E-Book, Deutsch, 144 Seiten
Reihe: Geschichte kompakt
Brodersen / Kintzinger Die mittelalterliche Hanse
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-534-70590-0
Verlag: Wissenschaftliche Buchgesellschaft (wbg)
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
E-Book, Deutsch, 144 Seiten
Reihe: Geschichte kompakt
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II. Gilden und „Hansen“ vor der Hanse (1150 bis 1350)
1. Eine Europäisierung des Ostseeraums
793 Beginn der Wikingerzeit in Skandinavien um 959–987 Harald Blauzahn eint und christianisiert Dänemark 966 Der Piastenfürst Mieszko nimmt das römische Christentum an 983 Liutizenaufstand. Zerstörung der ottonischen Herrschafts- und Kirchenorganisation bei den Slawen nordöstlich der Elbe 1000 Errichtung des Erzbistums Gnesen 1016–1035 Knut der Große: dänisches Nordseeimperium 1054 Morgenländische Schisma zwischen der lateinischen und griechischen Kirche 1066 Landungsversuch des norwegischen Königs Harald in England scheitert 1103/4 Erzbistum Lund 1107/8 Kreuzzugsaufruf der Magdeburger Kirche um 1130–1195 Heinrich der Löwe 1134 (erschlossen) Privileg Lothars III. für die gutnischen Kaufleute 1143/1159 Gründung Lübecks 1147 Wendenkreuzzug 1153 Norwegisches Erzbistum in Nidaros/Trondheim 1161 Erwähnung einer Genossenschaft niederdeutscher Kaufleute in Gotland: Artlenburger Privileg 1164 Schwedisches Erzbistum in Uppsala 1168 Eroberung Rügens durch den dänischen König 1176 (nicht 1157) Privileg des englischen Königs Heinrich II. für Kölner Kaufleute 1201 Gründung von Riga 1219 Eroberung Estlands durch Dänemark 1230 Gründung von Reval/Tallinn ab 1231 Eroberung Preußens durch den Deutschen Orden 1237 Gründung von Elbing 1255 Gründung von Königsberg a) Religion, Herrschaft, Städtewesen Wann beginnt hansische Geschichte? Wenn in der Hanse vorrangig eine Personengemeinschaft erkannt wird, sind zwei Folgeprobleme aufgeworfen. Sie kamen in der Forschung, die von einem dauerhaften und geschlossenen Hansebund der Städte ausging, nicht zum Tragen. Neu stellen sich aber ein Kontinuitätsproblem und ein Kohärenzproblem. Die zweite Schwierigkeit macht es unmöglich, die Hanse als Kollektiv in Erscheinung treten zu lassen, das etwa Fisch handelte oder im Krieg gegen Dänemark siegte. Richtiger ist ein vorsichtigeres Verständnis, das die Hanse zunächst nur als Dach für unterschiedliche Interessengruppen versteht. Davon wird später ausführlicher die Rede sein. Die erste Kompliziertheit lässt es fraglich werden, vorbehaltlos von einer kontinuierlichen hansischen Geschichte vor dem ausgehenden 13. Jahrhundert oder vielleicht gar vor 1358 zu sprechen. Zumal wird man daran zweifeln, den Beginn hansischer Geschichte dann einsetzen zu lassen, als 1143/1159 die Stadt Lübeck gegründet wurde und weitere deutschrechtliche Städte im Zuge der Ostsiedlung im 13. Jahrhundert entstanden. Warum aber datierte die ältere Hanseforschung den Beginn frühhansischer Geschichte so? Um darauf angemessen antworten zu können, muss man sich zunächst daran erinnern, dass eine Gründungsurkunde der Hanse niemals existiert hat. Jeder Forscher muss daher eine Entscheidung darüber treffen, wann er solche Elemente der späteren Hanse erstmals zu entdecken meint, die er für essenziell hält. Die Datierung solcher Vorgeschichten ist stets an Werturteile gebunden, was man überprüfen mag, indem man sich beispielsweise fragt, wann eine Vorgeschichte der deutschen Wiedervereinigung zu beginnen hätte – 1871, 1945, 1953, 1961, 1968, 1980 oder 1989, wobei jede Antwort eine wertende Akzentsetzung beinhaltet. Auf die Frage nach dem Anfang der Hansegeschichte bezogen, bedeutet diese Problematik, dass es dann, wenn man sich die Hanse als einen Verbund von Städten vorstellt, durchaus naheliegend ist, die Gründung der späterhin führenden Hansestadt Lübeck als Anfang einer hansischen Geschichte zu nehmen. Diese Kontinuitätslinien werden allerdings unsichtbar, wenn man die Hanse als eine Zweckgemeinschaft von Fernhändlern zu verstehen sucht. Die Bezugnahme auf Lübeck wie sie auch die Titelvignette zu erzielen sucht – ist zudem nicht zwingend. Sie beruht darauf, dass Lübeck späterhin die wichtigste Hansestadt war. Ist aber daraus zu folgern konsequent, dass ohne diese Stadt keine Hansegeschichte möglich gewesen wäre? Wohl kaum, denn man kann Szenarien entwickeln, die im Erwartungshorizont des 12. Jahrhunderts recht nahelagen. So dürfte damals für die handelnden Zeitgenossen beispielsweise eine Hanse unter Kölner Führung und mit Schleswig als Transithandelsplatz zwischen Nord- und Ostsee eine recht naheliegende Vorstellung gewesen sein. Dass solche Optionen nicht bloße Fantasiespiele sind, sondern plausible Entwicklungsalternativen darstellten, liegt daran, dass um 1150 die Entwicklungsrichtung im Nord- und Ostseeraum noch weitgehend offen war. Erst fundamentale Umgestaltungen der Jahrzehnte zwischen etwa 1150 und 1350 schufen kirchliche, politische, wirtschaftliche, verkehrstechnische, familiäre und kulturelle Strukturen, die uns selbstverständlich vorkommen, weil sie bis heute nachwirken. Diese Veränderungen werden oftmals einer frühhansischen Epoche zugeschlagen, obwohl sie von der Hanse nicht initiiert worden sind. Sie besitzen allerdings für das Verständnis des Fernhandels im Nord- und Ostseeraum vor Entstehung der Hanse große Wichtigkeit. Gesamteuropäische Strukturen Um die damalige Veränderungswirkung und -geschwindigkeit zu ermessen, die wohl erst wieder im 19. und 20. Jahrhundert erreicht worden ist, sei ein Gedankenexperiment erlaubt. Könnten wir uns ans Ende des 10. Jahrhunderts zurückversetzen und aus einem der Nachfolgestaaten des Karolingerreichs nach Norden blicken, dann erschiene uns der Ostseeraum als ein Grenzmeer, an dessen Küsten religiös, politisch und kulturell fremdartige Regionen lagen. 300 Jahre später hingegen erschiene einem Betrachter, von demselben Standpunkt aus, die Ostsee als ein europäisches Binnenmeer, dessen Küstenregionen allgemein typische kirchliche, herrschaftliche und ökonomische Grundstrukturen aufwiesen. Diese Strukturen bestanden im Frühmittelalter zunächst nur dort in Europa, wo antike und karolingische Prägungen fortwirkten. Im Hochmittelalter breiteten sie sich aus und begründeten im Spätmittelalter bei allen regionalen Unterschieden die Gemeinsamkeit des europäischen Kontinents. Zu ihnen sind mindestens drei Kernelemente zu rechnen: Es sind die christliche Religion in der Ausrichtung auf das römische Papsttum, eine monarchische Herrschaftsform, die sich auf adlige Eliten stützte, sowie ein autonomes Städtewesen. Polen, Böhmen, Ungarn und Skandinavien Wandlungen der kirchlichen und politischen Strukturen bedingten sich im mittelalterlichen Europa stets. Nach der fränkischen Expansion und der mit ihr einhergehenden Christianisierung beispielsweise der Sachsen integrierten sich um das Jahr 1000 Polen, Böhmen und Ungarn in das romchristlich-monarchische Europa. Sie fanden Aufnahme unter ihren einheimischen Herrschern, die das Christentum annahmen. Gleiches gilt für Skandinavien: Nach ergebnislosen Missionierungsversuchen im 9. Jahrhundert wurde von den skandinavischen Völkern zunächst Dänemark unter König Harald Blauzahn (um 959–987) christianisiert. Island folgte um 1000. In Schweden wurde König Olaf Schosskönig (ca. 980–1021/2) im Jahre 1008 getauft. In Norwegen war es der spätere heilige König Olaf Haraldsson (1015–1030), der für die Christianisierung sorgte. In allen diesen Reichen standen monarchischer Machtzuwachs und der Aufbau kirchlicher Strukturen in einer Wechselwirkung. Überall war die Missionierung nicht durch den tröpfchenweisen Übertritt einzelner Gläubiger flächendeckend erfolgreich, sondern sie stützte sich auf die Autorität überregional mächtiger Herrscher. Umgekehrt profitierten die skandinavischen Könige bei der Festigung und Verstetigung ihrer Herrschaftsposition von der kirchlichen Infrastruktur. Deren Aufbau erreichte überall einen Schlusspunkt mit der Gründung von eigenständigen Kirchenprovinzen. Dänische, norwegische und schwedische...