Fleckner | Im Schatten der blauen Pferde | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 368 Seiten

Fleckner Im Schatten der blauen Pferde

Roman
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-641-29007-8
Verlag: C.Bertelsmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 368 Seiten

ISBN: 978-3-641-29007-8
Verlag: C.Bertelsmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Raffiniert erzähltes Romandebüt um eines der großen Rätsel der KunstgeschichteMaximilian Kisch ist ein Besessener. Schon sein halbes Leben jagt der Kunsthistoriker vergeblich ein verschwundenes Gemälde des Blaue-Reiter-Malers Franz Marc. Dessen Spuren verloren sich nach der Münchner Ausstellung »Entartete Kunst« in der privaten Sammlung Hermann Görings. Seitdem rätselt die Kunstwelt über den Verbleib. Ein letztes Mal will Max im Getty Center in Los Angeles Nachlässe auf neue Hinweise durchforsten – und macht, unterstützt von seiner Kollegin Jessica Steiner, tatsächlich einen erstaunlichen Fund. In ebenso spannenden wie historisch belegten Rückblenden erzählt Uwe Fleckner die Geschichte des berühmten Gemäldes: von seiner Entstehung, seinen Sammlern, einer trickreichen Entführung und einem ungeheuren Verdacht.
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1
Die Pferde, immer waren es die Pferde, die mich retteten. Unerträglich das blutige Gemetzel, unerträglich die eigene Schuld. Und doch, mein Kopf am warmen Leib des Tieres, ein Geruch wie klammes Herbstlaub, in den dunkel durchwachten Stunden der Nacht, immer dann, wenn es nicht mehr auszuhalten ist. Meine Tränen auf dem glatten Fell, Farbtropfen gleich, die zäh von der Leinwand fließen, die Finger ziehen feuchte Linien über den Körper, mit einer letzten malerischen Geste zeichnen sie die Formen des Tierleibes nach. Tränenmalerei, immerhin. An einem richtigen Bild habe ich schon lange nicht mehr gearbeitet, aber die vielen Skizzen, die hier an der Front entstanden sind, meine kleinen Blätter, fatale Abstraktionen, sie werden mir den Weg weisen, hoffe ich, wenn nach dem mörderischen Schlachten endlich eine neue Kunst mich mit der Welt aussöhnen soll. Und auch jetzt noch ist es das Pferd, dem allein ich mich anvertrauen kann; die beruhigende, schützende Kraft der treuen Kameradin, meiner Fuchsstute, sie trägt mich durch mein Schicksal. Eng verbunden ziehen wir über die Landstraße, ein Kentaur in den Wiesen von Braquis auf der Suche nach den französischen Lapithen. Verflucht, dass mir noch immer diese Bildungsfloskeln durch den Kopf treiben, die ich aus meiner Malerei doch endgültig verbannt hatte. Seltsamer Name eigentlich, dieses Braquis, wie zum Hohn erinnert er mich an den Maler, von dessen Werken wir so viel gelernt haben. Dem bin ich nie begegnet, leider, steht jetzt auf der anderen Seite der Schützengräben. Nun schießen wir aufeinander, das muss wohl so sein, aber grauenhaft ist es trotzdem. Und Picasso. Doch der ist Spanier, der kommt sicher davon, ist uns allen immer überlegen gewesen, ich geb’s ungern zu, aber es ist wahr. Da drüben ist Verdun. Nicht zu sehen, zu weit weg, trotz der gläsernen Luft, die mir in den Augen und auf den Wangen brennt, viel zu kalt für diese Jahreszeit. Dass wir nicht durchbrechen können, tiefer nach Frankreich hinein, obwohl unsere Mannschaften verzweifelt ihr Leben lassen. All die furchtbaren Verluste, Tote jeden Tag, überall Tote, auf beiden Seiten der Front. Aber dennoch eine gerechte, unausbleibliche Sühne für den Aussatz unserer Seelen. Ein Fegefeuer, eine Reinigung zumindest, der Krieg hat alles so klar gemacht, vielleicht der einzige Sinn, die einzige Hoffnung, die uns im Sinn- und Hoffnungslosen noch bleibt. Rücksichten werde ich jedenfalls keine mehr nehmen in meiner Kunst, wenn ich’s denn bloß überlebe, wenn bloß meine Seele zurückkehrt in diesen toten Automaten. Entsetzliche Bilder habe ich gesehen, wie zu unserem Spott in die Landschaft gemalt, Trümmer und verrenkte Leiber, wie sie nicht einmal die kubistischen Teufelskerle gewagt hätten. An den Leichengeruch gewöhne ich mich nie, schlimmer als der Anblick der toten Menschen, von überallher kriecht er mir ins Gemüt, nicht auszuhalten ist das. Doch im freien Gelände ist alles so frisch und ruhig, weit weg vom Elend der vergangenen Tage. Langsam geht unser Ritt voran, Heinrich, mein Bursche, wie immer tapfer neben mir. Feindaufklärung, welch ein Irrsinn, ach Franz, wir sind ja selber nicht aufgeklärt, witzelte Müller noch gestern Abend im Quartier, und der sonst so hartgesottene Leutnant verzog sein Gesicht zu einer bitteren Grimasse. Immerhin ein Dach über dem Kopf, hatten wir ewig nicht mehr, auch wenn es überall in die Ruine hereinregnet, Tropfsteinhöhle, auch so ein Frontkalauer, nun ja, wir werden sehen, wie lange unsere Kolonne im verwüsteten Schloss stationiert bleiben kann. Und die Pferde, die armen Pferde, endlich mal wieder abgesattelt über Nacht. Eigentlich ganz schön hier auf der friedlichen Straße. Felder, Wiesen, Wälder, sanfte Hügel breiten sich vor mir aus. Hinter mir ragt der Kirchturm von Braquis ins kalte Blau. Wir bringen einander um und beten dennoch zum gleichen Gott. Aber kann man das überhaupt noch beten nennen? Verzweifelt beschwören wir eine Macht, die uns immer fremder wird, die man nur noch anfleht, die eigene erbärmliche Existenz aus der Hölle zu retten. Und manchmal nur noch um einen schnellen, gnädigen Tod. Andererseits diese Halden der Leichen auf den Äckern und in den Schützengräben, die gemetzelten Kameraden, auch die Franzosen, unwirkliche Haufen, Stilleben des Grauens, die eine Menschenhand nicht malen könnte. Aber trotzdem besser, als in den Lazaretten unter die Messer dieser Metzger zu geraten. Ich sehe schon die Straßen in unseren Städten, nach dem versprochenen glorreichen Sieg, Krüppel, armlose, beinlose Kreaturen, halbe Gesichter und halbe Seelen, die bettelnd umherirren und von den Kriegsgewinnlern verachtet werden. Mein Gott, der wahnsinnige Traum vor einigen Nächten, Macke lebte, wunderte mich aber merkwürdigerweise nicht, er grinste breit über sein liebes Gesicht, ohne Arme stand er da, der Maler, der Freund, ein markerschütternder Schrei riss mich aus dem Schlaf, mein eigener Schrei. Müller kreidebleich im fahlen Mondlicht vor meinem Hasenstall, den ich mir als Bett ins halb zerstörte Schloss gezerrt hatte, er zog mich aus dem Heu und wusste natürlich nicht, was mit mir los war. Was wird die Kunst aus solchen Traumgesichten machen, wie soll man bloß weitermalen nach solchen Visionen? Kunst ist doch das Einzige, das ewigen Wert hat und dem wir alles opfern müssen. Werde ich zurückfinden, in die Welt meiner Malerei? Werden meine Bilder mich retten, werden sie von nun an und für alle Zeiten ohne die sichtbare Welt auskommen müssen? Ein Künstler, der fühlt und nicht mehr schaut? Ich erschrak jedes Mal, wenn ich das kleine Skizzenbuch zur Hand nahm und diese somnambulen Linien und Kraftfelder sah, die wirklicher sind als die Wirklichkeit. Es liegt nun bei Maria, der Hüterin, in der Heimat und wartet auf mich. Oder ist das Abstrakte nur eine feige Flucht in die Dekoration? Hoffentlich komme ich bald nach Hause und kann an die Arbeit gehen, die heilige Arbeit. Ich muss weg, endlich weg von der verfluchten Front, ein offizieller Auftrag für ein Bild, ein paar Wochen Urlaub zumindest, das wär’s, oder auf die Liste der Künstler, die vom Krieg verschont sein sollen. Noch immer warte ich auf Antwort, morgen, vielleicht morgen, oder doch in den nächsten Tagen, hoffe ich. Will endlich zurück zu Maria, zur Liebsten, zur Kinderseele, sorge dich nicht, ich komme schon durch, habe ich ihr heute früh noch geschrieben. Aber geglaubt hab’ ich es nicht einmal selbst. Und wie es wohl unseren Rehen geht? Und den Hunden? Schlickchen, Hanni und Russi sind tot, haben viel zu lange gelitten. Ich kann ja noch gar nicht sterben, die ungemalten Bilder wollen gemalt sein, das kann doch nur ich. Auch so ein Wort, dieses Ich, ein Wort, das seinen hohlen Schall in eine Welt ohne Echo wirft. Wird es das noch einmal geben? Ein Wir, eine Gemeinschaft, die den Egoismus unserer Zeit hinter sich lässt? All die Tierschicksale, die dieses Ich in seinen Bildern erfasst hat, an der Front zeigen sie ihre entsetzliche Realität. Die Kreatur leidet allein an unserer Schuld, vor allem die Pferde, immer sind es die Pferde, deren tote, zerschundene Leiber mir den Krieg mehr als alles andere in Frage stellen. Ich schäme mich, dass ich noch vor gar nicht so langer Zeit an Maria, die liebe Maria, schrieb, der Krieg sei etwas Imposantes und Mystisches; verlogene Sprache, so wie auch das Gerede von Weltenbrand und Blutopfer in den Schützengräben endlich, endlich verstummen muss. Expressionismus statt Wahrheit, das hätten wir auch nicht gedacht. Wie hatte ich mich gefreut, aus dem langweiligen Garnisonsalltag an die Front zu kommen, jetzt sehne ich mich in die Etappe zurück, nach Hause zurück sehne ich mich, schlafen möchte ich, lange schlafen und aufwachen und dann an die Staffelei. Der wundervolle Schimmel, das stärkste Pferd unserer Kolonne, tagelang war er krank, stöhnte wie ein Mensch, bevor er wie ein Mensch krepierte; ein hässlicher, verfallener Pferdeleib dann, ein stinkender Rest. Den Kadaver verscharrten wir im Dreck. Tote Pferde überall, verreckt an den Kugeln und Granaten, verreckt im letzten Dienst an den Menschen, die solchen Dienstes nicht würdig sind. Und die Franzosen? Die nutzen Attrappen toter Pferde zur Tarnung ihrer Maschinengewehre, wissen genau, dass wir Deutschen, die guten jedenfalls, einen solchen Anblick kaum ertragen und uns in Trauer und Demut nähern, wo wir doch vorsichtig sein sollten. Aber unsere Tarnung ist auch aberwitzig, hier sollen wir Künstler zeigen, was wir können. Hätt’ ich mir nicht träumen lassen, dass meine letzten Geschmiere wahre Kandinskys geworden sind, abstrakte Anstriche unserer Zeltplanen, Mimikry, Grau und Grün und Schwarz ineinander verschlungen, Improvisationen, die unsere Stellungen für den Feind unsichtbar machen, ein Verrat an dem Freund und an unserer Sache; von wegen das Geistige in der Kunst. Machen die Franzosen auf der anderen Seite der Front aber genauso, kann mir gut vorstellen, wie Braque und Léger über die Frage streiten, welcher Kubismus für die Camouflage am wirkungsvollsten sei. Endlich wieder ernsthaft malen, das wär’s, endlich schauen, ob die Skizzen auch im großen Format, und farbig, was taugen. Der Turm der blauen Pferde ist doch mein bestes Bild bisher und hat schon so viel an abstrakter Kraft. Werde nach dem Krieg gleich an Walden schreiben und es wieder ins Atelier schicken lassen. Der gute Walden, der hat als einer der Ersten an mich geglaubt, aber auch ihn hat der Krieg völlig durcheinandergebracht, alle sind verstört, und hilflos trösten die Briefe aus der Heimat. Oder am besten gleich ins Museum mit dem Bild, warum nicht, ein Werk, das dem deutschen Volk zeigen soll, was es heißt, an der Welt zu leiden und einzig durch die Harmonie von Kreatur und Kosmos geheilt zu werden. Wird wohl nötig sein, damit wirklich wieder Frieden wird. Das vergesse ich nie, die große Leinwand im Sindelsdorfer...


Fleckner, Uwe
Uwe Fleckner, geboren 1961 in Dortmund, hat Kunstgeschichte, Philosophie und Germanistik in Bochum und Hamburg studiert. Seit 2004 ist er Professor für Kunstgeschichte an der Universität Hamburg, Leiter der von ihm gegründeten Forschungsstelle »Entartete Kunst« in Hamburg sowie einer der Direktoren des dortigen Warburg-Hauses. Fleckner ist Autor zahlreicher Buch- und Aufsatzpublikationen, unter anderem zur »entarteten« Kunst, zur Kunst der Moderne und zur politischen Ikonografie sowie Mitherausgeber der Gesammelten Werke Carl Einsteins und Aby Warburgs. Mit »Im Schatten der blauen Pferde« legt er sein Romandebüt vor.



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