E-Book, Deutsch, 351 Seiten
Ebner-Eschenbach / Polt-Heinzel / Strigl Aus Franzensbad Das Gemeindekind
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-7017-4459-6
Verlag: Residenz
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 351 Seiten
ISBN: 978-3-7017-4459-6
Verlag: Residenz
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das vielfältige Werk der Marie von Ebner-Eschenbach mit seiner feinen Psychologie und seiner klar formulierten Gesellschaftskritik verdient eine aktuelle Lesart. Gerade die Geschichte von Pavel, dem "Gemeindekind", der von der Gemeinschaft ausgestoßen wird, dem aber gegen alle Widerstände ein sozialer Aufstieg gelingt, ist von bestürzender Modernität. Auch das unkonventionelle Debüt der Autorin - die 1858 anonym erschienene Briefnovelle "Aus Franzensbad" - demontiert erfrischend scharf und voller Sprachwitz den damaligen Zeitgeist.
Beide Werke zeigen ihren wachen Blick für die brennenden Fragen der Zeit und ihre kritische Haltung zu den Konventionen ihres eigenen Standes.
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»Nach Franzensbad also, mein lieber Doktor?« »Nach Franzensbad, meine Gnädigste.« »Es ist zum Verzweifeln. Nach Franzensbad! Ein Ort ohne Gegend ...« »Bitte ...« »Oder doch wenigstens keiner schönen; – ohne Umgebungen ...« »Bitte sehr! ...« »Oder doch wenigstens keine interessanten.« »Entschuldigen Sie; Franzensbad liegt eine Viertelstunde weit von Eger – der Stadt, in welcher Wallenstein ...« »Ermordet wurde! – Abgedroschen, Doktor.« »Aber geschichtlich.« »Um so schlimmer, ich mag die Geschichte nicht, am wenigsten die alte – sie hat mir in meiner Kindheit Kopfzerbrechens genug gemacht.« »Bedenken Sie! Wallenstein ... dreimal Herzog, Generalissimus ›in optima forma‹ der kaiserlichen Armee unter ...« »Ferdinand dem – Ersten.« »Dem Zweiten – mit Ihrer Erlaubnis.« »Doktor, Sie sind ein Pedant, lassen Sie den Wallenstein in Ruhe und fahren Sie fort in Ihrer Aufzählung von Franzensbads unterhaltenden Umgebungen.« »Unterhaltend? ... ja ...« »Sie stocken? – Sind die Herrlichkeiten schon zu Ende? Soll ich eine langweilige Reise unternehmen, um den Fleck kennen zu lernen, an welchem ein berühmter Mord begangen wurde? – Ist das die einzige Merkwürdigkeit in der Nähe Ihres Badeortes? Man muß gestehen, sie ist erheiternd! Sehr geeignet für Leute, die sich zerstreuen sollen ...« In diesem Tone zankte sie fort, bis endlich der Arzt sich erhob, nachdem er versprochen, seiner Patientin alle Bücher zu senden, welche jemals über den Badeort geschrieben worden, den dieselbe besuchen sollte, und welche sie besser als sein schlechtes Gedächtnis über dasjenige unterrichten würden, was sie an Franzensbad zumeist interessierte: die Mittel, die es biete, sich die Zeit zu vertreiben. Eine halbe Stunde später durchforschte die Dame eifrig die Titel einer eben erhaltenen Sendung Bücher. Es waren invalide Veteranen des Buchhandels, Adoptivkinder des Antiquars: keine Miniaturausgaben, in goldgepreßtem Einbande, kein Velin-Papier mit zierlich typographischer Ausstattung. Das war alles einfach bis zur Ärmlichkeit, ältlich und etwas verschossen, trocken und bedächtig, wie das Aussehen der Herrn Verfasser aus der Zopfzeit selbst. Auf den grauen Umschlägen standen, so steif wie ein Bataillon Linien-Infanterie, von der Autoren eigener Hand hergesetzt, einige widmende Zeilen an ärztliche Autoritäten, welche das Geschenk in altersgrauer Zeit erhalten – vielleicht gelesen – und in einer schwachen Stunde undankbarerweise veräußert hatten. Das erste Buch, welches unserer Patientin in die Augen fiel, trug den imponierenden Titel: »Chemisch-medizinische Beschreibung des Franzensbades, von Dr. Reuß, Bergrat« – schaudernd legte sie es beiseite. Das zweite: »Die Mineralquellen zu Franzensbad, von Dr. Osann, geheimem Medizinalrat«. Das dritte: »Über die Wirkungen und Anwendungen der Heil-Quellen zu Franzensbad, von Dr. Niclas Benedict Conrath, Rat und Brunnenarzt« – »An was denkt der Doktor?« rief die Dame ungeduldig aus, »mir traut er zu, diese gelehrten Pillen zu verschlucken, und wohl auch zu verdauen? – Da hat noch ein Herr Franz Xaver Lautner, sächsischer Hofrat, Arzt, Stadtphysikus, Kriminalgerichtsrat etc. ein Werk über Franzensbad verfaßt, das er selbst eine historische Forschung nennt, und sich daraus etwas zugute tut, nicht nur die Quellen seiner Heilwässer getrunken, sondern auch die noch ungenießbareren Quellen seiner Geschichte studiert zu haben. Soll ich historische Forschungen anstellen, da ich mich eben gegen das Historische erklärte? Oder will ich nur sechs angenehme Wochen zubringen und nebenbei auch gesund werden?« – Verdrossen wollte sie schon dem Doktor seine Sendung zurückstellen und dieselbe mit dem Ausdrucke ihrer Unzufriedenheit begleiten, als das Inhaltsverzeichnis eines Buches, welches sich nicht durch Schönheit, wohl aber durch Dicke unter seinen Brüdern hervortat, ihre Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Der Verfasser, Georg Lorenz Sommer, Doktor, Magister und ausübender Arzt, hatte sich herabgelassen, seinem Werke einen Anhang einzuverleiben, in welchem er der Lebensweise, die in Franzensbad geführt werden kann und soll, einige Aufmerksamkeit widmet. Die Verhaltungsregeln, welche der würdige Mann den Kurgästen gibt, schienen der Dame nicht nur äußerst vernünftig, sondern, was ihr mehr galt, auch äußerst human. Der vortreffliche Herr empfiehlt seinen Patienten, ihre Kinder zu Hause zu lassen, wenn sie ins Bad reisen, hingegen Reit- und Wagenpferde, warme Bekleidung, – erheiternde Begleitung mitzunehmen. Er läßt ein Wort fallen von einsamen Spaziergängen im Schatten und verpflichtet, dem Doktor gegenüber, zur äußersten Rückhaltslosigkeit. »Treten üble Zufälle als Erbrechen oder dergleichen ein, so offeriere man dieses alsogleich seinem Arzte.« Die kindische junge Frau lächelte über den verjährten Stil und die modernen Ansichten des guten Dr. Sommer, aber auch an seinem Werke währte die Freude nicht lange. Ohne den »Kram«, wie sie sagte, weiter zu durchforschen, nahm sie die Lieblingslektüre deutscher Frauen, den französischen Roman, zur Hand und vergaß bald über Grisetten, Loretten und natürlichen Söhnen den treuen vaterländischen Gelehrten. Am folgenden Morgen ward der Doktor mit frauenhafter Grausamkeit über seine Bücherwahl gepeinigt. »Ich will« – sprach die kleine Verwöhnte – »ein Buch, das mir erzählt, wie man auf die angenehmste Weise nach dem Franzensbade reist, womit man sich dort unterhält, welche Landpartien man machen, welche Vergnügungsorte aufsuchen kann, wo man am feinsten speist, am besten wohnt.« »Darüber werden Sie die ›Handbücher für Kurgäste‹ aufklären, deren Sie in Franzensbad eine reiche Auswahl vorrätig finden. In neuester Zeit sind viele geschrieben worden, Dr. Köstler ...« »Handbücher! – Doktoren! – damit verschonen Sie mich! Kein Handbuch, ein Unterhaltungsbuch möchte ich haben, von keinem Doktor, von einem Dichter geschrieben.« – »Dergleichen unnützes Zeug haben wir nicht in der deutschen Literatur!« sprach der Doktor ärgerlich. »Haben wir nicht? Ist’s möglich, daß man in der deutschen Literatur etwas nicht hat? Ich hörte immer, wir hätten darin von allem zu viel – einen Überfluß, der die Ware im Preise sinken macht.« »Trotzdem kann ich Sie versichern, daß es noch niemandem einfiel, ein Unterhaltungsbuch über Franzensbad zu verfassen; über einen Kurort schreiben nur Ärzte – solide, ernste Männer, die nicht Zeit übrig haben für Frivolitäten.« »Frivolitäten? – Doktor, Sie sind ...« »Aufrichtig, meine Gnädigste.« »Immer besser!« »Ein Buch, wie Sie es wollen, zu Ihrem ausschließlichen Gebrauche, müssen Sie selbst schreiben«, sagte der Doktor ironisch – »auf die Gefahr hin, daß es niemand liest, als Sie!« »Wer weiß« – erwiderte die junge Frau – »ich befolge vielleicht diesen Rat, obschon ich bisher nie länger als eine Viertelstunde die Feder, ohne müde zu werden, geführt habe. Der Zufall hat für mich etwas Unerhörtes getan, der Zufall hat Ihre Gestalt angenommen, Doktor! Denn wonach Tausende – die Nation der Schriftsteller zählt eben schon nach Tausenden – ihr Leben lang mit emsigem Fleiße suchen, eine unausgebeutete Ader in dem Schachte der Literatur, – (Ist’s ein Goldschacht, Doktor?) – darauf haben Sie mich unwissentlich, mit naiver Gutmütigkeit aufmerksam gemacht. Einen Stein der Weisen haben Sie mir entdeckt, einen Karfunkel, ein achtes Weltwunder! – ein ›schreiendes Bedürfnis‹ unserer Literatur, einen Mangel, der von einem fühlenden Herzen empfunden wurde, ehe der Buchhändler seiner in dem Prospekte des Werkes erwähnte, das ihm abhelfen soll. – Niemand leide mehr darunter – ich will diese Lücke ausfüllen und schenke Ihnen die Früchte, die meine Unternehmung trägt. Auf Ihr glückliches Haupt komme der Segen eines jeden Lächelns, welches mein Büchlein seinen Lesern abgewinnt! Ich verspreche Ihnen Briefe aus Franzensbad, Briefe in meinem Sinne, und in dem Sinne...