Erdheim Betty, Ida und die Gräfin
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-7076-0465-8
Verlag: Czernin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Geschichte einer Freundschaft
E-Book, Deutsch, 352 Seiten
ISBN: 978-3-7076-0465-8
Verlag: Czernin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wien, Mitte des 19. Jahrhunderts: Zwei Schriftstellerinnen und eine Dame aus jüdischem Großbürgertum stehen im Zentrum dieses im besten Sinn historischen Romans. Claudia Erdheim lässt die porträtierten prominenten Persönlichkeiten wie die damalige kulturelle und politische Welt höchst eindrücklich lebendig werden. Die zu ihrer Zeit berühmte Lyrikerin Betty Paoli, die Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach und die gebildete Ida Fleischl, die einen literarischen Salon unterhielt, verband eine enge Freundschaft. Die Dichterinnen lasen einander ihre entstehenden Werke vor, besprachen Inhalt und Stil - und rauchten dabei leidenschaftlich Zigarren. Emanzipierte, hochintelligente Frauen, prominente Gäste wie Freud und das Ehepaar Laube, Sommerfrischen und die wichtige Rolle der Dienstboten: Diese Lebenswelt bildet den Hintergrund für Claudia Erdheims Roman, in dem sie den gemeinsamen Alltag der Protagonistinnen und die sozialen Spielregeln der Zeit in einer bestechenden Schärfe nachzeichnet.
Claudia Erdheim, Dr. phil., geboren 1945 in Wien. Studium der Philosophie und Logik in Wien, München und Kiel. Lehraufträge an den Universitäten Kiel und Hamburg. Von 1984 bis 2005 Lehrbeauftragte am philosophischen Institut Wien. Claudia Erdheim lebt als freie Schriftstellerin in Wien. Seit 1984 zahlreiche Buchveröffentlichungen; diverse Preise und Stipendien.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Betty
1
Sie sieht aus wie eine, die eher Geschichten hat als Gedichte schreibt. Und doch ist ihre Erscheinung durchaus die einer Dichterin. Ihre Gestalt ist hager, der Kopf leicht nach vorn gebeugt, das Gesicht länglich, blass, edel. Sie hat eine hohe Stirn, üppiges schwarzes Haar, in der Mitte gescheitelt und seitlich gelockt, dunkle ruhelose Augen. Aristokratische Hände. Eine feine Habichtsnase. Um den Mund spielt ein satirisches Lächeln. In ihrem Wesen liegt etwas Leidenschaftliches, Konvulsivisches, das zwar unter scheinbar ruhiger Hülle glimmt, aber dennoch von Zeit zu Zeit hervorblitzt. Sie kann fesseln, überraschen, lieben. Jedoch der Zauber der Anmut fehlt ihr. Wenn man dazu geneigt ist, kann man sie für eine Schönheit halten, wenn auch ihr Gang schleppend ist und ihre Stimme nicht gerade lieblich. Manch einer hält ihr Benehmen für geschraubt und konventionell, und dennoch besticht sie durch ihre geistreichen und phantasievollen Bemerkungen. Vor einem Jahr, im Jahr 1842, hat Josef Wertheimer, der große jüdische Wohltäter und Philanthrop, der sich unermüdlich für Kinder, Arme und Waisen einsetzt, Betty entdeckt. Er verehrt sie und bewundert ihre Gedichte. Wann immer nötig, unterstützt er sie. Sie, die seit früher Jugend für ihren Lebensunterhalt selbst sorgen muss. Er hat eine offene Hand und ein offenes Herz. Betty ist noch keine dreißig Jahre alt und ein solch großes Talent. Nun ist sie Gesellschafterin von Henriette Wertheimer, seiner Frau. In Wertheimers Haus verkehren die geistigen Größen Wiens und auch bedeutende Persönlichkeiten, die aus der Fremde kommen. Gelehrte, Schriftsteller, Schauspieler und Schauspielerinnen. Ganz ohne Glaubensvorurteile. Gelegentlich erweist Grillparzer dem Hause die Ehre und aus der Fremde der Märchendichter Andersen, wenn er in Wien weilt. Henriette liebt Betty wie eine Schwester. Sie sorgt für sie, wenn sie leidend ist. Vor allem aber steht sie ihr bei, wenn sie von ihrer inneren Unruhe und Zerrissenheit heimgesucht wird. Pünktlich um sechs kommt Heinrich Landesmann. Betty hat ihren neuen jungen Freund schon erwartet. Sie hat ihn erst kürzlich kennengelernt. Henriette hat ihn eingeladen. Ein wahrer Philosoph, dieser Jüngling aus Nikolsburg. Wertheimer hat ihn in der Gemeinde entdeckt. – Ich freue mich, Sie wiederzusehen, Betty! – Die Zeit war lang seit gestern, Heinrich. Betty verwendet die Zeichensprache, die sie extra gelernt hat, um sich mit Heinrich verständigen zu können, obwohl sie auch Papier und Tinte bereitgestellt hat. Manchmal ist es einfacher, sich schriftlich mit Heinrich zu verständigen. Sie ist tief betrübt über Heinrichs fürchterliches Unglück. Er ist 21 Jahre alt und ungewöhnlich begabt, aber seit seinem 15. Lebensjahr gänzlich taub. Kein Laut der Welt dringt zu ihm. – Wie geht es Ihnen? Ist Ihr Puls immer noch so schwach? Wenn Heinrich spricht, hat die Stimme immer ein und denselben Ton. Dabei starrt er sein Gegenüber an. – Schwach und langsam. Dr. Seligmann hat ein Glas Rotwein täglich verordnet. Bis jetzt ist keine Besserung eingetreten. – Und der Druck im Kopf? – Ist besser. Ach, Heinrich, sprechen wir doch nicht über meine Leiden, ich fühle mich ganz wohl. Was sind denn meine Leiden gegen Ihr namenloses Unglück? – Raten Sie, wen ich heute im Silbernen Kaffeehaus gesehen habe. – Levitschnigg. – Richtig. – Ich habe nicht mit ihm gesprochen. Er saß mit Grün und Lenau an einem Tisch. – Und jetzt raten Sie, wer mir heute ein Gedicht geschickt hat. – Levitschnigg. – Hier, lesen Sie! – Weine nicht! Weine nicht! Wenn dein Lenz dir keine Rosen, Keine grünen Lorbeeren bringt; Wenn das Lied der Hoffnungslosen Bang durch deine Seele klingt, Weine nicht! Weine nicht! Wenn dein Herz am Sarkophage Deiner Mutter schmerzlich weint Und durch deines Lebens Tage Fürder keine Sonne scheint, Weine nicht! Betty schaut Heinrich fragend an. – Ich kenne es schon, ich habe es schon im Humorist gelesen. Als ob er es für Sie geschrieben hätte. – Aber er hat es nicht für mich geschrieben. Er hat es mir nur geschickt. – Er ist ein zweiter Heine. – Ein zweiter Heine! Er lässt seine Phantasie zügellos fortbrausen. Er weiß nicht zu haushalten mit den Bildern. Der Geschmack der Anordnung fehlt. Den Beschauer schmerzen die Augen. – Nein, Betty. Er schildert die Liebe schöner Seelen mit prachtvollen Worten und Gedanken, die noch nicht durch tausend Hände gegangen sind. – Weit besser ist es, Marqueur zu sein als ein lächerlicher Dichter. – Betty, Sie sind ungerecht. – Soll er doch ein Heine sein. Ich will ihn nicht sehen und ich will nicht, dass er mir Gedichte schickt. – Alle wissen es, nur Levitschnigg nicht. – Heinrich, ich will nicht mehr über Levitschnigg sprechen. – Dann lassen wir unseren Don Juan. Grillparzer war auch im Silbernen Kaffeehaus. Er hat wie immer den Billardspielern zugeschaut. Immer schaut er nur zu, nie spielt er selbst. – Er macht immer einen verdrießlichen Eindruck. Es lebt eine ununterbrochene Verstimmung in ihm. – Wie ein sich verhüllender Priester geht er durch die deutsche Literatur. Übrigens war auch Frankl im Kaffeehaus. Hartmann soll über die Clique der reinen Ästhetik gespottet haben. Die ganze Clique verkehrt bei Wertheimer. Sie würden auch dazugehören. – Das tut mir leid. Ich liebe Hartmann. Seine Gedichte sind reine, naturwüchsige Innerlichkeit und wirken tief ergreifend. – Ihre katholische Heiligkeit und Pietisterei stören ihn und auch Meißner. Das Himmeln und Frömmeln in Ihren neuen Gedichten. So soll er gesagt haben. – Ach. Das schmerzt mich. Heinrich ergreift Bettys Hände. – Allerliebste Betty, wir haben für heute genug disputiert. Und wir lesen auch keine Gedichte mehr. Keine von Hartmann, keine von Levitschnigg, keine von mir und auch keine von dir. Heinrich schlingt seine Arme um Betty. Und Betty weint. 2
Wandlung Willst du erschau’n, wie viel ein Herz kann tragen, O blick’ in mein’s! So reich an Wunden, vom Geschick geschlagen, War wohl noch kein’s. Doch mitten in den wütendsten Orkanen, Erhob ich mich, Und schritt dahin auf meinen fernen Bahnen – Wie stark war ich! Wie ward mir doch nun so mit einem Male Die Kraft geraubt? Es trotzte mutig dem Gewitterstrahle Mein stolzes Haupt, Doch als du zu mir sprachst mit leisem Grüßen: »Ich liebe dich!«, Da sank ich still und weinend dir zu Füßen – Wie schwach bin ich! Rauschender Applaus. Das ist rührend schöne Poesie. Sie ist das personifizierte Gemüt, ein echtes Weib. Versagend und hingebend. Sie hat des Weibes Sendung, die Liebe, erkannt. Lesen Sie weiter! Ja, noch ein Gedicht! Lesen Sie weiter, Fräulein Paoli! Sie ist ein Lord Byron! Sie ist die George Sand! Lesen Sie weiter! Lesen Sie! Wer ist diese Dame?, flüstert Louise Neumann, die junge Schauspielerin vom Hoftheater, Frankl zu. – Sie kennen nicht Fräulein Betty Paoli? Das größte lyrische Talent, das wir besitzen. Betty liest weiter: Und wenn sie alle dich verkennen, So flieh’ an deiner Freundin Herz, Und wenn zu heiß die Wunden brennen, So sprich mit mir von deinem Schmerz! Und will das Sprechen dir nicht taugen, Dünkt dir das Wort ein leerer Tand, So sieh’ mir schweigend in die Augen Und weine still auf meine Hand. Stürmischer Beifall. Das ist mit dem Herzblut der Poesie geschrieben. Wie tief empfunden! Wie ergreifend! Voll melancholischem Klagen. Der Schmerz hat hier seine tiefen Spuren gezogen. Diese Verse sind duftige Blätter von Rosen, die der Sturm des Unglücks zerpflückt. Sie ist ein Byron. Eine George Sand. Wie groß, wie erhaben ist der Schmerz der Dichterin! Man darf sie nur kniend lesen. Sie ist ein Genie. – Genie und Leidenschaft brausen in erhabenen Orkanen und leuchten in prachtvollen Blitzen. – Das Genie wird dem Weibe zu namenlosem Schmerz. – Es ist eine erhabene Poesie. – Das Erhabene ist schlechthin groß. Es ist über jeden Vergleich groß. – Meinen Sie damit Kant? – Natürlich. – Das Erhabene befreit uns von der sinnlichen Welt, sagt Schiller. Das Schöne bindet uns an sie. – Schiller. Was sagt denn Hegel dazu? – Für ihn ist das Schöne aus dem Geist geboren. Die Hegelsche Philosophie ist die monströseste Ausgeburt des menschlichen Eigendünkels, meldet sich Grillparzer zu Wort. Mürrisch, mit finsterer Miene hat er das Gespräch verfolgt. Es wird ganz still. Grillparzer spricht. Alle schweigen und hören ihm zu. – Ich verwerfe die Methode Hegels, für mich ist sie abgetan. Wenn die Verteidiger Hegels sagen: Das menschliche Denken...