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E-Book

E-Book, Deutsch, 336 Seiten

Frank Aruns Geschichte

Roman
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-86300-107-0
Verlag: Männerschwarm, Salzgeber Buchverlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 336 Seiten

ISBN: 978-3-86300-107-0
Verlag: Männerschwarm, Salzgeber Buchverlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Mitten im Studium geht Arun das Geld aus. Zum Glück bekommt er einen Job als Dolmetscher für Ernst, einen Studenten aus Europa. Damit sind seine finanziellen Sorgen vorbei, aber er hat ein neues Problem: Ernst ist in ihn verliebt. Arun fühlt sich seinem Wohltäter irgendwie verpflichtet und ist ja auch nicht prüde, aber Ernst muss über alles gleich viele Worte machen, und das ist für Arun ganz einfach anstößig. Außerdem liebt er Mary.

Die beiden werden Freunde und studieren zusammen; Arun lernt, Ernst zu verstehen, und Ernst wird jeden Tag etwas indischer. Und dann begegnet Ernst Aruns Bruder Hari, dem im Leben alles so viel leichter fällt.

Martin Frank hat mit Arun eine unvergessliche Gestalt erschaffen, einen viel zu dünnhäutigen Mann, der trotz seiner Armut all seinen moralischen Verpflichtungen mit Hingabe nachzukommen versucht. Arun und Ernst führen die Leser in ein Indien, in dem die Zeit stehen geblieben zu sein scheint.

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I OM NAMAH SHIVAYAH! Des Herrn Braut bin ich, Meine Lippen sind immer auf den Füßen meines Herrn. AM TEMPELTEICH Madhu singt, und sein Lied erzählt von der Schönheit Gott Murugans und ist voll der Süße, ein Tamile zu sein. Madhu ist außerordentlich begabt, und wie ein kräftiger Ringer scheut er sich nicht, seine Stärke zu zeigen. Wir sind Freunde, seitdem wir als Kinder nackt auf der Dorfstraße herumgerannt sind, aber noch immer treibt mir seine Stimme Tränen in die Augen. Wenn er über die Musik spricht, die er in seinen Träumen hört, scheinen seine Augen einen weit entfernten Ort zu sehen, jenseits meines Verständnisses, im Reich der Göttin Saraswati. Ich will einfach nur Musiker werden, egal ob ich begabt bin oder nicht. Ich träume davon, vor Publikum aufzutreten und nach ÜBERSEE zu gehen. Wenn ich Glück habe, träume ich nachts vom Körper eines bestimmten Mädchens – ich schäme mich davon zu sprechen. Madhu, Radhu, Vishnu und ich sitzen auf den Stufen des Tempelteichs. Ich kämme mir mit den nassen Fingern ein paar Tropfen duftendes Öl ins Haar, das mir Radhu geschenkt hat, ein effeminierter Nayarjunge, der gerade behutsam Madhus Hals und Nacken massiert. Neben Madhu sitzt Vishnu, der Sohn des Priesters. Er hat regelmäßige Gesichtszüge, große Augen und einen schlanken, muskulösen Körper. Die Jungen bewundern ihn und die Dorfältesten machen sich Sorgen, denn jedermann vermutet, dass er geheime Affären hat. Ich habe gehört, dass er eingeladen wurde, die Nacht mit dem Sohn eines Industriellen und zwei Frauen in einer Lodge in Ooty zu verbringen. Vishnu ist achtzehn Jahre alt und stolz auf seine Abenteuer. Sein Charakter ist so von Sinnlichkeit geprägt, dass niemand etwas anderes von ihm erwartet. Hari, mein jüngerer Bruder, steigt aus dem Teich, in dem er mit ein paar Jungen gebadet hat, die eigentlich nicht hierher gehören, Nayars und Geringere als Nayars, sein halbes Kricketteam. Alle tragen nur nasse Unterhosen, und die Jungen machen anzügliche Witze über das, was sich bei Hari darunter abzeichnet. Hari schwingt sich vom Dach des Badehauses zurück ins Wasser. Die alten Männer, die im Schatten sitzen, schimpfen zwar, fügen aber gleich hinzu: «Als wir jung waren, sind wir so oft vom Dach gesprungen, dass es fast eingestürzt ist.» Auch den alten Knackern fällt nichts Besseres ein, als sich darüber lustig zu machen, dass Haris größte Gabe nicht zwischen seinen Ohren sitzt. Hari tut, als machten ihm die Scherze nichts aus. «Es ist ein Zeichen, dass ich tausend Söhne haben werde.» Mir geht es auf die Nerven, Tag für Tag den gleichen Scherz zu hören. Die Dorfmädchen werden schon rot, wenn sie Hari in kurzen Hosen Hockey spielen sehen. Er ist der größte Herzensbrecher, ein Sportsheld, Kapitän der Kricketmannschaft und Mitglied jedes Schulsportteams. Er will Gymnastiklehrer werden. Jeder mag ihn, vor allem die Mädchen, die in unserer Küche herumhängen, um einen Blick auf ihn zu erhaschen, und die kleinen Jungen bewundern ihn: Unser Hinterhof ist ihr Kino. Hari imitiert Schauspieler, tanzt, erzählt Witze, singt Filmsongs für sie. Selbst wenn Hari traurig ist, zwingt er sich, fröhlich zu sein. Mitten in der Nacht, wenn er rausgeht, um auf die Straße zu pissen, trifft er manchmal Vishnu oder einen anderen von unseren Dorfnichtsnutzen und kommt erst nach einer Stunde zurück. «Wir sind im Tempelteich geschwommen, Subbu, Vishnu und ich.» Ich fühle mich nicht wohl in Gesellschaft der Nayar-Tunichtgute, die nachts im Dorf herumhängen, um der Aufsicht ihrer strengen Tanten zu entgehen, auf der kleinen Brücke sitzen, Haschisch rauchen, unanständige Witze erzählen und Mädchen anpöbeln. Mir wäre lieber, wenn Hari sich von ihnen fernhalten könnte. Doch Hari ist ihr Guru. Sie beten ihn an, Rikschafahrer, Wäschejungen, Teejungen. Was kann ihm ihre Freundschaft schon nützen? In den dunkler werdenden Schatten empfinde ich Furcht vor all den großen Fragen. Ich wickle mein Badetuch um die Hüften, ziehe Madhu an der Hand empor, wir gehen. IN PURAYUR Wir gehen an unserem weißen Dorftempel vorbei, der nur Brahmanen zugänglich ist, ein Relikt unseres Kastensystems. Madhu singt, und durch sein Lied werden der kleine Tempel und sein goldener Wimpel, der in den letzten Sonnenstrahlen glänzt, wieder zu dem, was sie immer waren: das Herz meines Dorfes, ein Teil meiner selbst. Wir kommen am Dreschplatz vorbei und erreichen dann das eigentliche Dorf. Links stehen unsere Iyer-Häuser, weiß, mit niedrigen Vordächern und Basler Missionsziegeln. Rechts stehen die Häuser von Madhus Iyengar-Clan, weiß, mit niedrigen Vordächern und Basler Missionsziegeln. Dazwischen liegt unsere Dorfstraße, ein breiter Grasstreifen, auf dem wir zuerst nackt, dann in kurzen Hosen und barfuß gespielt haben. Später schlugen wir in unseren Schuluniformen stolz Kricketbälle und träumten davon, Kapitän einer Kricketmannschaft zu werden. Jetzt ist der Grasstreifen die Bühne, der Schauplatz unseres zukünftigen Triumphs, und wir hoffen, nach dem Studium dort eines Tages aus dem Taxi zu steigen. Madhus Vater sitzt in einem alten Liegestuhl auf der Veranda und liest eine Zeitung. Er arbeitet als Buchhalter in der Niederlassung der Indian Overseas Bank in Palghat. Madhus Mutter und seine Schwestern sitzen auf dem Boden, schwatzen leise miteinander und putzen Gemüse. Eine Magd bringt Tee und der Vorarbeiter Gemüse, Früchte und Bananenblätter. Wie verschieden ist ihr Haushalt von unserem! Wir haben kein anderes Einkommen als den Ertrag unserer Felder. IN UNSEREM HAUS Vater liest in einem Magazin. Er ist heute bei einer Gerichtsverhandlung gewesen, es ging um ein Landstück, das er zusammen mit einigen entfernten Cousins geerbt hat. Vater verbringt die Tage lieber in der Kreisstadt Palghat, als unsere Feldarbeiter zu beaufsichtigen. Er sieht sich noch immer mehr als ein Landbesitzer und nicht als Bauer. IN UNSERER KÜCHE Mutter hat Reisnudeln zubereitet, weil es mein letzter Tag im Dorf ist. IM HAUSE DES METZGERS Nach dem Essen schleiche ich mich aus dem Haus, um an einem Treffen der lokalen Naxalitenzelle im Haus Ayyapasamys, eines Metzgers, teilzunehmen. Ich fühle mich als Revolutionär, der Verhaftung, Folter und Tod die Stirne bietet, um gegen den indischen Komprador-Kapitalismus zu kämpfen. Ich muss mich auf den roten Terrazzoboden setzen, der aussieht, als wäre er mit frischem Blut gewischt worden. Der rostige alte Ventilator ist zu schwach, um die stickige Luft zu bewegen. Schwärme von Fliegen, die wahrscheinlich zuvor auf einem blutigen Tierkadaver saßen, begrüßen mich. Es stinkt nach gebratenem Fleisch. Mir wird übel, und ich kann das Kotzen nur zurückhalten, indem ich die Zunge gegen den Gaumen presse. Ich erwartete, dass sie über die Kampagne gegen die Schuldknechtschaft diskutieren. Doch stattdessen gibt mir Ayyappasamy Unterricht in Joga Asanas. Er wiederholt immer wieder vor seinen Töchtern: «Joga steigert die sexuelle Potenz.» Er nennt mich ständig Mylord wie unsere Arbeiter und tut sein Bestes, mir auf die Nerven zu gehen, indem er über Brahmanen referiert, von Opium für das Volk redet und das Wort Aktion wiederholt, als wäre es ein Zauberwort, das die Welt verändern wird. Eine von Ayyappasamys zahllosen Töchtern bringt mir einen Stahlbecher. Was immer da drin ist, es riecht nach schlechtem Kaffee und schmeckt wie schlechter Tee. Ich trinke einen Schluck, um zu zeigen, dass ich keine Vorurteile habe. Auf der anderen Seite des Raums sitzen ein paar übelgelaunte Landarbeiter und Reismühlenarbeiter und argumentieren für einen Landarbeiterstreik, aber als ich frage: «Wie sollen die Arbeiter denn überleben während des Streiks? Was wird aus der Ernte?», antwortet niemand. Der Kerl von der Telefonzentrale in Palghat, der mich hergebracht hat, sitzt neben mir und schweigt. Schämt er sich für ihre Dummheit oder meine? Einer der missmutigen Landarbeiter fragt mich über unsere Felder aus, wie wir so viel Land behalten konnten, obwohl der Landbesitz gesetzlich geregelt ist, und ob Vater selbst in den Feldern arbeitet. Wollen sie uns denunzieren? In einem Büchergestell stehen ein paar politische Bücher. Die Wände sind dekoriert mit Bildern von kommunistischen Führern. Über der Tür hängt eine Kugel aus Kuhmist mit ein paar Reishalmen darin; mit Ayyappasamys Atheismus ist es demnach nicht allzu weit her. In der Ecke mir gegenüber steht ein alter Schrank mit einer großen Spiegeltür. Statt ihrer sinnlosen Diskussion zuzuhören,...


Martin Frank wurde 1950 in Bern geboren, er lebt in Zürich. Sein Roman "ter fögi ische souhung" in Schweizerdeutsch war ein Bestseller und wurde von Marcel Gisler verfilmt (Schweizer Filmpreis 1999). Sein Erzählband "Blinde Brüder" erhielt 2001 den Buchpreis der Stadt Bern. Im Internet veröffentlicht Martin Frank experimentelle Romane, Film Scripts, Theaterstücke und Gedichte..

Ab 1970 hielt sich Martin Frank mehrmals für längere Zeit in Indien auf, wo er Hindi, Urdu und Tamil lernte. "Aruns Geschichte" erschien ursprünglich unter dem Titel "Ocean of Love" in englischer Sprache.



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