Dixon Der Mona Lisa Schwindel
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-8477-5324-7
Verlag: AB - Die Andere Bibliothek
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 324, 260 Seiten
Reihe: Die Andere Bibliothek
ISBN: 978-3-8477-5324-7
Verlag: AB - Die Andere Bibliothek
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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Zweites Kapitel
»Lass uns ausgehen und übers Geschäft reden«, hatte Valfierno nach der zweiten Flasche Roederer vorgeschlagen – eine gute Gelegenheit, die beiden Freunde eine Zeitlang allein zu lassen. Ich möchte nämlich auch über Geschäfte sprechen, über nicht ganz legale Geschäfte. Natürlich würde ich lieber von Chaudron und Valfierno weitererzählen, aber bevor ich damit fortfahre, muss ich Anna Gould erwähnen. Wer sie war, kann man unmöglich wissen, wenn man die Geschichte ihres Vermögens nicht kennt, ohne das Boni de Castellane sie nie geheiratet hätte; und ohne Boni wäre Valfiernos Geschichte schon zu Ende, bevor sie wirklich angefangen hat. Im Übrigen müssen Sie nicht befürchten, dass ich Chaudron und Valfierno aus den Augen verliere – wir kehren rechtzeitig zu ihnen zurück. Mir war vieles unbekannt, was ich in Lauras Aufzeichnungen las. Ich hatte keine Ahnung, wer Anna Gould und Boni de Castellane waren. Beide gehören zu einem Kapitel amerikanischer und zu einem halben Kapitel europäischer Geschichte, an die sich niemand gerne erinnert. Wir sehen uns mit Vergnügen die prachtvollen Kunstwerke in den großen und großzügigen privaten Sammlungen an. Kein Kunstliebhaber wird nach New York kommen, ohne das Guggenheim Museum oder die Pierpont Morgan Library zu besuchen. Aber niemand fragt sich, woher das Geld kam, um solche Schätze in der Spanne eines Lebens anhäufen zu können. Hinter jedem großen Vermögen verbirgt sich ein großes Verbrechen, schreibt Balzac. Aber manchmal genügt auch ein raffinierter Schachzug. Annas Vater, Jay Gould, war als Finanzhai so berüchtigt und verhasst, dass meine Eltern ihn noch gekannt haben, aber heute weiß man von seinen gigantischen Betrügereien nichts mehr. Selbst mit dem »Schwarzen Freitag« verbindet man nur den Börsenkrach von 1929 und nicht den Unglückstag, für den dieser Ausdruck erfunden wurde, weil durch Goulds Schuld die Börse zusammenbrach und Tausende ins Elend riss. Mit Eisenbahnaktien hatte er schon zwanzig Millionen verdient, da machte er sich an das »Gold-Komplott«. In den Vereinigten Staaten waren 1869 fünfzehn Millionen Dollar in Gold im Umlauf, die Gould für seinen Plan brauchte. Die Regierung hatte fünfundzwanzig Millionen als Staatsschatz in Reserve, und nur, wenn diese Reserve nicht eingesetzt wird, kann Gould mit dem Goldpreis spekulieren. Er besticht also den Schwiegersohn von Präsident Grant mit wöchentlich 25 000 Dollar, um an Informationen aus erster Hand zu kommen. Zur Sicherheit kauft er sich mit anderthalb Millionen auch noch den Schatzsekretär. Dann lässt er durch Bankiers wie Morgan alles in Umlauf befindliche Gold aufkaufen. Die Folge war, dass der Goldpreis an der Börse hochschnellte. Über Mittelsmänner verkaufte Gould dann heimlich Gold aus seinen Depots, während er gleichzeitig durch Meldungen seiner eigenen Nachrichten-Agentur die Leute animierte, noch weiter in Gold zu investieren. Also kauften alle sein Gold und stießen dafür ihre gesamten anderen Aktienpakete ab. Die Börse fallierte, unzählige Gesellschaften, Firmen und Privatleute waren ruiniert. Es gab Dutzende von Selbstmorden, und Gould war um zwölf Millionen reicher. Das geschah am 24. September 1869, dem Schwarzen Freitag. Seither war Gould der meistgehasste Mann Amerikas. Aber das große Geld machte er mit der Union Pacific Railway, der ersten Bahn quer durch Amerika, die den Westen für die Wirtschaft erschloss. Nicht die Bahn hat ihn interessiert, sondern die drei Millionen Hektar Land, die der Staat den Investoren als Anreiz längs der Strecke schenkte. Bevor er die Aktienmehrheit kaufte, ließ Gould geologische Gutachten erstellen: Es war nicht etwa wertloses Brachland, sondern es waren die Kohlereviere von Oklahoma, Utah und Wyoming, die er nun als sein Privateigentum betrachtete. Er allein verfügte über den Abbau, den Transport und den Verkauf der Kohle, die vor allem zur Eisen- und Stahlerzeugung gebraucht wurde. Zu Höchstpreisen verkaufte er sie seinen eigenen Gesellschaften, sonst hätte es keine Schienen und Züge gegeben. Mit fünfundvierzig Jahren besaß Gould mehr als hundert Millionen Dollar. Auf seinen eigenen Schienen reiste er standesgemäß in seinem eigenen Luxuszug, mit Gesellschaftsraum und Panoramablick, Salon, Speisesaal, einer Küche, mehreren Schlafräumen und Zimmern für die Dienstboten. In New York besaß er ein Stadthaus auf der Fifth Avenue und in Irvington ein Herrenhaus am Hudson auf hundert Hektar Land mit der schönsten Orangerie Amerikas. Als der Farmersohn, der nie eine Schule besucht hatte, im Jahr 1892 starb, vererbte er seinen vier Söhnen und zwei Töchtern zu gleichen Teilen nominell nur siebenundsiebzig Millionen Dollar; der Rest ging an der Steuer vorbei. Leider hinterließ er ihnen auch seinen schlechten Ruf. Sie wurden von der Gesellschaft gemieden, denn praktisch jeden, der dazu gehörte, hatte ihr Vater irgendwann einmal betrogen. Sogar den mächtigen Konkurrenten Vanderbilt hatte er mit der illegalen Ausgabe von Aktien der Erie-Bahn übers Ohr gehauen. Ich weiß, dass die Vanderbilts, Morgans, Guggenheims oder wie unser Geldadel auch immer heißt, es nicht anders gemacht haben. Vielleicht weniger offensichtlich, aber genauso rücksichtslos. Jeder tat es auf seine Weise. »Gott belohnt die Tüchtigen« hieß es, und daran glaubten sie. Irgendwann hatten diese Selfmademen alles, was es für Geld zu kaufen gab: die größten Häuser, die elegantesten Jachten, die schnellsten Pferde. Nur eines konnten sie nicht kaufen: Unsterblichkeit. Gott belohnte die Tüchtigen nämlich nur zu ihren Lebzeiten – und dann? Was würde dann sein? Jene Generation kaltblütiger Kapitalisten hatte von der Geschichte eine sehr einfache Vorstellung: Sie machten sie. Aber nach ihnen würden andere kommen, und was würde dann aus ihrem eigenen Andenken? Sie würden aus dem öffentlichen Gedächtnis verschwinden, als hätte es sie nie gegeben. Blieb ihnen wirklich nur der Wettkampf der Mausoleen, das eigene stets prächtiger und erkennbar teurer als das der Konkurrenten? Goulds Grabpalast hatte einhundertzehntausend Dollar gekostet, aber gestorben war er als verbitterter Mann, der wusste, dass seine Leistungen ihn nicht in die Ruhmeshalle bringen würden. Gegen diese Angst vor dem Vergessenwerden gab es nur ein Heilmittel: die Verbindung mit einem Namen, der älter und bedeutender war als der eigene und dessen Glanz auch die eigene Person im goldenen Schimmer der Geschichte verklärte. Wozu hatte man Töchter? Vanderbilt – war das nicht einer dieser Eisenbahnkönige? Wie belanglos würde das klingen. Aber: Vanderbilt war der Schwiegervater des Herzogs von Marlborough – welche Würde offenbart sich in dieser Genealogie! Ein Mann, der es zu der Ehre bringt, mit dem Herzog in einem Atemzug genannt zu werden, wird von der Geschichte nicht vergessen, sondern ist für immer ein Teil von ihr. Solche Unsterblichkeit ließ sich kaufen. Consuelo, die Tochter William K. Vanderbilts, heiratete 1895 den Herzog von Marlborough, dessen ruinöses Schloss Blenheim mit seinen zweihundert Dienstboten und einem jährlichen Etat von hunderttausend Dollar dringend einer Unterstützung bedurfte. Das Stadtschloss Sutherland in London hingegen wurde eigens für das Paar gebaut, für etwa zweieinhalb Millionen Dollar. Niemand hat gesagt, dass Unsterblichkeit billig wäre. Alles in allem soll der Titel einer Herzogin den Schwiegervater zehn Millionen gekostet haben, nicht einmal zehn Prozent seines Vermögens. Dreizehn Jahre später entschied die Herzogin, dass es besser sei, den Titel zu behalten als den Mann. Ihre zwölf Millionen schwere Cousine vermählte sich mit einem ungarischen Adligen, dessen Namen allerdings niemand aussprechen konnte, weshalb es in diesem Fall mit der Unsterblichkeit nicht ganz klappte. Bis zum Jahr 1900 hatten fünfhundert Amerikanerinnen ausländische Adelige geheiratet und dadurch etwa zweihundertzwanzig Millionen Dollar nach Europa gebracht. Eine von ihnen war Anna Gould. Anna heiratete drei Jahre nach dem Tod ihres Vaters, im März 1895, den französischen Grafen Boni de Castellane. Endlich. Sie hatte schon nicht mehr daran geglaubt, dem schlechten Ruf ihres Vaters entkommen zu können. Zu den Fleischmärkten, wie man die großen Bälle der New Yorker Saison respektlos, aber durchaus zutreffend nannte, war sie nie eingeladen worden. Es hätte auch nichts genutzt. Mit ihren zehn Millionen war sie zwar einigermaßen reich, aber das waren hier alle. Nein, Anna war nicht wie ihr Vater klein und unscheinbar, sondern sie war klein, unmöglich gekleidet und so hässlich, dass man in Paris darüber lästerte. Als Boni sie zum ersten Mal sah, trug die Achtzehnjährige ein Kleid aus dunkelgrauem Crêpe de Chine, das höchstens zu einer geschlechtslosen Gouvernante gepasst hätte. Apart, dachte er, der solch eine Kombination von ästhetischen Mängeln und finanziellen Vorzügen noch nie erlebt hatte, sehr apart. Er kannte bisher nur Affären mit gelangweilten Ehefrauen aus seinem Bekanntenkreis. Sie waren fünf Minuten lang dankbar und in der Oper grüßten sie nur andeutungsweise. Diese krude Amerikanerin müsste ihm in jeder Sekunde ihres Lebens dankbar sein und in der Oper – nun ja, die gemeinsame Loge ließe sich kaum vermeiden, aber ein gemeinsamer Parcour durch die abschätzigen Blicke – lieber nicht. Anna war keine Frau zum Vorzeigen, das wusste sie sicher selbst; ihre Vorzüge wirkten im Stillen, auf ihrer Bank. So einfach dürfte sich Boni das Leben mit Anna gedacht haben. Er hatte keine Ahnung, was ihn wirklich erwartete. Sie galt für reicher, als sie war. Man sprach von Milliarden. Solche inneren Werte glichen vieles aus, was Boni an Äußerlichkeiten bemängeln konnte. Die Marquise d’Anglesey...