E-Book, Deutsch, 404 Seiten
Doering Friedrich Hölderlin
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-8353-4826-4
Verlag: Wallstein
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Biographie seiner Jugend
E-Book, Deutsch, 404 Seiten
ISBN: 978-3-8353-4826-4
Verlag: Wallstein
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein frischer, unbefangener Blick auf Kindheit, Jugend und Ausbildung eines der größten deutschen Dichter.
Friedrich Hölderlin (1770-1843) wuchs in privilegierten Verhältnissen auf. Sabine Doering deckt anschaulich die Einflüsse auf, die den begabten Heranwachsenden während der Schul- und Studienzeit in Württemberg prägten: Eine Zeit, die ihn auf das Pfarramt vorbereiten sollte, während es ihn zur Dichtung drängte. In kultur-, mentalitäts- und bildungsgeschichtlicher Perspektive werden zahlreiche Briefe und Dokumente zum Sprechen gebracht.
Die Schilderung eines faszinierenden Bildungs- und Reifungsprozesses führt zugleich in eine der interessantesten Epochen der deutschen Kultur- und Geistesgeschichte: Zu Hölderlins Freunden gehörten Hegel und Schelling; Kants Schriften begeisterten ihn; Schiller und andere Dichter verehrte er als Vorbild. Kenntnisreich widerlegt Sabine Doering hartnäckige Legenden, die sich seit langem um Hölderlins Leben ranken, wie seine angebliche Armut oder die Verklärung seiner Liebesverhältnisse. So entsteht das facettenreiche Porträt eines empfindsamen und ehrgeizigen jungen Mannes, der beharrlich seine Berufung zum Dichter verfolgte.
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II. »Gewinn und Verlust
wäget ein sinniges Haupt«
Hölderlin, seine Familie und das Geld
Hölderlins Reichtum – Vermutungen, Legenden, Fakten
Über Hölderlins Lebensverhältnisse zu sprechen, seine Pläne und Wünsche, über die Nöte und Zwänge, denen er sich immer wieder ausgesetzt sah – das bedeutet auch, über Geld zu sprechen, und zwar über sehr viel Geld. Um welche Summen es dabei geht, war Hölderlin vermutlich selbst nie ganz deutlich; und auch in der Hölderlin-Forschung hat man lange Zeit viel lieber über des Dichters Landschaftserfahrungen und seine Liebeserlebnisse gesprochen als über sein beträchtliches Vermögen. Wenn man es doch tat, dann wiederholte man bis auf wenige instruktive Ausnahmen gern das, was an der Oberfläche der Briefe zwischen Hölderlin und seinen Angehörigen – der Mutter vor allem, aber auch den Geschwistern – das Thema war: die steten Ermahnungen an den Studenten und Hofmeister, sparsam zu sein und endlich – am liebsten mittels einer Anstellung im Kirchendienst – für sein eigenes Auskommen zu sorgen. Auf diese Ermahnungen reagierte Hölderlin zumeist prompt: Immer wieder betonte er seine Sparsamkeit – bis hin zu dem rührenden Bericht aus seiner Tübinger Studienzeit im Mai 1789, daß er sich während des jährlichen Markts in seiner Stube eingeschlossen habe, um ja kein Geld für unnötige Vergnügungen auszugeben (MA II, S. 451). Das ist gewiß eine übertriebene Stilisierung; sie illustriert aber anschaulich, wie sehr es dem Studenten geboten schien, die mütterlichen Mahnungen zum haushälterischen Umgang mit seinem Geld zumindest in der Rhetorik der Briefe zu beherzigen. Dennoch – oder wohl doch vielmehr gerade wegen der fortdauernden Ermahnungen zur Sparsamkeit – bleibt das Geld ein wiederkehrendes Thema in Hölderlins Briefen an die Mutter. Gewissenhaft gab er die Kosten und Ausgaben an, die ihm im Studium entstanden. Spartanisch ging es dabei durchaus nicht immer zu: Der Student leistete sich Luxuswaren wie teure silberne Schnallen für seine Schuhe. Teilweise waren auch erstaunlich hohe Rechnungen für Bücher und Verköstigung zu entrichten. Bei aller Ermahnung zur Sparsamkeit lag es der Mutter allerdings fern, ihren Sohn zu äußerlicher Unscheinbarkeit anzuhalten. Im Gegenteil: Ihr Erstgeborener, für den sie während seiner Ausbildungsjahre auf eine glänzende Karriere in der Kirche hoffte, sollte repräsentativ und würdig in das öffentliche Leben treten – natürlich, so war die Hoffnung, an der Seite einer ebensolchen würdigen und sparsamen Hausfrau, als die Hölderlins Mutter sich selbst begriff. Vor Antritt seiner ersten Hofmeisterstelle in Waltershausen wurde der Sohn geradezu üppig mit Kleidung ausgestattet. Freilich mußte Hölderlin die Mutter immer wieder um Geld und Unterstützung bitten – war es in der Klosterschule noch der ersehnte Kaffee, um den er nach Hause schrieb, wurden es später, als er sich in Jena und Homburg als Privatier zu etablieren versuchte, die Kosten für den Lebensunterhalt. Und schließlich meldete Hölderlin stolz – und mitunter in diplomatisch schonender Übertreibung – alle tatsächlichen oder zu erwartenden Einnahmen nach Hause. Damit wollte er vor allem eins: beweisen, daß es ihm, hinreichend Zeit und Ruhe für das von ihm immer wieder nachdrücklich beschriebene Projekt seiner »Bildung« vorausgesetzt, endlich gelingen werde, selbständig von seinen Einnahmen leben zu können. Die 100 Gulden, die der angesehene Verleger Cotta ihm für seinen Hyperion zahlte, werden so zu einem mehrfach angeführten Argument: Wenn der erste Roman schon so viel Geld einbrachte, dann war der Anfang gemacht für eine Existenz als freier Schriftsteller. Vermutlich ahnte Hölderlin selbst, wie heikel diese Argumentation war: Mit Schiller und dessen vielfältigen Journal-Projekten hatte er ein Beispiel vor Augen, wie wenig selbstverständlich es in diesen Jahren war, als anspruchsvoller Autor und Herausgeber von einer literarischen Tätigkeit zu leben, die nicht auf die rasche Produktion von Unterhaltungsromanen angelegt war. Schillers Absagebrief, den er Hölderlin im August 1799 schickte, als der ihn zur Mitarbeit an dem geplanten Journal Iduna einlud, argumentiert entsprechend: Zu viele vergleichbare Publikationen seien inzwischen auf dem Markt, der als gesättigt betrachtet werden müsse – reich werden könne heutzutage niemand durch Journale. Und auch nicht, wie man rückblickend hinzufügen möchte, durch die Veröffentlichung eines Romans wie des Hyperion: Die 100 Gulden, die Hölderlin mit so verständlichem Stolz gegenüber der Mutter anführte, waren im Vergleich mit anderen Honoraren dieser Zeit dann doch eine recht kleine Summe. Überhaupt kann der Wert vergangener Einkünfte und Ausgaben nur in Relation zu dem damaligen Kaufwert angegeben werden. Eine einfache Umrechnung, die den Gegenwert eines Guldens (die übliche Abkürzung war »fl.« – hergeleitet von der Bezeichnung »Florin« bzw. »Florentiner«) in konkrete Angaben heutiger Währungen übersetzt, muß zwangsläufig zu starken Verzerrungen führen. Dennoch gibt es natürlich solche Umrechnungsversuche, die bei aller Vorsicht immerhin einen ersten ungefähren Vergleichswert angeben können. Eine weitere, nicht zu unterschätzende Schwierigkeit besteht darin, daß einzelne Währungshistoriker durchaus uneins sind, wie der jeweilige Umrechnungsschlüssel anzusetzen ist. So wird für das späte 18. Jahrhundert der heutige Gegenwert eines Guldens nach dem niedrigsten Umrechnungssatz mit rund 25 Euro veranschlagt; andere Rechnungen gehen von einem höheren Wert aus.[1] Hölderlins Honorar von 100 Gulden entspräche nach der zurückhaltenden Umrechnung folglich heute 2.500 Euro. Das Geld also war ein zentrales, wiederkehrendes Thema in Hölderlins Korrespondenz. Allerdings tauchen dort stets nur Summen auf, die weit von dem entfernt sind, was Hölderlin tatsächlich besaß. Er selbst hat, soweit wir es heute wissen, offenkundig niemals genau nachgerechnet, über welches Vermögen er zumindest seit seinem 25. Geburtstag verfügen konnte, und seine Leser haben es lange Zeit auch nicht getan. Wer genau rechnete, das war Hölderlins Mutter Johanna Christiana Gok, verwitwete Hölderlin. Sie allerdings hatte gute Gründe, diese Rechnungen für sich zu behalten und die Zahlen dort, wo es ihr angeraten schien, zu manipulieren oder sie zumindest nicht in aller Klarheit offenzulegen. Diese finanziellen Manöver einer angesehenen, sparsamen Bürgersfrau können nur vor dem Hintergrund des württembergischen Erbrechts, der Familienverhältnisse im Hause Hölderlin/Gok und der sozialen Erwartungen innerhalb der Ehrbarkeit angemessen verstanden werden. Das Vermögen der Familie Hölderlin und die Aufteilung des Erbes
Am Anfang der verwickelten finanziellen Verhältnisse, die Hölderlin sein Leben lang begleiteten, steht der Tod seines leiblichen Vaters, des Lauffener Klosterhofmeisters Heinrich Friedrich Hölderlin. Eigenes Kapital und eine ihrem Stand angemessene Mitgift kamen bei der Ehe mit der Pfarrerstochter Johanna Christiana Heyn zusammen: Neben den Sachwerten wurde die Braut mit 800 Gulden ausgestattet; später erhielt sie, zur Gleichstellung mit ihrer Schwester, weitere 700 Gulden.[2] Und wenn auch Hölderlins Vater offenbar das repräsentative Leben liebte und wenig haushälterisch war – vier seiner sieben teilweise sehr aufwendigen Röcke erwarb er in der Zeit seiner Ehe[3] –, hinterließ er bei seinem plötzlichen Tod im Sommer 1772 dennoch ein beträchtliches Vermögen, das allerdings zum Kummer seiner Frau um 500 Gulden gegenüber dem ursprünglichen Bestand geschrumpft war.[4] Zwei Jahre später, anläßlich der bevorstehenden Wiederverheiratung seiner Witwe, erfolgte unter der genauen Aufsicht der Behörden eine komplette Inventur des Familienbesitzes und die Berechnung der sogenannten Eventualteilung, die die Ansprüche der Hinterbliebenen – der Ehefrau und der drei Kinder – bis auf den Kreuzer genau festlegte. Die nicht geringen Gebühren für diesen Verwaltungsakt, immerhin 90 Gulden, mußte die Antragstellerin selbst begleichen.[5] Beides, Inventur und Eventualteilung, waren Besonderheiten des württembergischen Rechts, das auf diese Weise in einer Zeit häufiger Todesfälle und vielfacher Wiederverheiratungen allen Hinterbliebenen Gerechtigkeit zuteil werden lassen wollte: Ehepartner und leibliche Kinder erbten, so die gesetzlichen Bestimmungen, zu gleichen Teilen; zwischen Söhnen und Töchtern wurde kein Unterschied gemacht. Das kindliche Vermögen wurde von dem überlebenden Elternteil treuhänderisch verwaltet, bis die erwachsenen Kinder bei ihrer Hochzeit oder an ihrem 25. Geburtstag Anspruch darauf erheben konnten. Die Eltern duften als Nutznießer die Zinsen dieses Kapitals beanspruchen; doch war es ihnen verboten, den Grundstock des Kapitals selbst anzugreifen. Über die Ausbildungskosten der Kinder mußte genau Buch geführt werden, denn bei der späteren Auszahlung des Erbes an die Kinder durften diese Kosten – bis zum Abschluß des Studiums – den Kindern nicht angelastet werden, mußten also entweder aus den Zinserträgen ihres Kapitals oder aus dem Vermögen der Eltern bezahlt werden. Ausgabenliste der Mutter für den »L. Fritz«, Seite 1 Diese gesetzliche Regelung ist die Ursache dafür, daß Hölderlins Mutter über...