E-Book, Deutsch, Band 19, 252 Seiten, Format (B × H): 140 mm x 225 mm
Reihe: Würzburger Theologie
Fleckenstein / Frühmorgen / Klug Perspektiven einer lernenden Theologie
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-429-06628-4
Verlag: Echter
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das Fremde als Impulsgeber
E-Book, Deutsch, Band 19, 252 Seiten, Format (B × H): 140 mm x 225 mm
Reihe: Würzburger Theologie
ISBN: 978-3-429-06628-4
Verlag: Echter
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Theologische Nachwuchskräfte der Universität Würzburg lassen sich vom Fremden inspirieren: Dieser Sammelband des akademischen Mittelbaus der Katholisch-Theologischen Fakultät umfasst neun Beiträge aus unterschiedlichen Disziplinen und präsentiert theologische Lernprozesse, die sich aus der Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Fremdheit bzw. mit dem Fremden als Impulsgeber ergeben. Ziel ist die Entwicklung einer facettenreichen und lebendigen Theologie, die sich auf die menschlichen Gegebenheiten sowie auf aktuelle Veränderungsprozesse einlässt und dabei manchmal Überraschendes erfährt.
Die Beiträge arbeiten interdisziplinär und integrieren aktuelle Erkenntnisse aus theologischen Bezugswissenschaften (Kommunikations- und Geschichtswissenschaften, Theater- und Kulturwissenschaften, Organisationslehre).
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Theologie als Zwischenspiel
Veränderte Perspektiven für eine lernende Theologie
Felix Fleckenstein und Peter Frühmorgen Abstract: Dieser grundlagentheoretische Beitrag beginnt mit der Einsicht, dass Erfahrungen der Fremdheit die eigene Welt- und Wirklichkeitserschließung infrage stellen und Lernprozesse initiieren können. Auch in der theologischen Wissenschaft erbringen Erfahrungen der Fremdheit sowie die Rezeption von Wissensbeständen vielfältiger Bezugsdisziplinen neue Erkenntnisse, die letztlich zu ihrem fundamentalen Bezugspunkt, nämlich zur Frage nach G*tt selbst, führen. Grundlage hierfür ist ein christliches Offenbarungsverständnis, das in der konstitutiven Bezogenheit Gottes mit der Schöpfung und dem Menschen besteht. Die je neu anzunehmende Möglichkeit der personalen G*ttesbegegnung bedingt eine Art und Weise des Theologisierens, das sich immer wieder selbst hinterfragt und sich neu bewähren muss und damit stets vorläufig bleibt. Es ist der „Zwischenraum“ zwischen G*tt und dem Menschen, der theologische Lernprozesse konstituiert und das Potential zu einer Veränderung des Selbstverständnisses und der Selbstdeutung des Theologietreibenden in sich birgt. 1Erkenntnistheoretische Perspektive
Der vorliegende Band der Würzburger Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler bringt ‚Fremdperspektiven‘ in den theologischen Diskurs ein. Der Begriff ‚fremd‘ ist dabei grundlegend eine „den Unterschied zum Eigenen charakterisierende Bezeichnung für die Andersartigkeit des Selbst- und Weltverständnisses eines Individuums oder einer Gemeinschaft.“1 Er verweist darauf, dass bestimmte Denkweisen, Praktiken oder anderweitige Phänomene nicht zum Gedächtnis oder Handlungsrepertoire eines Individuums oder einer Gruppe gehören oder dieser nicht bekannt sind. Fremd ist damit ein sozialer und relationaler Begriff: Er verdeutlicht die „Abhängigkeit menschlicher Welterschließung von den jeweiligen, kulturell und geschichtlich differenten Lebensformen“2. Individuelle Erkenntnismöglichkeiten sind an die jeweilige Situation sowie den eigenen Standort gebunden und sind damit stets beschränkt. Das Wissen um diese Beschränktheit ist mit der Anerkenntnis der Existenz des ‚Fremden‘ verbunden. Dieses Wissen ist damit im Prozess eigener Welterschließung mitzudenken – und zwar als Fremdes! Das Fremde stellt die eigene Weltdeutung beständig infrage, weil es unablässig auf die Möglichkeit des Andersseins hinweist; es ist ein ‚Stachel‘ innerhalb der eigenen Ordnung.3 Fremd und vertraut, fremd und eigen stehen sich hierbei als binäre Termini gegenüber, die zu einer erkenntnistheoretischen Kategorisierung der Komplexität der Wirklichkeit beitragen. Diese und weitere Binaritäten prägen unsere Sprache und unser Denken und führen u.U. zu binären Weltanschauungen: schwarz – weiß, Mann – Frau, richtig – falsch, gut – schlecht, Tag – Nacht, fremd – vertraut etc. Derartige dualistische Gegenüberstellungen münden jedoch (oftmals) in hierarchische Ordnungen, die nicht nur erkenntnistheoretisch, sondern auch performativ Unterdrückung, Marginalisierungen und Gewaltpotenziale mit sich bringen. Vor allem der französische Philosoph Jacques Derrida hat durch seine Methode der Dekonstruktion darauf aufmerksam gemacht, dass es sich bei diesen geprägten Gegensatzpaaren um konstruiert geprägte Ordnungen handelt.4 Mit dieser Erkenntnis ist aber auch der absolute Geltungsanspruch der damit einhergehenden Hierarchisierungen als geprägte Konstruktion desillusioniert. Für die Gegenüberstellung von ‚fremd‘ und ‚vertraut‘ bedeutet dies nun, dass es sich auch hierbei um konstruierte Oppositionen handelt, deren Grenze weder scharf umrissen noch feststehend ist. Der Begriff ‚fremd‘ markiert demnach eine Differenz, die kontingent ist. Die Unterscheidung in fremd und vertraut ist veränderungsoffen und instabil. Wer entdeckt, dass es etwas Fremdes gibt oder gar etwas von diesem Fremden in seine Selbst- und Weltdeutung einfließen lässt, verschiebt diese Grenze des ‚Fremdartigen‘: Das Fremde wird bekannt (aber nicht unbedingt vertraut!) und bereichert im besten Falle die persönliche Welterschließung. Dieser Erkenntnisgewinn resultiert in einem Lernprozess, der die bisherige Grenze des Fremden und damit vielleicht auch den oder die Lernenden verändert. Dieser Lernprozess beginnt nach Bernhard Waldenfels mit der Einsicht, dass die Wirklicht ganz anders sein könnte, als mit der üblichen Wahrnehmung des Gegebenen angenommen wird. Diese erkenntnistheoretische Relativierung der eigenen Wirklichkeitsdeutung nennt Waldenfels ‚Möglichkeitssinn‘5. Bekanntes und Vertrautes wird infrage gestellt und das Fremde und Fremdartige rücken in den Mittelpunkt der Welterschließung – und zwar nicht allein in der Gestalt der Fremdartigkeit des Fremden, sondern auch in der Eigenartigkeit des Eigenen.6 Dies führt zur Frage, wie sich Fremdes und Eigenes zueinander verhalten: Werden fremd und eigen nun als statische Gegensatzpaare gedeutet, dann drängt diese Dualität (möglicherweise) zu einer Bewältigung durch eine klare Hierarchisierung. Dies führt nach Waldenfels entweder zur Bewältigung der Fremdheit durch Aneignung oder zur Enteignung des Eigenen durch die Auslieferung an das Fremde. Die Aneignungsstrategie räumt der eigenen Position ein Monopol universaler Deutungshoheit ein, sodass das Fremde nur als unzulängliche Dublette, Abwandlung oder Vorform des Eigenen eingeordnet wird. Eine echte Auseinandersetzung mit dem Fremdartigen des Fremden wie dem Eigenartigen des Eigenen geschieht hier nicht. Die Enteignung ist demgegenüber die Umkehrung der Aneignungsstrategie, sodass das Fremde und Fremdartige an die Stelle des Eigenen und Eigenartigen tritt, es verwässert oder gar auflöst. Beide Strategien versuchen die Grenze zwischen Eigenem und Fremden durch gegenläufige Hierarchisierungen aufzulösen. Beide verfolgen dabei eine monologisierende, hierarchisierende und vereinheitlichende Strategie.7 Wird die Auseinandersetzung zwischen Fremdartigem und Eigenartigem nun jedoch nicht als binäre Gegenüberstellung, sondern als geprägte und vielschichtige Konstruktion reflektiert, dann eröffnet sich eine ‚Zwischensphäre‘, in der Fremdes und Eigenes in einem dialogischen Wechselspiel verflochten werden können. Verflechtung bedeutet dabei weder Verschmelzung noch Trennung, sondern meint ein Erfahrungsgeschehen des prozessualen Dialogs von Fremdem und Eigenem. Durch Ereignisse und Erfahrungen wird die bestehende Differenz zwischen dem Fremden und dem Vertrauten sichtbar; sie legen – zumindest für den Moment – die (bisherigen) Differenzierungskriterien und das zugrundeliegende Ordnungssystem offen. Das (bisher) Unzugängliche, Unverfügbare oder Irreguläre tritt in die individuelle Weltordnung ein und ordnet diese neu. Die Grenze zwischen Fremdem und Eigenem wird nicht aufgelöst, sondern die Auseinandersetzung mit dem Fremden wird zum ‚Grenzspiel‘, das zu einem besseren Verständnis des Fremdartigen wie auch des Eigenartigen führt, ohne das Eigene gänzlich aufzuheben oder das Fremde zu annektieren. Stattdessen verschiebt sich die Grenze der eigenen Welterschließung gerade durch die Performativität der Auseinandersetzung, in der die Fremdartigkeit des Fremden die Eigenartigkeit des Eigenen erhellt und umgekehrt. Fremdheit und Eigenheit werden somit nicht als distinkte Sphären oder sich ausschließende Wirklichkeitsdeutungen betrachtet, sondern können als Brennpunkte einer elliptischen Wirklichkeitsdeutung verstanden werden, die weder ineinander aufzulösen sind noch gegeneinander ausgespielt werden können.8 Diese ereignisbasierte Dynamik des Wechselspiels zwischen fremd und vertraut vermag Verunsicherung auf Seiten von Individuen oder Gruppen auszulösen, weil Selbstbild und Identität durch Fremdes infrage gestellt werden können. Der Begriff fremd hängt damit auch wesentlich mit der Frage nach der eigenen Identität zusammen: Das Fremde führt vor Augen, worin das Eigene besteht oder nicht besteht. Fremdheit als Ergebnis eines Zuschreibungsprozesses führt spiegelbildlich zu einer Thematisierung der eigenen Identität und zu deren (dynamischen) Weiterentwicklung.9 Ereignisse und Erfahrungen des Fremden und deren Bedeutung für individuelle und soziale Identitäten erlangen im Kontext gegenwärtiger multikultureller und auch multireligiöser Gesellschaften eine herausragende Relevanz: Der Umgang mit dem Fremden wird zu einer wichtigen Herausforderung bei Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens und der Herausbildung einer verbindenden und verbindlichen Kultur. Die Begegnung mit anderen Kulturen und Religionen und damit verbundene Denk- und Lebensweisen...