E-Book, Deutsch, 200 Seiten, Format (B × H): 120 mm x 195 mm
Brikcius / Hauck Postille
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-99047-113-5
Verlag: Wieser Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 200 Seiten, Format (B × H): 120 mm x 195 mm
ISBN: 978-3-99047-113-5
Verlag: Wieser Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das Leben als Kunstwerk – so erscheint es in den Werken von Eugen Brikcius. Im Zusammenhang mit seinem Schreiben fallen Begriffe wie Nonsens, Philosophie, Dada, Mystifikation … Mystifikation, die in der Auslegung des Künstlers eine tiefere Wahrheit aufdeckt.
Postille ist ein Roman aus 36 Minutenromanen über den Roman und das Leben des Autors. 36 Texte, die vor Lebendigkeit und (Sprach-)Witz sprühen. Post illa verba erhellt der Autor ausgewählte Gedanken, Ereignisse, Erlebnisse, stellt sie zu neuen Collagen zusammen – immer wieder staunend über die unerwarteten Zusammenhänge im Leben. „Das Schlimmste zum Schluss: Jedem kann es passieren, dass die Leute glauben, er spielte sein Double. Dann tauchen zwingend Zweifel auf, ob ich zum Beispiel ich bin. Im Übrigen könnte auch ich sie haben, entweder als mein Double oder als angeblich reales Ich.“
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Ján Kollár beweist in seinem letzten und umfangreichsten Werk Staroitalija slavjanská, dass Latein ursprünglich eine der altslawischen Mundarten war. Post illa verba füge ich hinzu, dass es sich mit den Ursprüngen und der Entwicklung von Sprachen ganz unterschiedlich verhält, zuweilen sogar verblüffend. Wie es mit Latein steht, wissen wir mehr oder weniger. Und deshalb müssen wir nicht unbedingt Verehrer des späten Kollár sein. Latein als altslawische Mundart? Ich würde wetten, dass es umgekehrt war. Wie sehr es mich auch fasziniert, dass dem genannten Gelehrten und Dichter zufolge die slowakischen Pflüger, wenn sie sich auf dem Feld trafen, miteinander Latein sprachen, finde ich doch das Phänomen der höflichen Anrede in der dritten Person anziehender, und das nicht nur in der Staroitalija slavjanská, dem slawischen Altitalien, nicht nur hinter dem slawischen Pflug, sondern vor allem in »Neuitalien«, respektive in den neuzeitlichen böhmischen Ländern. Im noblen Italienisch sprach man mit »sie« nicht nur die edle Dame an, sondern auch den edlen Herrn. Die wirklich kultivierten Italiener reden noch heute so. Für die Höflichkeitsform benutzt man die Form »lei« (sie), egal ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelt. Ein ausgesprochenes Sprachmatriarchat. Im Übrigen benutzen auch die tschechischen Signori hartnäckig die Form »takríkajíc« – sozusagen –, ein Partizip in seiner weiblichen Form wie aus dem Buche, eo ipso nennen die Herren sich selbst »sie«, was auf Tschechisch onakat heißt. Gebildete wie Ungebildete benutzen die Phrase takríkajíc, »sozusagen«, wie ein Mann. Ich persönlich glaube, dass edle Höflichkeit in wirklich kulturvollen Sprachen eine Tautologie ist. Überraschend für nicht Eingeweihte wurde auch im noblen Tschechisch ge»sie«zt (siehe: »Anna, geh sie öffnen« in Olbrachts Anna, die Proletarierin), aber nur an die Adresse von Frauen. Der Leser versteht sicher. Olbracht, dem das »sie«zen, auf Tschechisch onakání, in Annakání überging, würde fragen: »Hat sie das auch verstanden, Anna?« Es gehört sich anzufügen, dass aufdringlich treue pazifische Schönheiten auch zu »er«zen wissen. Am liebsten einen Dichter. Das beweist das Ende meines Gedichts mit dem fast gauguinschen Titel »Er ist mein Dichter«: Frau und Muse mich berührt. Ganz und gar die Amazone. Mit du verführ ich sie, sie dafür, die Primadonna, sagt nur er zu mir. Die Teenage Mutant Ninja Turtles sind ein fiktives Team aus vier anthropomorphen Schildkrötenmutanten, die nach italienischen Renaissancemalern benannt sind (Donatello, Leonardo, Michelangelo und Raffael). Zuerst erschien es als Comic, später auf der Filmleinwand und in Computerspielen. Post illa verba füge ich hinzu, dass ich, kaum hatte ich das lateinische Werk hinter mir, das zum größten Teil aus Poesie besteht, mich entschloss, das Latein aus mental-hygienischen Gründen zu vergessen. Das ging leicht. Man musste mir nicht einmal einen Eimer Wasser über den Kopf gießen. Ein Residuum lateinischen Ursprungs geht mir allerdings nicht aus dem Kopf: Dass man nicht nur Damen in der dritten Person mit »sie« anspricht, sondern auch Herren. In den nächsten Zeilen werde ich mir den reinigenden Eimer selbst über den Kopf gießen. Es geht um ein illustratives Ereignis, das tatsächlich stattfand. Die Geschichte beginnt ausgesprochen kunsthistorisch. Meine Frau Zuzana fuhr nach Florenz, um sich in der Galleria degli Uffizi Botticellis »Geburt der Venus« anzuschauen. Begleitet wurde sie von unserem damals siebenjährigen Sohn Eugen. Damit er überhaupt Lust bekam, in die berühmte Galerie hineinzugehen, musste Zuzana ihm versprechen, dass er Donatello, Leonardo, Michelangelo und Raffael sehen wird. Als sie an der schaumgeborenen Venus vorbei den Pfeilen zu des Sohnes Favoriten folgten, trafen sie auf verschlossene Säle. Klein Eugen begann zu jammern. Es blieb nichts, als umzukehren und das Geld zurückzufordern. An der Kasse stand ein Herr, der das alles beobachtete, und sagte: »Ich verstehe Ihre Verärgerung völlig. Natürlich erhalten Sie den gesamten Eintritt zurück. Ich möchte Sie nur bitten, ich bin hier nämlich der Direktor, mit mir auf die Pressekonferenz zu gehen, die ich aus genau den Gründen gebe, derentwegen Ihr Sohn so klagt.« Er führte sie in einen Saal, wo ungefähr dreißig Journalisten saßen. Der Direktor erklärte, das geringe Budget erlaube nicht die Öffnung der restlichen Säle, es gäbe nicht genug Personal zum Aufpassen. »Und schauen Sie«, sprach er, »wie sehr den Besuchern das missfällt.« Der schluchzende kleine Eugen hörte nicht auf, nach seinen Favoriten zu rufen. Der Direktor verabschiedete sich siegreich von den erstaunten Journalisten, die noch nie ein so geniales Kind sahen, so voller Interesse an der Kunst. Als er das Eintrittsgeld zurückgab, entschuldigte er sich bei der Signora und dem jungen Herrn wiederum, selbstverständlich bei beiden in der dritten Person weiblichen Geschlechts, und fügte hinzu: »Morgen werden die Zeitungen voll davon sein.« Zuzana wusste sofort, was sie für das wiedergewonnene Geld anschaffen wollte. Ehrlich neugierig, ob sich auch die Comic-Helden wie ihre Renaissance-Namensvettern alle mit »sie« ansprachen, kaufte sie das neueste Heft mit den Abenteuern der Ninja Turtles, verständlicherweise in der italienischen Mutation. »Cesko – Tschechei – den Namen benutzen angeblich nur die, die nicht korrekt sprechen. Ich lös’ das nicht.« So sprach einer aus der Volksmasse der Nutzer des Namens »Cesko«. Tschechei pflegte Hitler das Land zu nennen. Post illa verba füge ich hinzu, dass nichts hinzuzufügen ist. Vielleicht nur eines. Unsereiner kann sich sprachliche Eigenheiten leisten, aber nur ad hoc. Exzesse sollten nicht so suggestiv sein, dass die Bevölkerung sie unbewusst für die Sprachnorm hielte und sie deshalb scharenweise nachplapperte. Ein besonderes Beispiel für einen Schöpfer sprachlicher Folklore ist Karel Polácek. Nicht zufällig legte er sein Abitur in der Tischlergasse in Prag ab, wo in dieser Zeit der Professor Guth-Jarkovský lehrte. In Poláceks Männer im offside sagt Naceradec seinen berühmten Satz: »Ten mi muže být ukradenej.« Angeblich ein origineller Ausspruch, der die tschechische Volksphraseologie bereicherte. Manche sagen aber, es sei einfach eine wörtliche Übersetzung aus dem Deutschen (»Der kann mir gestohlen werden«) oder eher eine freie Übertragung aus dem österreichischen Deutschen (»Der kann mir gestohlen bleiben«). Im Unterschied zu den massenhaft benutzten Armseligkeiten vom Typ: »Jsem rád za … (ich bin froh für) ist Poláceks Tschechisch höchst tüchtig. Deshalb kann uns Polácek auf keinen Fall gestohlen bleiben. Ein weiteres Pasquill, für das man einsitzen sollte, ist der Funktor »Je to o tom, že … (Das ist darüber, dass …)«. Es handelt sich um eine wörtliche Übersetzung aus dem Englischen (»It is about …«), das im Unterschied zum Tschechischen diese halsbrecherische Pirouette gerade noch erträgt. Stolz möchte ich hier anmerken, dass ich während meiner Londonaufenthalte diese Wendung nie benutzte, obwohl sie diese Insellegitimation besaß – weder im Pub noch in meiner Dissertation. Dabei ahnte ich nicht, dass eine Zeit kommen würde, in der die wörtliche Übersetzung dieser Phrase die Mehrheit der tschechischen Bevölkerung benutzt, inklusive der Schlaumeier, die auf Englisch gerade einmal wissen, wie man Fußball sagt. Die Verständigungssprache ist das moderne tschechische Ptydepe. Wäre ich ein Verbalrüpel, würde ich in der verschandelten Sprache dieser anderen (lingua Bohemica rustica) sagen: »Ich löse das nicht.« So aber ersetze ich wie Sisyphos die genannten und weitere Attentate auf meine Muttersprache durch eine weniger brutale Sprache – und ich erwarte überhaupt nicht, dass das jemand bemerkt. Wer uns nicht gestohlen bleiben kann, wissen wir. Wer es kann, wissen wir auch. Faust kommt mit seinem Pudel ins Studierzimmer und das Hündchen verwandelt sich in eine Bestie, mit Feuerrädern in den Augen. Gefangen hinter dem Ofen bläst es sich auf wie ein Elefant und geht in Nebel auf. Als der Nebel sich hebt, erscheint anstelle des Pudels Mephisto. Darauf spricht Faust: »Das war also des Pudels Kern.« Post illa verba füge ich hinzu, dass Goethe, als man ihm einmal eine Aprikose anbot, er sie überraschenderweise ganz in den Mund legte. Dann geschah das Unausweichliche: Der Dichterfürst biss in den Stein, also den Kern der Aprikose. Weil er sich nicht an den Namen dieser ungewohnten Steinfrucht erinnern konnte und zu seinen Füßen gerade der treue Pudel herumwuselte, sprach er diesen berühmten Satz aus: »Das war also des...