Flebbe Prinzenjagd
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-89425-187-1
Verlag: GRAFIT
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Lila Zieglers siebter Fall
E-Book, Deutsch, Band 7, 288 Seiten
Reihe: Lila Ziegler
ISBN: 978-3-89425-187-1
Verlag: GRAFIT
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Auftrag mit Beigeschmack: Lena Staschek bittet Lila Ziegler herauszufinden, ob ihr Vater fremdgeht. Der Bochumer Kommissar glänzt häufiger als sonst zu Hause durch Abwesenheit. Auch wenn es der jungen Detektivin missfällt, einem Freund hinterherzuschnüffeln, gibt Lila dem Drängen nach. Und stellt fest: Lennart Staschek hat derzeit eine harte Nuss zu knacken. Auf dem Parkplatz eines Hotels wurde die Leiche eines Starkochs gefunden - grausam hingerichtet und verstümmelt.
Als ein zweiter attraktiver und erfolgreicher Mann auf ähnliche Art und Weise in einem Hotelzimmer zu Tode kommt, befürchtet nicht nur die Bochumer Kripo den Beginn einer Serie, die sich gegen vermeintliche ›Traumprinzen‹ richtet. Hans Flegenfeld, der Hotelmanager, wendet sich an Ben Danner und Lila Ziegler. Die beiden Detektive sollen helfen, das Allee-Hotel, das bisher nicht nur wegen seiner vier Sterne, sondern auch wegen seines sozialen Engagements einen ausgezeichneten Ruf genossen hat, aus den geschäftsschädigenden Schlagzeilen zu bekommen.
Damit hat Lila offiziell einen Grund, Staschek auf den Fersen zu bleiben. Allerdings kommt sie so auch dem Mörder sehr nah …
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Sonntag, 22. Juni, 5:00 Uhr Das Bild hat sich eingebrannt. Mit dem Piepen des Weckers ist es wieder da. Wie das Blut die Ritzen zwischen den Pflastersteinen füllt. Wie sich der Schwall im Herzrhythmus verstärkt. Es versickert nicht schnell genug, breitet sich aus, bildet dunkelrot schimmernde Kanäle zwischen den Steinen. Die digitale Zeitanzeige blinkt bläulich. Es muss eine Schlagader getroffen gewesen sein, das Blut lief wie aus einem Gartenschlauch. Und der Herzschlag wurde schnell schwächer. Nach knapp fünf Minuten war das Pulsieren nicht mehr zu sehen. Das neue Messer liegt neben dem Wecker. 5:00 Uhr – die Ziffern spiegeln sich in der Klinge. Keine Zeit zum Ausschlafen, obwohl heute ein freier Tag ist. Aber es ist noch viel zu tun. Das Messer ist jedenfalls ein Profiteil, nicht so ein Gemüseschäler. Mühelos gleitet die Schneide durch Haut und Fleisch, trennt mit einem leisen Ritschen die Sehnen heraus. Das wird alles leichter machen. 1. »Tickst du nicht richtig? Oder bist du bekifft?« Lena legte warnend einen Finger an die Lippen. »Sonst würdest du das ja wohl nicht ernsthaft von mir verlangen!«, fauchte ich trotzdem weiter. »Du bist meine beste Freundin, Lila!« Lenas elegant geschwungene Brauen rückten über ihren Bambi-Augen zusammen. Sie funkelte mich so vorwurfsvoll an, wie es mit den überdimensionalen Sehorganen eines zu Angstattacken neigenden Kuscheltiers möglich war. »Wen soll ich denn sonst fragen?« Grrr. Abschätzend musterte ich sie. Mittlerweile war Lena siebzehn Jahre alt und einen ganzen Kopf größer als ich. Ihre dünnen Beine wirkten zu lang für den schmuddeligen Plastikgartenstuhl, der auf einer Eichenwurzel kippelte. Der letzte Wachstumsschub hatte alle Babyspeckreste weggezaubert. Ihre Wangenknochen zeichneten zwei schräg stehende Kanten in ihr schmales Gesicht. Das dicke, kastanienfarbene Haar trug sie neuerdings auf Schulterlänge durchgestuft und die Röhrenjeans brachte ihre Magermodelfigur zur Geltung. »Zufällig ist dein Daddy ebenfalls mein Kumpel«, erinnerte ich. Wir saßen draußen in der Abendsonne, an einem der drei schmutzigen Tische, die Molle unter eine einzelne Eiche direkt an die Straße gestellt hatte. Der dicke Kneipenwirt traute sich tatsächlich, den Sperrmüll als ›Biergarten‹ zu bezeichnen. Weder Molle noch mein Wider-Erwarten-noch-immer-Lover Ben Danner war außer Hörweite. Deshalb senkte ich die Lautstärke meiner Stimme nun doch: »Ich werde Lenny nicht für dich ausspionieren.« »Papa ist nicht dein Freund, sondern der deines Mackers«, erinnerte mich Bambi boshaft. »Ich bin aber wirklich deine Freundin. Beste. Freundin. BFF – best friends forever. Pippi und Annika, Hanni und Nanni, Thelma und Louise. Oder etwa nicht?« Thelma und Louise. Autsch. Das traf mich unterhalb der Gürtellinie. Lena Staschek war nicht nur meine beste, sondern nach zwanzig Jahren als seltsame Außenseiterin auch meine allererste Freundin. Dank ihr, Karo und Franzi hatte ich plötzlich sogar eine Clique. Ich konnte mit ihnen Prosecco trinken, über Sex quatschen und mich wie ein ganz normaler Teenager aufführen. Und die drei nahmen mir nicht mal übel, dass ich meistens nicht wusste, wie das ging. Ich konnte Lena nichts abschlagen. Schon gar nicht, wenn sie mit Thelma und Louise anfing. Und vermutlich wusste Bambi das genau, das Kuscheltierchen war nämlich keineswegs dämlich. »Dass ausgerechnet du ein schlechtes Gewissen wegen ein bisschen Schnüffelei bekommst, kauft dir nicht mal Molle ab«, versetzte Lena bockig, weil ich noch immer zögerte. Damit traf sie gleich meinen nächsten wunden Punkt – diesmal allerdings wohl aus Versehen. Ich war im Augenblick dünnhäutig. Zu empfindlich. Für meinen Geschmack unerträglich weinerlich. Wenn ich das nicht schnellstmöglich wieder in den Griff bekam, mutierte ich bei vollem Bewusstsein zur Entspannungstee süchtigen Om-Sagerin. »Du würdest doch deine eigene Mutter bespitzeln, wenn die Kohle stimmt.« Lena holte meine Gedanken zurück auf den Gartenstuhl unter der Eiche, indem sie sich vorbeugte, um mein Gesicht betrachten zu können. »Dazu wäre ich tatsächlich zum Regeltagessatz bereit.« Etwas zu eilig griff ich nach der im Ausschnitt meines Shirts baumelnden Sonnenbrille und schob sie mir auf die Nase. »Aber bei meinen Arschloch-Vater hast du plötzlich Skrupel, oder was? Wie kommst du denn plötzlich zu einem Gewissen?« Du musst nicht alles wissen, Thelma! Mein Name ist Lila, ich bin zwanzig Jahre alt und wenn ich mich nicht endlich zusammenreiße, werde ich in naher Zukunft mithilfe von Yoga meine innere Mitte suchen. »Schon gut«, gab ich verärgert nach. »Ich mache es ja.« Bambis Augen blitzten triumphierend. »Ich sehe garantiert keine Gespenster, Lila.« Auch Lena sprach jetzt leise. »Schließlich habe schon einmal erlebt, wie mein Vater drauf ist, wenn er eine Affäre hat. Ein zweites Mal lass ich mich nicht verarschen.« »Wie ist er denn dann?«, wollte ich wissen. »Nicht da.« »Vielleicht ist er im Augenblick einfach nur beschäftigt?«, verteidigte ich Staschek aus Gewohnheit. »Immerhin leitet er die Mordkommission, in deren Zuständigkeitsbereich der Fall von diesem toten Starkoch aus dem Fernsehen gehört.« Lena lehnte sich zurück. »Meine Mutter hat er monatelang beschissen«, sagte sie wohlüberlegt. »Ich habe gemerkt, dass irgendwas nicht stimmt – und was glaubst du, was er da gemacht hat?« Lena hatte meine Aufmerksamkeit. »Er hat mir eingeredet, dass ich eine Macke habe.« Lenny, du wirbelloses Weichtier! »Damals habe ich echt gedacht, ich werde verrückt.« Lena knirschte mit den Zähnen. »Aber das macht er mit mir nicht noch mal. Ich bin nicht mehr elf.« Lena lebte seit der Scheidung ihrer Eltern bei ihrer Mutter. Beim Polizisten-Papa, dessen zweiter Frau Verena und deren Söhnen Marc und Christoph verbrachte sie nur die Wochenenden. »Marc und Christoph haben sich auch schon beklagt, dass er nie zu Hause ist«, fügte Lena hinzu. Wenn sie sich mit ihren Stiefbrüdern verbündete, musste die Lage ernst sein. »Denen kann er vielleicht noch eine Weile was vormachen …«, Lena hob trotzig die Nase, »… mir nicht!« »Versuch doch mal was ganz Gewagtes und frag Lenny einfach, was mit ihm los ist«, schlug ich vor. »Ich nenne diese neuartige Ermittlungstechnik ›miteinander reden‹.« »Meinst du, da bin ich noch nicht selbst drauf gekommen?«, knurrte Lena. Echt? »Du hast Lenny gefragt, warum er nie zu Hause ist?«, vergewisserte ich mich. Ein so offener Umgang mit Problemen in der Familie war für mich schlicht nicht vorstellbar. »So ähnlich.« Lena kaute auf ihrer Unterlippe. »Ich hab ihn gefragt, mit wem er schläft, wenn er nicht nach Hause kommt.« »Oh.« Ein derart offener Umgang mit Problemen konnte wahrscheinlich selbst zum Problem werden. »Und?« Lena schlug die Beine übereinander. »Er hat mir eine gescheuert.« »Schwierigkeiten?« Danner deutete mit dem Kopf auf die Gartenstühle vor der Kneipe, auf denen ich eben mit Lena in der Sonne gesessen hatte. Mein Partner, Freund, Lebensabschnittsgefährte oder wie auch immer man unsere Beziehung bezeichnen wollte, lehnte in breitbeiniger Biertrinkermanier an der Theke. Seine Glatze war besser rasiert als sein Kinn. Er trug die schwarze Jogginghose, in der er auch sonntags auf dem Sofa vor sich hingammelte, und das dunkle T-Shirt, das an seinen Oberarmen spannte und seinen Türstehercharme hervorragend unterstrich. Obwohl Danner mit dem Rücken zur Tür an der Theke lehnte und tat, als hätte er die ganze Zeit mit Molle gequatscht, war ihm keineswegs entgangen, dass Lena und ich draußen keine Schminktipps ausgetauscht hatten. Das war allerdings keine Überraschung. Seit Tagen ließ Danner mich nicht aus den Augen. Was meine Nachforschungen zum Thema ›eheliche Treue seines besten Kumpels‹ nicht gerade erleichtern würde – und mich außerdem allmählich ernsthaft nervte. Auch jetzt bohrten sich seine betongrauen Augen durch meine rotzig-kratzbürstige Fassade, als könnte er tatsächlich dahinter blicken. Moment, das hatte er ja bereits. Erneut hatte ich das dringende Bedürfnis, meine Sonnenbrille auf die Nase zu schieben. Ich verkniff es mir und tat stattdessen, als hätte ich seinen Blick nicht bemerkt. »Machst du mir ’nen Tee, Molle?«, wandte ich mich an den korpulenten Wirt hinter dem polierten Tresen. Die rot karierten Tischdecken und die Topfpflanzen in den Fensternischen stammten in etwa aus der gleichen Zeit wie die Fußballfotos an den Kneipenwänden: Auf den Bildern hatte der VfL Bochum noch in der Ersten Liga gespielt. Die hellen Bodenfliesen und die Kirschholztische waren deutlich älter. Bei Molle gab es einen Kicker, einen Flipper und einen kaputten Computer, an dem man irgendwann mal für zwei Euro Trivial Pursuit hatte spielen können. Und seit eine strubbelige Promenadenmischung namens Mücke bei Molle eingezogen war, hatte er sein Herz für Hunde entdeckt und zwei Blechnäpfe für vierbeinige Gäste aufgestellt. »Yogitee mit Zitrone?« Molle hatte eine schmutzige Schürze um sein schlabbriges T-Shirt gezurrt. Der graue Haarkranz, der von seiner spiegelnden Glatze auf die runden Schultern herabfiel, hatte,...