E-Book, Deutsch, 140 Seiten
Eberhard / Heinze / Henriksson metalabor sieben
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-7578-3953-6
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Texte und Fotografien über die KI, das Selbst und das schöne Leben.
E-Book, Deutsch, 140 Seiten
ISBN: 978-3-7578-3953-6
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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1 Schwache und starke KI
Wenn wir uns in der nervösen Hektik der Entwicklungen gegenwärtiger technischer Innovationen die Zeit nehmen und auf die Künstliche Intelligenz schauen und versuchen, etwas Autodidaktisches gemäß dem Thema des Symposiums2 darin zu finden, wäre die Suche nach einem Atemzug beendet. Es gibt kein Selbst als Ableitung/Übersetzung von auto im Rechner. Punktum. Und ob das irgendwann auf uns zukommt, ist nicht das Thema der nachstehenden Reflexion. Gerade hier soll es das nicht sein, denn wir haben in der Regel genug damit zu tun, zu begreifen, was realistischerweise unter der beinahe schon pubertär-assertorischen Wortkomposition von der Künstlichen Intelligenz zu verstehen ist. Wenn wir nicht gerade Informatiker vom Fach sind. Das aber werden zwangsläufig immer mehr, da unser Wirtschaften im Augenblick sich völlig dem Phantasma einer durch Algorithmik durchdrungenen Aktionssphäre hingegeben wird und alle Welt händeringend nach MINT-Fachleuten sucht.3 So lange wir uns also auf eine Definition wie die von Janelle Shane einigen können, werden wir uns jedenfalls gut verstehen. Sie denkt KI «als eine bestimmte Art von Computerprogramm, die als Algorithmus für maschinelles Lernen bezeichnet wird».4 Ich habe mir zur Aufgabe gemacht, in zwei konzentrischen Kreisen über das Thema nachzudenken. Zum einen schaue ich auf den Sprachgebrauch in unterschiedlichen Medien. Ich werde ein wenig auf der Basis meiner Erfahrungen und meiner definitorischen Möglichkeiten nachvollziehen, welchen Begriff des Lernens, der Intelligenz und des Bewusstseins etwa in informatischer Fachliteratur vorzugsweise amerikanischer Provenienz sich spiegelt. Das ist zwar nicht die hardcore-tekki Sichtweise des Silicon Valley, etwa eines Raymond Kurzweil, der seit 2012 bei Google seinen Visionen einer transhumanistischen Zukunft Form verleiht und mit der Singularity University die transhumanistische Religion dann auch gleich unters Jungvolk bringt. Auch nicht die der Apokalyptiker, getriggert von den Thesen von Nick Bostrom. Aber die teils akademisch-, teils ökonomisch-praxisbezogene Sprache offenbart eine Vorstellung instrumenteller Vernunft, die wir berücksichtigen sollten, wenn wir mit Techniken und Technologien konfrontiert werden, in denen Metaphorik die Herrschaft angetreten hat und es offenbar kein Entkommen aus ihr gibt. Ich werde schon über das Bewusstsein, jedoch wenig über maschinelles Bewusstsein sprechen, dass es noch nicht gibt, da kann Blake Lemoine von Google noch so sehr mit dem Chatbot, LaMDA-driven, auf Flirtkurs gehen. Zudem frage ich, was der Begriff des «Selbst» im Kontext maschineller Datenverarbeitung heißt. Ich werde weiter fragen, warum wir im Allgemeinen überhaupt von Intelligenz sprechen, wenn wir algorithmisch induzierte Pseudoentscheidungen meinen. In einer zweiten Schicht möchte ich die Aufmerksamkeit auf die Berücksichtigung von ein paar technischen Aspekten der sogenannten KI lenken. Das ist für mich als Kunsthistoriker und Nebenfachphilosoph die größte Herausforderung. Denn wenn ich über das Sehen, Ansehen, Betrachten, Anschauen von Artefakten und das Nachdenken darüber spreche, kann ich direkte Erfahrungen aus erlernten kunsthistorischen Praktiken und Inhalten, angewendet auf einen neuen Fall, weitergeben. Das habe ich gelernt. Ganz so, wie ich beschreiben kann, wie irgendein spezifisches Erlebnis aus meiner Sicht war. Ich spreche hier als Autodidakt über KI, aber ich rede ohne tiefgehende, eigene Programmiererfahrungen. Ich habe Literaturerfahrungen und Gespräche im Hinterkopf, die ich im Kontext meiner Erwerbstätigkeit bei einer NGO für Informationssicherheit sammle. Selbst wenn ich es, wie mittlerweile alle Smartphonenutzer, mit KI-gesteuerten Geräten im digitalisierten Alltag zu tun habe. Sei’s drum. Versuch macht klug. Und wenn Sie Fehler finden, bitte melden sie mir diese. Worüber ich im Folgenden nachdenken möchte, ist ausschließlich schwache KI. Dennoch komme ich nicht darum herum, ein paar Gedanken an die Begriffe zu verschwenden. Denn man wird den Eindruck aufgrund der herrschenden Metaphorik nicht los, dass starke KI der gedankliche Horizont ist, vor dem im Allgemeinen über KI gesprochen wird. Also zunächst einmal eine Unterscheidung. Dabei begründe ich diese Begriffsschere nicht technisch, sondern gebrauchspraktisch. Im Allgemeinen wird über starke und schwache KI gesprochen. Damit werden Maschinen mit unterschiedlichen «Intelligenzgraden» definiert. Vorab soll die alltägliche Definition wie folgt aussehen: Starke KI ist vergleichbar mit dem Intelligenzgrad von Rachael aus Ridley Scotts «Blade Runner». Es sieht nicht nur so aus, es ist tatsächlich so, dass der Grad an Intelligenz, und nicht nur der, sondern auch der emotionalen Fähigkeiten (sie liebt ihren Killer Deckard, der in ihr eigentlich nur einen «Haut-Job» sehen darf) der eines Menschen ist und möglicherweise übersteigt. Rachael wird alle Turing-Tests bestehen, denn sie zweifelt sogar an ihren Erinnerungen.5 Sie ist sicher nicht das, was man als Chinesisches Zimmer bezeichnet. Also ein Gedankenspiel, in dem ein Fremdsprachler in einem Raum sitzt und gesagt bekommt, was er, wenn ihm ein Papier mit einem Schriftzeichen gereicht wird, auf genau dieses Schriftzeichen auf einem anderen Papier ausgeben soll. Während der Schriftzeichengeber dann nämlich denkt, er habe eine treffliche Antwort erhalten, weiß der Schreiber im Zimmer nichts von der Bedeutung der Zeichen links wie rechts auf dem Papier. Denn natürlich wissen wir nicht, wie das alles funktioniert, aber das ist egal. Von starker KI reden wir in der Regel immer, wenn die Science Fiction ins Spiel kommt. Fantasien und Dystopien einer Umwelt, in der totale Kontrolle durch Maschinenwesen ausgeübt wird. Dazu schreibt Ralf Otte, dem das hervorragende Buch «Allgemeinbildung. Künstliche Intelligenz. Risiko und Chance.»6 in der For Dummies-Reihe des Wiley-Verlags zu verdanken ist: «Heutige KI hat keinen eigenen Willen, keinen Geist, keine Emotionen. [...] Starke KI gibt es heute und in naher Zukunft nicht, auch wenn sich viele Medienfachleute anders dazu äußern mögen.»7 Und weil ich das Buch mag und Herr Otte sehr schön definieren kann, gebe ich hier im Zitat seine Definition von starker KI wieder (S. 38): «Starke KI ist ein gedankliches Konstrukt, das heute in keiner Weise realistisch ist. Ängste gegenüber einer Starken KI sind nicht angebracht. Natürlich gibt es Ansätze, Bewusstsein auf Maschinen zu erzeugen, aber selbst, wenn diese funktionieren sollten, wird es Jahrzehnte oder Jahrhunderte dauern, bis eine KI entsteht, die Bewusstsein ähnlich dem des Menschen besitzt.» Daher müssen wir uns auch die Frage stellen, welche Agenda beispielsweise der Google-Ingenieur Blake Lemoine verfolgt, wenn er einen aus Googles LaMDA-Framework gebauten Chatbot mit einer Seele ausstatten will.8 Das wäre kurz mal der jüngste «Vorfall» einer Orientierungsschwäche in dieser Sache. Es gibt dazu eine aufschlussreiche Perspektive: die der Religiosität.9 Aber damit möchte ich an dieser Stelle nicht arbeiten. Ich habe nun ausgeschlossen, dass wir die Vorstellung starker KI als Arbeitsbereich des Nachstehenden ansehen. Damit bekommen wir einen wesentlich bodenständigeren Begriff über gegenwärtig handelsübliche KI, als es die Fantastik wünscht. Ziel der Ausführungen ist eben nicht die spekulative Betrachtung der Möglichkeit bzw. Wirklichkeit einer potenziellen Selbstlernmaschine, sondern die Beantwortung der Fragen, was wir unter maschinellem Lernen und damit auch der Möglichkeit des Selbstlernens verstehen könnten. Schwache KI, mit der wir uns hier auseinandersetzen, ist also frei von Bewusstsein. Sie ist lediglich der Funke einer Möglichkeit menschlichen, aber auch tierischen Denkens. In einer Vulgärdefinition lässt sich sagen, dass schwache KI lediglich Werkzeugcharakter aufweist. Das ist übrigens spannend genug, und der Gehalt an potenzieller Dystopik ist bereits in der Gegenwart interessanter zu beobachten, als die Verheißungen einer potenziell omnipotenten Maschine es sein könnten. Wir bleiben, um es einmal in den literarischen Diskurs zu heben, auf der Ebene der programmierten Helferlein, mit denen es Sibylle Berg in «GRM» geschafft hat, ein Pasticcio des heute Machbaren in eine unbehauste, unwirtliche, psychotische und sehr nahe Zukunft zu malen.10 Also darum geht’s: «Man könnte übrigens argumentieren, dass AI nichts anderes ist als Matrizen zu multiplizieren, also lineare Algebra, also Mathematik. Mit ein bisschen Stochastik.» Trocken und erdend ist diese Definition eines mir persönlich bekannten Spezialisten, Universitätsprofessors und KI-Unternehmers, der leider ungenannt bleiben möchte. 2 Kreis eins – Begriffsebene nichttechnisch
2.1 Intelligenz und Denken
Naturwissenschaftler und Ingenieure neigen dazu, und das ist korrekt und wichtig, Dinge zu ordnen, zu klassifizieren, zu hierarchisieren. Das machen sie auch mit der Intelligenz. Es hat sich in der Intelligenzforschung ein...