Büttner | Märchenwelt | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 324 Seiten

Büttner Märchenwelt

Märchen und Geschichten
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7568-4630-6
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Märchen und Geschichten

E-Book, Deutsch, 324 Seiten

ISBN: 978-3-7568-4630-6
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Märchen sind wie Träume. Wer meint, er könne eins deuten, sollte zunächst sagen, wer es geträumt hat. Märchen sind gleichzeitig Unterhaltung und Genuss, Spiegel und weiser Ratgeber. Sie sind Teil der Welt, eines der Wunder des Lebens. Märchen weisen tief in die Vergangenheit der Menschheit zurück. Man sagt auch, Märchen seien für die Literatur das, was die Primzahlen in der Mathematik sind, rätselhaft. Mit den Kunstmärchen in diesem Büchlein wird die Märchenwelt der Brüder Grimm fortgeschrieben. Ihnen dürften jedenfalls alle etwas abgewinnen, egal ob jung oder alt.

Wolfgang Büttner wurde 1953 in Eggersdorf geboren. Er studierte Kybernetik und Elektrotechnik. Nach einer Studienreise in Sizilien eröffnet er die Galerie "Ars pro Vita" in Birkenwerder. Dort zeigt er vor allem Landschaftsbilder. Angeregt wurde er dazu von den Gemälden der Maler Hagemeister und Leistikow. Hinzugekommen sind Buchveröffentlichungen (Märchen und SF). Er illustriert die eigenen Bücher und die anderer Autoren. Daneben führt er Mal- und Zeichenkurse in seinem Atelier durch.

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SCHNEELINDCHEN UND JOGOJ
Es war einmal vor langen, langen Zeiten in einem fremden Land in einem Schloss aus grauem und schwarzem Granit. Darin lebte dereinst Prinzessin Schneelindchen mit ihrem Vater sowie der Stiefmutter. Die Anverwandte schritt mit ihrem Gemahl zum Speisesaal. Unter einem Vorwande eilte sie noch einmal ins Schlafgemach zurück. Da trat sie vor den Spiegel und sprach: „Spieglein, Spieglein an der Wand, wer bäckt den schönsten Kuchen aus Sand?“ Des Spiegels Antwort lautete: „Ihr, Frau Königin, backt den schmackhaftesten Sandkuchen im ganzen Land. Mit Verlaub, Prinzessin Schneelindchen hinter den sieben Zwergen, bei den sieben Bergen bäckt Pflaumenkuchen mit geschlagener Sahne. Er schmecket noch tausendmal schmackhaftiger als eure Mumpe. Halten zu Gnaden.“ Da erschrak die Königin und ward gelb und grün vor Neid. Sie nahm zornmutig eine Hand voll Zuckersand. Den warf sie dem Spiegel mit den Worten: „Da hast du!“ an den Kopf. Dann schrie sie vor Wut den Spiegel an: „Du lügst“, griff eine Vase und schleuderte diese in den Glasspiegel, dass er in tausend Stücke sprang. Sie war stolz und übermütig und konnte nicht leiden, dass sie im Kuchenbacken von jemand sollte übertroffen werden. Nach der Mahlzeit verließ die Herrscherin als erste den Speisesaal. Sie befahl Jogoj, den kleinen Hofnarren zu sich. Jogoj bedeutet ‚zwischen den Dämmerungen’; er ward zwischen einer Sonnenfinsternis und der Abenddämmerung geboren. Die Königin zog ihn dicht an sich und blickte ihn scharf an. „Gehe zu Schneelindchen und den Zwergen, Hofnarr“, hub sie an. „Besorge mir das Rezept für den Pflaumenkuchen! Sag ihnen, sie werden dafür mit Gold und Edelsteinen aus der Schatzkammer belohnt, soviel sie in ihrem Ränzlein davontragen können“, befahl sie auf ihren Diamantring zeigend. Den kleinen Hofnarren wollte die Königin deshalb schicken, damit dieser auf Augenhöhe mit den Wichten verhandeln könne. Weiter sprach seine Gebieterin: „Sei kein Narr, lasse dich von den garstigen Kobolden nicht übertölpeln. Kommst du mir ohne das Rezept zurück, mache ich dich kleiner. Darauf kannst du Gift nehmen.“ Nicht nur ihre Augen waren blau, gleichermaßen ihre Zunge. Die konnte Jogoj jetzt klar erkennen. Sogar ihre schwarzen Haare, die mit zwei Goldnadeln zusammengesteckt waren, schimmerten bläulich. Ihre Voreltern gehörten zu Erzhexen und Zauberern; von denen hatte die Herrscherin etwelche ‚Die sieben Zwerge’, denn des waren ihrer sieben. Um jemanden zu verkleinern, vertauscht die Herrscherin einfach ihre linke mit der rechten Haarnadel, indes sie demjenigen in die Augen blickt. * * * Jogoj fügte sich und wanderte zu Schneelindchen bei den Zwergen über den sieben Bergen; ihm blieb nichts weiter übrig, wollte er nicht noch weiter schrumpfen – nur halb so groß wie die Königin war er. Sein Weg führte ihn durch staubtrockene Wüstenei mit Dünen, die der Wind als unaufhörliche Sandflut vor sich her trieb. Wie Sicheln türmten sich die Dünenkämme vor ihm. Auf den Sandbergen thronten geflügelte Schimären, von Sandkörnern in Dunst gehüllt. Seinen Dolch hätte er getrost daheim lassen können, allesamt friedliche Geschöpfe. In deren glänzendem Gefieder spiegelte sich die Sonne. Anfangs meinte er nicht anders, als sei es das Gaukelspiel einer Fata Morgana, das sich beim Näherkommen in Luft auflöst. Die Dünen wandelten sich ständig. Sandwinde wirbelten die lockeren Sandmassen auf und jagten sie die Hänge empor, sodass die Dünenkämme förmlich rauchten. So befanden sich die Sandberge auf ständiger Wanderung. Tief sanken Jogojs Füße in den Boden. Dann wurde es steinig. Sand hatte gleichsam wie ein Bildhauer bizarre Formen aus dem Felsgestein geschliffen. Da waren ein Gebilde, das wie ein Schneckenhaus viele Klafter aus dem Fels ragte, eins, das einem sich aufbäumenden Riesen glich und gleich daneben eine steil empor ragende Zunge aus Granit – halb so hoch wie der Felsenriese sowie etwas wie ein Ohr, das zum Riesen hätte gehören können. Nachdem Jogoi eine tüchtige Strecke gegangen war, gelangte er in einen wilden Wald, in dem der Schwarzstorch und der Tannenhäher brüten, Steinpilze gedeihen und giftiges Kraut wächst. Wacker schritt er begleitet vom Gesang der Vögel vorwärts. Indem es Abend werden wollte, beleuchteten ihm in der Finsternis blaue Flammen den Weg, die hin und wieder aus den Mäulern von Drachen schossen. Weil seine Beine ihn nicht mehr tragen wollten und die Müdigkeit ihn überkam, legte er sich ins Moos zum Schlafen. Ihm träumte, die Königin im gelben Gewand würde vor ihm stehen und ihm beständig in die Augen schauen. Ihre blaue Zunge schnellt hervor und berühret seine Lippen. Goldene Nadeln stecken darin. Indem er sich abwendet, erscheint ein Lichtlein. Schreie von Dohlen und Raben weckten ihn beim Morgengrauen. Seine Schritte lenkte er Richtung Sonne. Duft von frischem Backwerk strömte ihm von Weitem entgegen. Die Zwerge hatten ihr Zuhause in einer Kristallhöhle, in der Kristalle sowie Edelsteine im Schein zahlloser Lichtlein nur so funkelten. Darin war alles klein, zierlich und rein. Beim Eintreten aßen die Königstochter und die sieben Wichte gerade Backwerk mit Pflaumen darauf und geschlagener Sahne. So weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarz wie Ebenholz war Schneelindchen angetan mit einem weißen Kleide aus Seide. War das ein Freuen! Schneelindchen mochte Jogoj von Kindertagen an. Schon beim Hören ihrer sanften Stimme ward ihm gleich wohler ums Herz. „Jogoj! Was führet dich zu uns?“ erkundigte sich Schneelindchen. Beide drückten sich. Die liebsame Prinzessin hockte sich dafür hin. „Ach Schneelindchen, die Königin will, dass ich ihr das Rezept für deinen Pflaumenkuchen herzu schaffe. Falls ich ohne das Rezept wiederkehre, will sie mich noch mehr verkleinern. Gold und edle Steine würde sie dafür geben.“ „Kein Grund sich zu grämen, Jogoj“, tröstete ihn Schneelindchen. Sogleich reichte sie ihm ein großes Stück von ihrem Kuchen. „Wir finden gewisslich einen Ausweg.“ Nachdem ein jeder sich satt gegessen hatte, wandte sich das Mädchen an die Zwerge: „Verflucht! Ich kann der doch nicht einfach das Kuchenrezept überlassen. Ich habe es von meiner Mutter; sie wiederum hat es von meiner seligen Großmutter geerbt.“ Mit der Hand nach oben weisend versetzte der Älteste, der Hauptzwerg: „Ei was! Gold und Edelsteine! Ihre Steine kann sie behalten. Soviel Edelsteine, wie hier an der Decke und den Wänden wachsen, hat diese …, diese Hexe ihr ganzes Leben noch nicht gesehen. Außerdem glaube ich ihr keines ihrer Worte.“ Nach langem Hin und Her sowie allerlei Denkübungen fassten sie folgenden Entschluss: Jogoj solle der Königin ein kleines Gebäck bringen, überdies ein Rezept, bei dem Hefe gegen Pulver vom Drachenhorn vertauscht ist. „Nun, für den Belag nehmen wir statt der Pflaumen Tollkirschen“, schlug der Hauptzwerg vor. „Die haben dieselbe Farbe wie Pflaumen“. Weiterhin führte er aus: „Sollte die alte Hexe diesen Kuchen essen, wird ihr der Appetit auf Pflaumenkuchen für immer vergehen, die Lust am Verkleinern gleich mit.“ Indessen die Zwerge noch über das Für und Wider debattierten, schickte Schneelindchen sich bereits an, Tollkirschen zu ernten. Sie eilte zu einer Stelle, wo das Kraut mit den giftigen Kirschen wuchs und pflückte eine Hand voll von einer Staude. Mit jener giftigen Ernte buk das Mädchen einen Kuchen. Diesen gab es Jogoj mit auf den Heimweg, ferner das falsche Rezept und eine Wegzehrung. Jogoj sagte Lebewohl und kehrte frohgemut zurück. Unterwegs traf er im Wald zufällig auf des Königs Jäger; ihre Jagdhörner hatte er aus der Ferne gehört. Da erkundigte der erhabene König sich bei ihm nach seiner Tochter. Auf Befehl des Herrschers setzte ihn einer der Jäger auf das Reittier und ritt mit ihm fürbass ins Schloss. Schon von Weitem erkannte Jogoj das Königsschloss mit seinen schwarz-grauen Mauern. Posaunen kündeten von seiner Ankunft. * * * Die Königin misstraute der Sache; eine Kostprobe hatte sie ja gar nicht bestellt. Sie schenkte des Hofnarren Bericht vom Besuch bei den Zwergen keinen Glauben und fuhr ihn im großen Zorn gar hart an. Unter ihren bösen Blicken musste der Narr den falschen Pflaumenkuchen selber aufessen. Kein einziger Krümel durfte übrig bleiben. Jogoj wich den Blicken der Herrscherin aus. Ihm schmeckte das Gebäck sogar. Doch er ward nach dem Verzehr tobsüchtig, dazu lief seine Zunge blau an. Rasend vor Schmerz warf er der meschanten Königin Sand in die Augen, die im Begriff war, ihre Haarnadeln zu vertauschen. Soeben versuchte sie ihm die Augen auszustechen, indes Jogoj seinen Dolch zog, den er...



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