Brinx / Kömmerling Winnetous Sohn
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-641-15508-7
Verlag: cbj
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 160 Seiten
ISBN: 978-3-641-15508-7
Verlag: cbj
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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1 Als Max im Schneidersitz unter dem Tisch saß, wusste er noch nicht, dass das, was in Wolfitz passiert war, für ihn sehr, sehr wichtig werden würde. Du kannst den Regenbogen nicht sehen, wenn es nicht irgendwo regnet, sagen die Indianer, und das wusste Max wiederum, damit hatten sie recht. Es muss etwas passieren, damit etwas passiert, oder auch, wenn es kein Unglück gibt, gibt’s auch kein Glück. Also hatte er gewartet und war unter den Wohnzimmertisch gezogen. Papa zu seinem Freund Olli, er unter den Tisch. Hier war es wie im Indianerzelt, ein Tipi, von allen Seiten geschützt, weil er die Decken drum herum genagelt hatte und bequem im Schneidersitz darunter sitzen konnte, um zu warten. Oder seine Mutter zu beobachten, die im Moment hektisch hin und her lief und dabei auf seinen Vater schimpfte. »Das ist doch echt nicht zu fassen! Ich komme zu spät zum Flughafen. Wahrscheinlich ist es genau das, was Torsten will!« Max hielt den kleinen Handspiegel hoch und zog sich mit Mamas Lippenstift zwei fette rote Streifen über jede Wange. Kriegsbemalung. Obwohl er im Frieden auf Evis Ranch gehen würde. Er freute sich sogar. Sogar total. Wenn nur seine Mutter jetzt nicht so sauer wäre. »Duuu hast meinen Lippenstift! Bist du wahnsinnig, weißt du, was der kostet? Komm jetzt, wir nehmen ein Taxi, dein Vater ist nicht zu erreichen!« Wütend schleuderte sie ihr Handy in die Handtasche. »Ist ja auch nichts Neues!« Max verzog keine Miene, die Würde eines richtigen Indianers ist nicht zu erschüttern. Auch wenn es nicht so ist, muss es wenigstens so aussehen. Er kroch aus dem Tipi und war bereit. Bereit für seine große Reise. »Ja, ist denn schon Karneval?«, wollte der Taxifahrer wissen, als er Max in seiner zu engen Wildlederhose und der Indianerkette über dem dicken Bauch sah. In solchen Fällen wurde Mama Birte zur Steppenwölfin, die ihr Junges schützt. Obwohl sie selber dauernd über diesen Indianerkram schimpfte. Wenn es ein anderer tat, musste Manitu schleunigst seine schützende Hand über ihn halten. »Lassen Sie den Jungen in Ruhe! Ich hab’s eilig. Evis Ranch, Ronsdorferstraße und dann so schnell wie möglich zum Flughafen!« »Vielleicht ist Papas Uhr stehen geblieben?«, überlegte Max laut, und Birte schnalzte so mit der Zunge, wie er es nicht leiden konnte, schnalzte Verachtung. »Welche Uhr?« »Ja, oder er hat ein Vorspiel bei Lady Gaga, weiß man doch alles nicht.« Torsten spielte in einer Band. Gitarre. Er war immer ganz sicher gewesen, dass sie irgendwann den Durchbruch schaffen würden. Warum also nicht gerade jetzt? Birte klopfte ihrem Sohn auf den Wildlederhosenoberschenkel und schaute dabei nervös auf den Verkehr, weil es nicht voranging. »Glaub mir, Max, ich weiß, dass er kein Vorspiel hat. Nirgendwo. Niemals, die Dinge ändern sich nicht. Fahren Sie da rechts, so kommen wir ja nicht weiter!« Max schaute aus dem Fenster und lächelte. Mama! Sie hatte keine Ahnung. Die Dinge hatten sich doch auch jetzt geändert. Seit sie Papa vor die Tür gesetzt hatte, war alles anders. Warum sollte das nicht wieder zurücklaufen? Oder eine neue Wendung nehmen? Kurven machen? Papa konnte alles ändern. Er war ein Indianer, seit Max ihn kannte, seit er auf der Welt war, und hatte auch aus ihm einen gemacht. Zusammen waren sie als Indianer durch die Prärie ihrer Kleinstadt gezogen, und Papa hatte ihm alles beigebracht, was ein richtiger Indianer wissen und können musste. Schleichen, ungerührte Miene, Weisheiten aller Art, Bogenschießen und vieles mehr. Einmal, vor Jahren, als sie noch eine Familie gewesen waren, hatten sie alle zusammen die Freilichtbühne in Wolfitz besucht. Gezeigt wurde der dritte Teil von »Winnetou«, über drei Stunden lang preschten die Indianer auf ihren Pferden auf der riesigen Bühne hin und her, bekämpften sich mit den fiesen Bleichgesichtern, versuchten ihr Land zu retten, ihre Ehre und das Überleben ihres Volkes. Winnetou war der größte aller Helden. Max hatte neben seinem Vater gesessen, beide in voller Montur, Indianer mit Leib und Seele, und Birte trug immerhin eine Feder schief in den Haaren. Drei Stunden hatte der kleine Max sich nicht bewegt und alles genau verfolgt. Er ballte seine Hände zu Fäusten, am liebsten wäre er mit Winnetou geritten und hätte ihm beigestanden, aber dann kam plötzlich dieser Schuss auf Old Shatterhand, und weil Winnetou eben so ein großer Held war, warf er sich dazwischen und … wurde getroffen. Und dann sagten sie auf einmal, dass Winnetou jetzt stirbt in den Armen seines Bruders, und die Glocken läuteten dazu, obwohl Winnetou bestimmt nicht katholisch war, das wusste Max ganz genau. Er konnte es nicht ertragen, wie er da lag und einfach verloren hatte. Und so klopfte er seinem Vater aufgeregt und mit Tränen in den Augen aufs Bein. »Winnetou darf nicht sterben, Papa, er darf nicht sterben, tu doch was!« Birte und Torsten versuchten ihn zu beruhigen, auf den Schoß zu ziehen, aber Max war vollkommen außer sich, und da war Torsten, sein Vater, der Indianer, der das Leben träumt, aufgesprungen und hatte den Satz seines Sohnes nach vorne zur Bühne geschrien. »Winnetou darf nicht sterben!« So laut, so lange, bis ein anderer Zuschauer sich anschloss, »genau, Winnetou darf nicht sterben!«, und noch einer und schließlich alle mitmachten und der sterbende Winnetou auf der Bühne den Kopf drehte und beschloss weiterzuleben. Papa konnte alles ändern, als er noch ein Indianer war, und Max würde ihn schon wieder daran erinnern. »Hier, wir sind da, hier können Sie anhalten!« Birte sprang schon aus dem Wagen, als er noch gar nicht richtig stand, um Max’ Indianergepäck aus dem Kofferraum zu holen. »Warten Sie, wir fahren direkt weiter!« Max wusste genau, was er auf Evis Ranch brauchte. Der Schlafsack und das Messer waren das Wichtigste. Damit würde er diesmal eine Friedenspfeife schnitzen. »Mach’s gut, mein Süßer, viel Spaß! Lass dich nicht unterkriegen, am Sonntag bin ich wieder da.« Unterkriegen lassen? Auf Evis Ranch? Er? Max, genannt der Häuptling? Seine Mutter umarmte ihn und sprang zurück ins Auto. Er sagte ihr lieber nicht, dass seine Kriegsbemalung jetzt auf ihrer Bluse leuchtete, sie war eh schon so aufgeregt. Ein verlängertes Wochenende mit ihrer Freundin Kiki in London. Der würden die roten Flecken bestimmt egal sein. Das Taxi wirbelte Staub auf beim Losfahren, Birte winkte aus dem Fenster, und Max hob die Hand zum Gruß, wie die Indianer es taten und die Würde es verlangte. »Möge Manitu mit dir sein!« Das Taxi verschwand in der Wolke aus trockener Erde. »Springendes Reh grüßt ihren Bruder, den Häuptling!« Erfreut drehte Max einen Halbkreis. Da saß Evi auf dem pechschwärzesten und wildesten Pferd der Ranch, Iltschi, führte die Hand zum Herz und wieder in die Luft und strahlte ihn an. Evi, mit ihren blonden Strohhaaren unter dem vergilbten Cowboyhut, nie mit Helm, immer ohne Sattel. Sie war eine Indianerin aus tiefstem Herzen, und manchmal dachte Max, sie könnte sogar die Sprache all ihrer Tiere verstehen. Evi hatte erkannt, dass Max der Häuptling war, schon beim allerersten Mal, und hatte ihn gerne auf ihrer Ranch dabei. Diese Ranch war ihr Leben. Irgendwo am Rande der Stadt, mit den Pferden und Hühnern, Ziegen und Hunden, dem großen Lagerfeuerplatz und dem Gemeinschaftszelt, in dem die Kinder übernachteten, die hier alles lernten, was man als Indianer können muss. Evi lebte gerne in ihrem Wohnwagen und lauschte am Abend den Grillen, die sich auch über diesen idyllischen Platz in der Stadt wunderten und gerne für sie sangen. Reich konnte sie hier nicht werden und war es aus ihrer Sicht doch. »Das Herz des Häuptlings ist voller Freude!« Max schnappte sich seinen Schlafsack, und Evi sprang vom Pferd, legte einen Arm um ihn, und alle zusammen gingen unter dem Holzschild durch, in das Evi »Evis Ranch« gebrannt hatte, und das wie in einem richtigen Western im Wind quietschte, wenn er wehte. »Wie geht es Bronsky? Was macht Bob? Wo bleibt Pinky?« Max konnte es kaum erwarten, all seine tierischen Freunde wiederzusehen. »Sie freuen sich auf dich. Und die anderen Kinder sind auch schon fast alle da!« Zwei Mädchen und zwei Jungs standen um Pinky herum, versuchten sie zu füttern und zu streicheln, und das kleinste Pony der Welt hatte seinen Spaß, ihnen an den Klamotten zu zupfen oder sie mit der gierigen Nase anzustübern. Nur einer von ihnen wich immer wieder ängstlich zurück, und da wusste Max gleich, wer in der Nacht im Tipi Heimweh bekommen würde. »Hey Leute, alle mal herhören, ich möchte euch den Häuptling vorstellen!« Die Kinder drehten sich zu ihnen um und musterten Max, der mit häuptlingsmäßig verschränkten Armen und würdevollem Gesicht vor ihnen stand und ihnen durch seine Brille tief in die Augen schaute. Sie starrten ihn an, dann fing einer an zu grinsen. »Der sieht aber nicht gerade aus wie ein Häuptling!« Max lächelte milde, er wusste ja, dass sie noch viel lernen mussten. »Indianerhäuptlinge sind nie blond und dick!«, tönte eines der Mädchen noch obendrauf, und Evi legte ihr freundlich eine Hand auf die Schulter. »Wie einer aussieht, ist ganz egal!« Sie deutete auf Max’ Kopf und die Stelle, wo das Herz in seiner Indianerbrust schlug. »Darauf kommt es an. Da zeigt sich, wer ein echter Indianer ist!« Max nickte Evi zu und machte jetzt vorsichtshalber ein freundlicheres Gesicht. »Springendes Reh hat gut gesprochen! Howgh!« Da waren die Kinder still und Evi klatschte in die Hände. »So, ich zeige euch jetzt mal alles und der Häuptling wartet hier auf...