E-Book, Deutsch, 308 Seiten
Reihe: Wissen & Leben
Bresch Die Evolution
1., Auflage 2010
ISBN: 978-3-608-16839-6
Verlag: Schattauer
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)
Was bleibt von Gott?
E-Book, Deutsch, 308 Seiten
Reihe: Wissen & Leben
ISBN: 978-3-608-16839-6
Verlag: Schattauer
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)
Ein Titel aus der Reihe
Wissen & Leben
Herausgegeben von Wulf Bertram
Macht Schöpfung Evolution überflüssig – oder die Evolution Gott ?
Der international renommierte Physiker und Genetiker Carsten Bresch fasst aus einem ebenso unkonventionellen wie fesselnden Blickwinkel die Grundfragen der heutigen Evolutionsforschung zusammen und untersucht sie im Spannungsbogen von Naturwissenschaft und Glauben: Zeigt Evolution ein Ziel, einen Fortschritt? Oder ist sie richtungslos, nur dem Zufallsprinzip unterworfen? Es sind existentielle und fundamentale Fragen, die Bresch in seinem Buch aufwirft und – soweit das überhaupt möglich scheint – beantwortet. Sein Verständnisansatz beruht auf der naturwissenschaftlichen Kompetenz eines anerkannten Forschers wie auf der Weisheit eines kritischen Geistes. Er steht gegen die Versprechungen absoluter religiöser Wahrheiten, aber ebenso gegen die sinnleere Welt eines apodiktischen Atheismus.
Ein faszinierendes und lehrreiches Lesevergnügen für alle, die sich zum Mit- und Weiterdenken bei essenziellen interdisziplinären Fragen anregen lassen wollen.
Zielgruppe
Mediziner, Philosophen, Naturwissenschaftler, Forscher, interessierte Laien
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Macht Schöpfung Evolution überflüssig – oder die Evolution Gott?
Zwischen Schöpfung und Wissenschaft
Sündenfall – auch in biologischer Evolution?
Evolution unter Systemzwang
Seit wann gab`s denn Vergangenheit?
Gehirn – der Ursprung des Geistigen
Willensfreiheit?
Krause Gedanken eines Laien
Wo hat er nur seinen Dickkopf her – der Mensch?
Selektion und Menschwerdung
. und geht Evolution weiter?
Das MONON
. und wo ist der Sinn?
Richtung – Ziel – Fortschritt
2 Wozu brauchte Aristoteles die Zähne des Empedokles? Historisches zum Evolutionsgedanken „Das verborgene und verschlossene Wesen des Universums hat keine Kraft, die dem Mute des Erkennens Widerstand leisten könnte.“ (Georg Wilhelm Friedrich Hegel) Damit alles seine Ordnung hat, sollte ein Buch über Evolution, über die Veränderungen des Universums und unserer Welt im Laufe der Zeit, wohl mit einem Blick auf die Entwicklung des menschlichen Denkens zu dieser Frage beginnen. Hier also einige Stichworte zur Geschichte: Aus mythisch-religiöser Symbolwelt des alten Europas lösen sich die Philosophen Griechenlands. Sie legen die Grundsteine des erwachenden naturwissenschaftlichen Denkens. So meint im 6. vorchristlichen Jahrhundert Pherekydes aus Syros, Zeus habe bei der Erschaffung der Welt allen Dingen das Streben nach Vereinigung eingepflanzt. Thales lehrt in Milet, alles sei aus einem Urstoff, dem Wasser, geformt. Sein Schüler Anaximander erklärt, die ersten Lebewesen seien im Feuchten entstanden, Menschen hätten sich in den Leibern von Fischen entwickelt und seien dort herangereift und dann aufs Land gestiegen – Fische seien also die Vorfahren des Menschen. Xenophanes sagt, alles Entstandene müsse auch wieder vergehen. Er findet versteinerte Muscheln und Abdrücke von Fischen in Steinbrüchen und deutet sie ganz im Sinne heutiger Paläontologie. Zugleich verspottet er in Gedichtform die menschengemachten primitiven Vorstellungen von griechischen Göttern: „Hätten die Ochsen, Rosse und Löwen Hände und könnten malen und Werke sie schaffen und bilden gleich Menschen, dann würde das Pferd wie ein Ross und ähnlich dem Ochsen der Ochse seine Götter gestalten und Körper würden sie bilden, so wie jegliches selbst das eigene Aussehen kennt.“ Kam nicht auch Moses vom Berg und sagte, der Mensch solle sich kein Bild von Gott anfertigen und keine Beschreibung Gottes geben mit Worten, die sonst für Menschen benutzt werden? (2. Buch Mose 20,4) Die Erkenntnis des ständigen Wandels der irdischen Welt fasst Heraklit in dem bekannten pánta rhei (= alles fließt) zusammen. Er sieht im Feuer den Urstoff der Welt und erklärt Kampf und Krieg zum Vater aller Dinge. Der schon damals oft geäußerten Vermutung, hinter der Zweckmäßigkeit des Lebendigen stecke ein Plan, widerspricht Aristoteles (Physicae auscultationes, II, 8). Gegen solche bequeme Erklärung führt er die Zähne an: „Könnte nicht“, so sein Argument, „die zweckmäßige Einteilung des Gebisses in Schneide- und Backenzähne ganz natürlich durch Zufall entstanden sein? Könnte es sich dann nicht einfach erhalten haben, weil es so zweckmäßig war und bessere Überlebenschancen bot?“ Aristoteles folgt dabei Empedokles, der mit dem Argument der Zähne widerlegt hatte, dass Kentauren mit Menschenkopf auf einem Tierleib existieren könnten. Denn wie sollte ein menschliches Gebiss die nötige Nahrung für ein Pferd zerkleinern? Jahrhunderte später fasst der römische Philosoph Lukrez (um 97–55 v. Chr.) das Gedankengut der Griechen in dem Gedichtwerk „Über die Natur der Dinge“ zusammen. Er nimmt darin den wesentlichen Kern heutigen Evolutionsdenkens vorweg: Stärke, Schnelligkeit und Klugheit würden das Überleben von Tieren gegen deren Aussterben sichern. Lukrez beschreibt den Kampf ums Dasein in einem gänzlich modernen Bild der Selektion. Dann bemächtigt sich wieder Religion allen Denkens. Evolution gerät jahrhundertelang in Vergessenheit. Geistiges Leben wird ausschließlich geistliches Leben und findet nur in Klöstern statt. Der Dominikaner Thomas von Aquin (1225–1274) schlägt wieder die Brücke zu Aristoteles, dessen Werke – zumindest in großen Stücken – ebenso wie viele andere griechischer Philosophie nur durch die Kultur der arabischen Welt überliefert und so der Menschheit erhalten wurden. Aquinas erweitert und gestaltet so das Gedankengut der christlichen Kirche. Wenig später forderten die Franziskaner Duns Scotus und William Ockham die Trennung des religiös-dogmatischen von kritisch philosophischanalytischem Denken. Ockham wird exkommuniziert – erstes Wetterleuchten. W. Nestler (© AGEMUS) Dann, 1543, erlaubt Kopernikus auf dem Totenbett schließlich den Druck seines wahrhaft revolutionären Werkes „De Revolutionibus Orbium Coelestium“, das die Erde aus dem Mittelpunkt des Alls stößt und die beschauliche Selbstsicherheit der christlichen Welt das erste Mal in den Grundfesten erschüttert. Nach vergeblichen Versuchen, Giordano Bruno in achtjähriger Inhaftierung zum Widerruf seiner Thesen eines unendlichen Universums mit vielen belebten Welten zu bringen, beginnt am 17. Februar 1600 mit seinem Tod auf dem Scheiterhaufen endgültig der Kampf zwischen Kirche und Naturwissenschaft. Sein Schicksal bleibt lebenslange Warnung für Galilei, der wie Bruno das Planetensystem des Kopernikus vertritt. Galilei widerruft – er ist ein Genie, kein Held. Bert Brecht lässt ihn sagen: „Traurig das Volk, das Helden nötig hat.“ Fast zwei Jahrtausende lang werden alle Gedanken an Veränderungen der einmal erschaffenen Welt durch christliches Dogma verhindert. Die Welt ist statisch – sie ist doch gut – von Anfang an. Dann aber breitet sich eine geistige Unruhe in Europa aus – in zahlreichen Köpfen formt sich Neues. Es sind viele bedeutende Männer, unter ihnen Kant, Goethe, Herder in Deutschland, Erasmus Darwin (Großvater von Charles), Malthus in England und Laplace sowie Jean Baptiste Lamarck in Frankreich und viele mehr. Kant publiziert 1755 seine Theorie des Himmels, nach der sich Sterne und Planetensysteme aus drehenden Nebeln entwickeln. Es ist der älteste und bis heute gültige Teil der Evolutionslehre. Im biologischen Bereich forscht Goethe („Metamorphose der Pflanzen“), in freundschaftlichem Kontakt zum evangelischen Generalsuperintendenten Johann Gottfried Herder („Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“, 4 Teile: 1784–91). Erasmus Darwin (1731–1802), der leider viel zu wenig bekannte Großvater des allgemein verehrten Charles Darwin, ist ein Denker mit weitem Horizont. Er ist in seltener Kombination und Perfektion zugleich breitgefächerter Naturwissenschaftler und Poet sowie weithin anerkannter Arzt, der es mehrfach ablehnte, die Position eines Leibarztes seines Königs Georg III. anzunehmen. Manche seiner Zeitgenossen bedauern nur, dass dieser fähige Arzt und umfassende Denker sich auch mit so merkwürdigen technischen Erfindungen beschäftige wie der Konstruktion von horizontalen Windmühlen als Entwässerungspumpen. Auf die Frage, ob sein Stottern nicht hinderlich wäre, reagiert er mit der Bemerkung: „No, Sir, because I have time to think before I speak, and don’t ask impertinent questions“ („Es gibt mir Zeit zu denken, bevor ich antworte und unverschämte Fragen stelle“). All das in Ehren, aber uns interessieren seine Bücher, besonders sein letztes („The Temple of Nature or The Origin of Society“), deren altertümliche Versform ergänzt wird durch Prosa-Notizen im Anhang, die manchen seiner Gedanken zur Evolution deutlicher machen als die Verse. In vorsichtigen Worten erklärt er als Fragesatz: „Sollen wir (…) vermuten, dass ein und dieselbe Art von lebendem Filament der Ursprung des gesamten organischen Lebens gewesen sei und noch ist?“ Sein Interesse greift weit über den Rahmen der Biologie hinaus. So diskutiert er die Anfänge von Sprache und ihre Rolle für die frühe Menschengruppe. Natürlich schließt er auch die Evolution des Menschen ein, „so dass die Affen durch die damit erhöhte Tätigkeit des Tastsinns klare Ideen erhielten und allmählich zu Menschen wurden“. Wen wundert es, dass sein Name auf der Liste der verbotenen Bücher des Vatikans stand? (Übrigens nicht der seines immer vorsichtigen Enkels Charles, für den zum 200. Geburtstag im Vatikan 2009 sogar eine Messe gelesen wurde.) Nicht nur in solchen Anspielungen, sondern in langen Darlegungen erklärt Erasmus Darwin alle Veränderungen der Lebewesen (ähnlich wie wenige Jahre später Lamarck) als Anpassung durch inneren Trieb und Wunsch sowie als Stärkung durch den Gebrauch der Organe. Seine Religiosität ist deistisch, wie folgendes Zitat zeigt: „Welch eine erhabene Idee von der unendlichen Macht des großen Architekten! Der Ursache aller Ursachen! Des Vaters aller Väter! Des Ens Entium! Denn wenn wir das Unendliche vergleichen wollen, so möchte wohl ein größeres Unendliches der Kraft dazu erforderlich sein, die Ursachen der Wirkungen zu verursachen, als nur die Wirkungen selbst.“ (Erasmus Darwin, zit. nach Krause 1880, S. 162) Es ist 1803, ein...