E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Combo Inneres Lind
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-95732-416-0
Verlag: Verbrecher Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
ISBN: 978-3-95732-416-0
Verlag: Verbrecher Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Bruno, Gerda, Miriam und Patrick, sie waren einmal Subkultur, Mountainbiker, die in den Wäldern der Provinz rund um Winterthur illegale Bike Partys organisierten. Jetzt sind sie in der Stadt angekommen. Radfahren tun sie, wenn überhaupt noch, allein. Dafür stehen sie sich im Weg. Bewusst und unbewusst. Sie begegnen sich in der alternativen Kneipe, dem Eck, oder bei der Arbeit. Sie versuchen, im Leben Fuß zu fassen, aber sie landen im Wasser, im Dreck oder auf der Wache. Die Vergangenheit, die an die Tür klopft, lässt die Freundschaften bröckeln. Und manch einer, der Verantwortung übernehmen und eingreifen möchte, fragt sich, wozu das gut sein soll, wenn am Schluss doch alles wieder anders kommt. In griffigen Dialogen und bisweilen surreal anmutenden Szenen erhalten wir tiefe Einblicke in das Innenleben der Figuren und deren Suche nach einem Weg um die zahlreichen Abgründe des Lebens herum. 'Geht Wollenmüssen?' ist nur eine der existenziellen Fragen, die dabei gestellt werden. Tom Combo hat einen aufrüttelnden Roman geschrieben über Freundschaft, Selbstbestimmung, die alternative Szene, und darüber, wie bei aller Liebe alles auseinanderdriftet. In klarer Sprache erschafft er Bilder, die sich lange im Kopf halten.
Tom Combo, geboren 1965 in Winterthur, ist Autor, Musiker und Singer-Songwriter. Er veröfffentlicht regelmäßig Beiträge in Zeitschriften, Zeitungen und Anthologien. Musik komponiert er für unterschiedlichste Filme und Kunstprojekte. Er schrieb Hörtexte für Schweizer Radio DRS3 und verfasste und vertonte unzählige Hörspiele für Radio Stadtfiilter. Die Radionovela 'Hasenrain 21', die er mitproduzierte, brachte es auf über zweihundert Folgen. Im Winter 2019 erscheint sein Solo Cello Album 'Thaw'. Im Verbrecher Verlag erschien sein Erzählungsband 'Vielleicht nur Teilzeit' und der Roman 'Spielraum'.
Autoren/Hrsg.
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»Auch wenn es dir unangenehm ist«, sagte Bruno, »wenn du bei uns arbeiten willst, dann musst du ein bisschen was über dich erzählen. Sonst kann ich meine Partnerin kaum davon überzeugen, einen Typen ohne Hochbauzeichner-Abschluss einzustellen, der noch dazu ein perspektivisch falsches Kreuz auf seinem Arm hat.« »Hm.« Kaspar schaute kurz auf das Tattoo. »Und noch dazu jemanden«, fuhr Bruno fort, »der früher nicht gerade zu unseren Freunden gehörte.« Kaspar schaute Bruno fragend an, dann sagte er, »Ah Mann, klar!« und lüftete seine grüne Schirmmütze. »Hab ich ganz vergessen, du hast zu diesen Bike-Typen aus Bassersdorf gehört! Mann, ich wollte da früher so dazu gehören, das glaubst du gar nicht!« »Deshalb hast du auch … hast du nicht mit Steinen nach uns geworfen?« »Hab ich schon, die Gewerbezone war mein Revier.« Kaspar dachte kurz nach und zog seine Mütze zurecht. »Das war allerdings früher, bevor es mit eurer Gruppe so richtig losgegangen ist.« »Offenbar kannten meine Eltern deine Familie. Jedenfalls haben sie uns verboten, in die Nähe eures Hofes zu gehen.« »Das war vernünftig.« »Stimmt es, dass euer Vater Schnaps gebrannt hat?« »Ich glaube, das war eines der wenigen illegalen Dinge, die er nicht getan hat. Ihm fehlte wohl zwischen Gefängnisaufenthalten, Saufen, Bordellbesuchen und dem Verprügeln von Allem, was in seine Nähe kam, die Zeit dazu.« »War das nicht euer Haus, das damals abgebrannt ist?« »Doch, ja.« »Es haben noch mehr gebrannt damals, wenn ich mich recht erinnere. Der Brandstifter war ein Bauer, der bei der Freiwilligen Feuerwehr war.« »Er hat bestritten, dass er unseres angezündet hat.« »Es war das einzige, in welchem Leute umkamen.« »Ja, meine Eltern.« Bruno schaute Kaspar von der Seite an. Keine sichtbaren Regungen. Bruno sagte: »Das klingt hart.« »Nicht härter als das vorher, aber schon, ja. Meine Schwester ist bei einer grossen Familie untergekommen. Schien alles gut, dann hat sie begonnen, immer mehr zu essen. Sie ist sehr dick geworden und hat die Tour durch die regionalen Kliniken gemacht. Schliesslich ist sie vor den Zug gesprungen.« Bruno war irritiert von der Nüchternheit in Kaspars Stimme, als dieser nach einer kurzen Pause fortfuhr: »Man lernt, Dinge zu akzeptieren.« »Dann hast du auch nie erfahren, wer euren Hof angezündet hat?« »Nein. Am Anfang wollte ich es unbedingt herausfinden. Aber mein Alter hatte viele Feinde. Und er hatte die Angewohnheit, im Bett zu rauchen. Und dann«, Kaspar stockte kurz, dann fuhr er fort, »passieren Dinge, die wichtiger sind und die Frage verliert an Bedeutung.« »Was ist aus deinem Bruder geworden?« »Der war erst im selben Heim wie ich. Als er fünfzehn war, ist er in eine Wohngruppe gezogen. Mit achtzehn ist er wegen eines Überfalls auf eine Filiale der Post in den Knast gekommen. Er behauptete, er habe die Sache ganz allein durchgezogen. Aber ich hab ihn in der Nacht nach dem Überfall gesehen und er war ziemlich auf allem, worauf man sein kann. Die Beute war weg, ich glaube, er ist von irgendwelchen Leuten benutzt worden. Er hatte so ein Talent dazu, verarscht zu werden.« »Und was tut er jetzt?« »Ich hab keinen Kontakt mehr zu ihm.« Miriam und Bruno hatten definitiv die Nase voll von den Architekturbüros, bei denen sie angestellt waren. Genug von ihren Chefs und den nach ihnen stinkenden Häufchen, die sie in den öffentlichen Raum setzten. Ein wenig Erspartes und ein mittlerer Auftrag, der ihnen Arbeit für eineinhalb Jahre sicherte, ermöglichte ihnen den Absprung. Miriam und Bruno gründeten ihre eigene Firma, ALSO. Einige Aufträge aus dem erweiterten Freundeskreis kamen hinzu und es sprach sich herum, dass ALSO eine gute Lösung war, wenn man wenig Geld hatte und etwas Aussergewöhnliches plante. Zum Beispiel den Umbau eines von einer Frauen-WG bewohnten Hauses in Oberwinterthur zu einer voll funktionsfähigen Bierbrauerei inklusive Abfüllanlage. Doch Miriam und Bruno verstanden zu wenig von IT. Sie arbeiteten zwar mit den üblichen Adobe- und CAD-Programmen und Bruno machte nebenher Computermusik, wenn es jedoch um Netzwerk- und Hardwareprobleme ging, mussten sie jeweils einen Experten kommen lassen, was ziemlich ins Geld ging. Ausserdem brauchten sie jemanden für das ganze administrative Zeugs. Und jemanden, der sie dazu bringen konnte, halbwegs Ordnung in ihren Maschinen und an ihren Arbeitsplätzen zu halten. Miriam war nicht begeistert, als Bruno erzählte, er hätte im Eck diesen Kaspar getroffen und mit ihm darüber geredet. Sie nahm ihre Brille ab und putzte sie mit dem Ärmel ihres Pullovers: »Kaspar Hartmann, sagst du, aber nicht der von den Nürensdorfer Hartmanns?« »Doch schon, aber so wie der klingt, ist er einigermassen geläutert. Und ich glaube, er erfüllt alle Anforderungen.« »Ach ja, und wo hat er bis jetzt gearbeitet?« »Praktisch überall.« »Hat er Referenzen?« »Nein.« »Irgendwelche Qualifikationen?« »Eine nach zwei Jahren abgebrochene Lehre als Hochbauzeichner und danach etwa zwanzig Jobs.« Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Erinnerst du dich an die Diskussion, die wir vorgestern in der Küche hatten?« »Klar, von wegen was Abschlüsse und Zeugnisse und so Dinge wert seien.« Bruno nickte: »Er meint, er hätte die Lehre im Internet zu Ende gemacht und er würde jede Prüfung bestehen. Ich hab ihm ein paar Fragen gestellt und er hat alle beantworten können. Ausserdem ist er primär für den IT-Bereich zuständig.« »Ja, und für IT hat er auch keinen Abschluss. Ich weiss nicht, wir haben bei der Konkurrenz eh schon den Ruf, unprofessionell zu sein«, meinte Miriam. »Du weisst, dass das zum einen Teil an unserer Kundschaft liegt«, wandte Bruno ein, »und zum andern an der Art unserer Projekte. Oder haben wir je irgendwo einen Pfusch abgeliefert?« Miriam schüttelte den Kopf. Doch es ging noch eine Weile, bis sie sich unter vielen Vorbehalten dazu bereit erklärte, es mit Kaspar versuchen zu wollen. Sie bestand auf einer Art Test, um festzustellen, ob dieser über die nötigen Kenntnisse in IT und über genügend architektonisches Wissen verfügte. Kaspar bestand den Test. Selbstverständlich hätte er Miriam im Bereich IT alles Mögliche vormachen können, er kannte sich allerdings auch mit dem neusten CAD-Programm und mit Adobe aus und hatte zumindest eine gewisse Ahnung von Statik und Bauphysik. Mehr jedenfalls, als man von jemandem mit abgebrochener Lehre erwarten würde. Miriam war beeindruckt. Zugleich blieb sie skeptisch, weshalb Bruno meinte, Kaspar habe wahrscheinlich mehr Bau-Praxis als sie beide zusammen, was in der Planung zusätzlich Vorteile bringen würde. Ausserdem würde niemand sonst für den Lohn arbeiten. Miriam nickte, dann sagte sie: »Na dann, meinetwegen. Aber wir machen schon irgendwas falsch. Kaspar weniger zu bezahlen als uns selbst, wäre ungesetzlich.« Bruno nickte: »Irgendwann müssen wir unser Geschäftsmodell mal überdenken, aber vielleicht schauen wir erst mal, wie das mit Kaspar anläuft. Könnte ja sein, dass es besser wird mit den Finanzen, die IT-Ausgaben sparen wir uns schon mal.« »Hm ja. Ewig geht das auch nicht mehr, dass Ardiana praktisch gratis nach Sophia schaut«, sagte Miriam und runzelte die Stirn. Bruno nickte, er verstand, dass es nicht einfach war auf ihre Art zu arbeiten und dabei für ein Kind zu sorgen. Aber sich die Projekte und die Kunden bis zu einem gewissen Grade selbst aussuchen zu können, hatte seinen Preis. Warum das Eck Eck hiess, war in der langen Geschichte des Lokals untergegangen. Die Lage konnte es nicht sein, denn es lag in der Mitte einer langen, leicht gebogenen Häuserzeile im Stadtkern. Auch im Innern des Lokals hätte man vergeblich nach einem Hinweis auf den Namen gesucht: Im Erdgeschoss befanden sich Küche, Bartresen und ein paar Tische, ein Stockwerk höher die Klos, ein kleines Büro und der Raucherraum. Nichts davon war besonders eckig. Untrennbar verbunden mit dem Eck war Mark, der sein ganzes bisheriges Leben an diesem Ort verbracht zu haben schien. Breit gebaut, mit etwas schütteren hellbraunen Haaren stand er hinter dem Tresen, die Arme verschränkt, sein im Raum umherwandernder Blick wachsam und ruhig...