Flebbe | Das Monster | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 118 Seiten

Reihe: KrimiSnack

Flebbe Das Monster

KrimiSnack
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-7472-0001-8
Verlag: ars vivendi
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

KrimiSnack

E-Book, Deutsch, 118 Seiten

Reihe: KrimiSnack

ISBN: 978-3-7472-0001-8
Verlag: ars vivendi
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Manchmal muss es nicht der dicke Schinken sein. Lieber was Kleines, das nicht so schwer im Magen liegt, als Lesefutter für Zwischendurch. Eine wohlschmeckende Delikatesse zum Genießen auf der Parkbank, am Strand, im Schwimmbad, im Zug oder als Betthupferl. Den Gaumen kitzeln soll es, den Heißhunger stillen, den Appetit befriedigen. Und spannend sein. Die Lösung: der ars vivendi KrimiSnack mit packenden Kriminalerzählungen renommierter Autoren: Literarische Glanzstücke von Friedrich Ani, Jan Beinßen, Lucie Flebbe und Jörg Steinleitner in der Länge einer dreistündigen Bahnfahrt eröffnen die Reihe handlicher Bändchen, die man gerne mitnimmt und die am besten sofort verschlungen werden wollen – vom ersten bis zum letzten Buchstaben. Der Luxushappen unter den Krimis. Mörderisch gut eben.

Seit sie denken kann, wird Kriminalkommissarin Tessa Schwarz von grausigen Visionen verfolgt. Als sie nach der Geburt ihrer Tochter wieder ins Berufsleben einsteigt, werden die Bilder zu einem allgegenwärtigen Problem. Bei einer Zeugenbefragung lernt sie Merle kennen, die offenbar von ihrem krankhaft eifersüchtigen Mann häuslich misshandelt wird. Trotzdem weigert sich Merle, das "Monster" anzuzeigen. Der Fall geht Tessa sehr zu Herzen, und sie gerät durch den schweren Balanceakt zwischen dem Dasein als Mutter, Ehefrau und Polizistin immer mehr aus dem Gleichgewicht. Als dann Merles Fall eskaliert, muss Tessa sich ihrem ganz persönlichen Monster stellen …

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Das Monster     Manchmal sehe ich Monster. Meist in dem Moment kurz vorm Einschlafen, in dem man nicht mehr ganz wach ist, aber auch noch nicht schläft. Manchmal auch beim Mittagessen. Oder – wie in diesem Moment – während einer polizeilichen Zeugenbefragung, bei der ich den Monsterbesuch so gar nicht gebrauchen kann. Doch die Monster sind einfach da. Ich denke sie mir nicht aus. Ich brauche mir nicht zu überlegen, wie ihre Füße aussehen oder ihre Augen, ob sie Wimpern haben sollten oder lieber nicht. Ich sehe sie deutlich, kann sie betrachten, ohne dass sie verschwinden. Ich kann zusehen, wie sie sich verändern. Ein verzerrter Vogel verwest vor meinen Augen. Im Zeitraffer. Verwandelt sich. In seinem aufgerissenen Schnabel wachsen plötzlich Zähne, und es entsteht das stinkende Maul einer grässlichen Ratte. Sie kommt näher. Zu nah. Bläht sich ins Überdimensionale auf. Und für den Bruchteil einer Sekunde glaube ich, vertraute Züge in ihrer grausigen Fratze zu erkennen. »Lange Nacht gehabt, hm?« Der spitze Unterton der Worte lässt die Ratte über mir zerplatzen wie eine mit Luft gefüllte Geisterbahngestalt. Die junge Frau, die mir gegenüber sitzt, verschränkt die Arme trotzig vor der Brust. »Glauben Sie im Ernst, ich erzähle Ihnen, wie mein Mann mir die Fresse poliert hat, wenn Sie dabei einpennen?« Sie kaut Kaugummi und hat sich knallrote Strähnen in die blondierte Mähne gefärbt. »Ich habe mich konzentriert«, zische ich wütend. Sie zieht eine Augenbraue mit Piercing hoch. Sie glaubt mir kein Wort, das sehe ich ihr an. Und Woytalla sieht es garantiert auch. Scheiße. Mein Blick wandert zur verspiegelten Wand. Obwohl ich nicht hindurchsehen kann, bin ich sicher, dass mich Woytalla vom Nebenraum aus beobachtet. Wahrscheinlich hakt er gerade die Daumen im Ledergürtel seiner Jeans ein, unterhalb des stramm über seinem Bauch zugeknöpften karierten Hemdes. Und rümpft seinen an den Enden hochgezwirbelten Schnurrbart. Die nach oben gerichteten Bartspitzen und die runden, roten Pausbacken darüber lassen Woytalla freundlicher wirken, als er tatsächlich ist. Tatsächlich spielt er sich nämlich als mein Aufseher auf. ›Mentor‹ nennt man das im aufgehübschten Behörden-Deutsch und ›durch die Einarbeitungszeit begleiten‹. Im Klartext behandelt er mich, als käme ich frisch von der Polizeischule. Dabei habe ich mir lediglich ein Jahr Auszeit vom Dienst gegönnt. Die ›begleitete Einarbeitung‹ ist völlig überflüssig, ich habe ja keinen Gedächtnisverlust erlitten. Kurz streift mein Blick die Kriminalkommissarin im Spiegel. Sie sieht jünger, blonder und attraktiver aus, als ich erwartet habe. Aus der Entfernung sieht man die dunklen Ringe unter meinen mattgrünen Augen nicht. Die teuren Jeans und der weiche grüne Pullover lassen meine Figur diszipliniert erscheinen, nicht ausgezehrt. Und eine gut geföhnte blonde Mähne hat ihre Wirkung noch nie verfehlt. Vielleicht hat Woytalla mal wieder gepennt und gar nicht bemerkt, dass ich nicht bei der Sache bin. Ich muss mich zusammenreißen. »Hat er denn?«, hake ich nach. Die junge Frau, die mir gegenüber am Tisch sitzt, zupft an den ausgefransten Ärmeln ihres dunklen Shirts. Sie hat den Faden verloren, kann mir nicht mehr folgen. »Ist Ihr Mann denn handgreiflich geworden?«, präzisiere ich die Frage. Sie senkt den Blick. Sie ist noch nicht zwanzig. Typische Teeniemutter mit blödem Vater und noch blöderem ersten Freund. Von dem hat sie sich mit sechzehn das erste Mal schwängern lassen. Und mit achtzehn das zweite Mal. Sie fummelt an ihrem rechten Ringfinger. Sieht aus, als würde sie an ihrem Ehering drehen. Das geht aber gar nicht, denn sie hat sich das schwarze Ding mit Totenkopfemblem geistreicherweise tätowieren lassen. »Natürlich nicht.« Sie schüttelt den Kopf. »Wir haben nur gestritten.« Ein Jahr lang habe ich nicht gearbeitet. Anscheinend lang genug, um zu vergessen, wie frustrierend solche Befragungen sein können. »Ihren ›Streit‹ konnten die Kollegen von der Schutzpolizei schon hören, als sie noch vor dem Haus auf der Straße standen.« »Charly brüllt eben gern rum«, knurrt sie. »Das heißt aber noch lange nicht, dass er mich schlägt.« »Ihre Nachbarin sagt was anderes«, erinnere ich. »Und sie ist immerhin so fest davon überzeugt, dass sie Anzeige gegen Ihren Mann erstattet hat.« Die Rothaarige verdreht genervt die Augen. »Charly macht doch absichtlich den Lauten. Der liegt den ganzen Tag auf dem Sofa, und ich soll nach der Arbeit die Bude polieren! Da hab ich keinen Bock drauf. Aber er denkt, es ist mir peinlich, wenn er rumbrüllt, und ich schmeiße dann doch irgendwann den Staubsauger an.« Sie tippt sich an die Stirn. »Ihre Nachbarin hat ausgesagt, dass sie schon mehrmals Schläge gehört hat.« »Die Simmermeier?«, schnappt das Mädchen ärgerlich. »Die alte Hexe spioniert doch allen hinterher. Die soll ihre lange Nase aus unseren Angelegenheiten raushalten.« Hm. Die Kleine wirkt wirklich sauer. Überzeugend sauer. »Dann erzählen Sie mir, was passiert ist, Frau Kellermann – Merle«, füge ich schnell noch in sanftem Tonfall hinzu. »Sie sind auf der Polizeiinspektion, Ihnen kann nichts passieren.« Merle Kellermanns blaue Kinderaugen werden schmal. Sie schnauft verächtlich durch ihre Stupsnase, in deren rechtem Flügel ebenfalls ein Piercing glitzert. »Glauben Sie die Scheiße, die Sie erzählen, eigentlich selbst?«, erkundigt sie sich. Ich schnalze mit der Zunge. Also doch?! Sagt sie nur deshalb nicht gegen ihren Ehemann aus, weil sie nicht glaubt, dass wir sie vor ihm schützen können? Ich registriere, dass sie schon wieder ihre Ärmel über die Hände zieht. Versteckt sie etwas darunter? Etwas, das ich nicht sehen soll? Ein leises Kribbeln in der Magengegend verrät mir, dass ich auf der richtigen Spur bin. Mir fällt auf, wie lange ich es schon nicht mehr gespürt habe. Gespannt straffe ich die Schultern. Merle verzieht spöttisch die Mundwinkel. In der Unterlippe glitzert ebenfalls Metall, ein weiteres geschmacksverirrtes Schmuckstück. Sie hat nicht vor, mir zu verraten, was wirklich passiert ist. Die dumme Nuss. »Sie haben zwei kleine Söhne, Frau Kellermann.« Ich werde lauter, als ich will. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Jugendamt Ihre derzeitige familiäre Situation gutheißen wird.« Verdammt! Nicht genug damit, dass ich unter Halluzinationen leide, seit einem Jahr kaum geschlafen habe und von einem Holzfällerhemdfetischisten bevormundet werde. Jetzt bedrohe ich auch noch eine jugendliche Zeugin, die offensichtlich Opfer häuslicher Gewalt geworden ist. Ich darf die Nerven nicht verlieren. Doch Merle Kellermann hat meine Drohung verstanden. Und ich habe offenbar ihren wunden Punkt getroffen, denn plötzlich quellen Tränen zwischen ihren Lidern hervor. »Er ist eben etwas aufbrausend«, nimmt sie den Mistkerl von Ehemann trotzdem hartnäckig in Schutz. »Und er hat ja auch recht. Wenn er kein Theater macht, krieg ich meinen Arsch nicht hoch. Die Bude sieht aus wie ein Saustall.« »Und deshalb hat Ihr Mann Sie verprügelt?«, versuche ich die Aussage des Mädchens endlich auf den Punkt zu bringen. Mein Blick wandert zu ihren Armen. Merle Kellermann klemmt ihre Hände unter den Achseln ein. Ihre Kinderaugen funkeln mich an. Mir fällt auf, wie beeindruckend blau die Iris leuchtet. »Nein«, sagt sie entschieden. »Angefasst hat er mich noch nie.«   »Ich dachte schon, nach einem Jahr Kochen und Scheiße wegwischen kriegst du nicht mal mehr eine simple Befragung gebacken, Tessa.« Bernward Woytalla schiebt seinen kariert umhüllten Bauch ins Befragungszimmer, kaum dass Merle Kellermann den Raum verlassen hat. »Aber mit dem Jugendamt hast du die Kleine dann ja doch noch ins Schwimmen gebracht. Gut gemacht.« Gut gemacht? Will er mir als Nächstes vielleicht auch noch den Kopf tätscheln, wie dem verzogenen Rehpinscher meiner Mutter, wenn der wider Erwarten mal nicht auf den Teppich gepinkelt hat? Jedenfalls habe ich richtig gelegen. Woytalla hat wirklich hinter dem Spiegel gestanden und meine Befragung beaufsichtigt. Wie bei einer blutigen Anfängerin. Ganz zu schweigen davon, dass er mich vorher, bei der Befragung des Ehemannes, nicht ein einziges Mal hat zu Wort kommen lassen. »Ich war in Elternzeit, Bernward, nicht in der Irrenanstalt«, kontere ich gereizt, als wir das Befragungszimmer verlassen. Unser gemeinsames Büro liegt ein Stück den Flur hinunter. »Ich dachte immer, das ist das Gleiche«, witzelt Woytalla trocken. Ich sehe den Dicken überrascht an. Das ist sein erster Scherz, seit ich vor vier Wochen in den aktiven Dienst zurückgekehrt bin. Humor hatte ich von ihm schon gar nicht mehr erwartet. Beinahe erleichtert lache ich mit. Er hat ja nicht einmal ganz unrecht. Der Flur wirkt trotz der eingerahmten farbigen Plakate vom Frauenhaus und Kinderschutzbund eher trist. Die kastenartigen Deckenlampen mit Schutzgitter sind
genauso alt wie der Bau selbst, und der beigefarbene Teppich ist auch schon vor mir hier gewesen. In der Bluse brauchst du die Verbrecher nicht zu fangen, Tessa. Die folgen dir freiwillig in jede Zelle! Einen Moment lang blitzt die Erinnerung auf, in der mir das Fachkommissariat irgendwie bunter vorkommt als in der Realität. Vor meiner Elternzeit ist die in die Jahre gekommene...


Lucie Flebbe wurde 1977 in Hameln geboren und lebt mit ihrer Familie in Bad Pyrmont. Für "Der 13. Brief" erhielt sie 2009 den Friedrich-Glauser-Preis in der Sparte Debüt. Es folgten "Hämatom" (2010), "Fliege machen" (2011), "77 Tage" (2012) und "Das fünfte Foto" (2013). Ihr Kurzkrimi "Weg zur Hölle" wurde 2012 ebenfalls für den Friedrich-Glauser-Preis
nominiert.



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