir über genügend Reserven verfügen, um als kaufkräftig zu gelten, dürfen wir uns noch glücklich schätzen, denn solange zählt immerhin unser Einfluss als Absatzmarkt. Unser Beitrag zur Entwicklung hochwertiger Produkte liegt dann darin, als anspruchsvolle und zunehmend preisbewusste Kundschaft aufzutreten. Auch haben unsere mittelständischen Unternehmen in Form ihrer einzigartigen Erfahrung hinsichtlich der Produktentwicklung und Supply Chain Management noch kostbare Assets im Kontor. Für die...