E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Busch Der Blaue Stern. Ostfrieslandkrimi
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-95573-527-2
Verlag: Klarant
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
ISBN: 978-3-95573-527-2
Verlag: Klarant
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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1. Kapitel
»Nun zu den Meldungen aus der Region.« Inka horchte auf. Sie griff nach der Fernbedienung, die neben ihr auf dem Sofa lag, stellte den Ton lauter und starrte gebannt auf die Stereoanlage. Würden sie die Nachricht endlich bringen? Die Antwort auf ihre Frage dröhnte aus den Lautsprechern. »Essen. Wie die Polizeidirektion der Ruhrmetropole heute Morgen mitteilte, wurde der bekannte Juwelier Daniel Kornblum bereits vorgestern in seinen Geschäftsräumen in der Essener City verhaftet. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm die Mittäterschaft im Geldwäschering um Rocco Graubner vor. Zwei langjährig gesuchte Bandenmitglieder wurden ebenfalls festgenommen. Nach dem Clanchef selbst wird weiterhin gefahndet.« Fahrig fuhr Inka sich durch ihre brünette Mähne. Graubner hatten sie also noch immer nicht gefasst. »Sollten sich die Vorwürfe gegen Kornblum als stichhaltig erweisen«, fuhr die Moderatorin fort, »muss der Sohn einer traditionsreichen Juweliersfamilie mit einer mehrjährigen Haftstrafe ...« Wütend schleuderte Inka die Fernbedienung auf den Boden. Die Klappe auf der Rückseite öffnete sich, zwei Batterien kullerten heraus, Stille herrschte im Raum. Bitterkeit machte sich in Inka breit. Mehrere Jahre im Gefängnis, vergeudetes Leben. Warum war Daniel dieses Risiko eingegangen? Warum hatte er sie und ihre Goldschmiedekunst für diese schmutzigen Geschäfte benutzt? Hatte er ihr seine Liebe etwa nur vorgegaukelt? Das Klingeln des Telefons riss Inka aus Zorn und Hilflosigkeit heraus. Sie stand auf und ging zum Telefontischchen. Der Anblick der Nummer auf dem Display löste Unbehagen in ihr aus. Sie beschloss, nicht zu Hause zu sein. Nicht jetzt. Sie brauchte endlich Ruhe, um zu sich zu finden. Um zu ergründen, was sie wirklich wollte und wohin ihr Weg sie führen sollte. Noch bevor sie wieder Platz genommen hatte, klingelte ihr Smartphone. Die gleiche Nummer wie gerade auf dem Festnetz. Inka seufzte. Sie überwand ihren Unwillen und nahm das Gespräch an. »Brook«, meldete sie sich mit leiser Stimme. »Marion Lutz hier.« Die Hauptkommissarin vom Ressort Organisierte Kriminalität kam ohne Umschweife zum Punkt. »Wir müssen noch mal mit Ihnen reden, Frau Brook. Dringend. Ich muss Sie bitten, noch heute Nachmittag zu uns aufs Polizeipräsidium zu kommen.« Inka versteifte sich innerlich. »Worum geht es, bitte?«, fragte sie. Sofort breitete sich ein Kloß in ihrem Magen aus. »Um den Fall Kornblum.« Inka feuchtete die Kuppe des Zeigefingers an und wischte einen getrockneten Spritzer Putzwasser von der Glasplatte des Couchtischs. »Das ist mir klar.« Sie versuchte, ihrer Stimme Festigkeit zu geben. »Worum geht es konkret?« »Das werden Sie erfahren, wenn Sie bei uns sind. In einer Stunde, könnten Sie das einrichten?« Inka zögerte. »Anderthalb?«, fragte sie. Marion Lutz atmete hörbar durch. »In anderthalb Stunden also. Bis nachher.« Inka ging zum Sofa zurück, setzte sich auf die Armlehne und blickte hinaus in den Garten. Am Stamm der Eiche, die vor dem Fenster stand, spielten zwei Eichhörnchen Fangen. Amseln flogen zwischen den noch kahlen Ästen umher. Was für ein sorgloses Leben die Tiere hatten! Einen Moment lang sehnte Inka sich danach, mit ihnen zu tauschen. – Was für ein alberner Wunsch! Wollte sie wirklich da draußen leben? Immer auf der Hut vor anderen Tieren und ständig in Gefahr, gefressen zu werden? Wie in Zeitlupe schlich der Sekundenzeiger der Wanduhr über das Zifferblatt. Inka beschloss, zu Fuß zum Polizeipräsidium zu gehen; ein Spaziergang würde ihr guttun. Noch eine Stunde, bis sie das Haus verlassen musste. Sie ging in die Küche und schmierte sich ein Brot. Mit dem Teller in der einen und einem Glas Limonade in der anderen Hand setzte sie sich an den Esstisch, schaltete das Notebook ein und googelte nach Daniel Kornblum. Der jüngste Eintrag, den die Suchmaschine fand, war eine Kurzmeldung über seine Festnahme, vor einer halben Stunde veröffentlicht. Inka überflog sie und atmete auf. Der Bericht ging nicht über das wenige hinaus, das vorhin im Radio verbreitet worden war. Ihr Name wurde nirgendwo erwähnt. Inka hielt beim Kauen inne und runzelte die Stirn. Wenn bekannt wurde, dass sie es gewesen war, die Daniel Kornblum angezeigt hatte, würden die Leute sie verstehen? Wieder einmal ertappte sie sich dabei, dass sie sich wünschte, die Anzeige zurückziehen zu können. Sie würde Daniel aus dem Untersuchungsgefängnis abholen, er würde Reue zeigen und sie würden all die Träume verwirklichen, die sie sich gemeinsam ausgemalt hatten. Warum wurden Märchen niemals wahr? Inka schloss die Meldung über Daniel, stöberte noch ein wenig in den Websites verschiedener Klatschzeitungen und überflog Berichte über Leute, die sie nicht interessierten. Ihre Gedanken schweiften ab zu Rocco Graubner. Sie war ihm begegnet, ein einziges Mal nur, vor ein paar Monaten kurz vor Geschäftsschluss in Daniels Laden. Zu dem Zeitpunkt wusste sie noch nicht, wer dieser Mann war. Rocco tauchte plötzlich auf, baute sich im Türrahmen zwischen Verkaufsraum und Werkstatt auf und musterte sie von oben bis unten. Noch heute schauderte es sie bei der Erinnerung an die eiskalten Augen in dem Gesicht mit den schwammigen Zügen. Daniel hatte nervös gewirkt. Er bat sie, Feierabend zu machen und nach Hause zu gehen; er habe noch eine Besprechung mit dem Kunden. Warum hatte Daniel sich nur auf diesen Mann eingelassen? Das war doch gar nicht sein Niveau! Achtlos scrollte Inka weiter durch Seiten, die nichts Neues offenbarten. Ein nutzloser Tag. Genauso verloren, wie sie sich fühlte. *** Zögerlich zog Inka den Trenchcoat an, schlang den Gürtel um ihre Taille und verknotete ihn. Sie betrachtete sich in dem hohen Garderobenspiegel. Schmal war sie in den letzten Tagen geworden und blass. So konnte es nicht weitergehen. Sie wandte sich vom Spiegel ab und verließ ihre Wohnung. Die Schultern hochgezogen und die Hände in den Manteltaschen vergraben, ging sie die Hauptstraßen in Richtung des Polizeipräsidiums entlang. Der Himmel hing voller Wolken. Ein frischer Wind blies ihr ins Gesicht, ein bunt bedruckter Pappbecher holperte über das Pflaster an ihr vorbei. Sie verfluchte den Tag, an dem ein Windstoß über Daniels Schreibtisch gefegt war und ihr eine Liste mit merkwürdigen Zahlen vor die Füße geweht hatte. Plötzlich hatte sie verstanden, warum er sie nie dabeihaben wollte, wenn diese schweigsamen Herren mit den Aktenkoffern kamen. Und warum er oft so nervös war, wenn er die Tageseinnahmen zur Bank brachte. Einnahmen, von denen sie heute wusste, dass sie nur zu einem Bruchteil aus seinen Verkäufen stammten. Der Verkehrslärm schwoll an. Inka näherte sich dem Landgericht, vor dem sich die Hauptstraße gabelte. Das Polizeigebäude lag schräg vor ihr auf der anderen Straßenseite. Der wuchtige alte Bau flößte ihr Respekt ein. Während ihre Nervosität Purzelbäume schlug, spürte sie durch das feine Leder ihrer Handtasche hindurch das Vibrieren ihres Handys, das sie lautlos gestellt hatte. Sie verabscheute Telefongespräche auf offener Straße. Widerwillig zog sie das Mobilgerät hervor. Auf dem Display blinkte die Nummer von Marion Lutz auf. »Ja?«, sagte Inka, während sie die grüne Ampel im Auge behielt, der sie sich näherte. »Lutz hier. Wo bleiben Sie denn?« »Ich stehe fast bei Ihnen vor der Tür.« Inka tippte auf das rote Telefonsymbol, dann schaltete sie ihr Smartphone vollständig stumm. Fahrig verstaute sie es im Seitenfach der Handtasche, während sie ihren Schritt beschleunigte und auf den Fußgängerüberweg trat. Im selben Moment quietschten Reifen. Abrupt blieb Inka stehen. Aus dem halb heruntergekurbelten Fenster eines Lieferwagens rief der Beifahrer ihr in breitem Ruhrpott-Slang ein paar unflätige Worte zu und zeigte ihr, eine Zigarette zwischen den Fingern, einen Vogel. Jetzt erkannte Inka, dass die Ampel zwischenzeitlich auf Rot gesprungen war. Eine Hand griff ihren Oberarm und zog sie auf den Gehweg zurück. »Das hätte aber ins Auge gehen können«, raunte eine Männerstimme ihr ins Ohr. Inka sah in das gutmütige Gesicht eines älteren Herrn, der einen Hut mit breiter Krempe trug. Ohne weiteren Kommentar zeigte er auf das Verkehrslicht. Inka warf dem Mann ein »Danke« zu, das im Lärm der Umgebung unterging, und schob die Hände wieder in die Manteltaschen. Während sie darauf wartete, dass die Ampel auf Grün wechselte, wippte sie auf den Fußspitzen auf und ab. Plötzlich glaubte sie, in ihrem Rücken bohrende Blicke zu spüren. Sie drehte sich um. Wenige Meter hinter ihr stand ein Mann, ein unscheinbarer, abgerissen wirkender Typ, vermutlich in den Dreißigern. Er schien erschrocken darüber, dass sie seinen stieren Blick bemerkt hatte. Eilig schob er sich eine Zigarette zwischen die Lippen und hielt sich die Hand vors Gesicht, als er sich Feuer gab. »Jetzt...