E-Book, Deutsch, Band 3, 423 Seiten
Reihe: International Labour Studies
Dörre / Scherschel / Booth Bewährungsproben für die Unterschicht?
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-593-41858-2
Verlag: Campus
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Soziale Folgen aktivierender Arbeitsmarktpolitik
E-Book, Deutsch, Band 3, 423 Seiten
Reihe: International Labour Studies
ISBN: 978-3-593-41858-2
Verlag: Campus
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Inhalt
Vorwort11
Teil I: Problemstellung, Thesen, Anlage und empirische Basis der Untersuchung
1 Zur Einführung: Von der Unterschichtendebatte zu Hartz IV… 17
1.1 Die Hartz-Reformen – eine Erfolgsgeschichte17
1.2 Eine neue Unterschicht?18
1.3 Arbeitsmarktreformen und strenge Zumutbarkeit 24
2 Annahmen, Thesen und Design der Studie: 'Eigensinnige Kunden' im Fokus 32
2.1 Strukturierende Thesen: Erwerbslosigkeit als Wettkampf 32
2.2. Ziele, Methoden, Auswertungsverfahren, empirische Basis 45
2.2.1 Ziele 45
2.2.2 Die Regionalstudie47
2.2.3 Die Mehrfachbefragung von Leistungsbeziehern 49
2.2.4 Aufbau der Studie 55
Teil II: Die Regionalstudie
3 Das aktivierende Arbeitsmarktregime in regionalen Kontexten 59
3.1 Die Untersuchungsregionen 60
3.2 Die Arbeitsmarktentwicklung in den Untersuchungsregionen 62
3.2.1 Die Entwicklung der regionalen Beschäftigung bis 2009 63
3.2.2 Die Entwicklung der Arbeitslosigkeit bis 200969
3.2.3 Sanktionen und Aktivierung im regionalen Vergleich74
3.3 Von der Langzeitarbeitslosigkeit in die Prekarität 79
3.4 Die Konstruktion strenger Zumutbarkeit als mikropolitischer Mehrebenenprozess 85
3.4.1 Klein-Weststadt: Fordern von Verfügbarkeit89
3.4.2 Groß-Weststadt: Fördern von Beschäftigungsfähigkeit 96
3.4.3 Klein-Oststadt: Fordern von Eigenverantwortung 101
3.4.4 Ost-Landkreis: Fördern sekundärer Integration 106
3.5 Fazit: Erwerbslosigkeit als Wettkampf110
Teil III: Erwerbsorientierungen eigensinniger 'Kunden' – eine Typologie
4 Zur Konstruktion der Typologie123
4.1 Typusbildende Kriterien 124
4.2 Normative Orientierung, Tätigkeitskonzept, Verarbeitungsmodus 126
4.3 Die Subtypen 131
5 Die Um-Jeden-Preis-Arbeiterinnen 134
5.1 Kurzfassung, allgemeine Merkmale134
5.2 Herr Sommer: 'Dann mach ich vorne die Tür zu und fang was anderes wieder an' 136
5.3 Die normative Orientierung 139
5.4 Das Tätigkeitskonzept 144
5.5 Der Verarbeitungsmodus 147
5.6 Subtypen: Aussichtsreiche und Alternativlose 150
5.6.1 Die Alternativlosen 150
5.6.2 Die Aussichtsreichen 154
6 Die Als-Ob-Arbeiterinnen 159
6.1 Kurzfassung, allgemeine Merkmale159
6.2 Frau Mayer: 'In meinem Haus… weiß keiner, dass ich Hartz IV bin' 162
6.3 Die normative Orientierung 164
6.4 Das Tätigkeitskonzept 168
6.5 Der Verarbeitungsmodus 170
6.6 Subtypen: Schein-Reguläre und Bürgerschaftlich-Engagierte 172
6.6.1 Die Schein-Regulären 172
6.6.2 Die Bürgerschaftlich-Engagierten 175
7 Die Nicht-Arbeiterinnen 182
7.1 Kurzfassung, allgemeine Merkmale182
7.2 Frau Werner: 'Also ich kenne es ja nur so. … ich bin da so reingewachsen' 185
7.3 Normative Orientierung und Tätigkeitskonzept 187
7.4 Der Verarbeitungsmodus 190
7.5 Subtypen: Ziellose und Resigniert-Eingerichtete 194
7.5.1 Die Ziellosen 194
7.5.2 Die Resigniert-Eingerichteten 198
7.6 Zwischenbetrachtung: Die arbeitenden Erwerbslosen 202
Teil IV:Soziale Wirkungen strenger Zumutbarkeit
8 Die Wettkampfpraxis: Strenge Zumutbarkeit und sozialer Eigensinn 209
8.1 Die Grundsicherung – Materielle Knappheit und ihre sozialen Konsequenzen 216
8.2 Die Kontrolle der Eigenbemühungen 223
8.2.1 Die Kontrolle der Eigenbemühungen als Teil einer Dienstleistung 224
8.2.2 Die Kontrolle der Eigenbemühungen als lästige Pflicht 229
8.3 Die Aufwendungsgrenzen für Wohnraum 232
8.4 Stigma Hartz IV 235
8.4.1 Kollektive Abwertung: '… wie ein Mensch zweiter, dritter Klasse' 237
8.4.2 Gute und schlechte Arbeitslose: 'Das ist schon komisch, da so zwischen zu stehen' 240
8.5 Geschlechterarrangements und strenge Zumutbarkeit 244
8.5.1 (De)stabilisierende Wirkungen der Bedarfsgemeinschaft 246
8.5.2 Sorgearbeit und Erwerbspflicht 249
8.6 Strenge Zumutbarkeit und sozialer Eigensinn – ein vorläufiges Resümee 252
9 Erwerbsorientierungen im Zeitverlauf: Polarisierung und zirkulare Mobilität 257
9.1 Drei Fälle im Zeitverlauf257
9.1.1 Herr Sommer: Von prekärer Selbstständigkeit zur Festanstellung 258
9.1.2 Frau Mayer: Zwischen Erwerbslosigkeit und Arbeitsersatz 261
9.1.3 Frau Grimm: Ein halbwegs gelingendes Leben jenseits der Erwerbswelt 265
9.2 Erwerbsorientierungen und Erwerbsverläufe267
9.3 Resümee: Polarisierung, zirkulare Mobilität, Habitualisierung von Unsicherheit 276
Teil V: Bewährungsproben im Ost-West-Vergleich, Netzwerkintegration, Sozialkritik
10 Bewährungsproben in Ost- und Westdeutschland 287
10.1 Umgang mit Mangel, prekärer und sozial geförderter Arbeit 291
10.2 Erwerbslose und prekär beschäftigte Frauen im Ost-West-Vergleich 297
10.3 Fazit: Mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede 304
11 Exkurs: Soziale Netzwerke in der Zone der Fürsorge 306
11.1 Zwischen sozialer Isolation und prekärer Integration 307
11.2 Bewältigungsstrategien von Erwerbslosigkeit undprekärer Beschäftigung 314
11.3 Fazit 319
12 Exkurs: Körpereigensinn und die Grenzen der Aktivierbarkeit 322
12.1 Psychische Folgen von Arbeitslosigkeit und die Grenzen der Aktivierbarkeit 326
12.2 Eine Fallstudie 331
12.3 Fazit: Grenzen der Aktivierbarkeit 339
Teil VI:Schluss: Strukturierende Effekte selektiver Arbeitsmarktpolitik
13 Die politische Konstruktion der Unterschicht 345
13.1 Das Wettkampfterrain – eine prekäre Vollerwerbsgesellschaft 348
13.2 Die Wettkampfpraxis – diffuse Kraftproben und Wertigkeitsprüfungen 358
13.3 Wettkampffolgen – Habitualisierung von Unsicherheit 368
13.4 Wettkampfklassen: Das 'Unten' in der sozialen Hierarchie 376
13.5 Wettkampf-Grenzen und Sozialkritik 387
Abbildungsverzeichnis 399
Abkürzungen400
Literaturverzeichnis 401
Autorinnen und Autoren422
3.5 Fazit: Erwerbslosigkeit als Wettkampf
Im Ergebnis unserer Regionalstudien können wir nun genauer beschreiben, wie die aktivierende Arbeitsmarktpolitik die Erwerbslosigkeit und die Verwaltung des Arbeitslosengeld-II-Anspruchs zum Bestandteil eines Wettkampfsystems macht. Regionenübergreifend besagt der ökonomische Leitgedanke dieses Regimes, dass eine intensivere Konkurrenz zwischen Beschäftigten und Arbeitslosen, aber auch unter den Arbeitslosen selbst, den Reservationslohn, also das Einkommen von Erwerbslosen, senkt und so den Anreiz zur Arbeitsaufnahme erhöht. Dem liegt die Vorstellung zu Grunde, marktgerechtes Verhalten der Erwerbslosen könne Beschäftigung erzeugen. Die Institutionalisierung dieses Leitbildes in den Gesetzeswerken 'Hartz I' bis 'Hartz IV' begründet ein Wettbewerbssystem, das den Arbeitsmarkt und die Arbeitsmarktpolitik auf neue Weise strukturiert. Die Umsetzung und Praxis der Reformen wird zum Gegenstand eines Kräftemessens zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Akteuren. Zum Zeitpunkt unserer ersten Erhebung ist die basale Kraftprobe zwischen Anhängern und Gegnern der Arbeitsmarktreformen in der politischen Arena auf Bundesebene bereits entschieden. Die Reformen haben Gesetzeskraft gewonnen und müssen nun umgesetzt werden.
Kraftproben und Wertigkeitsprüfungen
Allerdings ist das Ringen damit nicht beendet. Die Kraftprobe setzt sich trotz Grundsatzentscheidung auf jeder Ebene mit unterschiedlicher Intensität und wechselnden Gegenständen fort. Dieses Ringen ist in feldspezifische Rechtfertigungsregimes eingebettet, die den Grundsatz 'Gerecht ist, was Arbeit schafft!' als Basisregel anerkennen und regional variieren. Dementsprechend sind aus der Perspektive dieses Regimes alle Maßnahmen und Anreize legitim, die Erwerbslose zur aktiven Verbesserung ihrer Beschäftigungsfähigkeit motivieren. Ohne jede Garantie, einen einmal erreichten sozialen Status dauerhaft absichern zu können, müssen sich die Erwerbslosen durch Eigenaktivitäten für Fördermaßnahmen und 'Kundengruppen' qualifizieren, vor allem aber den Bezug von Transferleistungen rechtfertigen. Auf diese Weise sind die Arbeitsmarktakteure an der Konstitution und der Veränderung des Wettkampfsystems beteiligt. Arbeitslosigkeit wird nicht nur für erwerbslose und beschäftigte Leistungsbezieher, sondern auch für die zuständigen Sachbearbeiter der Arbeitsverwaltung zur permanenten Bewährungsprobe, die sowohl machtgestütztes Kräftemessen als auch Wertigkeitsprüfungen umfasst.
Der Wettbewerb als Kräftemessen ist auf allen Untersuchungsebenen zu spüren. In der Arena arbeitspolitischer Netzwerke macht er sich eher indirekt bemerkbar. Die Arbeitsmarktregionen sollen, wollen und müssen zeigen, dass sie in der Lage sind, die Reformen rasch und effizient umzusetzen. Der regionalen Gestaltbarkeit sind vergleichsweise enge Grenzen gesetzt. Und trotz aller vordergründigen Übereinstimmungen innerhalb der Netzwerke darf nicht übersehen werden, dass der Reformansatz den korporativen Konsens der aktiven Arbeitsmarktpolitik aufsprengt. Die gewerkschaftlich-arbeitsorientierte Stimme ist im Konzert regionaler Akteure strukturell geschwächt. Wo korporatistische Traditionen und Politiken des 'sozialen Ausgleichs' dennoch weitergeführt werden, beruht dies auf einem fragilen Konsens der maßgeblichen Akteure, der so lange aufrecht erhalten werden kann, wie die Reformen nicht grundsätzlich infrage gestellt werden.
Die Kraftproben setzen sich innerhalb der Arbeitsverwaltung fort. So werden die ARGEn nach Zielvorgaben und mittels strikter Budgetierungen geführt. Ihre Aktivitäten können anhand von Ausgaben und Vermittlungsquoten und Vermittlungsversuchen bewertet werden. Die Spitzen der Arbeitsverwaltungen brechen die Zielvorgaben und Budgets (zumindest informell) auf die Sachbearbeiterebene herunter. Auch Fallmanager und Vermittlerinnen haben sich zu bewähren. Sie sind Teil des Wettkampfs. Das gilt umso mehr, als sie, zumindest teilweise, fachlich nicht oder nur unzureichend für ihren Job qualifiziert wurden. Mitunter sind sie selbst mit befristeten Arbeitsverträgen ausgestattet und müssen mit einem Prekaritätsrisiko leben. Die Motivationen und Fähigkeiten der Sachbearbeiter, sich aktiv und kompetent am Wettkampf zu beteiligen, machen einen wesentlichen Unterschied innerhalb und zwischen den Regionen aus. Es ist kein Zufall, wenn seitens der Spitze des Trägers einer Optionskommune (Klein-Oststadt) offensiv herausgestellt wird, dass man selbst für die Auswahl motivierter und qualifizierter Mitarbeiter verantwortlich sei. Die Vermittler und Fallmanager sind in diesem Fall, so jedenfalls die Botschaft, aktive Wettkämpfer und dementsprechend verhalten sie sich gegenüber ihren 'Kunden'.
Die eigentliche Kraftprobe findet jedoch zwischen Sachbearbeitern und 'Kunden' statt. Wir haben dieses Ringen bislang nur aus der Perspektive der Sachbearbeiterinnen beleuchtet. Vermittler wie Fallmanager verfügen offenbar über eine gewisse Definitionsmacht, weil sie Handlungsspielräume unterschiedlich ausschöpfen und Zumutbarkeitsregeln mehr oder minder streng auslegen können. Dabei geraten sie häufig in einen Zwiespalt zwischen legalen Vorgaben und deren fallbezogener Praktikabilität. In ihrem Selbstverständnis sind viele Sachbearbeiterinnen nicht nur 'Prüferinnen', sondern Arbeitsvermittler und Sozialarbeiter in einer Person. Selbst im Zwiespalt, versuchen sie, ihre 'Kunden' auf ein wechselseitiges Geben und Nehmen zu verpflichten. Zugleich fordern sie die Eigenverantwortung der Leistungsbezieher aktiv ein. Dementsprechend fühlen sich die Fallbearbeiter geradezu persönlich angegriffen, wenn Vereinbarungen seitens der 'Kunden' nicht eingehalten werden. Das schlägt sich in einem ständigen, an den vorhandenen Machtressourcen gemessen asymmetrischen Kräftemessen zwischen Fallbearbeiterinnen und Erwerbslosen nieder. Angetrieben von dem Ziel, ihre Leistungsvereinbarungen in der Verwaltung zu erfüllen, machen die Sachbearbeiterinnen die Motivation und den 'guten Willen' der Leistungsbezieher zum Selektionskriterium für die Transferzahlungen und für die Intensität ihrer eigenen Bemühungen. Die 'Kunden' werden klassifiziert und Eingliederungsbemühungen bevorzugt an 'Kundengruppen' mit vergleichsweise geringen Vermittlungshemmnissen adressiert. Doch je erfolgreicher diese Bemühungen sind, desto eher stoßen die Sachbearbeiter in ihrer Praxis auf 'Kunden', die den Anforderungen des Wettkampfs aus unterschiedlichen Gründen nicht genügen.
Spätestens in einer solchen Konstellation wird deutlich, weshalb die Umsetzung der aktivierenden Arbeitsmarktpolitik allen Machtasymmetrien zum Trotz erheblich davon abhängt, ob die Bewährungsproben – an basalen Gerechtigkeitsmaßstäben gemessen – sowohl den Sachbearbeiterinnen als auch ihren 'Kunden' einigermaßen gerecht erscheinen. Wie in der Regionenanalyse bereits angedeutet, ist die Konsolidierung des aktivierenden Arbeitsmarktregimes daher an die Durchsetzung einer feldspezifischen Rechtfertigungsordnung gebunden. Die Gerechtigkeitsmaßstäbe, die dieser Rechtfertigungsordnung zugrunde liegen, lassen sich nun, im Anschluss an Dubet, genauer bestimmen. Die Arbeitsmarktakteure, die mit der Umsetzung der Reformen betraut sind, kritisieren Ungerechtigkeiten anhand von Maßstäben, die den moralischen Zustand der Gesellschaft thematisieren. Dies ist für Gerechtigkeitsurteile charakteristisch, die sich jenseits der Arbeitswelt herausbilden (Dubet 2008: 477f.). Entsprechende Urteile implizieren, dass die urteilende Person über moralische Maßstäbe verfügt, an denen sie das Handeln anderer – und grundsätzlich auch ihr eigenes Handeln – misst. Solche Maßstäbe erlauben eine Kritik 'im Namen der Gerechtigkeit', bei der die befragten Akteure auf unterschiedlichen Ebenen als Urteilende auftreten. Mit dem Gerechtigkeitsverständnis der aktivierenden Arbeitsmarktpolitik verfügen sie über ein Angebot an Urteilskriterien, das sie für ihre Kritik heranziehen können. Sie können dieses Angebot jedoch auch im Namen anderer Gerechtigkeitsprinzipien ausschlagen oder doch zumindest relativieren.
Im Rechtfertigungsregime der aktivierenden Arbeitsmarktpolitik kommen auf Seiten der – vorwiegend staatlichen – Akteure in den Netzwerken und der Arbeitsverwaltung hauptsächlich drei Gerechtigkeitsmaßstäbe zur Geltung. In einer Gesellschaft, die die individuelle Gleichheit von Chancen betont, ist Leistung das einzig legitime Prinzip der Konstruktion von Ungleichheiten (Dubet 2008: 24). Ungerechtigkeit wird dort wahrgenommen, wo die hierarchische Ordnung verletzt wird, indem jemand ungerechtfertigt bevorzugt oder benachteiligt wird, was eine moralische Kritik zur Folge hat (ebd.: 22). Dies gilt zum Beispiel dann, wenn der Leistungsnachweis in Auswahlprüfungen manipuliert wird (ebd.: 24). Ein zweiter basaler Maßstab ist die Gleichheit der Chancen. Vom Standpunkt der Gleichheit kann soziale Missachtung kritisiert werden, die auf 'ständische' Schließungen zurückgeht. Kritisiert werden 'Diskriminierungen, die die Subjekte daran hindern, gleichermaßen verschiedene ungleiche Positionen zu erreichen, die sie in den demokratischen Gesellschaften von Rechts wegen beanspruchen können' (ebd.: 52). Ein dritter Gerechtigkeitsmaßstab ist die Perspektive der individuellen Autonomie. Anhand dieses Maßstabs sind Gerechtigkeitsurteile möglich, die mit der Erwartung verbunden sind, sich als Subjekt zu verwirklichen (ebd.: 137).
Wie unsere Regionalstudien zeigen, sind diese Gerechtigkeitsmaßstäbe bei den Akteuren aller untersuchten Arenen präsent. Dabei zeigt sich, dass die moralisch Urteilenden, und hier insbesondere die Sachbearbeiterinnen, bei ihren Wertigkeitsprüfungen hochflexibel und manchmal geradezu virtuos zwischen den Gerechtigkeitsmaßstäben changieren. Allen regionalen Differenzierungen zum Trotz wird dabei ein übergreifender Trend sichtbar: Je schwieriger die 'Kundengruppen' werden, desto legitimer erscheinen Kritiken, die am Verhalten der 'Kunden' ansetzen. Die Betreffenden verstoßen aus Sicht der moralisch Urteilenden gegen das Autonomieprinzip, weil sie die Chance auf eine eigenständige Lebensführung zugunsten einer dauerhaften Abhängigkeit von Sozialtransfers verspielen. Sie verletzen das Gebot der Leistungsgerechtigkeit, weil sie nicht bereit sind, im Gegenzug für Fördermaßnahmen und Arbeitslosengeld angemessene Eigenaktivitäten zu entwickeln. Und sie treten die Gleichheitsnorm mit Füßen, weil sie den gesellschaftlich Integrierten und Leistungswilligen Kosten aufbürden, die letztere weder verursacht noch zu verantworten haben. Werden die Gerechtigkeitsnormen in dieser Weise genutzt, erscheint die Durchsetzung strenger Zumutbarkeitsregeln, letztendlich, als legitimer, ja geradezu emanzipatorischer Akt im Namen der Gerechtigkeit. Es sind die – verbliebenen – 'Kunden', die sich gegenüber der Gesellschaft amoralisch verhalten. Ihnen gegenüber gilt es, basale Gerechtigkeitsnormen einzuklagen. Natürlich setzt sich diese kollektive Abwertung der Leistungsbezieher nicht ungebrochen und immer nur regional wie sozial differenziert durch. Auch variieren die individuellen Ausgestaltungen des Wettkampfregimes stark. Dennoch lässt sich regionenübergreifend eine Festigung der Legitimationsordnung aktivierender Arbeitsmarktpolitik beobachten. Dabei verschiebt sich die Kritik am Regime oder an einzelnen Praktiken deutlich in die Richtung einer Kritik an den 'Kunden'. In welchem Ausmaß und mit welcher Konsequenz dies geschieht, hängt sowohl von der regionalen Arbeitsmarktsituation als auch von den damit korrespondierenden Politiken ab.