Brückweh | Mordlust | Buch | 978-3-593-38202-9 | sack.de

Buch, Deutsch, Band 43, 512 Seiten, Format (B × H): 143 mm x 214 mm, Gewicht: 632 g

Reihe: Campus Historische Studien

Brückweh

Mordlust

Serienmorde, Gewalt und Emotionen im 20. Jahrhundert
1. Auflage 2006
ISBN: 978-3-593-38202-9
Verlag: Campus

Serienmorde, Gewalt und Emotionen im 20. Jahrhundert

Buch, Deutsch, Band 43, 512 Seiten, Format (B × H): 143 mm x 214 mm, Gewicht: 632 g

Reihe: Campus Historische Studien

ISBN: 978-3-593-38202-9
Verlag: Campus


Serienmörder faszinieren. In Film, Fernsehen und Kriminalliteratur morden sie fast täglich, aber kriminalstatistisch sind sie nahezu bedeutungslos. Kerstin Brückweh untersucht vier Fälle von Serienmorden (Haarmann, Seefeld, Hagedorn, Bartsch) aus der Weimarer Republik, dem Nationalsozialismus, der DDR und der Bundesrepublik. Sie zeigt, wie Nachbarn und Kollegen, Polizisten, Gutachter und Richter, Journalisten und Zeitungsleser die Täter wahrnahmen und beurteilten. Besonders auf sexuell motivierte Kindermörder entluden sich Abscheu und Hass, während zugleich in den Medien Voyeurismus und Gewaltfantasien aktiviert wurden.

Ausgezeichnet von der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen mit dem Akademiepreis für Geisteswissenschaften 2009.

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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Inhalt

Vorwort. 9
Einleitung. 11

Erster Teil:

Physische Gewalt - konkrete Opfererfahrungen und imaginierte Täterbilder. 33
1. Normalisierung: Der bekannte Täter. 35
1.1 Der Alltag mit Hagedorn, Bartsch, Seefeld und Haarmann. 36
1.1.1 Alltägliche Gewalt. 37
1.1.2 Der auffällige Täter. 59
1.1.3 Auf der Suche nach Vertrauten: Komplizen und Mitwisser. 62
1.2 Als außeralltäglich deklarierte Situationen. 67
1.2.1 Bei der Polizei angezeigte Fälle. 68
1.2.2 Informelle Strategien: Thematisierung unter den Eltern. 80
1.3 Reaktionen von Nachbarn und Kollegen nach der Festnahme. 85
Zusammenfassung und Ausblick. 88
2. Dämonisierung: Der fremde Täter. 91
2.1 Verdächtigungen. 92
2.1.1 Verdächtigte Personen aus dem sozialen Nahraum. 93
2.1.2 Vermisstenanzeigen und allgemeine Hinweise aus der Bevölkerung. 96
2.1.3 Homosexuelle als Verdächtigte. 103
2.1.4 Verdächtigte Fremde. 110
2.2 Folgen der Verdächtigungen. 115
Zusammenfassung. 118
Erster Teil: Physische Gewalt - Zusammenfassung. 120

Zweiter Teil:

Rechtsprechende Gewalt - Wiederherstellung der Ordnung durch Justiz und Experten. 123
3. Expertise und Kompetenz: Die Auswahl der Sachverständigen. 127
3.1 Machtkämpfe: Die Auswahl von Sachverständigen in Demokratien. 128
3.1.1 Der abgewehrte psychologische Blick - 1924. 129
3.1.2 Der zugelassene psychologische Blick - 1971. 147
3.1.3 Steigendes Vertrauen in die Psychoanalyse - 1971. 152
3.1.4 Der sexualwissenschaftliche Blick: Zwischen Abwehr und Diktat. 164
3.2 Staatsmacht: Auswahl von Sachverständigen in Diktaturen. 179
Zusammenfassung. 184
4. Expertise und Deutungshoheit: Die Gutachten. 188
4.1 Friedrich Haarmann: "Pathologisch" und "zurechnungsfähig". 190
4.2 Adolf Seefeld: "Moralisch minderwertiger, gefühlskalter, asozialer Psychopath". 194
4.3 Erwin Hagedorn: "Willensschwacher Sadist", geprägt durch "Fehlerziehung" der Eltern. 199
4.4 Jürgen Bartsch: Krank durch frühkindliche Störungen und gesellschaftliche Strukturen. 207
Zusammenfassung und Kontextualisierung. 221
5. Das Urteil: Die Konstruktion der überzeugendsten Geschichte. 226
5.1 Erwin Hagedorn: Erwachsen und schuldfähig. 226
5.2 Jürgen Bartsch: Jugendlich und zurechnungsfähig. 235
5.3 Friedrich Haarmann: Pathologisch, aber doch schuldfähig. 252
5.4 Adolf Seefeld: "Gefährlicher Gewohnheitsverbrecher". 262
Zusammenfassung und Ausblick. 270
6. Der Strafvollzug: Physische und institutionelle Gewalt. 275
6.1 Konstruktion des geständigen Täters: Adolf Seefeld † 1936. 276
6.2 Hinrichtung als letztes Spektakel: Friedrich Haarmann † 1925. 278
6.3 Das Verschwinden des Körpers: Erwin Hagedorn † 1972. 279
6.4 Therapie mit tödlichem Ausgang: Jürgen Bartsch † 1976. 282
Zusammenfassung. 290
Zweiter Teil: Rechtsprechende Gewalt - Zusammenfassung. 295

Dritter Teil:

Medial vermittelte Gewalt - emotionale Aneignungen im öffentlichen Raum. 299
7. Rachegelüste und andere Emotionen: Reaktionen von Unbeteiligten auf die Medienberichte zum Fall Bartsch. 303
7.1 Die Akteure: Briefe von Unbeteiligten 1966-1971. 305
7.1.1 Briefschreiber und -schreiberinnen. 306
7.1.2 Adressaten. 310
7.2 Rachegelüste anstelle von Verstehen. 314
7.2.1 Strafwünsche. 314
7.2.2 Erklärungsansätze. 322
7.3 Wechselwirkungen. 331
Zusammenfassung. 335
8. Instrumentalisierte Medienberichte: NS-Propaganda im Fall Seefeld. 338
8.1 Prozessberichterstattung. 341
8.1.1 Nachrichtenquellen. 343
8.1.2 Formale Spielräume und Beschränkungen. 346
8.1.3 Inhaltliche Varianten und emotionalisierende Texte. 351
8.2 Kommentare. 360
8.2.1 Der Fall Seefeld als "Schulbeispiel" für die "Erbgesundheitsgesetze". 362
8.2.2 "Mörder Liberalismus - das alte System ist schuld". 367
8.2.3 Seefeld als "jüdischer Ritualmörder"?. 368
8.2.4 Warnung an alle Eltern. 369
8.2.5 Interne Instrumentalisierung des Seefeld-Falles. 370
Zusammenfassung. 373
9. "Sex and Crime": Von den Schwierigkeiten der medialen Inszenierung Haarmanns in der hannoverschen Presse 1972-1992. 376
9.1 Der politische Künstler und sein Werk im öffentlichen Raum. 378
9.2 Berichterstattung mit unterschiedlichen Schwerpunkten. 386
9.2.1 Die Inszenierung des Medienereignisses I:

Der Zeitpunkt. 386
9.2.2 Die Inszenierung des Medienereignisses II: Die Art und Weise. 394
9.3 Pathologisieren oder verstehen: Kommunikation im öffentlichen Raum. 404
9.3.1 Kommunikation über das Medium Tageszeitung: Veröffentlichte Leserbriefe. 404
9.3.2 Andere Kommunikationswege: Unveröffentlichte Korrespondenz. 414
Zusammenfassung. 420
10. Dramatisierung und Geheimhaltung: Der Fall Hagedorn als Geschichte deutsch-deutscher Ängste. 423
10.1 Informationsstrategien der Ermittlungsbehörden. 425
10.2 Veröffentlichungen über Hagedorn in der Bundesrepublik. 430
10.2.1 Dramatisierung I: Als Politikum. 431
10.2.2 Dramatisierung II: Als Krimi. 433
10.2.3 Weitere Dramatisierungsstrategien. 434
10.3 Aufregung über ein potentielles Problem: Bundesdeutsche Veröffentlichungen und die Sorge einiger DDR-Funktionäre. 436
10.3.1 Imaginierte innenpolitische Probleme. 436
10.3.2 Konkrete interne Maßnahmen. 438
10.3.3 Imaginierte außenpolitische Probleme. 442
10.3.4 Kompetenzen und Emotionen. 446
Zusammenfassung. 449

Dritter Teil: Medial vermittelte Gewalt - Zusammenfassung:. 451
Schluss: Emotionen und Gewalt machen Geschichte(n). 455
Quellen- und Literaturverzeichnis. 473
Abkürzungsverzeichnis. 504
Register. 506


Ausgangspunkt dieser Studie war die Suche nach geeigneten Themen und Quellen, durch die sich das Zusammenspiel von Experten, Praktikern, Öffentlichkeiten und Medien im 20. Jahrhundert untersuchen lässt. Wie wurden wissenschaftliche Erkenntnisse popularisiert und wie wirkten mediale Repräsentationen auf die Wissensproduktion von Experten?7 Zwischen Experten und Praktikern kann über ihre Ausbildung und ihren Blickwinkel differenziert werden. Lutz Raphael charakterisiert als (humanwissenschaftliche) Experten diejenigen, 'denen unsere modernen Gesellschaften auf Grund ihres Fachwissens Entscheidungsbefugnis bzw. eine gutachterliche Urteilskompetenz über andere zubilligen, manchmal sogar zuweisen.'8 Zwar können auch Kriminalisten in ihren Aussagen vor Gericht Experten sein, sie werden aber aufgrund ihrer an der Praxis orientierten Ausbildung in der vorliegenden Arbeit als Praktiker bezeichnet. Im Anschluss an Peter Beckers Differenzierung wird in praktischen und theoretischen Blick unterschieden: 'Die Kriminalisten näherten sich dem Verbrecher mit einem praktischen, die Kriminologen mit einem theoretischen Blick.'9 Ein ideales Untersuchungsfeld für die Ausgangsfrage ist die Kriminalität, die, wie der Historiker Gerd Schwerhoff feststellte, zu den 'Obsessionen der modernen Gesellschaft' gehört.10 Insbesondere an der Faszination, die von einzelnen außergewöhnlichen Verbrechen für eine größere Bevölkerungsgruppe auszugehen scheint, zeigt sich, dass außeralltägliche Kriminalgeschichten tiefe Einblicke in eine alltägliche 'Normalität', also in Vorstellungswelten, Normgefüge und Beziehungsnetze, zulassen.11 Unter diesen Verbrechen haben Serienmörder eine besondere Stellung. Vor allem Serien-Sexualmorde an Kindern riefen im 20. Jahrhundert besondere Empörung hervor und wurden in den Medien vielfach thematisiert. Obwohl das Wort Faszination häufig in Bezug auf Sexualmorde erwähnt wird, wird der Begriff selten definiert. Hier wird deshalb von folgender Arbeitsdefinition ausgegangen: Faszination ist eine ambivalente Emotion, die durch Anziehung und Interesse bestimmt wird. Sie ist aber kein homogenes Gefühl, sondern setzt sich aus emotionalen Anteilen und Fantasie zusammen. Häufig besteht das Bedürfnis, die Faszination mitzuteilen. Faszination bezieht sich immer auf einen Gegenstand, eine Person oder auch auf eine Idee, durch den bzw. die sie näher bestimmt wird (Faszinosum).12 Im Mittelpunkt der Studie stehen vier sexuell motivierte Serienmörder aus vier politischen Systemen: Friedrich Haarmann (1879–1925) als Beispiel für die Weimarer Republik, Adolf Seefeld(t)13 (1870 –1936) für die Zeit des Nationalsozialismus, Jürgen Bartsch (1946 –1976) für die Bundesrepublik der 1960er- und 1970er-Jahre und Erwin Hagedorn (1952–1972) für die Deutsche Demokratische Republik derselben Zeit. Gemeinsam ist allen vier Tätern, dass die Öffentlichkeit äußerst emotional auf sie reagierte, sie faszinierten. Während Seefeld und Haarmann bereits über sechzig bzw. vierzig Jahre alt waren und auf Gefängnisstrafen und ein langes Vorstrafenregister zurückblickten, waren Bartsch und Hagedorn noch jugendlich, als sie die ersten Morde begingen. Seefeld, Bartsch und Hagedorn missbrauchten über Jahre hinweg Jungen und ermordeten einige ihrer Opfer. Im Vergleich dazu waren Haarmanns Opfer bereits Jugendliche. Das ermöglicht Aussagen darüber, inwieweit das Alter der Opfer Einfluss auf die Behandlung und Rezeption der Fälle hatte. Seefeld, Bartsch, Hagedorn und Haarmann wurden auch deshalb ausgewählt, weil die Experten die Täter bei der Begutachtung häufig miteinander in Beziehung brachten und in ihren Gutachten erwähnten. Außerdem standen in der historischen Forschung bisher vor allem Frauen oder Mädchen als Opfer sexueller Gewalt im Vordergrund, Jungen wurden meistens vernachlässigt.14 Auf der Grundlage dieser vier Fallbeispiele wird danach gefragt, wie sich der wissenschaftliche, soziale und kulturelle Umgang mit Serienmördern im Verlauf des 20. Jahrhundert veränderte. Aus heutiger Perspektive mag man denken, dass Morde an Kindern schon immer schärfste Strafen nach sich gezogen hätten. Dem ist jedoch nicht so. Im 15. Jahrhundert zum Beispiel wurden die Verbrechen des französischen Marschalls und Kindermörders Gilles de Rais erst nach seinem finanziellen Ruin geahndet.15 Selbst bei extremen Verbrechen war demnach die soziale Stellung von Täter und Opfer ausschlaggebend bei der Bewertung der Taten und der Verurteilung der Täter. Dass in westlichen Gesellschaften Kinder als Opfer besondere Empörung im 20. Jahrhundert hervorriefen, ist nicht als eine historische oder gar anthropologische Konstante misszuverstehen. Ebenso wenig war die Art und Weise der Mordaufklärung immer von gleicher Bedeutung. Denn – so die Historiker Andreas Fahrmeir und Sabine Freitag – 'nicht nur die Hierarchie der Verbrechen änderte sich im Laufe der Zeit, sondern auch der obrigkeitliche Umgang mit ihnen.'16 Im 20. Jahrhundert ist das Gericht die Institution, von der nicht nur die Rechtsprechung erwartet wurde, sondern mit der auch die Hoffnung auf Gerechtigkeit verbunden wurde.


Kerstin Brückweh, Dr. phil., promovierte an der Fakultät für Geschichte der Universität Bielefeld, war Redakteurin in einem Münchener Verlag und ist jetzt als Research Fellow am Deutschen Historischen Institut in London tätig.



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