E-Book, Deutsch, Band 3
Reihe: Jane-Eyre-Trilogie
Brontë Jane Eyre. Band 3 von 3
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-96130-383-0
Verlag: apebook Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Illustrierte Ausgabe
E-Book, Deutsch, Band 3
Reihe: Jane-Eyre-Trilogie
ISBN: 978-3-96130-383-0
Verlag: apebook Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
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ZWEITES KAPITEL.
Mr. Rochester hatte mir nur eine Woche Urlaub gegeben, aber trotzdem verfloß ein ganzer Monat, ehe ich Gateshead verließ. Ich wollte unmittelbar nach dem Begräbnis abreisen, aber Georgina flehte mich an zu bleiben, bis es ihr möglich sein würde, nach London abzureisen, wohin ihr Onkel, Mr. Gibson, sie nun endlich, endlich eingeladen hatte. Dieser war hinaus gekommen, um alle Anstalten für das Begräbnis seiner Schwester zu treffen und die Geldangelegenheiten der Familie zu ordnen. Georgina sagte, sie fürchte sich mit Eliza allein zu bleiben; von ihr hatte sie weder Sympathie in ihrer Traurigkeit, noch Hilfe in ihrer Bedrängnis und Unterstützung bei ihren Reisevorbereitungen zu erhoffen. Daher ertrug ich denn ihr kleinmütiges Jammern und ihre selbstsüchtigen Klagen so gut ich konnte und tat mein Bestes, indem ich für sie nähte und arbeitete und Wäsche und Kleider für sie einpackte. Es ist wahr, daß sie müßig umherging, während ich arbeitete, und gar oft dachte ich in meinem Sinne: »Nun Cousine, wenn wir beiden verurteilt wären miteinander zu leben, so würden wir die Sache bald anders anfassen. Ich würde mich nicht gutwillig darein finden, der arbeitende Teil zu sein; ich würde auch dir deinen Teil der Arbeit zukommen lassen und dich zwingen ihn zu tun, wenn er nicht ungetan bleiben sollte. Und ich würde auch darauf bestehen, daß du einige dieser nur halb aufrichtig empfundenen, schleppenden Klagelieder in deine eigene Brust verschlössest. Nur, weil unser Verkehr zufällig ein sehr vorübergehender ist und in eine sehr traurige Zeit fällt, finde ich mich darein, so geduldig und gutwillig dir gegenüber zu sein.« Endlich kam der Augenblick für Georginas Abreise, aber jetzt war die Reihe an Eliza, mich zu bitten, daß ich noch eine Woche dableibe. Wie sie sagte, nahmen ihre Pläne all ihre Zeit und Aufmerksamkeit in Anspruch. Sie war im Begriff, in irgendein unbekanntes Land abzureisen und während des ganzen Tages hielt sie sich in ihrem Zimmer auf. Die Tür war von innen verschlossen, und sie beschäftigte sich damit Koffer zu packen, Schiebladen zu leeren, Papiere zu verbrennen, ohne daß jemand sie bei dieser Arbeit hätte stören dürfen. Von mir wünschte sie, daß ich mich um den Haushalt kümmere, Besucher empfing und Kondolenzschreiben beantworte. Eines Morgens sagte sie mir, daß sie meiner jetzt nicht weiter bedürfe, »Und,« fügte sie hinzu, »ich bin Ihnen außerordentlich verbunden für Ihre außerordentlichen Dienste und Ihr diskretes Verhalten. Es ist freilich ein großer Unterschied, ob man mit Ihnen lebt oder mit Georgina. Sie tragen Ihre eigene Last im Leben und quälen und belästigen niemand. Morgen,« fuhr sie fort, »begebe ich mich nach dem Kontinent. Ich werde meinen Aufenthalt in einem frommen Hause bei Lisle nehmen – ein Nonnenkloster, wie man es zu nennen pflegt. Dort werde ich ruhig und ungestört leben. Ich werde mich für einige Zeit der Prüfung des römisch-katholischen Dogmas widmen und sorgfältig die Werke über das System dieser Lehre prüfen. Wenn ich finde – wie ich es halb und halb erwarte – daß es dasjenige ist, welches darauf berechnet ist, alle Dinge des Lebens in guter Ordnung und ruhig ausführen zu können, so werde ich mich zu den Lehren bekennen, welche von Rom ausgegangen sind, und wahrscheinlich den Schleier nehmen,« Ich drückte durchaus kein Erstaunen über diesen Entschluß aus und versuchte ebensowenig, sie von demselben abzubringen. »Dieser Beruf wird aufs Haar für dich passen,« dachte ich, »mag dir die Sache gut bekommen!« Als wir uns trennten, sagte sie: »Leben Sie wohl, Cousine Jane Eyre; möge es Ihnen gut gehen, Sie besitzen ziemlich viel Einsicht und Verstand.« Und ich entgegnete: »Auch Sie sind nicht ohne Einsicht und Verstand, Cousine Eliza; aber was Sie davon besitzen wird wahrscheinlich binnen Jahresfrist in einem französischen Kloster eingemauert sein. Indessen geht das mich nicht an, und wenn Sie sich wohl dabei fühlen, ist es mir gleichgültig.« »Sie haben recht,« entgegnete sie. Und mit diesen Worten trennten wir uns und gingen jede unseres Weges. Da ich nicht Gelegenheit haben werde, wieder auf sie oder ihre Schwester zurückzukommen, kann ich hier ebensogut noch erwähnen, daß Georgina eine vorteilhafte Heirat mit einem sehr reichen aber verlebten Manne von Welt schloß, und daß Eliza in der Tat den Schleier nahm und heute Oberin des Klosters ist, in welchem sie die Zeit ihres Noviziats zubrachte. Ihr Vermögen hat sie demselben ebenfalls vermacht. Wie es Leuten ums Herz sein muß, die nach einer längeren oder kürzeren Abwesenheit wieder in ihr Heim zurückkehren – das wußte ich nicht. Ich hatte diese Erfahrung ja niemals machen können. Wohl wußte ich, was es für mich als Kind bedeutete, wenn ich in Gateshead nach einem langen Spaziergang heimkehrte –: ich wurde gescholten, weil ich traurig und verfroren aussah; und später hatte ich erfahren, was es in Lowood hieß, nach langem Marsche aus der Kirche nach Hause zu kommen –: ich sehnte mich nach einer guten, reichlichen Mahlzeit und einem warmen Kaminfeuer und bekam keins von beiden. Keins von diesen beiden »Nachhausekommen« war sehr angenehm oder wünschenswert; kein Magnet zog mich zu einem gewissen Punkt und vermehrte und verstärkte die Kraft und Attraktion je näher ich kam. Was die Heimkehr nach Thornfield für mich bedeutete, mußte ich noch erst erfahren. Meine Reise war langweilig – sehr langweilig. Fünfzig Meilen am ersten Tage, Nachtruhe in einem Landwirtshause, fünfzig Meilen am zweiten Tage. Wahrend der ersten zwölf Stunden dachte ich an Mrs. Reed und ihre letzten Stunden; ich sah ihr fahles, entstelltes Antlitz und hörte die seltsam veränderte Stimme. Ich dachte über den Begräbnistag nach, über den Sarg, den Leichenwagen, den langen, schwarzen Zug von Pächtern und Dienern – der Verwandten waren nur wenige gewesen – das gähnende Gruftgewölbe, die stille Kirche, den feierlichen Gottesdienst. Dann fielen mir Eliza und Georgina ein. Ich sah die eine als den Anziehungspunkt eines Ballsaales, die andere als die Bewohnerin einer Klosterzelle, und ich verweilte dabei, ihre verschiedenen Eigentümlichkeiten des Charakters und der Person zu analysieren. Die späte Ankunft in dem Landstädtchen X... verjagte diese Gedanken; die Nacht leitete sie in eine andere Bahn. Als ich mein Lager aufgesucht hatte verließ mich das Erinnern und ich gab mich der Erwartung hin. Ich sollte also nach Thornfield zurückkehren; wie lange würde dort aber meines Bleibens sein? Nicht lange; dessen war ich gewiß. Während der Zeit meiner Abwesenheit hatte ich von Mrs. Fairfax gehört: die lustige, vornehme Gesellschaft, welche bei meiner Abreise noch im Herrenhause versammelt gewesen, hatte sich nach allen Seiten zerstreut. Mr. Rochester war vor drei Wochen nach London gereist, wurde aber während der nächsten vierzehn Tage von dort zurückerwartet. Mrs. Fairfax sprach die Vermutung aus, daß er hingereist sei, um Vorbereitungen für seine Hochzeit zu treffen, da er davon gesprochen habe, einen neuen Wagen kaufen zu wollen. Sie sagte, der Gedanke, daß er Miß Ingram heiraten wolle, erscheine ihr noch immer so seltsam; aber nach allem, was »alle Welt« sagte und nach dem, was sie mit eigenen Augen gesehen, könne wohl kein Zweifel mehr daran sein, daß die Sache nahebevorstehend sei. »Du wärst aber auch ungewöhnlich ungläubig, wenn du daran zweifeltest,« sagte ich im Geiste zu mir selbst, »ich meinesteils zweifle nicht einen Augenblick daran.« Und nun folgte die Frage: »Wohin sollte ich dann gehen?« Während der ganzen Nacht träumte mir von Miß Ingram; ein lebhafter Morgentraum zeigte sie mir, wie sie alle Tore von Thornfield vor mir schloß und mich auf einem anderen Wege hinauswies; Mr. Rochester stand ruhig mit verschränkten Armen daneben und ließ sie gewähren; wie es schien, lächelte er sarkastisch sowohl über sie wie über mich. Ich hatte Mrs. Fairfax den bestimmten Tag meiner Ankunft nicht bekannt gegeben, denn ich wünschte nicht, daß man mir irgend ein Fuhrwerk nach Millcote entgegenschickte. Ich hatte mir vorgenommen, die Strecke Weges ruhig allein zu gehen; und nachdem ich meinen Koffer dem Hausknechte anvertraut hatte, machte ich mich unbemerkt aus dem »Hotel zum heiligen Georg« davon und schlug an einem schönen Juniabende gegen sechs Uhr die alte Straße nach Thornfield ein – ein Weg, der hauptsächlich durch Felder führte und wenig benutzt wurde. Es war ein warmer, linder, aber kein strahlender, heißer Sommerabend; die Wiesenarbeiter waren am ganzen Wege entlang beschäftigt; der Himmel, wenn auch nicht wolkenlos, versprach gutes Wetter für die kommenden Tage; seine Bläue – wo sie überhaupt sichtbar – war milde, und die Wolken zogen hoch und durchsichtig dahin. Auch der Westen war warm; keine wässerigen Strahlen störten das Bild, es war, als sei ein Feuer angezündet, als brenne ein Altar hinter jenem dunstigen Vorhange, und wo dieser hie und da zerrissen war, schien eine goldige Röte hervor. Fröhlichkeit kam über mich, als ich den vor mir liegenden Weg immer kürzer werden sah; ich wurde so froh, daß ich einmal im Gehen innehielt, um mich erstaunt zu fragen, was jene Empfindung des Glücks bedeute, und meine Vernunft daran zu erinnern, daß ich nicht in mein eigenes Heim oder an einen dauernden Ruheplatz, oder an einen Ort zurückkehre, wo treue, zärtliche Freunde meiner...