E-Book, Deutsch, 256 Seiten
Reihe: Predigtstudien
Claussen / Engemann / Gräb Predigtstudien 2021/2022 - 2. Halbband
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-451-82487-6
Verlag: Kreuz Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
3. Sonntag nach Ostern bis Totensonntag - Perikopenreihe IV
E-Book, Deutsch, 256 Seiten
Reihe: Predigtstudien
ISBN: 978-3-451-82487-6
Verlag: Kreuz Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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3. Sonntag nach Ostern (Jubilate) – 08.05.2022 A 1 Mose 1,1–4a(4b-25)26–28(29–30)31a(31b); 2,1–4a Jubel – aber nur trotzdem! Horst Gorski I Eröffnung: Und wenn wir scheitern? In den 1980er Jahren war die Klimakrise schon ein gesellschaftliches Thema, obgleich sie noch nicht unmittelbar in ihren Wirkungen erfahren wurde. Theologisch wurde auf sie mit dem Motto »Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung« reagiert. Zu Recht wurde dabei erkannt, dass soziale Fragen der Verteilung von Ressourcen sowie das Bemühen um ein konfliktfreies Miteinander notwendige Elemente eines ökologischen Denkens und Handelns im Weltmaßstab sein müssen. Anders sind die Wechselwirkungen zwischen der Menschheit und ihren natürlichen Lebensgrundlagen weder zu verstehen noch zum Positiven zu verändern. Schon damals erhoben sich aber auch kritische Stimmen, die das Leitbild der Bewahrung der Schöpfung als Hybris identifizierten: Mit ihm werde die Verfügungsgewalt des Menschen über die Natur zwar ins Heilvolle gewendet, jedoch ein mögliches Scheitern nicht mitgedacht. Heute stellen sich die Dinge anders dar: Intuitiv und rational gewinnt ein Zukunftsszenario an Wahrscheinlichkeit, nach dem die Verwandlung der Welt durch technologische Beschleunigung, Kapitalisierung der Erde und Dezimierung der Artenvielfalt nicht mehr aufzuhalten ist. Damit könnte sich eine Schlussfolgerung erfüllen, die der Experimentalphysiker und Essayist Georg Christoph Lichtenberg schon im 18. Jahrhundert angesichts möglicher »menschengemachter Veränderungen der Erdatmosphäre« formulierte: »So könnte die Welt untergehen.« (Detering, 166) Es geht dabei nicht um den Weltuntergang an sich, sondern präzise um die Zerstörung der Voraussetzungen, die uns als Spezies zum dominierenden Faktor des Planeten werden ließen und ohne die wir nicht leben können. Gen 1 enthält wirkmächtige Aussagen und Bilder zu den Aufgaben des Menschen in der einzigen Lebenswelt, die wir haben. Wie alle großen Texte ist er dabei in seiner Ambivalenz zu bedenken. II Erschließung des Textes: Realistische Rede vom Menschen Gen 1,1–2,4a eröffnet die Bibel mit dem denkbar weitesten Horizont: dem des Uranfangs, an dem alle Grundlagen unserer Lebenswelt gelegt wurden. Damit bewegen sich die priesterlichen Verfasser der frühnachexilischen Zeit auf Augenhöhe mit den Wissenskulturen ihrer altorientalischen und griechischen Umgebung. Gen 1 ähnelt v. a. weisheitlichen Texten, in denen mythisch das Woher der Weltordnung wie auch ihrer Bedrohung beschrieben und durchdacht wurde (vgl. dazu genauer Gertz, 26–79). Innerhalb der Tora ist der Beginn mit diesem Text nicht zufällig, sondern spiegelt die Einsicht der nachexilischen Schichten des Pentateuchs, wonach der Gott Israels auch der einzige Schöpfer der Gesamtwirklichkeit und mit ihr aller Völker ist. Seine Position wird dabei jenseits von Raum und Zeit verortet. JHWH handelt »im Anfang« (Gen 1,1) ganz unanschaulich und bleibt doch in dem durch ihn gewollten Kosmos wirksam. Seine Ordnungen sind durchdacht. Sie bieten Entfaltungsmöglichkeiten für alle Geschöpfe und folgen einer Struktur, die der menschliche Geist verstehen und annehmen kann und soll. Insofern ist es folgerichtig, dass sowohl in jüdischer (z. B. bei Philo von Alexandrien) wie in christlicher Perspektive (z. B. in Joh 1) Gen 1 zusammen mit der weiteren Urgeschichte zu einer fundamentalen Matrix religiöser Wirklichkeitserschließung wurde, die Glaubende seitdem zum Weiterdenken anregt. Wenn die Perikopenordnung den Text an Jubilate vorsieht, so hat das vor allem eine doxologische Pointe: Der Lobpreis jenes Gottes, der Jesus nicht bei den Toten ließ, sondern ihn aus dem Nichtseienden ins Leben zurückgerufen hat (vgl. Röm 4,17, wohl unter Anspielung auf Gen 1,1–3), wird nach Ostern weitergeführt. Er schließt die Resonanz aller Lebewesen, besonders der Menschen, auf die Welt als Schöpfung, d. h. vor allem als lebensförderliche Umgebung, ein. Dieses Lob antwortet v. a. auf Gen 1,31: »Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.« Eine weitere lobende Antwort ritueller Praxis besteht nach Gen 2,1–4a in der Heilighaltung des Sabbats bzw. Sonntags als notwendiger Zäsur in der Zeit (Heschel, 11ff.). Im priesterlichen Gesamtaufriss der Urgeschichte ist zugleich angelegt, dass die überaus positive theozentrische Weltsicht von Gen 1 im Licht einer realistischen Anthropologie der Gewalt zwischen den Lebewesen verdunkelt ist. Diese Gewalt (?amas Gen 6,11.13) geht vor allem vom Menschen aus. Eine wirkmächtige Deutung hat bekanntlich das göttliche »sehr gut« (V.31) zusammen mit der Beauftragung des Menschen (V.26–28) verabsolutiert. (Gottes Urteil über sein Werk war aber niemals anders gedacht als in Bezug auf Gen 6,12: »Da sah Gott auf die Erde, und siehe, sie war verderbt.«) Indem man die intentionale Überblendung zwischen Schöpfung und Sintflut übersah, konnte Gen 1,28, der Auftrag zur Inbesitznahme der Erde und zur Herrschaft über die Tiere, neuzeitlich als Freibrief im Umgang mit der Natur wahrgenommen werden. Dabei kann die Verderbnis der Erde durch die Menschheit im biblischen Sintflutmythos durchaus aktuell als ungebremste Ressourcenausbeutung gelesen werden. Dennoch garantieren die Aussagen zur Gottebenbildlichkeit aus V.26f. auch eine Kontinuität zwischen der vor- und nachsintflutlichen Menschheit: Auch wenn die erste Menschheit durch den Schöpfer wegen des durch sie maßgeblich inszenierten Gewaltzusammenhangs vernichtet wurde, wird JHWH die zweite, auf Noah gegründete Menschheit und die Tierwelt nie mehr entsprechend vertilgen (Gen 9,1–7, vgl. Jeremias, 249). Begründet wird das mit der weiterhin geltenden Bestimmung zum Bild Gottes: Die Menschen sind trotz ihrer Fehlbarkeit nicht aus der (Mit-)Verantwortung für die Welt entlassen. Insofern sollte das Lob Gottes an Jubilate auch im Geist des Dankopfers nach der Sintflut geschehen. Was kann daraus für eine Predigt zu Gen 1 folgen? III Impulse: Trotzdem hoffen und handeln Angesichts der vorgegebenen Versauswahl sehe ich drei mögliche Ansatzpunkte für eine Predigt, die auch gut verknüpft werden können: 1. Gen 1,1–4: Anhand dieser Verse wäre die Gegenwartsrelevanz der Rede von Schöpfung in jüdischer und christlicher Sicht herauszustellen. Wie kann man angesichts der naturwissenschaftlichen Weltsicht dem biblischen Text noch etwas abgewinnen? Es wäre – gegen den naiven Kreationismus – darauf hinzuweisen, dass wir immer von orientierenden Narrativen leben und dass bewusster Glaube diesen kritisch nachdenkt. Eine Gottesvorstellung wie die von Gen 1,1–4, die alle menschlichen Spielräume transzendiert, bildet eine wichtige Grenzmauer gegen Ideen ungebrochener Machbarkeit. Meine Predigt würde hierzu auch die Transformation des Schöpfungsdenkens durch die Christologie einbringen: Schöpfung im christlichen Sinn meint ja auch die Heilung des Zerbrochenen. Sie kommt her von der Aufhebung der Finsternis am Ostermorgen als einer Resonanz auf das erste Schöpfungslicht. Das berührt eine andere, vielleicht fundamentalere Ebene unseres Seins als die naturwissenschaftliche Weltbeschreibung. 2. Gen 1,26–28: Mit der neueren Forschung wäre die von Anfang an in biblischer Anthropologie angelegte Ambivalenz zu benennen (s. II). Mir geht es nicht um die zur Genüge thematisierte Kritik an einseitiger Rezeption als Ermächtigung zur Naturzerstörung. Wichtiger erscheint die biblische Einsicht, dass die Menschen zwar zum Bild Gottes geschaffen wurden, aber an den Aufgaben eines sorgenden und mitfühlenden Umgangs mit der Lebenswelt (allen voran den Tieren) gescheitert sind. Ohne einem Zurück zur Natur das Wort zu reden, würde ich mit Jonathan Franzen für die Anerkennung der Möglichkeit plädieren, dass die Menschheit den Kampf gegen den Klimawandel nicht gewinnen kann. Auch das Motto der Bewahrung der Schöpfung wäre dann kritisch zu modifizieren. Mit Blick auf die beschleunigte Transformation der Welt im Anthropozän wäre christliches Handeln als Weltliebe, die Nächstenliebe einschließt, zu praktizieren. Im Licht der großen (Oster-)Hoffnung könnten wir uns an kleineren konkreten Hoffnungen orientieren, die wir verwirklichen können, z. B. (metaphorisch wie praktisch) die Pflege unseres Gartens – um das einprägsame Bild aufzunehmen, das einst Voltaire ans Ende seines Candide gestellt hatte, der empfiehlt, sich nach allen Gräueln und Katastrophen »unserem Garten« zu widmen. 3. Gen 2,1–4: Schließlich gehört zu solchem christlichen Realismus im Licht des ersten Schöpfungsberichts auch die Einsicht in die von Anfang an bestehende Gabe der recreatio im Ruhetag Gottes, auf die wir an Sabbat und Sonntag antworten. Sie eröffnet uns Atempausen im Atemlosen. Werkstück Predigt (Schluss) Im Licht des Sabbats, so die jüdische Tradition, scheint etwas vom ersten Schöpfungslicht auf, das aus der Finsternis erstmals Struktur und Konturen hervortreten ließ. Das kann auch für unsere...