Daase / Engert / Junk | Verunsicherte Gesellschaft - überforderter Staat | Buch | 978-3-593-39873-0 | sack.de

Buch, Deutsch, 391 Seiten, Format (B × H): 142 mm x 214 mm, Gewicht: 494 g

Daase / Engert / Junk

Verunsicherte Gesellschaft - überforderter Staat

Zum Wandel der Sicherheitskultur
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-593-39873-0
Verlag: Campus

Zum Wandel der Sicherheitskultur

Buch, Deutsch, 391 Seiten, Format (B × H): 142 mm x 214 mm, Gewicht: 494 g

ISBN: 978-3-593-39873-0
Verlag: Campus


Sicherheitspolitik schließt heute nicht mehr nur militärische Risiken ein, sondern auch ökonomische, ökologische und humanitäre. Neben staatlichen Sicherheitsbedürfnissen müssen auch jene der Gesellschaft berücksichtigt und befriedigt werden. Dies stellt die Politik vor neue Herausforderungen: Einerseits sind die staatlichen Institutionen verpflichtet, den gesellschaftlichen Sicherheitserwartungen gerecht zu werden, andererseits treffen sicherheitspolitische Entscheidungen häufig auf Kritik und Unverständnis in der Bevölkerung. Die Autorinnen und Autoren analysieren die Reaktionen staatlicher Institutionen in diesem neuen und ambivalenten Umfeld der Sicherheit in den Bereichen Terrorismus, Cybersecurity, Energiesicherheit, Gesundheitsrisiken, Menschenrechte und Wirtschaft.
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Weitere Infos & Material


Inhalt
Gesellschaftliche Verunsicherung als Herausforderung des Staates: Eine Einführung
Christopher Daase/Stefan Engert/Julian Junk 9

I. Terrorismus

Bedingt abwehrbereit: Politische und administrative Reaktionsmuster auf das ›Terrorrisiko‹
Ulrich Schneckener 35
Haben wir gewonnen? Die Messbarkeit von Sicherheit im Anti-Terror-Kampf
Alexander Spencer 57
Sicherheit ohne Angst: Terrorismusbekämpfung im 21. Jahrhundert
Jürgen Maurer 77
Sicherheit zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Ein Praxisbericht aus dem Luftverkehr
Volker Zintel 93

II. Cybersecurity

Cybersicherheit in der Wissensgesellschaft: Zum Zusammenhang von epistemischer und physischer Unsicherheit
Sandro Gaycken 109
Gesellschaft im Daueralarm: Gefahrendarstellungen im Cybersecurity-Diskurs
Myriam Dunn Cavelty 133

III. Gesundheitliche Risiken

Lassen sich globale Gesundheitsrisiken regulieren? Wirksamkeit und Grenzen internationaler Gesundheitsvorschriften
Susanne Weber-Mosdorf 153
Souverän durch die Krise: Überforderte Staaten und die (Selbst-)Ermächtigung der WHO
Tine Hanrieder/Christian Kreuder-Sonnen 169
Gib Versicherheitlichung keine Chance: Der frühe AIDS-Diskurs in den demokratischen Institutionen der BRD
Stefan Engert 187
Pandemie als Geschäftsidee: Eine Streitschrift wider die Interessenkonflikte im Gesundheitswesen
Wolfgang Wodarg 211

IV. Energiesicherheit

Deutschlands Energiewende: Gesellschaftliche Hypersensibilität und der Verlust strategischer Versorgungssicherheit
Frank Umbach. 235
Sinn und Zweck der Nachhaltigkeitstransformation: Von ontologischer Unsicherheit zu sozioökologischer Resilienz
Jörg Friedrichs 259

V. Wirtschafts- und Finanzrisiken

Finanzialisierung politischer Sicherheit: Das Beispiel der ›Euro-Rettung‹
Andreas Langenohl 279
Quo vadis, Wohlfahrtsstaat? Erfahrungen von Arbeitslosigkeit und Demokratiezufriedenheit im europäischen Vergleich
Thorsten Faas 299

VI. Menschliche Sicherheit

Menschliche Sicherheit: Fallstricke eines wirkungsmächtigen Konzepts
Tobias Debiel/Sascha Werthes 319
Sicherheit, Frieden und Entwicklung: Die Veränderung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit
Christine Meissler 337
Wenn Elefanten ka?mpfen: Der politische Missbrauch der Humanita?ren Hilfe im Namen der Sicherheit
Ulrike von Pilar 349
Human Security zwischen staatlicher Instrumentalisierung und Weltgesellschaftspolitik: Ein Kommentar
Lothar Brock 371

Autorinnen und Autoren 389


Gesellschaftliche Verunsicherung als Herausforderung des Staates: Eine Einführung
Christopher Daase/Stefan Engert/Julian Junk
Sichere Gesellschaften fordern immer mehr Sicherheit. Der Staat, traditionell verantwortlich für die Sicherheitsgewährleistung, gerät dadurch an die Grenzen seiner Steuerungsfähigkeit. In Zeiten globaler Risiken ist er allein schon durch seine territoriale Begrenztheit in seinen Kapazitäten eingeschränkt, die wachsenden Sicherheitsbedürfnisse seiner vielfach verunsicherten Bevölkerung vollständig zu befriedigen. Gleichwohl machen politische Entscheidungsträger immer größere Sicherheitsversprechen, die ihr Verwaltungsapparat in Zeiten begrenzter Haushaltsbudgets kaum mehr einzulösen vermag. Damit befindet sich der Staat in einer paradoxen Situation. Je mehr Sicherheit er bereitstellt, desto weitgehender werden die gesellschaftlichen Sicherheitsanforderungen und desto weniger ist er selber in der Lage, diese zu befriedigen. Der Staat wird zum Opfer seines eigenen Erfolgs. Dies, so legen es die Beiträge des ersten Bandes dieser Buchreihe nahe, ist einer der Haupteffekte des Wandels der Sicherheitskultur (vgl. Daase et al. 2012).
Während der erste Band den Begriff der Sicherheitskultur konzeptionell schärfte sowie den Wandel der Sicherheitskultur auf gesellschaftlicher und staatlicher Ebene beschrieb, untersucht der vorliegende Band die Folgen dieses Wandels für die Sicherheitspolitik in unterschiedlichen Politikfeldern. Die Analysen basieren auf einem liberalen Politikmodell, das die innenpolitischen Faktoren von Sicherheitspolitik ins Zentrum rückt und das wir im Folgenden kurz umreißen werden. Im zweiten Abschnitt gehen wir nochmals auf die Erweiterung des Sicherheitsverständnisses in den letzten Jahrzehnten ein und formulieren anhand von vier Dimensionen die dadurch entstandenen Herausforderungen für die Sicherheitspolitik. In diesem Zusammenhang kommt der Kommunikation von Gefahr und Sicherheit und dem Zusammenwirken von Laien- und Expertenwissen im Rahmen einer demokratischen Sicherheitspolitik eine zentrale Rolle zu. Der dritte Teil dieser Einleitung widmet sich daher in aller Kürze dem Zusammenwirken von Politik, Gesellschaft und Wissenschaft bevor im vierten Teil ein Überblick über die Beiträge dieses Bandes gegeben wird.
Das liberale Politikmodell und die verschiedenen Ebenen der Sicherheitspolitik
Das liberale Politikmodell, das diesem Band zugrunde liegt (vgl. Putnam 1988; Gourevitch 2002), bricht mit der immer noch verbreiteten Annahme, dass die Formulierung von Sicherheitspolitik allein Sache des Staates - also der Regierung - ist und ausschließlich ›von oben‹ entschieden wird. Die Vorstellung, dass der Staat eine monolithische Handlungseinheit ist (vgl. Waltz 1979), Sicherheitspolitik eine exklusive Domäne der Regierung und ein "Primat der Außenpolitik" existiert (Ranke in Heffter 1951: 1), greift in Zeiten weitgehend entterritorialisierter funktionaler Räume zu kurz: Sie ist nicht länger angemessen, um die moderne, durch Interdependenz und Akteurspluralität gekennzeichnete internationale Gesellschaft und ihre Entscheidungsprozesse zu verstehen. Zwar bestätigen auch die hier vorgelegten Analysen, dass dem Staat immer noch eine zentrale Rolle als policy maker zukommt, sie verstehen ihn aber gleichzeitig als Produkt der dominanten gesellschaftlichen Interessengruppen und Präferenzen (Moravcsik 1997: 519). Die liberale Perspektive bricht mit dem unitären Staatsmodell, indem sie die black box ›Staat‹ öffnet und den Blick auf die innenpolitische Arena lenkt. Damit gelangen die politischen Entscheidungsprozesse und die konkurrierenden gesellschaftlichen Sicherheitsinteressen - das sogenannte "second image" (Gourevitch 1978; Waltz 1959: 12-13) - wieder in den Fokus.
Der Abschied von der Vorstellung des Nationalstaats (oder einer internationalen Organisation) als einheitlich handelnden Akteur macht die Analyse von Sicherheitspolitik einerseits komplexer, öffnet andererseits aber den Blick für die Vielfalt von Akteuren, die über die Formulierung und Ausgestaltung von Sicherheitspolitik mitbestimmen, so zum Beispiel neben der Regierung die Ministerien und deren Administrationen, die Parteien, das Parlament, die Wirtschaft und die verschiedenen zivilgesellschaftlichen Interessengruppen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Die eher starre und unseres Erachtens irreführende Annahme einer über Zeit und Raum stabilen, national homogenen Sicherheitskultur (vgl. Haglund 2011) wird damit überwunden und die Perspektive um die innerstaatlichen, gesellschaftspolitischen Konflikte sowie die Heterogenität der nationalen Sicherheitsinteressen, -kulturen und -praktiken erweitert (vgl. Sperling 2010). Erst die Vorstellung des Staates als vielschichtiger Akteur - auch als ein eigeninteressiertes politisch-administratives, gesellschaftliches Teilsystem, welches wiederum selbst in exekutive und bürokratische Elemente ausdifferenziert ist (vgl. Wolf 2000: 27, 59-60) - erlaubt es, die Interessenkonflikte, Konkurrenzen und Inkompatibilitäten zwischen öffentlichen und privaten Akteuren sowie der Regierung einerseits und der ihr zuarbeitenden Administration beziehungsweise den ausführenden Behörden andererseits wahrzunehmen und zu problematisieren.
Die Vorstellung, dass die Gesellschaft primär ein passives Objekt gouvernementaler Regelungshoheit oder nur ein Publikum von Politik ist, stimmt mit der sicherheitspolitischen Realität schon lange nicht mehr überein. Wenn Sicherheitspolitik demgegenüber als security governance verstanden wird (vgl. Daase/Engert 2008), geraten auch die demokratischen Prozesse ihrer gesellschaftlichen (Mit-)Formulierung und damit die unterschiedlichen Sicherheitsbedürfnisse gesellschaftlicher Gruppen - also die agency ›von unten‹ - sowie Legitimationsfragen genuin demokratischer Sicherheitspolitik (vgl. Daase/Junk 2012; Johansen 1991) wieder in das analytische Blickfeld. Das bedeutet nicht, dass die Regierung künftig als marginalisiert zu verstehen ist oder zu einem reinen Transmissionsriemen der dominanten gesellschaftlichen Interessengruppen reduziert wird. Sie bleibt der wichtigste Akteur im innerstaatlichen Prozess der Aushandlung von Sicherheitspräferenzen, aber eben nicht mehr der einzige. Kurz: Der Staat bleibt souverän, ist aber durch die Demokratisierung der Sicherheitspolitik im Innern nicht mehr autonom und unabhängig von gesellschaftlichen und weltgesellschaftlichen Mitwirkungs- und Mitbestimmungsansprüchen.
Nicht übersehen werden darf, dass diese Binnendifferenzierung sich auch auf das Selbstverständnis des Staates auswirkt: Der Staat ist immer mehr gezwungen, seine Position als führender Problemlöser gegen konkurrierende Ansprüche auf verschiedenen Ebenen zu verteidigen beziehungsweise seine Präferenzen und seine Handlungskompetenzen durchzusetzen: erstens intern gegenüber dem Subsystem Verwaltung; zweitens im nationalen Rahmen gegenüber gesellschaftlichen stakeholder, die sich immer mehr in transnationalen Netzwerken zusammenschließen; sowie drittens auch auf der Ebene der Weltgesellschaft gegenüber anderen Staaten oder anders lautenden Präferenzen internationaler Organisationen. Kritisch gewendet könnte man sagen, dass der Staat fortwährend Bedrohungen und Risiken identifizieren und notfalls auch selbst produzieren muss, um im Innenverhältnis seine Legitimität und sein Überleben als zentrale sicherheitstiftende Funktionseinheit zu garantieren (Wolf 2000: 65; Buzan et al. 1998; vgl. bereits Krippendorf 1985, kritisch Münkler 1987).
Die Identifizierung von Bedrohungen und Risiken erzeugt Konflikte zwischen Akteuren, die unterschiedliche Werte, Praktiken und Vorstellungen davon besitzen, "was als eine Gefahr anzusehen ist und mit welchen Mitteln ihr begegnet werden soll" (Daase 2012: 40). Sicherheitsbedrohungen existieren nicht einfach oder sind objektiv gegeben, sondern sind zumindest teilweise durch gesellschaftliche Normen und Praktiken intersubjektiv konstruiert. Sicherheitskultur entsteht und wandelt sich folglich im Wechselverhältnis zwischen Politik und Gesellschaft und zwischen nationaler und internationaler Ebene. Um die Beobachtung und Analyse dieser Interaktionsprozesse sowie die dabei entstehenden Konflikte geht es im vorliegenden Band.
Die bloße Proliferation der an Formulierung und Ausgestaltung von Sicherheitspolitik beteiligten Akteure findet nicht in luftleerem Raum statt. Sie treibt und ist getrieben von einem Prozess der Pluralisierung sicherheitspolitischer Themen, der als Erweiterung des Sicherheitsbegriffs beschrieben wird (Daase 1991; Daase 2009). Im Folgenden wollen wir kurz die Erkenntnisse zur Erweiterung des Sicherheitsbegriffs wiederholen, um die Herausforderungen für die heutige Sicherheitspolitik zu konkretisieren.
Der erweiterte Sicherheitsbegriff und die Neugestaltung der Sicherheitspolitik
Je mehr Sicherheit zum Leitwert unserer Gesellschaft wird, desto größer ist die Neigung, politische Interessen und gesellschaftliche Probleme als sicherheitsrelevant darzustellen, um ihnen Aufmerksamkeit zu verschaffen. Gleichzeitig wird es schwieriger, die Verwendung knapper Ressourcen für einzelne Maßnahmen der Sicherheitsgewährung zu rechtfertigen. Denn wo alles sicherheitsrelevant ist, fehlt der Maßstab, um wichtige von weniger wichtigen Maßnahmen zu unterscheiden. Was ›Sicherheit‹ ist und was sicherheitsrelevant, wird damit zur entscheidenden Frage der westlichen Gesellschaften: Was wird als Gefahr wahrgenommen und welchem Risiko wird in der Sicherheitspolitik Priorität eingeräumt? Wie oben erläutert, kommt es über diese Fragen zu innergesellschaftlichen Konflikten. In einer zunehmend global vernetzten Welt wird es deshalb immer schwieriger, den Begriff ›Sicherheit‹ definitorisch zu fassen. Während des Kalten Krieges wurden Bedrohungslagen noch fast ausschließlich territorial, national und militärisch gedacht; heute leben wir hingegen in einer weitgehend globalisierten und entgrenzten Welt, einer "Weltrisikogesellschaft", wie Ulrich Beck sagt (vgl. Beck 2007). Es ist weitgehend anerkannt, dass sich Sicherheitspolitik nicht nur auf militärische, sondern auch ökonomische, ökologische und humanitäre Risiken bezieht, dass dabei neben dem nationalen fast immer auch der regionale, internationale und globale Bezugsrahmen relevant ist, und dass nicht nur staatliche, sondern auch gesellschaftliche und individuelle Sicherheitsbedürfnisse berücksichtigt und befriedigt werden müssen. Diese Erweiterung der Sicherheitsbedürfnisse lässt sich anhand von vier Dimensionen systematisieren (siehe Daase 2012: 25-26, 40).
Der Sicherheitsbegriff erweitert sich erstens im Bezug auf die Referenzdimension: War früher der Staat der primäre Adressat von Sicherheitspolitik, so sind heute die Gesellschaft und das Individuum zumindest gleichberechtigt neben ihn getreten. Zudem hat sich zweitens der geographische Bezugsrahmen von Sicherheitspolitik von der vormals rein nationalen hin zur regionalen, internationalen und globalen Sicherheitspolitik erweitert. Damit einher geht drittens die diesem Band als zentrales Strukturierungsmerkmal zugrundeliegende Ausweitung von Sicherheit auf zahlreiche Politikfelder jenseits der rein militärischen (über ökonomische bis hin zur ökologischen und menschlichen Sicherheit). Viertens und abschließend hat sich auch die Wahrnehmung von Gefahren gewandelt: Konkrete Bedrohungslagen während des Kalten Krieges wichen Verwundbarkeiten und diffusen Risiken.
Diese Erweiterung des Sicherheitsbegriffes ist zugleich Ursache und Wirkung eines fundamentalen Wandels der Sicherheitskultur. Diese sich teilweise selbst verstärkenden Mechanismen und das Auseinanderklaffen von gesellschaftlichen Anforderungen und staatlichen Problemlösungsfähigkeiten stellen einen zunehmend komplexen Kalkulationsrahmen und eine wachsende Herausforderung für die nationale Sicherheitspolitik und deren Organe dar: So ergibt sich in der Referenzdimension eine gesellschaftliche Nachfrage von immer mehr Adressaten, in den Wirkungskreis von Sicherheitspolitik mit einbezogen zu werden, und mithin die Forderung, die Schwelle für staatliches Eingreifen zu senken. Staatlicher Sicherheitspolitik wird schnell eine Art Allzuständigkeit zugeschrieben und der Staat zum letzten Rückversicherer erklärt. Der Staat kann diese Nachfrage je nach Themenkonjunktur mit einem begrenzten Angebot an sicherheitspolitischen Maßnahmen beantworten. Die Maßnahmen erscheinen auf einzelne Gefahren (wie eine drohende Pandemie oder eine ferne humanitäre Krise) zugeschnitten, sind aber nicht mehr in demselben Maße umzusetzen und umzusteuern, wie dies volatile, medial verstärkte Nachfragezyklen nach Sicherheit verlangen. Die Folge des Entscheidungsdilemmas ist eine wachsende Dialogunfähigkeit des Staates mit der Gesellschaft, weil kaum mehr begründet werden kann, welches Risiko als dringend ausgewählt wird, beziehungsweise welche Maßnahmen ergriffen werden. Warum etwa für die Sicherheit von Arbeitsplätzen der eine Konzern staatliche Finanzhilfen erhält und der andere nicht oder warum in der einen humanitären Krise interveniert wird und in der anderen nicht, ist der Öffentlichkeit nur schwer zu vermitteln.
Die Differenz zwischen sicherheitspolitischer Nachfrage und sicherheitspolitischem Angebot verursacht auch in den anderen drei Dimensionen Handlungszwänge. So lässt sich anhand der Raumdimension zeigen, dass zunehmend ferne und eventuelle Gefahren wahrgenommen werden, welche bis vor wenigen Jahrzehnten kaum zu einer breiten gesellschaftlichen Verunsicherung geführt hätten, nun aber eine sicherheitspolitische Reaktion erfordern (vgl. die deutsche Reaktion auf das Reaktorunglück in Fukushima). Jede internationale Krise kann somit potenziell zu einer nationalen werden. Aus staatlicher Sicht erfordert dies ein kostenintensives monitoring ferner und eventueller Gefahren, was allein aus budgetären Gründen nur ansatzweise geleistet werden kann.
Die Erweiterung auf der Sachdimension speist sich drittens aus einer Pluralisierung von sicherheitspolitischen Themen. Die Herausforderung für den Staat besteht darin, einerseits den gesellschaftlichen, oftmals medial verstärkten Bedrohungswahrnehmungen gerecht zu werden, andererseits sich aber nicht von Themenkonjunkturen treiben zu lassen. In schneller Abfolge wechselten in den vergangen Jahren sicherheitspolitische Schlagworte und Moden. Allein in den letzten Monaten konkurrierten die Umwälzung im arabischen Raum, die durch das Reaktorunglück von Fukushima erzwungene ›Energiewende‹ und der Umgang mit rechtsradikalem Terrorismus um die Aufmerksamkeit der Sicherheitspolitiker. Jedes dieser Themen ist vielschichtig und erfordert eine intensive Ressortvernetzung. Sofern dabei keine kohärente Sicherheitskonzeption zu erkennen ist, erscheint das Handeln der Bürokratien für die Öffentlichkeit als zufällig, intransparent und losgelöst von gesellschaftlichen Erwartungen. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, unterschiedliche Gefährdungen in ihrem Verhältnis zueinander und in ihrer relativen Dringlichkeit zu gewichten und dabei politische Prioritäten transparent zu machen.
Anhand der Gefahrendimension kann man viertens schließlich zeigen, dass es zunehmend schwierig geworden ist, Gefahren präzise zu erfassen und entsprechend zu kommunizieren. Die klare und gegenwärtige Bedrohung des Kalten Krieges ist unklaren und zukünftigen Risiken gewichen. Dennoch sind staatliche Akteure bestrebt, ihre Politik an möglichst exakten Vorhersagen zu orientieren und favorisieren entsprechend technische Lösungen. Eine angemessene Sicherheitspolitik muss aber bei aller Objektivierung von Bedrohungen auch die Ungewissheiten reflektieren, die der Risikowahrnehmung und der Sicherheitspolitik eigen sind. Deshalb werden die Sicherheitskommunikation und das Ausbalancieren von Experten- und Laienwissen gerade auch im Rahmen einer demokratischen Sicherheitspolitik in der Zukunft eine größere Rolle spielen.


Christopher Daase ist Professor für Internationale Organisation an der Universität Frankfurt. Stefan Engert, Dr. phil., und Julian Junk, M.A., sind dort wissenschaftliche Mitarbeiter.



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