Carus / Schott | Ueber Geistes-Epidemien der Menschheit | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 72 Seiten

Carus / Schott Ueber Geistes-Epidemien der Menschheit


1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7562-9940-9
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 72 Seiten

ISBN: 978-3-7562-9940-9
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Carus' Schrift "Über Geistes-Epidemien der Menschheit" (1852) beruht auf einem seiner Vorträge. Sie beschreibt ein historisches Panorama des Gruppen- oder Massenwahns -- von der Tanzwut und der Hexenverfolgung bis hin zum Vampirismus und zu den Umtrieben der Märzrevolution 1848. Geistesepidemien wurden zum Teil von verheerenden Seuchen wie der Pest ausgelöst. Als Carus seinen Text verfasste, waren weder Hypnotismus, und Suggestionslehre bekannt, noch war das Zeitalter der Bakteriologie angebrochen -- zwei wissenschaftliche Ansätze, auf die sich die Theorie der "Massenpsychologie" um 1900 und danach stützen sollte. So spiegelt die vorliegende Schrift den Wissensstand an der Schwelle zum naturwissenschaftlichen Umbruch der Medizin in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wider.

Carl Gustav Carus (1789-1869) war Arzt (Geburtshelfer und Anatom), Naturphilosoph, Anthropologe und Landschaftsmaler. Als Universalgelehrter war er von der Romantik und der von ihr geprägten Naturphilosophie beeinflusst. Er war mit bedeutenden Wissenschaftlern, Schriftstellern und Künstlern bekannt bzw. befreundet wie Alexander von Humboldt, Ludwig Tieck und Caspar David Friedrich. Er verfocht kein bestimmtes philosophisches System, sondern setzte sich auf verschiedenen Gebieten der Medizin und Naturforschung undogmatisch und fachübergreifend mit seinerzeit aktuellen Fragestellungen auseinander.

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»Es gehört überall zu den höchsten Aufgaben des Menschen, von der Menschheit als einem Ganzen, als einem idealen Organismus einen Begriff zu erlangen, aufzuhören, sich als ein einzelnes Stück unter Einzelnen zu fühlen und gewahr zu werden, dass der Mensch nur als Glied eines höhern Ganzen eine bleibende und tiefere Bedeutung erreichen und behaupten kann.« Mit diesen Worten eröffnete ich vor etwa 12 Jahren den Abschnitt vom Leben der Menschheit in meinem System der Physiologie, und ich darf jetzt wieder um so mehr an diese Wahrheit erinnern, als ich mir gegenwärtig die Aufgabe stelle, einen gedrängten Ueberblick davon zu geben, wie die Menschheit, an welcher wir lange verschiedene Bildungsepochen, verschiedene Leiden und Freuden, Erhebungen und Senkungen anerkennen mussten, auch mannichfaltiger Krankheiten fähig sei, und zwar nicht blos Krankheiten, welche als mehr oder weniger furchtbar leibliche Epidemien immer von Zeit zu Zeit ganze Stämme der Menschheit decimirt, ja zuweilen fast ausgerottet haben, sondern auch Krankheiten, welche der Seelenstörung des Einzelnen verglichen werden können, indem grosse Volksmassen von einer oder der andern Art eines Wahnsinns ergriffen wurden, welcher, ganz wie die Seelenstörung irgend eines besondern Menschen, aus gewissen Ursachen sich entspann, gewisse Höhen erreichte und nach kürzerem oder längerem Zeitraume endlich wieder verschwand. Erfasst man zuerst diesen Gedanken, dass sonach ganze Abtheilungen der Menschheit so wie leiblichen so auch geistigen Epidemien unterliegen können, dass die Menschheit selbst also, sie, von der wir immer einen ganzen, grossen und würdigen Begriff uns zu bilden bereit sind, auch, gleichwie der Einzelne, Leiden unterworfen sein könne, welche wir mit Recht, da sie das höchste Gut des Menschen, die Würde und Fülle des Geistes gefährden, als ein ganz besonderes Unglück zu betrachten gewohnt sind, — so ergreift uns wohl eine wahre Betrübniss und wir trauern mit Recht darum, dass das bittere Loos des Einzelnen auch dem Ganzen, wenigstens gewissen grossen Abtheilungen des Ganzen, nicht immer erspart werden konnte. Bald jedoch finden wir dann auch Grund wiederkehrender Beruhigung und Grund zum theilweisen Abwerfen jener schweren Gedanken. — Ein solcher Grund mag zuerst sein, dass niemals in Wahrheit die ganze Menschheit zugleich solchem Unglück anheim fällt, sondern immer nur einzelne, und doch verhältnissmässig zum Ganzen nur kleinere Abtheilungen derselben, worüber denn unsere weitere Betrachtungen bald eine deutlichere Einsicht verstatten werden. — Ein anderer Grund sodann, und dieser besonders schön und erhebend, ist der, dass diese Krankheiten nie unheilbar erscheinen, dass sie vielmehr früher oder später allemal wieder ablaufen, sich vermindern und endlich verschwinden. Giebt es doch uns Allen ein so besonders bekümmerndes und schwer zu tragendes Gefühl, wenn wir den einzelnen Menschen gewahr werden, der von schwerem Wahnsinn erfasst, oder von fixen Ideen umsponnen, sich gar nicht mehr diesen dunkeln Kreisen zu entziehen vermag, wenn nun sein ganzes übriges Dasein in dieser Dunkelheit untergeht, und endlich das Leben selbst erlischt, ohne dass die Sonne früherer Erkenntniss wieder die Seele des Unglücklichen erleuchtet! Diesen Kummer also haben wir niemals, wenn wir mit ruhig beobachtendem Blicke den Strom des Menschheitlebens verfolgen! — Hier kann irgend eine solche geisteskranke Richtung mitunter zwar lange anhalten, sie kann tief greifen und weit sich verzweigen, — aber endlich kommt irgendwie doch das bessere Selbst wieder zum Bewusstsein, irgendwie werden die Geister wieder gesammelt, der Irrthum zerstreut sich, und, wenn auch im Einzelnen hier und da das Wahnsinnigste Glauben findet und das Absurdeste starr festgehalten wird, so streifen doch ganze Menschheitstämme endlich stets die falschen Vorstellungen ab, so dass dann, obwohl freilich niemals eine unbedingte Weisheit Eigenthum des gesammten Menschheit-Ganzen werden und bleiben kann, sich doch wenigstens die wahren Gemüthskrankheiten und Wahnsinnsformen des Zeitgeistes endlich wieder verlieren, und die geistige Epidemie eben so sicher sich endet, wie selbst die längste Nacht der Polarvölker endlich immer wieder von einem erquickenden Sonnenlicht vertrieben werden muss. Hier ist es also, wo der Gegensatz des Menschen zur Menschheit, recht als Gegensatz eines Geringem zu einem Hohern erscheint. Wenn der Einzelne der sterbliche Mensch ist, so ist ihm gegenüber die Menschheit der Unsterbliche, der ewig sich Verjüngende, immer neu sich Gehährende, und dieser ist daher der auch immer wieder sich Erhebende, Reinigende, Aufklärende. Von ihm kann man recht eigentlich die so echt menschlichen Worte des Dichters aussagen: >Irrthum verlässt uns nie, doch ziehet ein höher Bedürfniss Immer den strebenden Geist leise zur Wahrheit hinan.< d. h. immer werden in der Masse der Menschheit zwar viele befangen und irrend bleiben, aber die Menschheit selbst, und zwar eben ihren einzelnen Massen nach, streift ihre Krankheiten und Irrthümer stets allmälig wieder ab, oft zwar auch nur, um wieder andere an deren Stelle zu setzen, indess doch nie daran wirklich und im Ganzen untergehend, sondern immer wieder sich befreiend und in den wunderbarsten Spiralwindungen doch im Ganzen allmälig vorwärts sich bewegend. Ist nun dieser Gang.schon bei gewissen grossen, zu Zeiten allgemein gewordenen Irrthümern ganz unverkennbar, so ist er freilich am allerdeutlichsten, und am allerwenigsten wegzuleugnen, bei gewissen grösseren am Menschheitganzen als wirkliche Wahnsinns-Epidemien sich darlebenden Krankheiten. — Wir müssen nämlich (um hier zuerst daran zu erinnern) allemal eine sehr strenge Grenze ziehen zwischen dem Irrthum und dem moralisch Bösen einerseits, und der Geisteskrankheit anderseits. Die Geisteskrankheit nämlich äussert sich zwar auch mit durch Irrthum, sie kann sich selbst durch das Böse äussern, und doch ist sie an sich nicht blos Irrthum oder Richtung der Seele auf das Böse; sie ist vielmehr allemal eine organisch bedingte zeitweilige besondere Lebensform, in welcher der Mensch für diese Zeit nicht anders sein kann als er ist, und von welcher er deshalb auch nicht blos durch Vorstellung der Wahrheit und Vorhalten des Guten befreit werden kann. Der Geisteskranke, dem z. B. die falsche Vorstellung eigen ist, er sei von Glas — lässt dieselbe — die, wenn sie ein blosser Irrthum wäre, so bald berichtigt werden könnte, nie, selbst nach den trefflichsten Zureden, sich nehmen, und der Mensch, der im Wahnsinn jemand umbringt, weil er sich dazu von innerer Stimme gedrängt fühlt, er wird nicht gerichtet, sondern nur unschädlich gemacht, weil man ihm diese That durchaus nicht als sündhaft anrechnen darf. Jeder nicht Kranke dagegen, der auffallend irrige Dinge glaubt, gilt zuerst schon an sich für beschränkt; kann aber doch gewöhnlich bald berichtigt werden; und jeden Todtschläger, der nur durch böse Absicht zum Morde getrieben war, trifft ganz mit Recht die Schärfe der Gesetze. Der Irrthum also sowohl, als die böse That, sie beruhen bei dem Geisteskranken stets auf einem irgendwie organisch veränderten Leben, und beide sind sie dann stets nur die unabweisbaren Folgen eines solchen, für den Augenblick gänzlich, d. h. seelisch und leiblich zugleich, umgestimmten Daseins. Auch bei den geistigen Abirrungen und bösen Richtungen gewisser Strömungen der Menschheit nun, ist ein solcher Unterschied gar sehr zu machen, indem gewisse Erscheinungen derselben mehr willkührlich entstehen und mittelst Sorgfalt und richtiger Leitung früher oder später sehr wohl beseitigt werden können, andere aber vorkommen, welche stets unwillkürlich, als Folge wirklich epidemisch auftretender Krankheitsstimmungen anzuerkennen sind, sich nicht auf einmal durch unmittelbares Eingreifen wegschaffen lassen, sondern meistens nur allmälig, gleichsam als Fieberzustände eines nicht sterblichen Organismus, ablaufen und endlich von selbst oder unter Mitwirkung vernünftiger Leitung zur Genesung zurückkehren. Es gilt nun offenbar zunächst den Versuch, von diesen verschiedenen Krankheitsformen eine deutliche Vorstellung zu gewinnen, gleichsam die Anschauung von dergleichen Zuständen sich deutlich zu machen, und wenn Jedem, der die Geschichte, die wir mit einem zu vornehmen Namen Weltgeschichte zu nennen pflegen, aufschlagen will, eine Menge grosser verirrter Zustände fast in allen Zeitaltern auffallen müssen, so bleiben dagegen die Fälle eines wirklichen Wahnsinns, durch welchen dann und wann gewisse Menschheitsstämme erfasst wurden, Vielen unbekannt, und gerade von diesen halte ich es daher für ganz angemessen, hier einige Beispiele etwas ausführlicher mitzutheilen : Eine der auffallendsten Begebenheiten dieser Art ist aber vielleicht die Geschichte jener Tanzwuth, welche im 14. und 15. Jahrhundert einen Theil von Europa durchzog und die wunderbarsten Erscheinungen in Städten und Dörfern hervorrief und von welcher vor einiger Zeit der jetzt verstorbene Dr. J. F. C. Hecker uns ein sehr ausführliches Bild...



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