E-Book, Deutsch, 112 Seiten
Fleckenstein / Fleckenstein-Heer / Leiberg Mit Stolz aus der Abhängigkeit
Die Auflage entspricht der aktuellen Auflage der Print-Ausgabe zum Zeitpunkt des E-Book-Kaufes.
ISBN: 978-3-608-11591-8
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Leistungssensible Suchttherapie
E-Book, Deutsch, 112 Seiten
ISBN: 978-3-608-11591-8
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
- Neuer positiver Ansatz in der Suchttherapie: Die Wirksamkeit der LST in der Rückfallprävention ist wissenschaftlich belegt
- Wichtiger Aspekt in der Therapie: Starker Einbezug der Angehörigen
- Umfassend: Grundlagen und Manual in einem Buch
- Aus der Praxis für die Praxis: Autoren haben das Konzept entwickelt und wenden es in ihrer Klinik an
Bei Menschen, die eine Therapie für Abhängigkeitserkrankungen beginnen,
überwiegen meist Gefühle wie Scham und Schuld – Scham, dass sie diese
Krankheit entwickelt haben und dass sie es nicht allein geschafft haben,
abstinent zu leben; Schuld, dass sie Angehörige und Freunde belasten.
Diese negativen Emotionen fördern jedoch die Aufrechterhaltung der
Abhängigkeitserkrankung.
Hier setzt die Leistungssensible Suchttherapie (LST), welche von den Autoren Fleckenstein und Fleckenstein-Heer entwickelt wurde, an: In der Therapie wird eine neue konstruktive, von Stolz geprägte Haltung gegenüber der Abhängigkeitserkrankung vermittelt. Betroffene und Angehörige werden für die erbrachten Leistungen in der Überwindung der Sucht sensibilisiert und somit eine neue, konstruktive Haltung im Umgang mit dieser herausfordernden Erkrankung gefördert.
Das Ergebnis: Positive Gefühle wie Stolz und dadurch ein transparenterer Umgang mit den Symptomen der Erkrankung und eine bessere Beziehungsqualität zwischen Angehörigen und Betroffenen.
Dieses Buch richtet sich an:
Psychiater, Psychotherapeuten, Suchttherapeutisches Fachpersonal aus den Bereichen Pflege und Sozialpädagogik, Fachinteressierte, Betroffene und Angehörige.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
2 Theoretischer Hintergrund
2.1 Stigmatisierung, Scham und Abhängigkeit
Menschen mit einer Abhängigkeitserkrankung haben parallel mehrere Herausforderungen zu meistern. Sie sehen sich einerseits mit den Symptomen ihrer Abhängigkeitserkrankung und mit der wiederkehrenden Erfahrung konfrontiert, ihre süchtigen Verhaltensweisen nicht stoppen oder kontrollieren zu können. Das bedeutet, dass sie das grundlegende Bedürfnis nach (Selbst-)Kontrolle wiederholt nicht befriedigen können. Zudem leiden sie häufig unter weiteren psychischen Erkrankungen, die komorbid (im Zuge der Abhängigkeitserkrankung) auftreten oder schon vor der Entwicklung der Abhängigkeit zu beobachten waren, z. B. Angststörungen, Depressionen, Persönlichkeitsstörungen. Die Symptome dieser zusätzlichen Erkrankungen stellen oftmals eine schwere Belastung dar. Psychische Erkrankungen führen häufig dazu, dass Betroffene nicht mehr oder nur noch teilweise arbeitsfähig sind, einen Großteil ihrer Lebenszufriedenheit einbüßen und nicht mehr zu einer selbstständigen Lebensführung in der Lage sind. Die dauerhaft erfolgreiche Bewältigung dieser Probleme stellt für die Betroffenen einen Kraftakt dar und mündet häufig in eine Überforderung. 2.1.1 Stigmatisierung
Eine weitere Herausforderung ist die Art und Weise, wie die Gesellschaft auf psychisch erkrankte Menschen reagiert. Hauptsächlich auf der Basis vieler Missverständnisse in der Gesellschaft in Bezug auf Menschen mit psychischen Erkrankungen erfolgt eine Stigmatisierung. Komplizierend wirkt sich aus, dass manche Menschen mit psychischen Erkrankungen diese Vorverurteilung durch die Gesellschaft übernehmen, was zu Selbststigmatisierung und Selbstbeschämung führt (Rüsch et al., 2005). Stigma Der Begriff »Stigma« kommt aus dem Griechischen und bedeutet »Stich« oder »Wundmal«. Zum Stigma eignen sich Merkmale oder Eigenschaften, die in negativer Weise von dem abweichen, was wir oder andere von uns erwarten. Nach Erving Goffman (1974) kann das Stigma als Beispiel für die Kluft betrachtet werden, zwischen dem, was eine Person sein sollte, und dem, was sie wirklich ist. Das Stigma offenbart die Kluft zwischen der virtuellen (idealen) Identität und der wirklichen sozialen Identität. Stigmatisierungen haben nach Grausgruber (2005) auf gesellschaftlicher Ebene eine wichtige regulierende Funktion. Stigmata regeln Werte, Einstellungen und Normen, aber auch Interaktionen zwischen gesellschaftlichen Gruppen. Sie legitimieren Ungleichbehandlungen sowie unterschiedliche Positionen einzelner Gruppen in Gesellschaften und stützen Machtgefälle. So betrachtet sind Stigmata wesentlich für das Zusammenleben von Menschen. Im Folgenden sollen jedoch die dysfunktionalen Ebenen der Stigmatisierung psychisch erkrankter Menschen beleuchtet und ihre die Krankheit aufrechterhaltenden Wirkmechanismen aufgedeckt werden. Die Literatur zu diesem Themenkomplex ist sehr umfangreich. Daher kann nur ein Auszug präsentiert werden, ohne den Anspruch, der Thematik vollumfänglich gerecht zu werden. Stigmatisierungsprozess Link & Phelan (2001) sprechen von einem Stigmatisierungsprozess, der mit der Wahrnehmung von Unterschieden beginnt und mit Diskriminierung endet. Tabelle 2 und Abbildung 8 beschreiben und illustrieren diesen Prozess. Auf der rechten Seite der Tabelle sind mögliche Konsequenzen aufgeführt, die in der jeweiligen Prozessphase im Erleben der Beteiligten zentral sind. Tabelle 2: Phasen des Stigmatisierungsprozesses nach Link & Phelan (2001) mit konkreten möglichen Konsequenzen im Erleben der Beteiligten Phasen des Stigmatisierungsprozesses Konkrete mögliche Konsequenzen im Erleben der Beteiligten Name Beschreibung Phase 1: Wahrnehmen und Ausdrücken einer Normabweichung Bei einer Person wird ein zentrales unterscheidendes Merkmal festgestellt. Die Wahrnehmung selbst ist oft inhaltlich richtig und nicht stigmatisierend. Auch ein adäquater Ausdruck muss nicht zwangsläufig zu Ausgrenzung führen. Beispiel: »Du hast eine andere Hautfarbe als ich.« Phase 2: Aktivieren negativer Stereotypien Festgestellte Unterschiede werden mit negativen Attributen in Verbindung gebracht. Die negative Bewertung der festgestellten Unterschiede (z. B.: »Du hast eine andere Hautfarbe, deswegen misstraue ich dir.«) geht oft mit inadäquaten Gleichheitserwartungen einher, z. B.: aus Sicht der Stigmatisierenden: »Du müsstest so sein wie ich.« aus Sicht der Stigmatisierten: »Ich müsste so sein wie mein Gegenüber.« Eine vorwurfsvolle Konstellation entsteht sowohl zwischen Stigmatisierenden und Stigmatisierten als auch in den Stigmatisierten sich selbst gegenüber. Wichtige Bindungsbedürfnisse werden verletzt. Das Gefühl der Verbundenheit lässt nach. Phase 3: Abgrenzen gegenüber dem Träger des Stigmas Es kommt zu Ab- und Ausgrenzung, im Gegensatz zu somatischen Erkrankungen meist mit Übertragung des Stigmas auf die gesamte Person (der Süchtige, der Schizophrene) verbunden; ein Machtgefälle entsteht. Abgrenzung und Ausgrenzung führen im Erleben der Betroffenen zu tiefgreifender Beschämung und Selbstbeschämung, z. B.: »Ich bin mangelhaft, ich bin nicht normal, ich schäme mich dafür, so zu sein wie ich bin.« »Du bist mangelhaft. Schäme dich dafür, wie du bist!« Beginn von Stigmamanagement: ständige Anstrengung bezüglich Informationssteuerung und Kommunikation mit dem Ziel, als vollwertiger Interaktionspartner anerkannt zu werden (Hohmeier, 1975). ...