E-Book, Deutsch, 250 Seiten
Feldbacher / Nagelschmidt / Müller-Dannhausen Zwischen Inszenierung und Botschaft
1. Auflage 2006
ISBN: 978-3-86596-074-0
Verlag: Frank & Timme
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
E-Book, Deutsch, 250 Seiten
ISBN: 978-3-86596-074-0
Verlag: Frank & Timme
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Dieser Band versammelt Einzelbeiträge, welche in ihrer Gesamtheit einen Überblick über die Literatur der jüngeren deutschsprachigen Autorinnen ab Ende des 20. Jahrhunderts vermitteln. Im Kontext des 1999 ausgerufenen „literarischen Fräuleinwunders" und bis weit darüber hinaus werden so verschiedene Autorinnen wie Judith Hermann, Alexa Hennig von Lange, Tanja Dückers, Jana Hensel, Terézia Mora und Kathrin Röggla behandelt – und neben dem Schwerpunkt Prosa auch die oft vernachlässigte Dramatik.
Zwischen Inszenierung und Botschaft versteht sich in der Nachfolge der Bände Zwischen Distanz und Nähe. Eine Autorinnengeneration in den 80er Jahren (1998) und Zwischen Trivialität und Postmoderne. Literatur von Frauen in den 90er Jahren (2002).
Die Herausgeberinnen
Ilse Nagelschmidt, außerordentliche Professorin an der Universität Leipzig und Direktorin des Zentrums für Frauen- und Geschlechterforschung.
Lea Müller-Dannhausen, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Germanistik der Universität Leipzig.
Sandy Feldbacher, Absolventin des Instituts für Germanistik der Universität Leipzig.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1;Inhalt;6
2;Was kommt nach dem Feminismus?;8
3;Das Fräuleinwunder ist tot – es lebe das Fräuleinwunder;14
3.1;Literaturgeschichtliche Zusammenhänge;17
3.2;Traditionslinien;22
3.3;Themen und Stilmittel;24
3.4;Kurskorrektur der Literaturkritik;33
3.5;Schluss und Ausblick;37
4;Das 'literarische Fräuleinwunder' – Inszenierungen eines Medienphänomens;40
4.1;Karen Duve – 'Emanze mit spitzer Feder' oder 'neue Wilde der Erzählkunst'?;43
4.2;Alexa Hennig von Lange – jung, frech, Szenefrau?;50
4.3;Resümee;57
5;Eine 'Generation, die lustvoll erzählt'?;60
5.1;Rückkehr des Epischen;60
5.2;Das literarische Ich;62
5.3;Hier und Jetzt;64
5.4;Ein neuer Realismus?;65
5.5;Die Bedeutung des Autobiographischen und Authentischen;71
6;Vom 'Fräuleinwunder' zur neuen Schriftstellerinnengeneration;74
7;Die gender-orientierte Erzähltextanalyse;90
7.1;Einleitung;90
7.2;Von der feministischen Literaturwissenschaft zur gender-orientierten;91
7.3;Erzähltextanalyse – Voraussetzungen;91
7.4;Die gender-orientierte Erzähltextanalyse;94
7.5;Beispielanalysen;95
7.6;Gender-orientierte Erzähltextanalyse zwischen Anspruch und Wirklichkeit;105
8;Vom Stiften und Hinterfragen einer Gedächtnisgemeinschaft in Ostdeutschland;108
8.1;Einleitung;108
8.2;Kurze Übersicht zur Literatur der Wendezeit;110
8.3;Auftakt – Jana Hensels;111
8.4;'Generation Trabant' versus 'Generation Golf';113
8.5;Hensels Bestseller;115
8.6;Aufgewachsen im oppositionellen Familienkreis;117
8.7;Das Land, das uns 'gefangen' hält;119
8.8;Höhepunkt im (ostdeutschen) Leben – die Jugendweihefeier;120
8.9;Schizophrenie im täglichen Leben;122
8.10;Zusammenfassung;123
9;Ostdeutsche Literatur;126
9.1;Über Produktion und Verwaltung der Vergangenheit – die 90er Jahre;126
9.2;Bewegungen und Gegenbewegungen im Leseland Ost – Willkommen im 21. Jahrhundert;131
9.3;Erinnerungs- und Gedächtnismuster: Angela Krauß – Jana Hensel;134
10;Versuch über einen Verlust – Schwierigkeiten mit der Identität;140
10.1;Das Wörterbuch;142
10.2;Worte sprechen aus ihr heraus;145
10.3;Diktaturen;149
10.4;'Was bleibt?';151
11;"Niemand, den ich kenne, hat Träume wie ich";154
11.1;'In-der-Fremde-Sein' – Fremdsein – Anderssein;154
11.2;Rahmung und Spiegelung: Kompositionsprinzipien in;157
11.3;Selbst- und Fremdbilder – Gewalt und Lakonik;161
11.4;Das Sprachengenie Abel Nema in Moras Roman Alle Tage;168
11.5;Alle Tage und Seltsame Materie als komplementäre Entwürfe;174
11.6;Die literarische Ethik Terézia Moras;177
12;Liebe als Utopie?;180
12.1;Pathos der Distanz;183
12.2;Sex als Platzhalter;186
12.3;Leiden, Ablehnung, Tod;188
12.4;Öffentliche Einsamkeit;189
12.5;'So-ein-Leben-leben';191
12.6;Liebe als Utopie;194
13;"... scheiß neue Lust am Erzählen!";198
13.1;Terézia Moras 'Labyrinth';198
13.2;Antje Rávic Strubels 'Schacht';207
14;Deutschsprachige Gegenwartsdramatik: Ohne Fräulein? Ohne Wunder?;216
14.1;Deutschsprachige Gegenwartsdramatik von Autorinnen: ein 'Waisenkind' in der literaturwissenschaftlichen Forschung;218
14.2;Thematische Schwerpunkte und formalästhetische Konzepte in zeitgenössischen Dramen von 'jungen' Autorinnen;219
15;Jelineks Tochter und das Medienspiel;230
15.1;Ein Roman in indirekter Rede;231
15.2;Das Theaterstück einer "Sprachverschieberin";240
15.3;Substanz und Stimme – zu Hörbuch und Hörspiel;243
15.4;Der mediale Echo-Raum;245
16;Die Autorinnen dieses Bandes;248
Heidelinde MÜLLER
Das 'literarische Fräuleinwunder' – Inszenierungen eines Medienphänomens (S. 39-40)
Die deutsche Literatur galt mit ihren politisch-philosophisch geprägten Betrachtungen und essayistisch ausgebreiteten Selbstfindungsromanen lange als schwierig und ernst. Dieses Bild änderte sich in den 90er Jahren: Junge deutsche Autorinnen und Autoren wurden en vogue und unter dem Schlagwort der 'neuen Lesbarkeit' schien eine neue deutsche Literatur ihren Siegeszug anzutreten. In diesem Kontext wurde dem so genannten 'literarischen Fräuleinwunder' eine Vorreiterrolle zugewiesen. Diese Bezeichnung, die 1999 von Volker Hage in dem Spiegel-Artikel Ganz schön abgedreht geprägt wurde, umfasste eine Gruppe junger Autorinnen, denen eine frische Sprache und eine unverkrampfte Schreibweise bescheinigt wurden. Hage subsumierte so unterschiedliche Autorinnen wie Judith Hermann, Zoë Jenny und Karen Duve unter einem Begriff, indem er ihnen Lust am Erzählen und den Mut, großen Gefühlen Raum zu geben, attestierte. Außerdem betonte Hage, dass diese neuen Autorinnen jung und attraktiv seien. Er ergänzte seinen Artikel mit einer Auswahl von Fotografien, welche die Autorinnen in erotisch-geheimnisvollen bis lasziven Posen zeigen. Diese Aufnahmen, die über das Format des neutral gehaltenen Autorinnenporträts hinausgingen, unterstrichen das Lustvolle, das ihrer Literatur bescheinigt wurde.
Schon eine flüchtige Auseinandersetzung mit dem 'literarischen Fräuleinwunder', das in der Folge im Feuilleton Karriere machte und von vielen Seiten, auch kritisch, aufgegriffen wurde, zeigt, dass hier nicht in erster Linie eine neue Form von Literatur, sondern vielmehr der Typus der schreibenden Frau in Szene gesetzt wurde. Schon bei der flüchtigen Beschäftigung mit den Werken der genannten Autorinnen wird deutlich, dass hier unter einem Begriff eine Vielzahl unterschiedlicher Schreibweisen in den "gleichen weiblichen Eintopf" geworfen wurden. Tatsächlich liegt also der Verdacht nahe, dass diese Gruppenbildung eine Inszenierung ist und zwar die Inszenierung eines an bestimmten Vorstellungen ausgerichteten Autorinnenbildes.
Inszenierungsprozesse spielen im öffentlichen Medienkontext eine immer größere Rolle und auch im Literaturbetrieb bekommen sie ein zunehmend größeres Gewicht. Zwar ist diese Entwicklung nicht neu, auffällig ist dennoch, dass sich Tendenzen der Kommerzialisierung und Medialisierung im Literaturbetrieb verstärkt haben. Die Bedeutung von Inszenierung steigt, weil es im sich ständig schneller drehenden Buch- und Vermarktungskreislauf schwieriger wird, neue Gesichter, Namen und Bücher auf dem Markt zu lancieren. Auch das Schreiben über Literatur wird öffentlichkeitswirksamer, weil ein Buch dann am stärksten in den Fokus des allgemeinen Interesses rückt, wenn es als neu und sensationell dargestellt wird. Im Zuge der Personalisierungstendenzen im Literaturbetrieb hat sich auch die Rolle der Kritikerinnen und Kritiker gewandelt. Sie werden, wie Marcel Reich-Ranicki oder Elke Heidenreich, selbst zu Stars und sind von Vermittlern längst zu Machern von Trends und Stars geworden. Und schließlich hat sich in dem Maße, in dem Literatur sich als Event etabliert, auch das Bild des Schriftstellers verändert: Autoren verkörpern ein Lebensgefühl und ein Image, sie geraten als Mitglieder einer Szene, über Provokationen oder indem sie Klischees bedienen, in den Blickpunkt eines möglichst großen Publikums. Insbesondere jüngere Autoren wissen offensive Formen der Selbstinszenierung zu nutzen, um sich in Szene zu setzen. Auch die Inszenierung von Autorinnen,