Falkenstein / Kardys | Arbeit, Kognition und Alter | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 191 Seiten

Falkenstein / Kardys Arbeit, Kognition und Alter

Wissenschaftliche Erkenntnisse für die Praxis
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-17-035667-2
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Wissenschaftliche Erkenntnisse für die Praxis

E-Book, Deutsch, 191 Seiten

ISBN: 978-3-17-035667-2
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



In der modernen Arbeitswelt stellt der demografische Wandel mit einer stetigen Alterung der Belegschaften Unternehmen vor neue Herausforderungen. Insbesondere die fortschreitende Digitalisierung fordert von den Beschäftigten eine hohe mentale Leistungsfähigkeit. Mit zunehmendem Alter verändern sich vor allem mentale Fähigkeiten. Wie kommen Ältere mit komplexen Arbeitswelten und Arbeitsunterbrechungen zurecht? Was ist bei der Weiterbildung älterer Arbeitnehmer zu beachten? Was können Arbeitgeber und Verantwortliche zum Erhalt der Leistungsfähigkeit tun?

Im Buch nehmen hochrangige Wissenschaftler mit umfangreicher Praxiserfahrung zu diesen Fragen Stellung. Die anschauliche Vorstellung theoretischer Grundlagen altersbezogener Veränderungen gepaart mit evidenzbasierten Handlungsempfehlungen bietet eine optimale Ausgangslage für alle beteiligten Akteure und ermöglicht eine lösungsorientierte Auseinandersetzung mit dem eigenen Praxisfeld.

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Weitere Infos & Material


1          Altersbedingte Veränderungen sensomotorischer Koordination und Handgeschicklichkeit im Arbeitskontext
Solveig Vieluf, Claudia Voelcker-Rehage und Ben Godde
1.1       Einleitung
Manuelle Aufgaben, die Handgeschicklichkeit erfordern, sind prototypisch für den Arbeitskontext. Dazu gehört die Bedienung einer Computermaus ebenso wie die Verlötung elektrischer Geräte. Manuelle Aufgaben erfordern eine deutlich geringere körperliche Belastbarkeit als großmotorische Tätigkeiten, sodass sie ein potenzielles Aufgabengebiet für ältere Arbeitnehmer darstellen. Die Handgeschicklichkeit, auch als Auge-Hand-Koordination, Feinkoordination oder Feinmotorik bezeichnet, meint eine präzise Kontrolle der Hand bzw. Finger, also eine feinmotorische Abstimmung von Hand- und Fingerbewegungen auf wahrgenommene Reize. Das Greifen und Bewegen von Gegenständen ist Teil vieler manueller Arbeitsplätze. Die dynamische und adaptive Kontrolle der isometrischen Griffkraft bei der Manipulation von Objekten (greifen, bewegen, loslassen) ist dabei ebenso eine grundlegende Voraussetzung wie die Fähigkeit zur genauen taktilen Wahrnehmung der zu manipulierenden Objekte (Haptik) (Flanagan & Wing, 1993; Wing, Haggard & Flanagan, 1996). Die Griffkraft wirkt über die Finger auf einen Gegenstand ein. Die präzise Abstimmung der Fingerkräfte an die Aufgabenanforderungen erlaubt eine sehr feine Manipulation von Objekten, wie es an vielen Arbeitsplätzen in der Produktion, aber auch an Computerarbeitsplätzen erforderlich ist. Die Griffkraft ist zu jedem Zeitpunkt der Bewegung nur um einen geringen Betrag höher als die gerade erforderliche Griffkraft, die ein Rutschen des Gegenstandes aus der Hand verhindert. Dies ermöglicht eine sehr feine Modulation kleiner Gegenstände, die ein hohes Maß an Präzision verlangen. Zu hohe Greifkräfte können die feine Manipulation von Objekten behindern. Zum Beispiel können filigrane und empfindliche Objekte durch die Aufwendung zu hoher Griffkräfte zerbrechen. Das Ausmaß an Kraft, das zur Manipulation des Objekts produziert wird, steht in Beziehung zu den Objekteigenschaften wie Masse, Größe und Oberflächenbeschaffenheit (MacKenzie & Iberall, 1994). Für die effiziente Regulation der Griffkraft bei der Manipulation von Objekten ist unter anderem eine uneingeschränkte Sensibilität der greifenden Finger notwendig. Kühlung, Anästhesie oder das Tragen von Handschuhen schränken die Funktion der Haptik ein und führen zu einer erheblichen Erhöhung der Griffkraft (Augurelle, Smith, Lejeune & Thonnard, 2003; Monzée, Lamarre & Smith, 2003). Eine ähnliche Wirkung wird auch aufgrund altersspezifischer Veränderungen der Mechanorezeptoren beschrieben. Zwar bleibt die zeitliche Koordination zwischen der Griffkraft und der bewegungsinduzierten Last erhalten (Hermsdörfer & Blankenfeld, 2008; Nowak et al., 2001), grundsätzlich führt ein fehlerhaftes oder ungenaues sensorisches Feedback aber zu einer Ungeschicklichkeit im Gebrauch der Hände. Auch das sensorisch-taktile Diskriminationsvermögen ist wesentlich an der Wahrnehmung der detaillierten Form und Textur eines Gegenstandes beteiligt. Dabei erfordert die taktile Wahrnehmung häufig eine aktive Exploration des Gegenstandes. Außerdem ist nicht nur die räumliche, sondern auch die zeitliche taktile Verarbeitung wichtig für die Unterscheidung von Textur und Form (Carvell & Simons, 1990; Kleinfeld, Ahissar & Diamond, 2006). In unserem Verständnis umfasst der Begriff der Handgeschicklichkeit somit die präzise Kontrolle und Koordination von Fingerbewegungen bzw. Fingerkräften (Johansson & Westling, 1984, 1988) und die dazu notwendigen sensorischen Voraussetzungen für die Manipulation von Objekten. 1.2       Altersbedingte Veränderungen der Handgeschicklichkeit
Ältere Menschen sind in der Regel langsamer und weniger genau in der Ausführung feinmotorischer Bewegungen als jüngere (Voelcker-Rehage & Alberts, 2005). Dies wird unter anderem auf altersabhängige sensorische, motorische und neuromuskuläre Veränderungen zurückgeführt (Galganski, Fuglevand & Enoka, 1993). Es ist auch bekannt, dass ältere Erwachsene Griffkräfte produzieren, die fast doppelt so hoch sind wie die von jungen Erwachsenen, wenn sie Gegenstände mit unterschiedlichem Gewicht und verschiedener Oberflächenbeschaffenheit greifen und halten (Cole, 1991). Ältere Menschen haben des Weiteren oftmals Probleme, ihre Kraft im Bereich sehr kleiner Kräfte exakt zu dosieren, wie es z. B. für die Bedienung einer Computermaus notwendig ist, oder ihre Kraft gezielt zu reduzieren (Voelcker-Rehage & Alberts, 2005), wie es z. B. das Abstellen eines Gegenstandes erfordert. Auch die taktilen Eigenschaften sind mit dem Alter zunehmend beeinträchtigt (Godde, Bruns, Wendel & Trautmann, 2018; Dinse et al., 2006; Dinse, Wilimzig & Kalisch, 2008). Eine kürzlich erschienene Studie bestätigte mit verschiedenen taktilen Tests einen linearen Zusammenhang zwischen Alter auf der einen Seite und taktiler Sensitivität und Diskriminationsleistung auf der anderen Seite für Frauen zwischen 18 und 95 Jahren (Godde, Bruns, Wendel & Trautmann, 2018). Lindberg, Ody, Feydy und Maier (2009) zeigten, dass die Kontrolle geringer Griffkräfte bereits im mittleren, also berufsfähigem, Erwachsenenalter abnimmt. Mittelalte Erwachsene modifizieren weiterhin ihre Kraftgenerationsstrategie, bevor ein Rückgang der Handgeschicklichkeit sichtbar wird, um frühe degenerative Veränderungen zu kompensieren. So lässt sich zusammenfassen: Die Handgeschicklichkeit nimmt je nach Bewegungsform und beanspruchter Muskulatur etwa ab dem dritten Lebensjahrzehnt ab ( Abb. 1.1). Der deutlichste Rückgang ist jedoch ab etwa dem 60./65. Lebensjahr zu verzeichnen. Abb. 1.1: Altersabhängige Veränderungen in der Feinmotorik (»Stifte umstecken« aus der motorischen Leistungsserie nach Schoppe, dargestellt als Mittelwerte und Standardabweichungen) über die Lebensspanne (n = 1149; Voelcker-Rehage, 2005, S. 22) Potenzielle Ursachen für eine zunehmende Variabilität in der Kraftsteuerung der oberen Extremitäten, besonders im Bereich der Hände und Finger, im Alter sind vielfältig. Dazu gehören altersabhängige Veränderungen der taktilen Empfindungen, ein Verlust an Muskelmasse, Veränderungen im Verhältnis der Fasertypen sowie eine verringerte Nervenleitgeschwindigkeit (einen Überblick geben Ketcham & Stelmach, 2001). Damit verbunden, zeigt sich eine Vergrößerung der motorischen Einheiten (eine motorische Nervenzelle mit allen von ihr innervierten Muskelzellen), in deren Folge die fein abgestufte Kontrolle der Muskelbewegungen geringer wird. Außerdem werden eine gleichzeitige Aktivierung agonistischer und antagonistischer Muskeln sowie eine variablere Entladungsrate (elektrische Aktivität) der motorischen Einheiten als Ursachen für die beobachteten Altersveränderungen angeführt. Degenerative Veränderungen im motorischen Kortex, Kleinhirn und in den Basalganglien sowie ein Verlust an Neuronen im Rückenmark sind weitere Ursachen für eine verminderte Handgeschicklichkeit im Alter (Ketcham & Stelmach, 2001). Defizite in taktiler Empfindsamkeit und Wahrnehmung und somit sensomotorischer Feedbackschleifen spielen ebenfalls eine wesentliche Rolle für das Nachlassen der Handgeschicklichkeit mit zunehmendem Alter (Nowak, Glasauer & Hermsdörfer, 2003). Es wurde auch gezeigt, dass die Wahrnehmung der ausgeübten Kraft von taktilen Hinweisen beeinflusst ist, die Informationen über die Kontaktoberfläche übermitteln (Jones & Piateski, 2006). Beim Tastsinn lassen sich altersbedingte Veränderungen in der Peripherie (also der Haut), in der Reizweiterleitung und in der zentralnervösen Verarbeitung feststellen. Mit zunehmendem Alter kommt es zu einem Verlust von Rezeptoren in bestimmten Hautregionen und zu einer Verlangsamung der Blutzirkulation in den Extremitäten. Zusammengenommen können diese Veränderungen zu einer reduzierten Empfindlichkeit gegenüber Berührungen, Vibrationen und Bewegungen, besonders an den Fingerspitzen, aber auch an Armen, Schultern und Wangen, führen (Stuart, Turman, Shaw, Walsh & Nguyen, 2003). Auch wird die Haut mit dem Alter weniger elastisch und bekommt Falten. Ob und wie sich diese Veränderungen auf die Empfindlichkeit der Haut und die Verarbeitung taktiler Reize auswirken, ist aber noch weitgehend ungeklärt. Im Bereich der Reizweiterleitung lässt sich mit zunehmendem Alter ebenfalls eine Abnahme der Zahl und Dichte der Nervenfasern beobachten. Dadurch nimmt...


Prof. em. Dr. Michael Falkenstein, Dipl.-Psych., Dipl.-Ing., ist Leiter des Instituts für Arbeiten Lernen Altern (ALA) in Bochum. Er beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der Gestaltung von optimalen Arbeits- und Lernsituationen für ältere Beschäftigte, der Förderung mentaler Leistungsfähigkeit bei älteren Beschäftigten sowie der Förderung der Mobilität und der Fahrtüchtigkeit für Ältere.
Er ist Autor und Herausgeber zahlreicher Fachpublikationen, u.a. bei uns erschienen "Fahreignung im höheren Lebensalter".

Prof. Dr. Claudia Kardys, M.A., ist examinierte Gesundheits- und Krankenpflegerin, studierte und promovierte berufsbegleitend im Querschnittsbereich Gesundheitsmanagement/-wissenschaften mit dem Fokus Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) sowie dem Schwerpunkt kognitive Leistungsfähigkeit in der Arbeitswelt. Seit einigen Jahren ist sie als Senior Projektmanagerin im modernen Arbeits- und Gesundheitsschutz bei TÜV Rheinland tätig. An der FOM Hochschule Essen lehrt sie im Bereich Gesundheit und Soziales.

Mit Beiträgen von:
Michael Falkenstein, Claudia Kardys, Sebastian Brandhorst, Stefan Diestel, Patrick Gajewski, Stephan Getzmann, Ben Godde, Meike Jipp, Melanie Karthaus, Dominique Kern, Matthias Kliegel, Annette Kluge, Kristina Küper, Andreas Müller, Jan Oltmanns, Götz Richter, Francisca S. Rodriguez, Jan Spilski, Catharina Stahn, Ursula M. Staudinger, Birte Thomas-Friedrich, Solveig Vieluf, Claudia Voelcker-Rehage, Nele Wild-Wall und Joachim Zülch.



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