E-Book, Deutsch, 6641 Seiten
Fallada Hans Fallada - Gesammelte Werke
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-7460-6445-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
36 Titel. Jeder stirbt für sich allein. Der Trinker. Wolf unter Wölfen. Der eiserne Gustav. Bauern, Bonzen und Bomben. Kleiner Mann - was nun? ...
E-Book, Deutsch, 6641 Seiten
ISBN: 978-3-7460-6445-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Sammelband mit 36 Werken · Der junge Goedeschal · Anton und Gerda · Im Blinzeln der großen Katze · Bauern, Bonzen und Bomben · Kleiner Mann - was nun? · Wer einmal aus dem Blechnapf frißt · Wir hatten mal ein Kind · Wizzel Kien · Märchen vom Stadtschreiber, der aufs Land flog · Altes Herz geht auf die Reise · Der eiserne Gustav · Wolf unter Wölfen · Ein Mann will nach oben · Der Jungherr von Strammin · Kleiner Mann, großer Mann - alles vertauscht · Der ungeliebte Mann · Der Trinker · Jeder stirbt für sich allein · Der Alpdruck · Die große Liebe · Der Apparat der Liebe · Dies Herz, das dir gehört · Die Stunde, eh' du schlafen gehst · Zwei zarte Lämmchen weiß wie Schnee · Das Abenteuer des Werner Quabs · Pechvogel und Glückskind · Süßmilch spricht · Fridolin der freche Dachs · Geschichten aus der Murkelei · Damals bei uns daheim · Heute bei uns zu Haus · Gefängnistagebuch 1944 · Gefängnistagebuch 1924 · Geschichten und Geschichtchen · Weihnachtliche Geschichten · Geschichten aus dem Nachlaß
Hans Fallada (Rudolf Ditzen) lebte von 1893 bis 1947 und war ein deutscher Schriftsteller.
Autoren/Hrsg.
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14 Tredup geht jeden Morgen gegen zehn auf das Rathaus, wo er beim Bürodirektor nachfragt, ob städtische Bekanntmachungen für den Anzeigenteil der »Chronik« da sind. Heute steigt er, nachdem er zwei oder drei Blätter in seine Aktentasche geschoben hat, aus dem Erdgeschoß in den ersten Stock hinauf. Er geht durch eine Flügeltür, ein langer weißer Gang mit roten Türen liegt vor ihm. Er weiß, hier irgendwo residiert Bürgermeister Gareis, der Polizeiherr von Altholm. Er beginnt die Schilder an den Türen zu lesen: »Marktpolizei«, »Verkehrspolizei«, »Kriminalpolizei«, »Kriminalkommissar«, »Polizeioberinspektor«. Da ist es: »Bürgermeister«. Aber ein roter Pfeil verweist auf die nächste Tür: »Vorzimmer des Bürgermeisters. Anmeldung nur hier.« An das Vorzimmer hat er nicht gedacht! Er wird dort sitzen und warten müssen, andere Leute sitzen auch dort, einer erkennt ihn, und Stuff erfährt, daß Tredup, der Werber der rechten »Chronik«, beim linken Bürgermeister war. Zögernd macht er kehrt. Er darf seine Stellung, Basis der Existenz von vier Personen, nicht gefährden. Schon auf der Treppe, kehrt er wieder um. In der Nacht sind aus fünfhundert tausend Mark geworden. Solche Belohnungen zahlen Polizei und Staatsanwaltschaft oft. Und tausend Mark scheinen Sicherheit zu verbürgen, gedeihliches Auskommen … vielleicht ein kleiner Laden. Aber das Vorzimmer kommt nicht in Frage. Er muß es wagen. Und mit einem plötzlichen Ruck öffnet er die Tür zum Allerheiligsten. Es ist aber eine Doppeltür, und die zweite macht er viel sachter auf. Er hat Glück. Der Bürgermeister ist allein, er sitzt an seinem Schreibtisch und telefoniert. Beim Geräusch der sich öffnenden Tür wendet er den Kopf nach dem Besucher. Er kneift die Augen ein wenig zusammen, um ihn zu erkennen, und macht dann eine Geste nach dem Nebenzimmer. Tredup zieht die Tür leise hinter sich zu und bleibt stehen an ihr, vorgebeugt, aufmerksam und beflissen. Bürgermeister Gareis telefoniert weiter. Tredup hat gehört, daß der Bürgermeister der längste Mann von Altholm ist. Aber dieser Mann ist nicht lang, dieser Mann ist ein Elefant, ein Koloß. Ungeheure Glieder, Fleischmassen, kaum vom Tuch zusammengehalten, ein Gesicht mit doppeltem Kinn, hängenden Wangen, dicke fleischige Hände. Nach seiner ersten abwehrenden Gebärde beachtet der Bürgermeister den Besucher nicht mehr. Er telefoniert ruhig weiter, wann eine Sitzung stattfinden soll, ein uninteressantes Gespräch. Tredup fängt an, sich im Zimmer umzusehen. Plötzlich merkt er, daß auch ihn der Bürgermeister beschaut, und ein quälendes Gefühl beschleicht ihn, daß diese klaren hellen Augen – unter einem schwarzen, glatten Scheitel – alles sehen: die ungebügelten Hosen, die schmutzigen Schuhe, die schlechtgewaschenen Hände, den fahlen Teint. Aber nun ist es nicht mehr zu verkennen: über den Hörer weg lächelt ihm Bürgermeister Gareis zu. Und nun weist er auf einen Stuhl, der vor dem Schreibtisch steht, macht eine einladende Geste, und jetzt, mitten im Gespräch, sagt er: »Einen Augenblick noch. Ich bin gleich für Sie frei.« Tredup sitzt, der Bürgermeister legt den Hörer auf, lächelt wieder und fragt rasch: »Also, wo brennt es?« Plötzlich hat Tredup das Gefühl, daß er diesem Mann alles sagen kann, daß der für alles Verständnis hat. Ein Gefühl wie Rührung, eine heiße, begeisterte Bewunderung wallt in ihm auf. Er sagt: »Wo es brennt? In Gramzow, auf den Straßen nach Haselhorst und Lohstedt.« Der Bürgermeister ist ernst, er nickt ein paarmal, sieht nachdenklich auf einen Mammutbleistift, mit dem seine Hände spielen, und sagt: »Da hat’s gebrannt.« »Und die Polizei interessiert sich für die Brandstifter?« »Vielleicht. Kennen Sie die?« »Ein Freund von mir. Vielleicht.« »Ein Freund ist mir zu weitläufig. Sagen wir: Sie. Ein Unbekannter. Größe X.« »Also mein Freund X.« Der Bürgermeister bewegt die Schultern. »Sie sind aus Gramzow?« »Mein Freund? Nein. Aus der Stadt.« »Dieser Stadt?« »Wohl möglich.« Der Bürgermeister steht auf. Tredup bekommt einen Schreck. Es ist, als bewege sich ein Berg. Er steht auf und steht auf und ist immer noch nicht alle. Ganz von oben tönt die Stimme auf den im Sessel zusammengesunkenen Tredup: »Für alle Vernunft habe ich beliebig viel Zeit, für Unvernunft keine Minute. Wir spielen hier nicht Detektivroman. Sie wollen etwas von mir, wahrscheinlich Geld. Eine Nachricht verkaufen. Ich bin nicht interessiert.« Tredup will Einspruch erheben. Die Stimme geht darüber fort. »Bitte, ich bin nicht interessiert. Gramzow ist nicht mein Bezirk. In Frage käme der Landrat in Lohstedt. Womöglich auch die Regierung.« Der Bürgermeister setzt sich wieder. Plötzlich lächelt er. »Vielleicht aber kann ich Ihnen helfen. – Reden Sie also keinen Unsinn, Mann. Raus mit der Sprache. Ich habe in meinem Leben schweigen gelernt.« Der zerschmetterte Tredup belebt sich wieder. Er sagt eifrig: »Ich war dort, an jenem Nachmittag. Ich habe alles gesehen: die Beamten, die Bauern, die Ochsen.« »Sie würden sie wiedererkennen, bestimmt?« Tredup nickt eifrig: »Mehr noch.« »Sie wissen die Namen?« »Nein, keine Namen. Aber …« »Aber?« »Aber ich habe zwei Aufnahmen gemacht, die eine vom Feuer nach Haselhorst zu, die andere vom Feuer auf der Lohstedter Straße. Die Bauern sind darauf, die angesteckt haben, die Stroh gestreut haben, die dabeistehen, alle …« Der Bürgermeister, ganz Nachdenken, fragt: »Ich kenne die Vernehmungsprotokolle nicht. Aber soviel ich weiß, steht in keinem, daß ein Fremder mit einem Fotoapparat dabei war.« Flüchtig denkt es in Tredup: Es ist seine Sache nicht? Er kennt die Protokolle nicht? Und doch weiß er … Etwas warnt, und darum sagt er nur: »Die Bilder gibt es.« »Keine gestellten? Wir sehen es sofort.« »Die andere Seite weiß von ihnen. Heute nacht um eins wurden mir fünfhundert Mark dafür geboten.« »Ein guter Preis«, bestätigt der Bürgermeister. »Vielleicht sind sie zur Stunde das Zelluloid nicht mehr wert. Jetzt ist Lokaltermin in Gramzow. Wenn die Beamten die Bauern bestimmt erkennen, sind Ihre Bilder wertlos.« »Wenn … Der mir fünfhundert bot, wird auch an die Beamten gedacht haben.« Der Bürgermeister betrachtet sein Gegenüber lange und nachdenklich. »Sie sind nicht unbrauchbar. Was kosten die Bilder?« »Heute eintausend.« »Und morgen? Nun, lassen wir das. Es wird nicht unmöglich sein. Sie haben die Bilder hier?« Tredup weicht aus: »Die Bilder stehen jederzeit zur Verfügung.« »Ich glaube schon, daß sie existieren. Und sie sind scharf, deutlich? Man erkennt die Leute?« »Wie ich vor Ihnen sitze, Herr Bürgermeister.« »Es ist gut, Herr X. Sie warten vielleicht draußen zehn Minuten. Wie gesagt, ich habe kein Interesse. Aber es mag sein, daß Stolpe will. Sie warten also. Und vorläufig besten Dank.« Tredup ist kaum aus der Tür, schon klingelt der Bürgermeister. »Hören Sie, Piekbusch, Sie nehmen drei Akten in die Hand. Gehen unauffällig über den Gang. Da steht ein junger Mann, schwarzer Schlapphut, verbeulte Knie, Aktentasche, käsig, die Schuhbänder am rechten Schuh sind auf. Unauffällig ansehen, ob Sie ihn kennen. Gleich zurückkommen.« Sekretär Piekbusch geht. Der Bürgermeister am Apparat: »Verbinden Sie mich sofort mit dem Regierungspräsidenten. Persönlich und dringlich. Geben Sie mir, bis das Gespräch kommt, den Polizeioberinspektor. Und dann den Amtsrichter Grumbach. Sind Sie dort, Frerksen? Ja, kommen Sie bitte sofort zu mir. Und lassen Sie den Dienstwagen vorfahren. Sie müssen in einer Viertelstunde mit jemand nach Stolpe. Ja bitte, gleich. – Nun, wie ist es, Piekbusch, kennen Sie ihn?« »Gesehen habe ich ihn schon, Herr Bürgermeister, aber …« »Also Sie kennen ihn nicht. Gehen Sie zur Kripo herum. Die Beamten, die da sind, sollen unauffällig den Gang entlanggehen, nach verschiedenen Dienstzimmern, auf die Toilette. Sobald ihn einer erkannt hat, anrufen. Nein, besser persönliche Meldung. Ja, wer ist dort? Herr Amtsrichter Grumbach? – Ja, Herr Amtsrichter, hier Bürgermeister Gareis. Ich wollte bitten, den Lokaltermin in Gramzow, wenn irgend möglich, um zwei Stunden zu verschieben. – Dickes neues Material. – Lokaltermin wahrscheinlich vollkommen überflüssig. – Wieso? Nun, Sie werden sehen. – Man hat auch so seine Quellen. – Ich kann noch nichts sagen, ich spreche aber sofort mit Stolpe. – Ja, meinethalben auf meine Verantwortung. – Das Finanzamt? Ach, was die Beamten schon aussagen! Das reicht doch nicht zu einer Verurteilung, vielleicht nicht einmal zu einer Anklageerhebung. – Entweder alles oder nichts. – Also, Sie hören von mir. Oder vom Regierungspräsidenten. – Was Temborius damit zu tun hat? Weil er Geld bezahlen soll. Geld kostet es. Geld, Geld und nochmal Geld. – Richtig, das laß ich ihm, ich begnüge mich mit dem Ruhm. Also, denn!« Er hängt ab. Der Sekretär kommt ins Zimmer. »Gehen Sie nur wieder, Piekbusch. Wenn er erkannt ist, habe ich gesagt.« »Der junge Mann ist verschwunden, Herr Bürgermeister.« »Verschwunden?! Das heißt: weggegangen?« Der Bürgermeister starrt. Er denkt: Wenn mich irgendein Feind geblufft hat! Dann bin ich grenzenlos blamiert. Es kann ein Spion gewesen sein, der horchen wollte, was die Regierung vorhat. Dann bin ich erledigt. Ahbah, das war kein Spion. Er wird Angst bekommen haben. Und laut: »Sehen Sie auf der Toilette nach, Piekbusch. Der Mann ist nur mal aus den...