E-Book, Deutsch
Cervantes Saavedra Der sinnreiche Junker Don Quijote von der Mancha. Band Zwei
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-96130-502-5
Verlag: apebook Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Roman in zwei Bänden (Illustrierte Ausgabe)
E-Book, Deutsch
ISBN: 978-3-96130-502-5
Verlag: apebook Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Weitere Infos & Material
1. Kapitel
Wie sich der Pfarrer und der Barbier mit Don Quijote über dessen geistige Krankheit besprachen
Es erzählt Sidi Hamét Benengelí im zweiten Teil dieser Geschichte, welcher die dritte Ausfahrt Don Quijotes enthält, daß der Pfarrer und der Barbier beinah einen Monat hingehen ließen, ohne ihn zu sehen, weil sie es vermeiden wollten, ihm die früheren Vorgänge aufzufrischen und ins Gedächtnis zurückzubringen. Allein sie unterließen darum nicht, seine Nichte und seine Haushälterin zu besuchen, und empfahlen diesen, auf seine sorgfältige Pflege wohl bedacht zu sein und ihm alles zu essen zu geben, was für Herz und Kopf stärkend und zuträglich sei, da aus diesen beiden, gründlicher Erwägung nach, sein ganzes Unglück gekommen. Sie versicherten, daß sie so täten und es auch fernerhin mit möglichster Bereitwilligkeit und Sorgfalt tun würden; denn sie sähen wohl, daß ihr Herr in einzelnen Augenblicken Beweise gebe, daß er bei vollem Verstande sei. Darob waren die beiden hocherfreut, da sie nunmehr sicher glaubten, das Richtige getroffen zu haben, als sie ihn verzaubert auf dem Ochsenkarren heimbrachten, wie dies im ersten Teile dieser ebenso großartigen wie höchst gründlichen Geschichte in dessen letztem Kapitel berichtet worden. So beschlossen sie denn, ihn zu besuchen und seine Besserung einer Probe zu unterwerfen, obschon sie dieselbe für beinahe unmöglich hielten; sie kamen überein, nicht das geringste von fahrender Ritterschaft verlauten zu lassen, damit seine Wunde, die kaum vernarbt war, nicht wieder aufgerissen würde. Sie besuchten ihn also und fanden ihn im Bette sitzend, angetan mit einem Wämschen von grünem Flanell nebst einer roten Toledaner Mütze, so dürr und ausgetrocknet, daß er nicht anders aussah, als wenn er zur Mumie geworden wäre. Sie wurden von ihm sehr freundlich aufgenommen, erkundigten sich nach seiner Gesundheit, und er berichtete über diese und über sich mit klarem Verstand und in den gewähltesten Ausdrücken. Im Verlauf der Unterhaltung kamen sie auf jene Dinge zu sprechen, die man Politik und Regierungsformen nennt, wobei sie den einen Mißbrauch verbesserten und den andern gänzlich verurteilten, eine Sitte umgestalteten und eine andre aus dem Lande verbannten und jeder von den dreien einen neuen Gesetzgeber, einen zeitgemäßen Lykurg, einen neugebackenen Solon spielte. Und dergestalt schufen sie das Gemeinwesen um, daß es geradeso aussah, als hätten sie es in ein Schmiedefeuer gelegt und es in ganz anderm Zustand als vorher wieder herausgeholt. Don Quijote sprach so vernünftig über alle Gegenstände, die man berührte, daß die beiden Examinatoren es für zweifellos hielten, er sei gänzlich genesen und wieder im vollen Besitz seiner Vernunft. Nichte und Haushälterin waren bei der Unterhaltung zugegen und wurden es nicht müde, Gott dafür zu danken, daß sie ihren Herrn wieder bei so gutem Verstande sahen. Allein der Pfarrer änderte jetzt seinen ersten Vorsatz, nämlich nicht das geringste von fahrender Ritterschaft vor ihm zu berühren, und wollte die Probe vollständig machen, ob Don Quijotes Genesung scheinbar oder echt sei; und so kam er, indem ein Wort das andre gab, allmählich auf verschiedene Neuigkeiten aus der Residenz zu sprechen und erzählte unter andrem, man halte für gewiß, daß der Türke mit einer gewaltigen Flotte gen Westen heranziehe; es wisse niemand, was seine Absichten seien noch wo ein so schweres Unwetter sich entladen werde; und angesichts dieser Besorgnis, mit welcher er uns schier jedes Jahr unter die Waffen rufe, halte die ganze Christenheit ihre Augen auf seine Flotte gerichtet und Seine Majestät habe die Küsten von Neapel und Sizilien und die Insel Malta in Verteidigungsstand setzen lassen. Darauf versetzte Don Quijote: »Seine Majestät hat als ein einsichtsvoller Kriegsherr gehandelt, indem er seine Staaten rechtzeitig in Verteidigungsstand gesetzt hat, damit der Feind ihn nicht unvorbereitet finde; aber wenn man mich um Rat anginge, so würde ich dem Könige anraten, sich einer Maßregel zu bedienen, an welche zu denken Seiner Majestät bis zur gegenwärtigen Stunde wohl sehr fern gelegen hat.« Kaum hörte dies der Pfarrer, als er bei sich selber sagte: Gott halte seine Hand über dir, armer Don Quijote, denn ich fürchte, du stürzest vom hohen Gipfel deiner Narrheit bis in den tiefsten Abgrund deiner Einfalt herab. Der Barbier indessen, der schon auf denselben Gedanken gekommen war wie der Pfarrer, fragte Don Quijote, welches denn die vorgeschlagene Maßregel sei, die er für so sachdienlich erkläre; vielleicht sei sie derart, daß man sie auf die Liste der zahlreichen zweckwidrigen Vorschläge setzen müsse, mit denen die Fürsten häufig behelligt würden. »Mein Vorschlag, Herr Bartkratzer«, sprach Don Quijote, »wird nicht zweckwidrig sein, sondern ganz zweckmäßig.« »Ich habe es nicht so gemeint«, entgegnete der Barbier, »sondern weil die Erfahrung gezeigt hat, daß die Ratschläge, die man Seiner Majestät erteilt, alle oder doch in ihrer großen Mehrzahl entweder unausführbar oder ungereimt sind oder dem König oder dem Königreich zum Nachteil gereichen würden.« »Der meinige aber«, versetzte Don Quijote, »ist weder unausführbar noch ungereimt, sondern der am leichtesten ausführbare, der angemessenste, der bequemste und rascheste, der nur immer einem erfinderischen Kopf einfallen kann.« »Dann, Señor Don Quijote, zögert Ihr schon zu lang, ihn mitzuteilen«, sprach der Pfarrer. »Es würde meinem Wunsche nicht entsprechen«, erwiderte Don Quijote, »wenn ich ihn heut hier mitteilte und er morgen in der Frühe den Herren Geheimräten zu Ohren käme und ein anderer den Dank und Lohn für meine Arbeit davontrüge.« »Was mich betrifft«, sprach der Barbier dagegen, »vor der Welt sowie vor Gottes Antlitz geb ich das Versprechen: Was zu sagen Euch gelüstet, sag ich keinem wieder, Herre, weder König, weder Bauer noch sonst einem Erdenmenschen; ein Eidschwur, den ich aus der ,Romanze vom Pfarrer' gelernt habe, welcher in der Einleitung des Gedichtes dem Könige den Dieb anzeigte, der ihm die hundert Dublonen und seinen Maulesel, den Schnelltraber, gestohlen hatte.« »Ich kenne derlei Geschichten nicht«, versetzte Don Quijote, »aber ich weiß, daß dieser Eidschwur gilt, sintemal ich weiß, daß der Herr Barbier ein braver Mann ist.« »Wenn er es auch nicht wäre«, sprach der Pfarrer, »so bürge ich für ihn und stehe dafür ein, daß er über diese Sache nicht mehr reden soll als ein Stummer unter Androhung einer Geldbuße gemäß Urteil und Erkenntnis.« »Und wer wird für Euer Gnaden bürgen, Herr Pfarrer?« fragte Don Quijote. »Mein geistliches Amt«, antwortete der Pfarrer, »mit dem die Schweigepflicht verbunden ist.« »Nun, bei Christi Leichnam!« sprach Don Quijote jetzt, »was braucht es weiter, als daß Seine Majestät durch öffentlichen Aufruf verordne, es sollen auf einen bestimmten Tag alle fahrenden Ritter, die durch Spanien streifen, in der Residenz zusammenkommen? Denn wenn ihrer auch nur ein halb Dutzend kämen, so könnte einer unter ihnen sein, der allein schon genügen würde, die ganze Macht des Türken zu vernichten. Schenkt mir eure Aufmerksamkeit und folgt meiner Darlegung: ist es vielleicht etwas Neues, daß ein einziger fahrender Ritter ein Heer von zweimalhunderttausend Mann in Stücke haut, als ob alle zusammen nur einen einzigen Hals hätten oder aus Zuckerteig geformt wären? Oder sagt mir doch: wie viele Geschichten sind nicht voll solcher Wundertaten? Es sollte nur - wenn es auch mir zum argen Nachteil wäre, ob anderen, will ich unberührt lassen -, es sollte nur heutzutage der weitberufene Don Belianís leben oder einer aus dem zahllosen Geschlechte des Amadís von Gallien! Denn wenn einer von diesen am Leben wäre und sich dem Türken gegenüberstellte, dann möchte ich nicht in der Haut des Türken stecken. Aber Gott wird sich seines Volkes annehmen und wird ihm einen Mann bescheren, der, wenn nicht so gewaltig wie die früheren fahrenden Ritter, ihnen wenigstens an mutigem Sinne nicht nachsteht; und Gott weiß wohl, wie ich's meine, und mehr sag ich nicht.« »O weh!« rief hier die Nichte, »ich will des Todes sein, wenn mein Herr nicht aufs neue ein fahrender Ritter werden will!« Darauf sagte Don Quijote: »Als fahrender Ritter will ich leben und sterben, und ob der Türke nun herab- oder hinaufzieht, wann immer er es will und mit wie großer Macht er es kann, so sag ich noch einmal, Gott weiß, wie ich es meine.« Hier aber sprach der Barbier: »Ich bitte Euch, meine Herren, daß mir gestattet werde, ein kurzes Geschichtchen zu erzählen, das sich in Sevilla zugetragen hat und das ich Lust habe mitzuteilen, weil es hierher paßt wie angegossen.« Don Quijote gewährte die Erlaubnis, der Pfarrer und die andern hingen aufmerksam an seinen Lippen, und so begann er folgendermaßen: Im Narrenhause zu Sevilla befand sich ein Mann, den seine Verwandten dahin gebracht hatten, weil er nicht bei Verstande war. Er war zu Osuna zum Grade eines Lizentiaten des Kirchenrechts befördert worden; aber wäre er es auch zu Salamanca geworden, so würde er nach der Meinung der Welt nichtsdestoweniger ein Narr geblieben sein. Dieser besagte Lizentiat kam nach einigen Jahren Einsperrung auf die Meinung, er sei wieder gesunden Geistes und bei vollem Verstande, und in dieser Überzeugung schrieb er an den Erzbischof und bat ihn dringend und mit durchaus verständigen Ausdrücken, er möchte ihn aus dem Elend, in dem er lebe, befreien, da er durch Gottes Erbarmen seinen vollen Verstand bereits wiedererlangt habe, während jedoch seine Verwandten, um auch fernerhin den Genuß seines Vermögens zu haben, ihn dort festhielten und der...