Bringley | All die Schönheit dieser Welt | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Bringley All die Schönheit dieser Welt

Wie mir die Kunst dabei half, meine Trauer zu überwinden | Eine wundervoll inspirierende Geschichte über die Kunst, die Liebe und das Leben
23001. Auflage 2023
ISBN: 978-3-8437-3042-6
Verlag: Ullstein Taschenbuchvlg.
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Wie mir die Kunst dabei half, meine Trauer zu überwinden | Eine wundervoll inspirierende Geschichte über die Kunst, die Liebe und das Leben

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

ISBN: 978-3-8437-3042-6
Verlag: Ullstein Taschenbuchvlg.
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1    
Die Große Treppe
Im Tiefgeschoss des Metropolitan Museum of Modern Art, unterhalb des Seitenflügels mit Waffen und Rüstungen und vor dem Disponentenbüro der Wärter, sind leere Kisten jederlei Form und Größe gestapelt. Sie sind teils hoch und kastenartig, teils breit und flach wie Gemälde, doch gleichermaßen beeindruckend – solide aus rohem Holz gezimmert, aufs Beste geeignet, seltene Kunstschätze oder exotische Tiere zu befördern. Am Morgen meines ersten Arbeitstages in Uniform stehe ich neben diesen robusten, pittoresken Behältnissen und frage mich, wie sich meine eigene Aufgabe im Museum anfühlen wird. Momentan bin ich zu sehr von meiner neuen Umgebung in Anspruch genommen, um überhaupt etwas zu fühlen. Eine Frau nähert sich mir, eine Wärterin namens Aada, von der ich mich einweisen lassen soll. Groß gewachsen, strohhaarig und abrupt in ihren Bewegungen wirkt und agiert sie wie ein Zauberbesen. Sie begrüßt mich mit einem fremdländischen Akzent (Finnisch?), wischt Schuppen von den Schultern meines dunkelblauen Anzugs, mustert missbilligend dessen schlechten Sitz und führt mich unversehens durch einen betonierten Gang, wo Warnzeichen angebracht sind: Kunstwerken im Transit Platz machen. Auf einem Transportwagen gleitet ein Kelch an uns vorüber. Über eine abgenutzte Treppe steigen wir in den zweiten Stock und kommen an einer Scherenhebebühne vorbei (die dazu dient, Gemälde aufzuhängen und Glühbirnen auszuwechseln, wie ich erfahre). Neben einem ihrer Räder liegt eine gefaltete Daily News, daneben eine Ausgabe mit Eselsohren von Hermann Hesses Siddharta sowie ein Papp-Kaffeebecher. »Siff!«, faucht Aada. »Bewahren Sie persönliche Sachen in Ihrem Spind auf.« Sie drückt den Bügel einer unauffälligen Metalltür nach unten, und Farben leuchten auf, erinnern an jene in Der Zauberer von Oz, als wir El Grecos phantasmagorischer Landschaft Blick auf Toledo gegenübertreten. Keine Zeit, um zu staunen. In Aadas Tempo sausen die Gemälde vorbei wie die Seiten eines Daumenkinos. Jahrhunderte laufen rückwärts, vorwärts, die Themen schwanken zwischen dem Heiligen und dem Profanen, Spanien verwandelt sich in Frankreich, in die Niederlande, in Italien. Vor Raffaels Madonna und Kind inthronisiert mit Heiligen, fast zweieinhalb Meter hoch, halten wir inne. »Das ist unser erster Posten, der C-Posten«, verkündet Aada. »Bis zehn Uhr werden wir hier stehen. Dann stehen wir dort. Um elf an unserem A-Posten da unten. Wir werden ein bisschen wandern, auf und ab gehen, aber hier, mein Freund, werden wir uns aufhalten. Danach besorgen wir uns einen Kaffee. Vermutlich ist das hier Ihr Hauptbereich, die Gemälde alter Meister?« Ja, ich dächte schon, erwidere ich. »Dann haben Sie Glück«, fährt sie fort. »Irgendwann werden Sie auch in anderen Bereichen postiert sein – ein Tag Altes Ägypten, am nächsten Jackson Pollock, aber in den ersten Monaten werden die Disponenten Sie hier postieren – und danach, hm, etwa sechzig Prozent Ihrer Tage. Wenn Sie hier sind« – sie stampft zweimal auf –, »Holzboden, angenehm für die Füße. Sie können sich das vielleicht nicht vorstellen, mein Freund, aber glauben Sie mir: Ein Zwölf-Stunden-Tag auf Holz ist wie ein Acht-Stunden-Tag auf Marmor. Ein Acht-Stunden-Tag auf Holz ist ein Klacks. Pfft, Ihre Füße werden kaum wehtun.« Offenbar befinden wir uns in der Abteilung der Hochrenaissance. An jeder Wand hängen prachtvolle Gemälde an dünnen Kupferdrähten. Der Raum – etwa zwölf mal sechs Meter, mit seinen doppeltbreiten Ausgängen, die in drei Richtungen führen – beeindruckt ebenfalls. Der Boden ist so weich, wie Aada versprochen hatte, die Decke hoch, mit Oberlichtern, unterstützt von Spots, die verschiedene strategische Winkel ausleuchten. Nahe der Raummitte steht eine einzelne Bank, auf der ein zurückgelassener Plan in chinesischer Sprache liegt. Dahinter deuten zwei lose herabhängende Drähte auf eine klar umrissene Leerstelle an der Wand. Aada nimmt darauf Bezug. »Sie sehen den unterschriebenen Zettel«, sagt sie und geht zu dem einzigen Beweisstück, dass dies kein schockierender Tatort ist. »Hier hing Mr. Francesco Granacci, aber der Restaurator hat ihn für eine Reinigung abgenommen. Er könnte auch verliehen worden sein, im Büro des Kurators untersucht oder im Fotostudio abgelichtet werden. Wer weiß? Aber es wird ein Zettel da sein, und den werden Sie bemerken.« Wir schreiten an einem schienbeinhohen Gummiseil entlang, das uns einen Meter von den Gemälden trennt, und betreten die nächste Galerie. Hier scheint Botticelli der berühmte Name zu sein. Daran schließt sich eine dritte, kleinere Galerie an, beherrscht von weiteren florentinischen Malern. Das ist unser Bereich bis zehn Uhr, bevor wir in die drei angrenzenden Galerien wechseln werden. »Leben und Eigentum schützen – in dieser Reihenfolge«, erklärt Aada weiter und beginnt, mich in ihrem gleichförmigen Stakkato-Tonfall zu belehren. »Das ist ein unkomplizierter Job, junger Mann, aber wir dürfen auch keine Dummköpfe sein. Wir halten die Augen offen. Wir schauen uns um. Wie Vogelscheuchen verhindern wir Unfug und Ärger. Kleinere Zwischenfälle erledigen wir selbst. Bei größeren Zwischenfällen verständigen wir die Einsatzzentrale und befolgen die Vorschriften, die Sie während Ihrer Schulung gelernt haben. Wir sind nicht die Polizei, außer wenn irgendwelche Idioten uns dazu zwingen, was Gott sei Dank nicht oft vorkommt. Und da es die erste Schicht am Morgen ist, gibt es einige Dinge zu tun …« Zurückgekehrt in die Galerie mit Raffaels Werken, stellt sich Aada auf die Zehenspitzen, um einen Schlüssel in ein Schloss zu stecken und so die Glastür zu einem öffentlichen Treppenhaus zu öffnen. Nach vollbrachter Tat steigt sie lässig über ein Gummiseil – für den Beobachter eine bestürzende Übertretung – und geht unter einem schweren Goldrahmen in die Hocke. »Die Lichter«, sagt sie und zeigt auf die Schalter in der Fußleiste. »Normalerweise hat die Spätschicht – also die Nachtschicht – sie ausgeschaltet, aber falls nicht …« Sie drückt ein halbes Dutzend Schalter gleichzeitig, worauf wir uns in einem langen dunklen Tunnel befinden und die Renaissancegemälde an den Wänden sich in silbrig schimmernde Labyrinthe verwandeln. Als sie die Schalter umlegt, gehen mit unerwartet lauten Ka-Chunks in den Sälen nacheinander die Lichter wieder an. Das Publikum tröpfelt ab 9.35 Uhr herein. Unsere erste Besucherin ist – nach ihrer Mappe unterm Arm zu urteilen – eine Kunststudentin, die nicht fassen kann, hier tatsächlich völlig allein zu sein. (Vielleicht zu Recht, denn Aada und ich zählen für sie nicht.) Es folgt eine französische Familie, alle mit den gleichen Baseballkappen der New York Mets (die sie wahrscheinlich für jene der Yankees halten, bei Touristen sonst eher beliebt), und Aadas Augen verengen sich. »Unsere Besucher sind größtenteils reizend«, bekennt sie, »aber diese Bilder sind sehr alt und anfällig, und Leute können total dumm sein. Gestern habe ich im Amerikanischen Flügel gearbeitet, und den ganzen Tag wollten Eltern ihre Kinder auf die drei Bronzebären setzen! Können Sie sich das vorstellen? Bei den alten Meistern ist es viel besser – natürlich nicht so still wie in der Abteilung für Asiatische Kunst, aber ein Kinderspiel im Vergleich zum 19. Jahrhundert. Wo immer wir arbeiten, müssen wir achtgeben auf gedankenlose Individuen. Sehen Sie? Genau dort.« Gegenüber streckt der französische Vater die Hand über die Gummileine, um seine Tochter auf einige raffaelitische Details hinzuweisen. »Monsieur!«, ruft Aada, etwas lauter als nötig. »S’il vous plaît! Nicht so nah!« Nach einer Weile schlendert ein älterer Mann im vertrauten Outfit in den Saal. »Oh gut, das ist Mr. Ali, ein hervorragender Kollege!«, sagt meine Begleiterin über den Wärter. »Ah, Aada, die Allerbeste!«, erwidert er, ihren Tonfall übernehmend. Mr. Ali stellt sich als »Beistand« für unser Team (Team 1, Bereich B) vor, der uns weiter zu unserem B-Posten »schiebt«. Aada stimmt nachdrücklich zu. »Ali, sind Sie im ersten Team?« »Im zweiten.« »Sonntag/Montag frei?« »Freitag/Samstag.« »Ah, dann machen Sie jetzt Überstunden … Mr. Bringley, Mr. Ali hat heute Morgen etwas früher angefangen als wir, muss aber um halb sechs nach Hause. Er ist nicht so robust wie Sie und ich, keiner aus dem dritten Team, nein, nein, er muss nach Hause zu seiner wunderbaren Frau. An welchen Tagen arbeiten Sie, Mr. Bringley? Richtig, Sie haben’s mir schon gesagt: Freitag, Samstag, Sonntag, Dienstag, zwölf Stunden, zwölf Stunden, acht Stunden, acht Stunden. Das ist gut. Die langen Tage werden sich normal anfühlen, und die normalen Tage werden sich kurz anfühlen. Dann haben Sie immer wieder einen Tag frei, an dem Sie Überstunden machen können. Halten Sie sich...



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