E-Book, Deutsch, 244 Seiten
Dietrich Kleingläubig
2. Auflage 2017
ISBN: 978-3-7448-3196-3
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Geschichten für Skeptiker
E-Book, Deutsch, 244 Seiten
ISBN: 978-3-7448-3196-3
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Für Leichtgläubige ... Die Geschichten spielen in einem Umfeld, das wir alle kennen oder zu kennen glauben. Wenn wir uns da mal nicht täuschen!
Der Autor Franz Dietrich lebt im Süden von Deutschland und schreibt aus Leidenschaft für das gesprochene und geschriebene Wort.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
ZEIT IM STRANDKORB
Nach fünfzig Jahren, beginnt das Leben eines Mannes schleichend etwas bröselig zu werden. Es schleift sich an den Kanten ab, wie alter Sandstein, der zu lange der Witterung ausgesetzt ist. Im Kern noch fest, verliert es Zusehens an Form, wird langsam unansehnlich und leider auch unerträglich. Der fünfzigste Geburtstag ist daher kein Festtag. Wer ihn als Mann mit einem rauschenden Fest begeht, ist entweder total beknackt oder mathematisch unterbelichtet. Conrad Stadler war weder das Eine, noch das Andere. Er sah die Dinge realistisch. Sein Leben war zu Zweidrittel abgelebt, der Rest, bröselig und abgeschliffen, musste mit Vorsicht angegangen werden. Statt ordentlich mit dem faltigen Arsch zu wackeln, kündigte er, ohne nähere Angaben von zwingenden Gründen, seinen Job bei der Oberfinanzdirektion, der ihn mehr als dreißig Jahre über Wasser gehalten hatte. Mehr aber auch nicht. Von einem erfüllten Arbeitsleben, pflichtbewusst, korrekt und mit Hingabe bewältigt, konnte keine Rede sein. Er hatte dreißig Jahre funktioniert, wie der Kaffeeautomat in der Kantine. Neunzig Tage vor seinem fünfzigsten Geburtstag hatte er mit dem gleichen, nur vorgetäuschten Pflichtbewusstsein das in dreißig Jahre über Wasser gehalten hatte, seine langjährige Freundin auf die Straße gesetzt, seinen Vater zu Grabe getragen und sein Erbe in Form eines zweistöckigen Mietshauses angetreten. Er nahm eine der sechs Wohneinheiten für sich selbst in Anspruch, renovierte sie nach seinen Vorstellungen und übertrug den Rest des Hauses einer Maklerfirma mit zweifelhaftem Ruf. Seine langjährige Freundin verschwand in einem Möbelwagen, sein Vater (ein tyrannischer Nachkriegstyp mit straffen Prinzipien), endete gottgewollt unter zwei Tonnen Marmor. Ein friedliches Ende für einen Mann, der ihn lebenslang mit dämlichen Weisheiten gequält hatte, stellte Conrad erleichtert fest. Seine fristlose Kündigung wirbelte weniger Staub auf als ein Kinderpups. Conrad war nicht das Ass der Abteilung, als Mitarbeiter des Monats hatte er deshalb nie zur Debatte gestanden. Sein Schreibtisch war immer sauber und aufgeräumt gewesen, fein geordnet wie sein restliches Leben, über das seine Kollegen nur wenig wussten. Er war stets freundlich gewesen, aufmerksam, zurückhaltend und nie auf Kollisionskurs. Der Verlust, den Conrads Abgang hinterließ, war nicht erwähnenswert. Alter Schreibtisch, neuer Mitarbeiter, Deckel drüber. Am letzten Arbeitstag schüttelte Conrad ein paar Hände, gab seine Identitätskarte zurück und pinkelte heimlich in einen monströsen Blumentopf. Nach gelungener Flucht aus staatlicher Obhut, gönnte er sich eine Woche Urlaub an der Ostsee. Jeder andere Platz auf dieser Welt wäre ihm ebenso willkommen gewesen. Das Hotel in der Nähe von Stralsund hatte seine Aufmerksamkeit erregt, weil es Ruhe und Erholung versprach. Ideal, so sagte man ihm im Reisebüro, den Kopf frei zu bekommen. Genau das was er wollte. Noch hatte er manchmal das dringende Bedürfnis in weitere monströse Blumentöpfe zu pinkeln. Ein kleines Laster, das dem Ex-Mitarbeiter einer deutschen Oberfinanzdirektion, nicht sonderlich gut zu Gesicht stand. Er unternahm lange Spaziergänge, folgte unauffällig alleinstehenden Frauen und würzte seinen Nachmittagskaffee mit einem kräftigen Schuss Amaretto. Am Abend erzählte er den alleinstehenden Damen von seinen langen Spaziergängen, wechselte von Amaretto zu Gin Tonic und stahl sich mit dem Hinweis, er sei ein glücklich verheirateter Ehemann, aus jeder weiteren Verantwortung. Seine Ambitionen Verantwortung zu übernehmen, waren nie sonderlich ausgeprägt gewesen. Einer der Gründe, weshalb er nie geheiratet und ein halbes Dutzend Kinder in die Welt gesetzt hatte. Mit fünfzig Jahren irgendetwas daran ändern zu wollen, machte wenig Sinn. Auf einem seiner langen Spaziergänge, stieß er auf einen Laden der gebrauchte Strandkörbe verkaufte. Er ging hinein, fand ein Exemplar mit blau-weißer Musterung und erstand es zu einem sensationellen Sonderpreis. Lieferung frei Haus, innerhalb von sieben Tage, garantiert weniger als zwei Jahre im Gebrauch, versprach der angedudelte Verkäufer. Conrad glaubte ihm, trotz der deutlichen Alkoholfahne. Er leistete eine minimale Anzahlung, ertrug abends den Spott der alleinstehenden Damen und erfreute sich seines neuen Lebens. Nach sieben Tagen setzte er sich in ein zwanzig Jahre altes Mercedes Kabriolett und fuhr zurück in seine frisch renovierte Wohnung im Zentrum einer Kleinstadt nördlich von München. Seine Abreise wirbelte noch weniger Staub auf, als sein nüchterner Abgang aus der Oberfinanzdirektion. Außer einer alleinstehenden Dame aus Zimmer Vierundzwanzig im ersten Stock und der rothaarigen Hupe an der Rezeption im Erdgeschoss, nahm niemand Kenntnis davon. Der Weg zurück in ein Leben, das nicht an den Kanten abgeschliffen wurde wie verwitterter, alter Sandstein, fiel Conrad Stadler überraschend leicht. Dreißig Jahre Stallgeruch ließen sich natürlich nicht von heute auf morgen in Jasminduft verwandeln. Der Alltag roch auch in seiner frisch dekorierten Wohnung nach Pflicht, Ehre und Kaffeemaschine. Seit er ins Singlezeitalter abgetaucht war, roch es außerdem hin und wieder nach verpasster Müllentsorgung, Waschmaschine und antibakteriellen Schimmelreiniger. Der Kampf mit Mindesthaltbarkeitsdaten wurde zur alltäglichen Bedrohung. Manchmal gewann, manchmal verlor er den Kampf. Langsam nahm sein Leben verschleißfreie Formen an. Vier Tage nach Rückkehr aus dem Urlaub, wurde der Strandkorb geliefert. Er fand seinen idealen Platz auf dem überbreiten Balkon, nahe der Glasfront zum Wohnzimmer, leicht schräg ausgerichtet um freies Sichtfeld zur Domkirche hinauf zu haben. Erste Tests verliefen überaus zufriedenstellend. Der gewählte Standort erwies sich als windresistent, geräuscharm und größtenteils uneinnehmbar für neugierige Nachbarn. Trotzdem zog der nur bis zur Hälfte sichtbare Strandkorb, wie selbstverständlich die Aufmerksamkeit des Viertels auf sich. Einmal entdeckt, wurde er über lange Tage hinweg zur absoluten Attraktion. Manche Beobachter schüttelten verständnislos den Kopf, andere dachten womöglich an ihr eigenes, abgeschliffene Leben und lächelten zustimmend. Conrad Stadler genoss ihr Interesse mit Zurückhaltung. Er war dreißig Jahre im Kreis gelaufen und musste sich erst an die neue Laufrichtung gewöhnen. Nachdem die Aufregung um den Strandkorb wichtigeren innenpolitischen Themen gewichen war (zum siebten Mal in wenigen Jahren, stand der Verantwortliche für den Bau der Westumgehung vor dem Rauswurf), zelebrierte Conrad in einer lauschigen Nacht Richtfest für den neuen Strandkorb. Einziger Gast: Er selbst. Als kulinarischer Höhepunkt des Abends, wurde nach Einbruch der Dunkelheit eine Flasche Rotwein aus Südafrika und eine aufgepimpte Pizza mit zerkrümelter Salsicca, Chilischoten, roten Zwiebeln, Mozzarella und Oregano gereicht. Aufgrund einer zweiten Flasche Wein, dauerte das Fest beinahe die ganze Nacht. Der Kater am nächsten Tag dauerte etwa bis Mittag. Ein schmerzhafter Teil der neuen Laufrichtung, an die er sich erst gewöhnen musste. Wieder in Form gebracht, stellte er sich seinen Mietern als neuer Hausherr und Vermieter vor. Da er wenig Kontakt zu seinem verstorbenen Vater gepflegt hatte, war er den Meisten völlig unbekannt. Einigen war er während der Renovierungsarbeiten schon kurz über den Weg gelaufen. Mehr als ein flüchtiger Gruß unter Zufallsbekanntschaften war dabei nicht ausgetauscht worden. Sein Vater Maximilian Stadler, war Zeit seines Lebens ein überzeugter Eigenbrötler gewesen. Nur in den kurzen vier Jahren, in denen er mit Conrads Mutter verheiratet gewesen war, hatte er hin und wieder kurz über den Tellerrand hinausgelinst. Offenbar hatte er seine Mieter in ähnlich zurückgezogenen Kreisen gesucht und gefunden. Ehepaar Seifert, seine Flurnachbarn auf der rechten Seite, lebte lautlos wie ein kaputtes Fernsehgerät. Kein einziger lauter Ton drang je aus ihrer Wohnung, keine Tür knallte, kein zänkisches Gezeter und auch kein guter alter Rock`n Roll. Im ersten Stockwerk residierte Zahnarzt Doktor Kleist, nebst Papagei Nepomuk und Putzfrau Swetlana aus Kasachstan. Kleist und Nepomuk waren Dauergäste, Swetlana kam zweimal die Woche. Der weitaus unterhaltsamste Teil des Trios war der Papagei. Er beherrschte mehr deutsche Wörter als die Putzfrau und legte in seinem Käfig in einer Stunde mehr Meter zurück, als Doktor Kleist an einem ganzen Wochenende zwischen Hausbar und Kleiderschrank zustande brachte. Gegenüber logierten zwei ältere Schwestern, die mit dem Adjektiv älter noch gut bedient waren. Maria und Sebastiana Popp hielten sich mit Hilfe von täglich angebotenen Quizsendungen auf diversen Fernsehkanälen und der massenhaften Einnahme leistungsstärkender Präparate aus dem Drogeriemarkt, halbwegs bei akzeptablem Verstand. Sebastiana war in jüngeren Jahren Nonne gewesen, ehe man sie wegen Unzucht mit einem rosaroten Dildo aus dem Konvent geworfen hatte. Im Erdgeschoss waren ein Architekturbüro und ein...