E-Book, Deutsch, 151 Seiten
Reihe: Standards der Psychotherapie
Fehm / Weidmann Selbstwertbezogene Interventionen
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-8444-3061-5
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 151 Seiten
Reihe: Standards der Psychotherapie
ISBN: 978-3-8444-3061-5
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Selbstwertprobleme können Einfluss auf die Entstehung und Aufrechterhaltung einer psychischen Störung nehmen, aber auch eine Folge der Störung sein. Interventionen, die auf den Selbstwert bezogen sind, spielen bei der Behandlung zahlreicher psychischer Störungen eine zentrale Rolle, insbesondere bei Depressionen, Essstörungen und Persönlichkeitsstörungen. Der Band fasst Wissenswertes zu Selbstwert und dessen Zusammenhang mit unterschiedlichen psychischen Störungen zusammen und grenzt den Begriff gegenüber anderen psychotherapeutisch relevanten Konstrukten, etwa soziale Kompetenz oder Selbstmitgefühl, ab. Es folgen Überlegungen zur Indikation selbstwertbezogener Interventionen und den diagnostischen Möglichkeiten von Selbstwert.
Praxisorientiert wird veranschaulicht, wie selbstwertbezogene Interventionen in der Behandlung umgesetzt werden können. Zunächst werden Hinweise zur Psychoedukation und zum Einbezug von Selbstwert in die Fallkonzeptualisierung gegeben. Anschließend wird gezeigt, wie klassisch-verhaltenstherapeutische sowie achtsamkeitsbasierte Interventionen transdiagnostisch zur Bearbeitung von Selbstwertproblemen eingesetzt werden können. Dabei wird auf verschiedene selbstwertspezifische Interventionen eingegangen, z.B. auf die Förderung der Selbstfürsorge, die Förderung einer ausgewogenen Sichtweise auf sich selbst oder die Arbeit mit inneren selbstkritischen oder wohlwollenden Anteilen. Ausführlich vorgestellt werden zudem zwei im deutschen Sprachraum bislang weniger bekannte Ansätze, die spezifisch für die Behandlung von Selbstwertproblemen konzipiert wurden: Das kognitive Therapiekonzept für Selbstwertprobleme von Fennell sowie das Selbstwerttraining „COMET“ der niederländischen Arbeitsgruppe um Korrelboom. Hinweise zu Besonderheiten der Nutzung selbstwertbezogener Interventionen im Gruppenkontext runden den Band ab.
Zielgruppe
Ärztliche und Psychologische Psychotherapeut_innen, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut_innen, Fachärzt_innen für Psychiatrie und Psychotherapie sowie für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Klinische Psycholog_innen, Psychologische Berater_innen, Studierende und Lehrende in der psychotherapeutischen Aus-, Fort- und Weiterbildung.
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Fachgebiete
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|23|2 Selbstwertprobleme und psychische Störungen
2.1 Modelle zum Zusammenhang zwischen Selbstwertproblemen und psychopathologischen Auffälligkeiten
Im folgenden Kapitel gehen wir auf die zeitlichen und funktionalen Zusammenhänge zwischen Selbstwert und psychischen Störungen ein. 2.1.1 Vulnerabilitätsmodell Das Vulnerabilitätsmodell (z.?B. Zeigler-Hill & Wallace, 2012) nimmt an, dass ein niedriger Selbstwert ein Vulnerabilitätsfaktor für eine psychische Störung ist. Im Sinne eines Zwei-Faktoren-Modells ist dies besonders der Fall, wenn zusätzlich zur Vulnerabilität noch Stressoren hinzukommen, wie z.?B. negative Lebenserfahrungen. 2.1.2 Narben-Modell Im Gegensatz zum Vulnerabilitätsmodell postuliert das Narbenmodell (z.?B. Zeigler-Hill, 2011) den umgekehrten Zusammenhang: Niedriger Selbstwert ist nicht der Vorläufer bzw. Risikofaktor für eine psychische Störung, sondern dessen Folge: Durch die psychische Störung werden intrapsychische Ressourcen über die Maße beansprucht und führen so zu einem erniedrigten Selbstwert. Letztlich schließen sich das Vulnerabilitätsmodell und das Narbenmodell nicht gegenseitig aus. Es ist denkbar, dass sich die Prozesse sogar gegenseitig verstärken und somit den ungünstigen Einfluss auf das Individuum erhöhen. Ebenso wäre denkbar, dass für verschiedene psychische Störungen oder verschiedene Ausprägungen der Symptome jeweils unterschiedliche, charakteristische Muster bestehen. Für den Behandlungskontext sind daher individuelle Konstellationen bedeutsam, die dann in die jeweilige Fallkonzeption eingehen. |24|2.1.3 Selbstwert und psychische Störungen in der Fallkonzeption In Erweiterung des Vulnerabilitäts- und Narbenmodells wollen wir, u.?a. in Anlehnung an Fennell und Jenkins (2004), vier Konstellationen zur Rolle von Selbstwertproblemen in der Psychotherapie unterscheiden: Die Selbstwertproblematik ist Teil der psychischen Störung. Die Selbstwertproblematik ist prädisponierender Faktor für die psychische Störung. Die Selbstwertproblematik ist Folge der psychischen Störung. Die Selbstwertproblematik stellt sich als Barriere für Veränderung heraus. Die Selbstwertproblematik ist Teil der psychischen Störung In manchen Fällen tritt die Selbstwertproblematik als Teil der Symptomatik auf, vor der Entwicklung war der Selbstwert in einem gesunden Bereich. In diesem Fall ist es ausreichend, die Behandlung auf die Symptomatik der Störung auszurichten, in der Regel sind keine zusätzlichen selbstwertbezogenen Interventionen notwendig, da davon ausgegangen werden kann, dass sich mit Remission der Störung auch die Selbstwertproblematik zurückbildet. Das folgende Beispiel stellt einen solchen Verlauf dar: Beispiel: Frau S. Frau S., 38 Jahre, Abteilungsleiterin in einer Behörde und Mutter zweier Kinder, entwickelt im Zusammenhang mit einer monatelangen beruflichen Überlastungssituation eine mittelgradige depressive Episode. Ihr wächst die Arbeit immer mehr über den Kopf, sie kann sich nicht konzentrieren und fühlt sich unzulänglich und minderwertig. Sie glaubt, eine schlechte Mutter zu sein, weil sie kaum Freude empfindet, wenn sie mit ihren Kindern zusammen ist, und macht sich deshalb schwere Vorwürfe. Ihr Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl sinken rapide. Frau S. macht eine ambulante kognitive Verhaltenstherapie, die den Aufbau von Aktivitäten, die Identifikation und Modifikation von Grundüberzeugungen (z.?B. in Bezug auf ihren Leistungsanspruch) und das Trainieren einiger sozialer Kompetenzen (z.?B. sich abgrenzen, Wünsche formulieren) beinhaltet. Nach Beendigung der Therapie ist die depressive Symptomatik voll remittiert und auch das Selbstwertgefühl von Frau S. hat sich wieder erholt. |25|Die Selbstwertproblematik ist prädisponierender Faktor für die psychische Störung In anderen Fällen ist die Selbstwertproblematik schon vor dem Auftreten der störungswertigen Symptomatik vorhanden und hat die Entwicklung der Störung damit begünstigt, wie im folgenden Beispiel deutlich wird: Beispiel: Herr A. Herr A., ein 27-jähriger Einzelhandelskaufmann, sucht aufgrund depressiver Beschwerden therapeutische Hilfe. Im Rahmen der Behandlung wird außerdem eine soziale Phobie diagnostiziert. Unsicher fühlt er sich vor allem gegenüber Frauen, die er attraktiv findet. Er ist dann stark von Zweifeln bezüglich seiner eigenen Attraktivität eingenommen und wendet eine Reihe von Strategien an, um sich bei Gesprächen oder Treffen sicherer zu fühlen. In der weiteren Exploration wird deutlich, dass er schon immer eher schüchtern war und sich auch in Freundschaften tendenziell immer als „der Unterlegene“ gefühlt hat. Es fällt ihm generell schwer, Bedürfnisse bei sich wahrzunehmen und erst recht, diese gegenüber anderen zu äußern, ebenso wie Lob anzunehmen. Er hat oft den Eindruck, dass andere Menschen nette Dinge oft nur sagen, weil es „eben dazugehört“, er aber eigentlich keine lobenswerte Leistung erbracht habe. Im Verlauf der Behandlung kann herausgearbeitet werden, dass Herr A. von sich denkt, dass er „niemandem etwas zu bieten“ hat und dass er nur durch Bestleistungen überhaupt hoffen kann, bei anderen gut anzukommen. In der Therapie sollte es also zunächst darum gehen, die psychischen Störungen, die eine Patientin in die Therapie führten, zu behandeln, im Falle von Herrn A. die Depression und die Soziale Phobie. Spätestens im Rahmen einer Rückfallprophylaxe sollte jedoch die Selbstwertproblematik gezielt adressiert werden, da nur so eine nachhaltige Reduktion der Symptomatik erreicht werden kann. Da dies bei lange bestehenden Selbstwertproblemen durchaus ein zäher Prozess ohne rasche Erfolge ist, ist es zentral, die Patientin in diese Planung miteinzubeziehen und dafür zu motivieren. Die Selbstwertproblematik ist Folge der psychischen Störung Psychische Störungen verursachen Leiden und Beeinträchtigung – und dies kann sich auch in einer Reduktion des Selbstwertgefühls zeigen. So kann eine |26|Agoraphobie beispielsweise zu einer massiven Reduktion der Bewegungsfreiheit führen, die wiederum dazu führt, dass Patientinnen auf die Unterstützung anderer angewiesen sind. Dadurch können das Selbstwirksamkeitserleben und das Selbstvertrauen sinken. Beispiel: Frau R. Die 34-jährige Frau R. stellt sich mit Ängsten vor. Diese begannen vor zwei Jahren, als sie auf einem Flug mit Turbulenzen starke panikartige Ängste erlebte. Innerhalb von wenigen Wochen kam es im Alltag zu einem Teufelskreis aus erhöhter Anspannung, vermehrter Angst und zunehmendem Vermeidungsverhalten. Zum Zeitpunkt der Vorstellung in der Ambulanz kann sie öffentliche Verkehrsmittel nur noch in Begleitung nutzen und nicht mehr allein in der Wohnung sein. Das Angewiesensein auf Unterstützung ihres Umfelds macht ihr sehr zu schaffen, da sie vor den Ängsten immer sehr auf ihre Selbstständigkeit bedacht war und sich als lebensfrohe, starke Frau erlebte. Sie hat nun das Gefühl „nur noch eine Belastung“ für andere zu sein, die „nichts zu bieten“ hat. Einen weiteren Fall dieser Konstellation stellen chronische psychische und psychosomatische Erkrankungen dar, bei denen es wenig Hoffnung auf Remission gibt, und die mit bleibenden, z.?T. massiven Einschränkungen des Funktionsniveaus verbunden sind, wie z.?B. chronisch verlaufende psychotische Störungen oder chronische Schmerzsyndrome. In vielen Fällen dieser Konstellation zieht die Behandlung der primären psychischen Störung automatisch eine Verbesserung des Selbstwerts nach sich, z.?B. bei Phobien. ...