Endler | E-Fam Exodus | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 272 Seiten

Reihe: heise online: Welten

Endler E-Fam Exodus

Ein Fall für John Mayer und Otto (Krimi)
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-947619-55-9
Verlag: Polarise
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Ein Fall für John Mayer und Otto (Krimi)

E-Book, Deutsch, 272 Seiten

Reihe: heise online: Welten

ISBN: 978-3-947619-55-9
Verlag: Polarise
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die Mega-City Neun, Heimat von Millionen Bürgern, arbeitet an ihrem eigenen Zerfall. Einige Bewohner, darunter hochrangige Persönlichkeiten, hauchen unfreiwillig die Lebensgeister aus. Bei dem Versuch, einem Programmierer das Leben zu retten, kommt Privatermittler John Mayer einem verbindenden Element zwischen all den Todesfällen auf die Schliche und wird so selbst zum Gejagten.

Zur Flucht gezwungen muss er sich eingestehen, dass auch sein treuer elektronischer Begleiter, der E-Fam Otto, in die Geschehnisse verstrickt sein könnte. Welchem Plan folgt der Elektronische Famulus?

Johns Vertrauen wird auf eine harte Probe gestellt. Doch zum Verschnaufen bleibt keine Zeit, altbekannte Gegenspieler sind ihm dicht auf den Fersen.

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Prolog
Sie saß an der Bar. Obwohl ich nur ihren Rücken sah und die Beleuchtung sehr schummrig war, wusste ich, dass ich Bürgerin Rybinska gefunden hatte. Langsam schlängelte ich mich durch die Tischreihen, bemüht, keine Gläser abzuräumen und die Gäste nicht zu belästigen. Meine Schuhe erzeugten bei jedem Tritt Klettverschlussgeräusche, was an dem klebrigen Boden lag. Offenbar hatte jemand großzügig Saft oder süßen Alkohol verschüttet. Es passte nicht zu dem edlen Ambiente, aber das schien niemanden zu stören. Der Barhocker zur rechten Seite der Bürgerin war frei, was auch für alle weiteren Thekenplätze galt. So gewann ich sofort ihre Aufmerksamkeit, als ich mich dicht neben sie setzte. Die unausgesprochenen Regeln der Mega-City Neun missachtete man selten ungestraft. »Banzai«, murmelte ich leise und vermied Blickkontakt. Der automatische Barkeeper, ein grauer Metallkasten mit seitlich angebrachten Armen und einer Lautsprecherbox in der Mitte des Korpus, rollte heran und blieb zentral vor mir stehen. »Was darf es sein, Bürger?« »Ich nehme, was die Bürgerin trinkt«, gab ich meine Bestellung auf. »Ein Cola-Rum-Cocktail, sehr wohl.« Die Maschine sauste davon. »Sie sind unhöflich«, raunte mir Bürgerin Rybinska zu. Ihre Stimme war in der Realität noch tiefer als auf den Aufnahmen, die ich gesichtet hatte. Es hörte sich an, als hätte sie eine Erkältung. Der Klang erzeugte eine Gänsehaut bei mir. »Warum?«, fragte ich. »Sie wissen schon, Bürger Mayer.« Bitgefuckte Lage! Sie wusste, wer ich war. Den Überraschungseffekt konnte ich von der Liste meiner Pluspunkte streichen. »Nein, ich weiß nicht, Bürgerin Rybinska«, entgegnete ich. Ein Drink, ziemlich braun, von öliger Konsistenz mit viel Eis darin, tauchte plötzlich vor mir auf der Theke auf. »Sehr zum Wohl«, meldete der Automat. Rybinska nahm ihr eigenes Glas und hielt es mir zum Anstoßen hin. Das Geräusch, das die beiden aneinanderstoßenden Gläser ergaben, klang dumpf. Ich nippte an dem Mix-Getränk und spürte den ungewohnten echten Alkohol, der ein warmes Gefühl in meiner Kehle erzeugte. »Millionen von Menschen, eingepfercht in einen Turm«, ergänzte Rybinska im Plauderton. »Wenn uns eines die Epidemien von 18 und 25 gelehrt haben, dann, dass es nicht ratsam ist, zu sehr aufeinanderzuhocken, sollte es nicht unbedingt notwendig sein. Dies hält Sie jedoch nicht davon ab, sich ungefragt und uneingeladen neben mich zu setzen, obwohl es gleich mehrere freie Stühle gibt.« »Ich suchte Gesellschaft«, behauptete ich. Sie sah mich an, hob die rechte Augenbraue zu einem zweifelnden Widerspruch. »Niemand sucht in diesem Turm nach Gesellschaft, Bürger Mayer. Es ist eine Zweckgemeinschaft, entstanden aus purem Bevölkerungsdruck.« »Das Dilemma der Mega-City«, bestätigte ich. »Jedermann wollte in die großen Städte, bis diese aus allen Nähten platzten.« Sie nickte mir zu. »Besser bezahlte Jobs, mehr Freizeitangebote, das Verbot jeglichen privaten Fahrzeugverkehrs und natürlich die verschiedenen Umweltkatastrophen, die die Bürger zum Umziehen zwangen. Meine Familie, Bürger Mayer, entstammt den ehemaligen polnischen Kornkammern. Der Lebensraum von Millionen hat sich entvölkert.« »Das ist der heutige Sektor fünf, nicht wahr?«, fragte ich. »Ja. Gesperrt, verseucht, lebensfeindlich. Ich vermisse die alte Heimat, obwohl ich selbst nie dort gelebt habe und ein Kind des Turmes bin.« »Wohin hätte man auch mit all den Menschen gesollt? Es blieb wohl nur der Ausweg, den schwindenden Platz effizient zu nutzen und in die Höhe auszuweichen.« »Ja, Bürger Mayer. Das ist wahr. Nur leider ist damit der europäische Kontinent entvölkert worden. Was nicht gepflegt wird, verfällt. Und die Anzahl der Bürger, die noch natürlichen Boden unter den Füßen bevorzugen, fällt in den Sektoren weiter. Es konzentriert sich nahezu alles in diesem Turm zu Babel. Wer weiß, wohin diese Entwicklung uns noch führen wird. Wo es endet, wann es endet und wie das Ende aussieht. Aber genug des Smalltalks. Deswegen sind Sie ja nicht hier, nicht wahr? Wie haben Sie mich aufgespürt?« »Es war nicht leicht, Bürgerin Rybinska. Sie waren geschickt darin, Ihre Spuren zu verwischen.« Dennoch hatten wir sie gefunden. Nach einem ganzen Jahr mit Tausenden von losen Fäden, die Otto und ich zu einem Netz geflochten hatten. Nun, am Ende der Ermittlung, waren nur zwei Kandidatinnen übrig geblieben. Otto observierte derzeit Nummer zwei. Ich subvokalisierte ihm, dass ich fündig geworden war. Rybinska war der Treffer. Mein Auftraggeber würde zufrieden sein. »Otto?«, hakte ich subvokal nach, denn der E-Fam antwortete nicht. Das war seltsam. Verbunden mit der Tatsache, dass das Subjekt unserer Nachforschungen meinen Namen kannte, fühlte ich mich plötzlich ein wenig verunsichert. »Stimmt etwas nicht, Bürger Mayer?«, erkundigte sie sich. Eindeutig amüsiert, wie ich feststellen musste. Ich drehte mich um, schaute in den Gastraum der Bar. Viele Plätze hatten sich geleert. Nur vereinzelt saßen noch Gäste dort. Ein Pärchen, das sich über die Tischplatte hinweg verliebt in die Augen starrte. Ein trauriger, einsamer Trinker, der die Ansammlung von leeren Gläsern vor sich neu anordnete. Dazu drei weitere Tische, die besetzt waren. Niemand achtete auf uns. »Otto! Bitfucking! Melde dich!«, sendete ich eine verzweifelte stumme Nachricht in das allgegenwärtige Netz. Rybinska war gefährlich, hatte drei Vertragspartner vergiftet, zwei erstochen und nur einen am Leben gelassen, der jedoch sein gesamtes Vermögen eingebüßt hatte. Mein Auftraggeber. Ich vermutete, dass sie mir nichts antun würde, zumindest nicht hier in aller Öffentlichkeit. Doch einer Schwarzen Witwe traute niemand wirklich über den Weg. Ich wandte mich wieder um und nippte, Gelassenheit vortäuschend, an meinem Cocktail. Das Eis klimperte, aber viele Stücke waren klein geschmolzen. »Mein Mandant hat mich beauftragt, Sie aufzuspüren und zu ihm zu bringen«, sagte ich. »Keine Capcops, keine Schlägertruppe, die das Diebesgut aus Ihnen herausprügeln soll. Nur ein harmloses Gespräch unter ehemals Liebenden.« »Das soll ich glauben?«, entgegnete Rybinska, die eindeutig meine Aussage bezweifelte. »Sie kennen Timoteusz?« Ohne eine Antwort abzuwarten, sprach sie weiter. »Herzensgut, treu, mit einem Hang zu illegalen Drogen und absolut keiner Ahnung, was er mit seinem Vermögen anstellen soll. Ich bin den Verkäufern, Agenten und Werbespezialisten nur zuvorgekommen. Sie alle nahmen ihn aus wie eine Weihnachtsgans. Er ist jedem Vorschlag, jedem Angebot gefolgt, hat investiert, gekauft und verloren. Dann traf ich auf ihn und gab ihm einen Sinn im Leben. Mich glücklich zu machen. Er hat für eine schöne Zeit mit mir bezahlt. Er braucht das Geld doch gar nicht. Ich mochte ihn.« »Also kein Grund, das Treffen zu verweigern?« Ich brüllte subvokal nach Otto, wusste nicht so recht, was ich tun sollte, wenn die Bürgerin nicht mit mir kommen würde. Aber der elektronische Famulus blieb mir eine Antwort schuldig. »Nein, kein Wiedersehen. Es ist vorbei, Bürger Mayer. Ich werde nichts davon ungeschehen machen und schon gar nicht in die wunderschönen Augen Timis sehen. Und denken Sie nicht, ich hätte Ihre ungeschickten Recherchetools nicht bemerkt. Ich wusste vor Wochen, dass man mir nachschnüffelte, und seit fünf Tagen, wer dahintersteckt. Ich könnte mich geehrt fühlen, dass ein Privatermittler mit Ihrer Erfolgsquote auf mich angesetzt worden ist, aber in Wahrheit ...« Sie schwieg, nahm ihr Glas und hielt es mir erneut zum Anstoßen hin. Das Eis hatte sich komplett aufgelöst. Mein Drink schmeckte wässrig. Sie leerte das Glas in einem Zug. Ich wusste, es war nicht ihr erstes gewesen, und dennoch wirkte sie nicht betrunken, obwohl es sich um echten Alkohol handelte. Rybinska beugte sich vor, bis sich fast unsere Nasen berührten. »In Wahrheit, Privatermittler Mayer«, flüsterte sie mir zu, »langweilt mich dieses Katz-und-Maus-Spiel. Ich habe es schon zu oft gespielt. Richten Sie Timi aus, dass die Zeit mit ihm wunderbar war, eine der schönsten in meinem ganzen Leben.« Ihre Stimme klang traurig, bis hin zur Sentimentalität. Ein Wesenszug, den ich ihr nicht zugetraut hätte. War da eine Träne in ihrem rechten Auge? »Aber so etwas lässt sich nicht wiederholen. Ich bin nicht die Frau, die er sich gewünscht hat. Sagen Sie ihm das.« Sie glitt vom Hocker. Ich griff nach ihr, doch meine Muskeln gehorchten nicht. Ein Magnet zerrte mich gen Boden. Ich stürzte, fiel, stürzte tiefer, immer tiefer, ein endloser Abgrund, der mich auffing, Luftströmungen, die an meiner Kleidung rissen, mit ihr spielten. Ich roch salzige Luft und wusste, dass es das Ende sein würde. Ein winziger Teil meines Verstandes behauptete, dass es nicht real sei. Die emotionalen Komponenten vermittelten mir Todesangst, und dann war da noch der Bestandteil meines denkenden und fühlenden Ichs, der mir einredete, dass ich mich entspannen, mich weiter fallen lassen sollte. Ich gehorchte. Und stürzte, – bis ich Halt fand. Ich fror. Der Wind toste um mich herum, ich klammerte mich an eine Strebe, vor mir Glas, hinter mir das Nichts, unter mir das Meer. Die Nordsee, der Kanal. Ich blickte hinab und dort dümpelte ein Schiff in schwerer See, ein Container-Freighter. Ich spürte den Sturm. Über mir die Glasfassade des Sektor-drei-Turmes, des...


Arno Endler, geboren als Sonntagskind 1965 in Neuwied, infizierte sich im Alter von 12 Jahren mit dem Science-Fiction-Virus. Als Schüler durchstöberte er bereits sämtliche Buchhandlungen seiner Heimatstadt auf der Suche nach Büchern des Genres und litt nur an einem Mangel an Taschengeld.
Er studierte Steuerrecht und betreute als Landesbeamter verschiedene IT-bezogene Projekte.
Seit dem Jahr 2008 wagte er schriftstellerisch Blicke in die nähere und fernere Zukunft und publizierte Dutzende Kurzgeschichten im c´t-Magazin. Seit 2016 schreibt er für die Serie Perry Rhodan NEO und veröffentlichte mehrere Romane in verschiedenen Verlagen.



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