Cullen | Die verlorenen Briefe des William Woolf | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 416 Seiten

Cullen Die verlorenen Briefe des William Woolf

Roman
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-641-22329-8
Verlag: Wunderraum
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 416 Seiten

ISBN: 978-3-641-22329-8
Verlag: Wunderraum
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



William Woolf hat den wunderbarsten Job der Welt: In einer Londoner Sammelstelle für verlorene Briefe bringt er jeden Tag verirrte Botschaften auf den richtigen Weg. Dabei scheint er selbst die Orientierung in seinem Leben verloren zu haben. Den Traum, Schriftsteller zu werden, hat er aufgegeben, seine Ehe kriselt, und das Glücklichsein ist ihm im Alltag irgendwie abhandengekommen. Es scheint ein Wink des Himmels, als er bei der Arbeit immer neue mitternachtsblaue Briefe entdeckt, die alle an »Meine große Liebe« adressiert sind. Könnte er selbst gemeint sein? Wer ist die geheimnisvolle Verfasserin, die sich nur »Winter« nennt? William folgt der Spur der Briefe - und findet zurück in sein eigenes Leben ...Weitere berührende Wunderraum-Geschichten finden Sie in unserem kostenlosen aktuellen Leseproben-E-Book »Einkuscheln und loslesen - Bücher für kurze Tage und lange Nächte«

Helen Cullen ist in Irland geboren, hat Theaterwissenschaften und Englische Literaturwissenschaft studiert und lebt mittlerweile in London. Allerdings kehrt sie zum Schreiben immer wieder in ihre Heimat zurück. Ihr Debütroman »Die verlorenen Briefe des William Woolf« wurde von Lesern wie Presse gefeiert, und die Irish Times zählt die Autorin zu den aufregendsten jungen Stimmen des Landes.

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Marjorie schien es neuerdings darauf angelegt zu haben, William zu erschrecken; diesmal schlug sie mit einem Löffel mit pfirsichfarbenem Plastikgriff gegen seine Charlie-Chaplin-Tasse und flötete: »Huhu, William! Zeit für den Elf-Uhr-Tee! Kommst du?« Er fuhr sich mit dem Finger über die Lippen. Waren es dieselben, die Clare damals küsste? Hatte er damals wirklich ihren Seidenschal gelöst? Er stand auf, um sich eine Tasse zu holen. Als er sie mit zwei Teelöffeln Zucker füllte, bekam er ein schlechtes Gewissen. Bei ihnen zu Hause war Zucker nämlich tabu; William hatte schwören müssen, sogar beim Tee darauf zu verzichten. Wenn er sich nicht an sein Versprechen hielt – er liebte süßen Tee mit Milch –, keifte Clare sofort herum, doch er konnte einfach nicht widerstehen. Wann hatte er aufgehört, sich mit ihr wegen Zucker zu streiten? Er war seines Rechts auf Karies und Diabetes beraubt worden. Warum gab er sich ausgerechnet in diesem Punkt geschlagen? Sie lagen ständig im Clinch: weil der Fahrersitz nicht verstellt worden war, weil sie sich uneinig waren, wer mit dem Abwasch dran war, welcher Spruch auf den Anrufbeantworter sollte, wo sie Weihnachten verbringen wollten, ob sie in Urlaub fuhren und wenn ja, wohin, wie lange das Fenster aufgemacht, wie hoch die Heizung aufgedreht, wie laut geschrien werden durfte. So viele Machtkämpfe, aber am Zuckerverbot war nicht zu rütteln. Clare lauerte regelrecht darauf, dass er dagegen verstieß, damit sie sich empören konnte. Der Zucker war an allem schuld: an Williams Maßlosigkeit, seinem angeblichen Peter-Pan-Syndrom, seinem Mangel an Ehrgeiz. Schon die kleinste Prise provozierte Tiraden über seine Verantwortungslosigkeit und ihre Unzufriedenheit mit der ganzen Situation. Inzwischen hatte William ein ausgeprägtes Gespür für die Auslöser entwickelt. Als er damals mit Clare zusammenzog, hätte er sich nie träumen lassen, wie viel Gezeter es später geben sollte, nur weil er Essensreste wegwarf beziehungsweise nicht wegwarf, an einem Marktstand eine Rose für sie kaufte, das Geburtstagsgeschenk für ihre Mutter nicht wie versprochen zur Post brachte oder darüber nachdachte, zusammen mit Stevie seine alte Band, die Bleeding Hearts, zu reaktivieren. Allein die Vorstellung, dass ihr Mann wieder mit Stevie und den anderen Nichtsnutzen durch die Gegend tingelte, löste bei Clare Gesichtszuckungen aus. An der Uni hatte sie die Kapriolen und den eigenwilligen Glam-Folk seiner Combo noch toleriert, aber als Stevie auch Jahre später unbeirrt an seinem schrillen, selbstzerstörerischen Lebensstil festhielt, war es mit ihrem guten Willen vorbei gewesen. Wehmütig dachte William an die triumphale »Klo-Tour« der Bleeding Hearts zurück. Er vermisste das erhebende Gefühl, Stevies Keyboarder zu sein, die Selbstsicherheit und Vertrautheit mit den Bandkollegen, das prickelnde Gefühl, dass es jede Sekunde zu fürchterlichen Katastrophen und hysterischen Lachanfällen kommen konnte. Er sehnte sich nach den Abenden, als Clare mit glitzernden Armreifen und lila Beinstulpen vor der Bühne tanzte. Jedes Mal, wenn er ins Publikum schaute, erwiderte sie seinen Blick, und er kam sich noch größer vor, nur weil sie dabei war. Inzwischen erlebte er solche Hochgefühle nur noch im Depot. Zu Hause fühlte er sich wie ein ängstliches Karnickel, das pausenlos nach Anzeichen dicker Luft schnüffelte. Clare verstand sich meisterhaft aufs Fallenstellen, aber manche Fallen konnte das Karnickel schon von weitem erkennen, und um den Zucker machte William lieber einen Bogen. Er fühlte sich diesem zermürbenden Kampf nicht gewappnet, hatte es satt, verletzt zu werden. Er nahm einen Schluck von seinem süßen Tee und wandte seine Aufmerksamkeit der Unterhaltung seiner Kollegen zu. »Geschenke zum Valentinstag bringen nur dann was, wenn sie am 14. ankommen«, sagte Marjorie. »Wenn sie erst Wochen später eintrudeln, kann alles kaputtgehen, dann ist es vorbei mit der großen Liebe. Da wird geheult und geschmollt, das könnt ihr mir glauben.« Sie stützte die linke Hand in die Hüfte. Auf ihrer Hand waren orangefarbene Selbstbräuner-Flecken. Sie hatte sich die Fingernägel lackiert, Metallic Pink. Ned Flanagan, ihr gemeinsamer Chef im Depot der verblichenen Briefe, durchsuchte hastig die Küchenschränke. »Das ist ja alles schön und gut, Miss Clarke, aber wir haben einen Haufen anderer unzustellbarer Sendungen, die weitaus wichtiger sind als der Brief einer sechzehnjährigen Sarah, die irgendeinem pickligen Fußballspieler mitteilt, dass sie total scharf auf ihn ist.« Flanagan nahm seine Brille ab und polierte sie mit einem pfirsichfarbenen Taschentuch. »Wir können die übrige Post nicht einfach ignorieren, nur weil Valentinstag ist. Es gibt viel dringendere Angelegenheiten, zum Beispiel …« »Ich will Ihnen wirklich nicht zu nahe treten, Sir«, fiel Marjorie ihm ins Wort, »aber anscheinend waren Sie noch nie verliebt. Gebrochene Herzen sind eine Katastrophe für die Welt! Wir müssen Amor helfen, seine Mission zu erfüllen. Das ist unser Job!« »Unsinn! Nur damit Sie es wissen, Miss Clarke: Ich bin seit mehr als fünfunddreißig Jahren verheiratet, und zwar überaus glücklich, wie ich betonen möchte! Wenn sich jemand bei einem Valentinsgruß noch nicht einmal die Mühe macht, die richtige Postleitzahl anzugeben, scheint es mit dem Verliebtsein wohl kaum weit her zu sein. Oder wie siehst du das, Billy?« Flanagan klopfte auf die Tischplatte, um Williams Aufmerksamkeit zu erregen. Er war der Einzige, der William Billy nannte. »William, Sir. Ich heiße William.« »Ja, ja – William, Billy, Willy, ist doch eh alles gleich. Also, was halten Sie von dem Vorschlag, Valentinspost zur Priorität zu machen?« William kratzte sich am Bart. »Ich kann Marjories Bestrebungen, Liebesbeziehungen zu retten, durchaus nachvollziehen, aber ich finde, wir sollten uns trotzdem an den normalen Ablauf halten«, sagte er. »Valentinsbriefe sollten keine Sonderbehandlung bekommen. Sonst ist es den anderen gegenüber unfair.« In Wahrheit war William jedoch nicht in der Stimmung, dem Glück fremder Menschen auf die Sprünge zu helfen, zumal sich für seine eigene große Lovestory kein Happy End abzuzeichnen schien. Vielleicht würden er und Clare sich sogar trennen. Aber wenn es dazu kam, war Clare dann überhaupt seine große Liebe gewesen? Er verdrängte den Gedanken und starrte Flanagan hinterher, der aus der Küche eilte. »Haben Sie gehört, Miss Clarke?«, rief Flanagan beim Hinauslaufen über die Schulter. »Die Stimme der Vernunft. Guter Mann, Billy. Zurück an die Arbeit, Kollegen!« Flanagan reckte halbherzig die Siegerfaust. Vor einiger Zeit hatte er an einer Schulung zur Teammotivation teilgenommen, aber viel hatte es bisher nicht gebracht. Marjorie schaute ihm verächtlich nach. William schüttete den Rest seines Tees in die Spüle und hastete Flanagan hinterher. Auf der Treppe holte er ihn ein. »Mr Flanagan, ich wollte nur nachfragen, ob Sie schon Gelegenheit hatten, meine Präsentation über die Übersinnlichen zu lesen? Falls Sie der Meinung sind, dass es sich lohnt, das Projekt weiter zu verfolgen, würde ich sehr gern damit loslegen.« »Ja, Billy, ich habe Ihre Präsentation überflogen und bin vor allem der Meinung, dass man Gott kaum als übersinnliches Wesen bezeichnen kann.« William trat von einem Fuß auf den anderen und zögerte kurz, bevor er wieder das Wort ergriff. »Verstehe. Aber das soll ja nur ein Sammelbegriff für Adressaten sein, die es nicht wirklich gibt. Wir können auch gern eine neue Bezeichnung nehmen. Was halten Sie von ›Fantasiefiguren‹ oder ›die Unbegreiflichen‹?« Flanagan zog die Augenbraue hoch und lehnte sich ein wenig vor. »Ist Gott in Ihren Augen etwa eine Fantasiefigur, Billy?« »Um Gott geht es hier doch gar nicht, Sir. Und letztendlich geht es auch nicht darum, wie wir sie bezeichnen, sondern was wir mit ihnen machen.« Von all den faszinierenden Welten, die sich William durch das Depot der verblichenen Briefe eröffnet hatten, nahm ihn die Abteilung für Übersinnliches (so bezeichnete er sie) am meisten gefangen. Auf der vierten Etage standen Reihen von Postsäcken in Metallrahmen, die wie Abfalleimer mit Klappdeckeln aussahen. Vor jeder Reihe war ein laminiertes Schild mit fetten moosgrünen Großbuchstaben am Boden angebracht, um die jeweilige Kategorie zu bezeichnen: GOTT, NIKOLAUS, SCIENCE-FICTION, HEILIGE + PROPHETEN, TV-/FILMFIGUREN, ROMANFIGUREN, STARS und ANDERE. Der Großteil der Post im Depot war natürlich für echte Menschen aus Fleisch und Blut bestimmt. Doch es gab auch eine andere Art von Post, die auf einem festen Glauben an Magie beruhte und es Williams Meinung nach erforderlich machte, dass die vierte Etage sich auf ein übersinnliches Element einstellte. Erstaunlich viele Menschen griffen nach Papier und Stift, um an Idole oder Ikonen zu schreiben: an Elvis, die Zahnfee, Yoda oder den heiligen Antonius. Diese Briefe waren wie Flaschenpost, wie im Wald verstreute Brotkrumen, und William war besessen von ihnen. Wer hatte sie verschickt, und wie lange warteten diese wahren Gläubigen schon auf eine Antwort? Was war ihnen wichtiger gewesen: das Schreiben an sich oder eine Reaktion darauf zu bekommen? Verrieten sie jemandem, dass sie diese Briefe verschickt hatten? Und waren sie erleichtert oder traurig darüber, dass ihre Gebete nicht erhört wurden, sondern auf taube Ohren stießen? Schon vor einer Weile war William die Idee gekommen, diese Briefe in einem Buch zu veröffentlichen. Es gab sicher Tausende solcher Stimmen, die ins Leere hallten und verdienten, gehört zu werden. Die anderen...


Cullen, Helen
Helen Cullen ist in Irland geboren, hat Theaterwissenschaften und Englische Literaturwissenschaft studiert und lebt mittlerweile in London. Allerdings kehrt sie zum Schreiben immer wieder in ihre Heimat zurück. Ihr Debütroman »Die verlorenen Briefe des William Woolf« wurde von Lesern wie Presse gefeiert, und die Irish Times zählt die Autorin zu den aufregendsten jungen Stimmen des Landes.



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