E-Book, Deutsch, 208 Seiten
Davies WEST
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-641-22285-7
Verlag: Luchterhand Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 208 Seiten
ISBN: 978-3-641-22285-7
Verlag: Luchterhand Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Best Book of the Year: The Sunday Times. The Guardian.
»WEST lässt uns eintauchen in den Mythos des amerikanischen Westens und erzählt von der Hingabe und Verletzlichkeit des Menschen.« San Francisco Chronicle »Dieses Buch geht einem nicht mehr aus dem Kopf.« Claire MessudPennsylvania, im Jahr 1815: Der einfache, gutherzige Maultierzüchter Cy Bellman findet keine Ruhe mehr, seit er in der Zeitung von einer unglaublichen Entdeckung gelesen hat. Um seinem Traum nachzujagen, bringt er das größte Opfer und lässt seine 10-jährige Tochter Bess in der Obhut ihrer ruppigen Tante zurück. Während Bess auf sich allein gestellt zur Frau wird, erlebt Bellman im tiefen Westen ein Abenteuer, das sich völlig anders entwickelt als erwartet. Carys Davies hat eine »eine traurig schöne Geschichte« (The Times) geschrieben über die tiefe Sehnsucht, alles hinter sich zu lassen und seinem Leben einen neuen Sinn zu geben.
»Eine Geschichte von unvergleichlicher Wucht.« (Colm Tóibín)Best Book of the Year: The Sunday Times. The Guardian. »WEST lässt uns eintauchen in den Mythos des amerikanischen Westens und erzählt von der Hingabe und Verletzlichkeit des Menschen.« (San Francisco Chronicle)»Dieses Buch geht einem nicht mehr aus dem Kopf.« (Claire Messud)»Ein literarisches Kleinod.« (The Toronto Star)Gewinnerin des Frank O'Connor Short Story Awards.
Carys Davies stammt aus Wales und lebt heute - nach vielen Jahren in Chicago und New York - in Edinburgh. Sie wird als »überragendes Erzähltalent« (Colm Tóibín) gefeiert. Bei Luchterhand ist zuvor ihr Roman »WEST« erschienen. Für ihre Romane und Kurzgeschichtensammlungen wurde Carys Davies mehrfach mit Preisen ausgezeichnet.
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Am Abend vor seiner Abreise saß Bellman in seinem kleinen, selbst gebauten Haus an dem quadratischen Kiefernholztisch und trank Kaffee mit seinem Nachbarn Elmer Jackson, der ihm gelegentlich auf der Farm zur Hand ging. Um zehn Uhr kam Julie mit ihrer Bibel und ihrem Regenschirm herein, außerdem mit der kleinen schwarzen Reisetasche, die Bellman und seine Frau Elsie einst auf der Überfahrt über den Atlantik begleitet hatte, den ganzen Weg von England nach Amerika. Bellman hatte noch nicht fertig gepackt, trug aber schon den langen Wollmantel und die Ledertasche, die an einem langen Schnallengurt vor seiner Brust hing. Neben seinen großen, gefalteten Händen stand ein neuer Zylinder auf dem Tisch. »Danke, dass du gekommen bist, Julie«, sagte er. »Ich bin dir wirklich sehr dankbar.« Julie rümpfte die Nase. »Wie ich sehe, hast du deine Meinung nicht geändert.« »Nein, Julie.« »Und wo ist das zukünftige Waisenkind?« Bess, sagte Bellman, liege in der Ecke hinter dem Vorhang in ihrem Bett und schlafe. Er fragte Julie, ob sie einen Kaffee wolle, und sie sagte, sie könne einen Becher vertragen. »Gerade habe ich Elmer von der Route erzählt, die ich nehmen werde.« Julie sagte, seine Route interessiere sie nicht. Sie frage sich, warum Männer ständig darüber reden müssen, auf welchem Weg man am besten von A nach B kommt. Sie lehnte den Regenschirm an die Wand, legte die Bibel auf den Tisch, setzte sich vor ihren Kaffeebecher, holte einen Strumpf aus der Reisetasche und machte sich daran, ihn zu stopfen. Bellman beugte sich zu seinem Nachbarn hinüber. »Weißt du, Elmer, ich habe mir die Landkarten angesehen. Es gibt nicht gerade viele, aber ein paar schon. Drüben in der Bücherei in Lewistown haben sie eine ganz alte von einem gewissen Nicholas King, und eine nicht ganz so alte, die ein Mr David Thompson von der Britischen North West Company gezeichnet hat. Leider sind beide voller Lücken und weißer Stellen und Fragezeichen. Am besten halte ich mich also an den Reisebericht der beiden berühmten Captains, die unser alter Präsident auf Expedition geschickt hat. Ihre Karten sind voller Zeichnungen und eingestrichelter Routen, die den besten Weg durch das Gewirr der Flüsse im Westen zeigen, und sogar über die Stony Mountains und bis an den Pazifik, falls ich so weit reiten muss.« Elmer Jackson rülpste leise. Er hob den Kopf und sah John aus wässrigen, blutunterlaufenen Augen an. »Welche Expedition? Was für berühmte Captains?« »Elmer, ich bitte dich! Captain Lewis und Captain Clark mit ihrer großen Mannschaft aus Jägern und Kundschaftern. Sie sind einmal bis an den Pazifik geritten und zurück, weil der alte Präsident es ihnen befohlen hatte. Kannst du dich nicht erinnern?« Elmer Jackson zuckte die Achseln und sagte, vielleicht, er wisse es nicht mehr genau. »Es ist aber so gewesen, Elmer. Siebentausend Meilen, zweieinhalb Jahre, hin und zurück. Ich glaube, ich sollte mich am besten an ihre Route halten und dann hier und dort davon abweichen, um die Gegenden zu erkunden, in denen sie nicht gewesen sind. Da finde ich hoffentlich, wonach ich suche.« »Von der Route abweichen?« Julie schnalzte missbilligend mit der Zunge, Jackson rülpste abermals. Bellman rieb sich die großen Hände. Sein Gesicht war rosig vor Aufregung und Vorfreude. Er nahm ein Gurkenglas aus dem Regal über Jacksons Kopf. »Elmer, stell dir vor, das Gurkenglas wäre mein Haus, hier in Pennsylvania.« Er stellte das Glas an die rechte Tischkante. »Und hier – wenn ich bitte kurz deinen Kaffeebecher haben dürfte – ist St. Louis.« Er stellte Jacksons Becher links neben das Gurkenglas. »Und von hier« – er tippte auf das Glas – »bis nach St. Louis« – er tippte an den Becher – »sind es ungefähr achthundert Meilen.« Elmer Jackson nickte. »Und ganz da hinten« – Jacksons trüber Blick folgte Bellmans Hand, die den neuen Zylinder an die linke Tischkante schob – »sind die Stony Mountains, auch Rocky Mountains genannt. Ich reite also nach St. Louis, wo ich den Mississippi überqueren werde, und von dort aus« – seine Finger wanderten in einem geschlängelten Bogen über die weite, leere Tischplatte auf den Zylinder zu – »folge ich einfach dem Missouri River bis zu den Bergen, so wie es die beiden Captains damals gemacht haben.« Elmer Jackson sagte, dass ihm der Missouri im Vergleich zu den achthundert Meilen zwischen Gurkenglas und Kaffeebecher doch eher lang erscheine. »O ja, Elmer, das ist er auch. Sehr lang. Wahrscheinlich zweitausend Meilen. Nur, dass die Strecke für mich noch weiter ist, weil ich, wie gesagt, von der Route abweichen werde. Jawohl. Ich werde hier und da einen Umweg machen, um mir die großen, unbewohnten Gebiete anzusehen, die die Captains ausgelassen haben.« Jackson, dessen vierzigjähriges Leben eine langsame, mäandernde und teilweise kreisförmige Reise mit Zwischenstopps in Gießereien, Getreidemühlen und Brauereien sowie einem kurzen Abstecher bei der Armee gewesen war, stieß einen lang gezogenen Pfiff aus. Niemals, sagte er, hätte er Bellman für einen solchen Abenteurer gehalten. »Und hinter dem Zylinder?« »Hinter dem Zylinder, Elmer, geht es abwärts bis an den Pazifik, aber so weit muss ich hoffentlich nicht. Wenn meine Suche nicht schon hier am Fluss erfolgreich ist, dann vielleicht hier, vor den Bergen« – seine großen Hände legten sich auf die offene Ebene der Tischplatte –, »irgendwo in diesem weiten, unerforschten Hinterland. Dort könnten sie sein.« Elmer Jackson kratzte sich am Bauch, bediente sich noch einmal an Bellmans Kaffee und sagte, ihm falle kein einziger Grund ein, aus dem er seinen Hintern über den halben gottverdammten Erdball bewegen würde. Julie bat Elmer, doch bitte nicht zu fluchen, danke vielmals. Sie sagte: »Vermutlich hast du noch keinen Gedanken daran verschwendet, Cy, dass es dort Wilde gibt.« Die Wilden würden ihn doch sicherlich angreifen, wenn sie seinen leuchtend roten Schopf und seine riesige, fremde Gestalt in der Steppe entdeckten. Das will ich nicht hoffen, sagte Bellman. Er fügte hinzu, er habe gelesen, dass die Indianer in diesen Gebieten recht friedfertig seien, wenn man nur genug nützliche Gegenstände oder etwas Plunder bei sich trug, und er persönlich habe vor, eine ganze Menge davon mitzunehmen. Jackson zog eine buschige Augenbraue hoch und sagte, er habe in seinem Leben schon genug Indianer gesehen, und um nichts in der Welt würde er sich so einen Spießrutenlauf antun, durch ein Gebiet voller halb nackter Leute mit bunt bemalten Gesichtern. Bellman nickte. Freundlich lächelnd berührte er den Griff seines Messers und den Lauf des Gewehrs, das aufrecht an der Tischkante lehnte. »Mir wird schon nichts zustoßen, Elmer, keine Sorge.« Julie presste die Lippen aufeinander, schüttelte den Strumpf aus und sagte, sie verstehe nicht, warum ein Mensch sich dreitausend Meilen weit von seinem Zuhause, seiner Gemeinde und seiner mutterlosen Tochter entfernen müsse. »Cy, kein guter Vater würde sein Kind für solch eine Dummheit im Stich lassen.« Elmer Jackson gluckste. Anscheinend fand er den Schlagabtausch zwischen den Geschwistern sehr unterhaltsam. Bellman seufzte. »Ach, Julie …« »Sag nicht Ach, Julie zu mir, Cyrus.« Bellman seufzte wieder. Er sah ratlos aus. »Ich will sie mit eigenen Augen sehen. Mehr kann ich nicht dazu sagen. Ich kann einfach nicht anders. Ich weiß nicht, was ich sonst noch sagen soll.« »Du könntest sagen, dass du hierbleibst.« Bellman schob seiner Schwester seine prankenähnliche Hand entgegen. Leise und beinahe ehrfürchtig, wie in kindlichem Staunen, sagte er: »Julie, falls sie irgendwo da draußen sind, werde ich derjenige sein, der mit der Neuigkeit zurückkommt. Wäre das nicht großartig?« Julie lachte auf. »Es wäre großartig, wenn du mir und Bess mehr hinterlassen würdest als eine alte Uhr, einen Goldring und eine Weide voller jämmerlicher Tiere. Ein einziger uralter Hengst und drei klapprige Stuten, ein paar Esel, ein paar Maultiere und ein launischer Maulesel.« Elmer Jackson trank seinen Kaffee aus und erhob sich grinsend. Er rieb sich den Bauch, streckte sich und erklärte, er müsse nun ins Bett. Auf dem Weg hinaus schlug er Bellman auf die Schulter, und zu Julie sagte er, falls sie Hilfe mit den Tieren benötige, brauche sie nur zu rufen. Als der Morgen graute, kniete Bellman auf der schrägen, zusammengestückelten Veranda und ordnete seine Bündel und Taschen. Warum er, fragte Bess, die Bluse ihrer Mutter mitnehme? Bellman hielt Elsies rosa-weiß gestreifte Bluse in seinen Händen und überlegte noch, in welche Tasche er sie packen könnte. »Aus demselben Grund, aus dem ich ihren Fingerhut und ihre Stricknadeln mitnehme.« »Warum?« Bellman zögerte. Er betrachtete seine Hände. »Weil sie sie nicht mehr braucht. Ich schon.« Dann erzählte er Bess von den Indianern. Dass er gehört habe, wie sehr sie sich, die Männer genauso wie die Frauen, über hübsche Kleider und nützliche Gegenstände freuten. Sicher werde einem von ihnen die Bluse der Mutter gut gefallen, einem anderen könnten die langen stählernen Nadeln oder der Fingerhut aus Kupfer von Nutzen sein. Im Gegenzug werde er alle möglichen Geschenke erhalten, auf die er während der Reise angewiesen sei. »Was für Geschenke?« Bellman zuckte die Achseln. »Essen. Vielleicht sogar ein Pferd, falls ich ein neues brauche. Informationen...