Buch, Deutsch, Band 1, 330 Seiten, HALBLN, Format (B × H): 150 mm x 215 mm, Gewicht: 532 g
Reihe: Weiße Reihe
Bruchstücke aus einem versunkenen Reich
Buch, Deutsch, Band 1, 330 Seiten, HALBLN, Format (B × H): 150 mm x 215 mm, Gewicht: 532 g
Reihe: Weiße Reihe
ISBN: 978-3-946715-00-9
Verlag: Franke Verlag
Der junge Sebastian, ein Ungleicher unter Gleichen in der DDR, schreibt an seine Familie, zunächst während seines Wehrdienstes bei der NVA und später aus einem nahen und doch so fernem Land. Er lernte den "real existierenden Sozialismus", ein Begriff, den die DDR selbst prägte, von Grund auf kennen. Das Leben in der DDR wird aus verschiedenen Perspektiven aus dem eigenen Erleben heraus betrachtet, kommentiert und reflektiert, ebenso später das Leben in der BRD und die damit verbundenen Freiheiten, Möglichkeiten und Probleme. Diese Briefe sind nicht nur ein unverfälschtes Zeitzeugnis voller Humor, Poesie und Weisheit, sie sind auch von erstaunlicher Aktualität, wenn es zum Beispiel um Betrachtungen des ehemaligen DDR-Bürgers zur Wirtschaft und zur Flüchtlingsproblematik geht.
"Das Flüchtlingsproblem wird kaum politisch oder gar menschlich gesehen, sondern am ehesten persönlich. Das "zur Last fallen" können, die Neid erregenden "Vergünstigungen", das Wegnehmen von Arbeitsplätzen, das "sowieso nicht fertig werden" mit der neuen Umwelt usw. Man mag es mit vielen Argumenten bestreiten, für mich sind es Egoismus, Neid und Mißgunst, schön bemäntelt mit Rechtschaffenheit und "Objektivität"." (Sebastian am 05.02.1980)
Zielgruppe
Ein Muß für jeden, der die DDR verstehen will, der das Leben und die Probleme im anderen deutschen Staat kennenlernen will.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Vorwort
Am Anfang gab es einen dicken Stapel etwas verblichener Briefe, Briefe eines jungen Menschen aus der Deutschen Demokratischen Republik, der DDR, eines jungen Menschen, der in einer ganz normalen Familie in Dresden wohlbehalten aufwuchs, der zur Schule ging und diese problemlos absolvierte. Doch was ist schon normal? Was steht hinter diesen Zeilen? Wer ist dieser Mensch? Was will er? Was erwartet er?
Dieser junge Mensch namens Sebastian war engagiert, hatte Ideale und Ideen, war interessiert und neugierig auf das Leben und er sprühte vor Energie. Er betätigte sich auch gesellschaftlich, brachte es bis zum FDJ-Sekretär. Die FDJ, die "Freie Deutsche Jugend", eine Jugendorganisation, der jeder Jugendliche im Alter von 14 Jahren mehr oder weniger freiwillig beitrat. Nach der Schule lernte er einen Beruf, wurde Elektronikfacharbeiter bei ROBOTRON, einem DDR-Großbetrieb für Bürotechnik und Elektronik. Er lernte diesen Betrieb und andere kennen, bekam Einblicke in die wirtschaftliche Kompetenz des Sozialismus. Er arbeitete in seinem Wunschberuf, hatte im Rahmen der DDR ein gutes Einkommen und war doch unzufrieden, unzufrieden mit sich selbst, seinen Verhältnissen, seiner Umgebung, der Welt? Ein Unzufriedener in einem scheinbar perfekten System.
Was ist nun so interessant an diesen Briefen?
Es sind Briefe aus einer vergessenen Zeit, einer Zeit, die überhaupt nur einem Teil der heutigen Bundesbürger wirklich bewußt ist und selbst bei diesen verblaßt die Erinnerung. Sicher gibt es die unterschiedlichsten Bücher über die DDR, gute und schlechte. Doch häufig handelt es sich um Literatur im weitesten Sinne, um den literarischen Versuch, diese Zeit zu beschreiben, immer individuell gefärbt, literarisch überhöht, dramatisiert, oft demzufolge mehr oder weniger weit die Realität verfehlend. Oft auch von Autoren verfaßt, welche die DDR nur aus Berichten anderer kennen, aus Gesprächen, erinnernden Rückblicken, die nie in der DDR gelebt haben, die nie die ganze Wahrheit widerspiegeln können. Der junge Sebastian Weber beschreibt sein Leben aus dem direkten Erleben heraus, er reflektiert unmittelbar. Er will keine Botschaften übermitteln, keine Thesen verbreiten. Er sieht die Dinge aus seiner Sicht, klar und unvermittelt beschreibt er den Alltag auf eine zutiefst menschliche, manchmal fast naive Weise. Gleichzeitig beleuchtet und hinterfragt er das Beobachtete und sich selbst als Teil der Gesellschaft. Er ist weder Philosoph, noch Gesellschaftswissenschaftler oder ein anderer Gelehrter. Trotz seiner Jugend verfügt Sebastian über einen erstaunlich klaren Blick, über Menschenkenntnis und das, was man unter "gesundem Menschenverstand" versteht und in unseren schönen modernen Tagen genauso in Vergessenheit zu geraten droht, wie die Deutsche Demokratische Republik und deren teilweise merkwürdigen Gegebenheiten.
Sebastian, die Familien Weber und Huber und die Freunde werden nicht mit ihren wirklichen Namen benannt. Das ist aber schon fast der einzige Eingriff in die sonst vollständig authentischen Briefe aus den Jahren 1975 - 1982, die im Original vorliegen. Sie wurden lediglich stellenweise geringfügig gekürzt und vorsichtig orthographisch-grammatisch überarbeitet. Gleiches gilt für die Briefe verschiedener Familienangehöriger an Sebastian, die auszugsweise an den entsprechenden Stellen eingefügt wurden, um das Bild abzurunden. Sie beschreiben auf ihre subjektive Weise die Verhältnisse in der DDR, spiegeln die verschiedenen Meinungen wider und lassen uns teilhaben am Denken und Fühlen der Beteiligten.
Das Vorwort, die Erklärungen und das Intermezzo wurden vom Herausgeber zum besseren Verständnis eingefügt, ebenso wie die kursiven Erläuterungen in Klammern an entsprechenden Stellen in den jeweiligen Briefen. Im Wesentlichen sollen die Texte für sich selbst sprechen, sollen ein individuelles Zeitbild zeichnen und gewähren uns dieserart tiefe menschliche Einblicke in das Leben zu Zeiten des real existierenden Sozialismus und darüber hinaus.