E-Book, Deutsch, 228 Seiten
Franke ZARATHUSTRA KEHRT ZURÜCK
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-911629-10-2
Verlag: art meets science - Stiftung Herbert W. Franke
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Science-Fiction-Storys
E-Book, Deutsch, 228 Seiten
ISBN: 978-3-911629-10-2
Verlag: art meets science - Stiftung Herbert W. Franke
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Im 1967 entstandenen SF-Hörspiel »Zarathustra kehrt zurück« wird eine total mechanisierte Welt vom Computer gelenkt. Verzweifelt kämpfen einige wenige gegen diese Beeinflussung, die bis in die Zensur der Telefongespräche jegliche private Initiative lähmt. Durch geschickte Manipulation werden die Letzten, die dagegen revoltieren, selbst ihrer Erinnerung beraubt, und die totale Herrschaft des Computers über die Menschheit scheint für alle Zeiten gefestigt. Frankes Texte haben die herkömmliche SF weit hinter sich gelassen. Sie verstellen nicht den Blick in die Zukunft durch vernebelnde Schönfärberei, durch die ein Abglanz auf die unvollkommene Gegenwart fällt, hier wird Fantasie wirklich freigesetzt zum Probedenken - auch über die Gegenwart. Hinter dieser Art von Literatur steht nicht zuletzt der Wunsch, Bildung auf eine Art und Weise zu vermitteln, die vonseiten des Lesers nicht mehr als ein Interesse am Thema fordert und doch Vergnügen bereitet. (Helmut Eisendle, Frankfurter Allgemeine Zeitung)
Herbert Werner Franke (* 14. Mai 1927 in Wien, ? 16. Juli 2022 in Egling) war ein österreichischer Wissenschaftler, Sachbuchautor und Science-Fiction-Schriftsteller. Er gilt nach wie vor als einer der bedeutendsten deutschsprachigen Science-Fiction-Autoren. Einige seiner Werke veröffentlichte er unter den Pseudonymen Sergius Both und Peter Parsival. Franke war außerdem in den Bereichen Zukunftsforschung, Höhlenforschung sowie Computergrafik und Computerkunst aktiv.
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Uranus und zurück
Die Generatoren arbeiteten nahezu lautlos, und doch störte Harris das Geräusch, das er weniger hörte als spürte: eine Vibration, ein Pulsieren – ein Zeichen für die Kräfte, die dahinter steckten. Aber es war mehr: die Konsequenz Hunderttausender Schaltprozesse im Steuerwerk, die die Richtung anvisierten und auf hunderttausendstel Grad konstant hielten (doch was ist schon konstant in einem dynamischen System von gegeneinander bewegten Himmelskörpern?); unmerkliche Bewegungen der Steuerdüsen, unglaublich schnelle Reaktionen auf winzige Störungen der Flugbahn – nervöse Regungen eines empfindsamen, weitgehend autonomen Organismus … Harris saß am Sichtfenster der Kanzel und starrte hinaus – das flache Punktmuster des Fixsternhimmels, seine Umgebung für zwei Jahre. Im Magnetovideoskop, das die magnetischen Felder sichtbar machte, hätte er mehr gesehen – ein Netzwerk sanft getönter Bogen: Brücken über dem Abgrund der Leere; oder im Szintivideoskop: tödlich harte kosmische Strahlung als grellbunte Kaskaden. Es ist die Gewohnheit, sagte er sich, die Beschränktheit unseres Denkens, die uns das tun lässt, was jahrtausendelang richtig war – und jetzt auf einmal sinnlos ist. Der Lautsprecher klickte. Dann die ausdruckslose Stimme des Computers: »Es ist Zeit, den Tiefschlaf anzutreten, Harris.« »In Ordnung. Gleich«, antwortete er. Es widerstrebte ihm, sich als willenloses schlafendes Bündel in das größte Abenteuer der Menschheit katapultieren zu lassen. Freilich, es war nicht zu vermeiden. Einschränkung des Metabolismus auf das Nötigste, haushalten mit Luft, Wasser, Nahrung … und dann die Langeweile … Die anderen lagen längst in ihren Unterkühlungsbetten. Träumt man im Kälteschlaf oder ist er ein vorweggenommener Tod? Ob ihn die anderen mit ähnlichem Zögern angetreten hatten? Newcombe, der Astrophysiker – der älteste im Team; drahtig, energisch, bestimmt in seinen Antworten … und er wusste auf alles eine Antwort. Aber besaß er Fantasie genug, um sich die Frage zu stellen, ob Astronauten träumen sollten oder nicht? Di Felice, der Planetologe, ein hagerer und angenehm ruhiger Typ mit seinem grobschlächtigen Gesicht und den auffällig großen Händen. Er kannte den Mars und den Saturn und den Jupiter – und jetzt würde er den Uranus kennenlernen. Aber hatte er sich einmal die Frage nach den Grenzen der Wirklichkeit gestellt? Kersky, Techniker und Elektroniker – jung, eifrig, begeistert, ein unverbesserlicher Optimist; man konnte sich keinen besseren Begleiter auf einer Planetenreise wünschen. Aber konnte man mit ihm über das Ungreifbare und Unwägbare sprechen, das hinter dem Gegenständlichen liegt? Plötzlich überkam Harris das volle Gefühl der Einsamkeit, und er kümmerte sich nicht um Vereinbarungen, Vorschriften und Strafandrohungen, als er den Rufer des Telesystems drückte. Wer kann mir etwas befehlen und wer etwas verbieten?, fragte er sich. Es war eine rhetorische Frage. Der Bildschirm wurde hell, ein verschlafenes Gesicht blickte ihm verwundert entgegen: »Etwas schiefgegangen, Captain?« »Verbinden Sie mich mit 001778/34466/8233!« Er kannte die Nummer auswendig. Das Bild flackerte, und dann war Eve da – nicht weniger verschlafen als das Mädchen in der Funkzentrale der Bodenstation, mit verwirrtem Haar, aber trotzdem begehrenswert. »Oh, du bist es, Roger. Ist was passiert?« »Nichts ist passiert«, antwortete Harris. »Ich wollte dich nur sehen.« »Ich habe nicht damit gerechnet … wir haben uns doch schon verabschiedet. Weißt du, wie spät es ist? Vier Uhr früh!« »Hier haben wir keinen Tag – und keine Nacht«, sagte Harris. »Entschuldige, Liebling. Ich muss jetzt meinen Schlaf antreten. Ich wollte dich noch einmal sehen – das war es. Hier ist alles in Ordnung. Und bei dir?« Auf einmal kam er sich albern vor. Wozu hatte er Eve geweckt? Das machte alles nur noch schwerer. War sie ungehalten? Das konnte sie doch kaum sein – jetzt, wo er … aber hinter allen wachen Momenten seiner Fahrt würde die Frage stehen … Er merkte nicht, dass Eve schon antwortete. Nein, es ging ihr gut. Morgen musste sie früh hinaus – zum Friseur … Eve hatte sich aufgerichtet, im schwachen Schein ihrer Nachttischlampe sah er den Ansatz ihrer Brust. Mit einem Mal war ihm, als könnte er die lange Trennung nicht ertragen. Und zugleich, auf seltsame Weise, war er enttäuscht: Sie redete, als wäre er auf einem Trip quer durch die Stadt. »Ich liebe dich, Eve«, flüsterte er, aber es war so leise, dass sie es nicht verstand. »Ich muss Schluss machen, Liebling«, fügte er lauter hinzu. »Alles Gute für dich – auf Wiedersehen!« »Auf Wiedersehen!« Es dauerte drei Sekunden, bis die Antwort kam – später würde die Laufzeitverzögerung ein normales Gespräch unmöglich machen. Drei Stunden waren es am Uranus, sechs Stunden zwischen Frage und Antwort: »Liebst du mich?« … »Ja!« Aber das alles war Theorie, denn die Sendeleistung genügte sowieso nicht zur Überbrückung dieser Entfernung. Nun hätte Harris in seine Koje gehen sollen, die Elektroden anlegen, die Gurte umschnallen, den blauen Knopf drücken … aber noch zögerte er. Er ließ die Aufzeichnungen des Logbuchs abspielen, prüfte die Einstellung der Peilantennen … unnötige Handlungen, ein Herumzögern ohne triftigen Grund. Das Schiff meldete sich wieder – oder dessen Gehirn, der Computer: »Die Zeit für den Tiefschlaf ist um dreißig Minuten überschritten.« »Ja, zum Donnerwetter«, schrie Harris. »Noch ein paar Minuten. Ich habe zu tun!« »Es gibt nichts mehr zu tun«, antwortete das Schiff. »Warum schläfst du nicht? Bist du nicht müde?« »Nein«, sagte Harris. Er zwang sich, seinen Ärger nicht zu zeigen. Es kam so, wie er es befürchtet hatte – er wurde überwacht. Nach einer Sekunde – es war wie ein Zögern – meldete sich die ausdruckslose Stimme wieder aus dem Lautsprecher: »Gut. Bleib wach, solange du willst. Ich habe Verständnis dafür: Schlafen muss grauenhaft sein. Auf ein paar Stunden kommt es nicht an.« Zum ersten Mal nach langer Zeit war Harris aus seinen Grübeleien herausgerissen. Sie hatten es ihm gesagt: »Sie kriegen die vollkommenste Datenverarbeitungseinheit mit, die es gibt.« »Die sechste Computergeneration – Sie werden staunen.« »Die Datenbank enthält alles Wissen unserer Welt – in einem Block, nicht größer als eine Tafel Schokolade.« »Ein adaptives und kognitives System, selbstreparabel und entwicklungsfähig.« War es das, was ihm bevorstand: die totale Überwachung? Vorausberechnung jeder seiner Reaktionen? Das System war mit Sinnesorganen ausgestattet, und es nahm mehr wahr als Licht und Schall – Radioaktivität, Röntgenstrahlen, Wärme, chemische Zusammensetzung … Und es war mit Gliedmaßen versehen: Beinen, Raupen, Greifbändern, Waffen … Waren er und seine Mitarbeiter mehr als jene Flugpiloten, die nur noch zur Beruhigung der Passagiere in den Kanzeln der automatisch gelenkten Flugzeuge hockten? War es deswegen nötig, sich jahrelang von allem zu trennen, was einem lieb war? Offenbar hatte keiner daran gedacht, dass er auf diese Idee kommen könnte! Ein autonomer Computer mit einer Besatzung als Renommierobjekt. Und das Absurde daran: Sie hatten dieses Monstrum EVE getauft – elektronische Verfahrenseinheit – und das, um ihm eine Freude zu bereiten! Wie unter Zwang ließ er die Aufzeichnungen der Startphase auf dem Leuchtschirm ausgeben und verglich sie mit den Checklisten; er holte das Protokoll aller Phasen des Dialogbetriebs aus dem Speicher und prüfte die Programme; er ging alle Anweisungen durch, die er und die anderen über die Automatik erteilt hatten, und rief die Resultate ab … Die Ausbeute war dürftig – ein einziger Fehler –, doch er sollte genügen, um die Überheblichkeit des Computers zu dämpfen. Mit Absicht drückte Harris nicht auf die Taste, bevor er zu sprechen begann. »Listennummer 3/362, Code 6A770, Zeile 355, Kennwort: IONISATION.« Es handelte sich um eine Anweisung von ihm selbst: Er hatte den relativistischen Effekt im Plasmaverhalten übersehen. »Du hast die Berechnung unter falschen Voraussetzungen durchgeführt. Du hättest sie mit den internen Programmen vergleichen und mich aufmerksam machen müssen.« Es klickte sofort – Harris hatte mit seiner Vermutung recht gehabt: EVE hörte immer mit. »Es war belanglos. Rechenzeit: null Komma drei Sekunden. Die Ergebnisse der nicht relativistischen Rechnung stimmen mit den genauen Daten innerhalb der erforderlichen Fehlergrenzen überein – ich habe es geprüft.« »Du hättest mich trotzdem darauf aufmerksam machen müssen. Warum hast du es nicht getan?« Wie schon beim letzten Gespräch folgte nun ein kurzes Zögern. Dann sagte der Computer: »Ich hatte das Gefühl, es würde dich ärgern.« Harris schwieg eine Weile. Dann stand er auf und ging in seine Koje. Bevor ihn der Schlaf mit einem eisigen, aber nicht unangenehmen Eindruck von Kälte übermannte, dachte er an das Bild von Eve, das das Schiff aus Ketten digitaler Impulse aus dem leeren Raum zusammengesetzt, auf den Bildschirm gebracht – und mindestens ebenso aufmerksam, wie er im Gedächtnis gespeichert hatte. Die Besatzung schlief. Irgendwo vor dem Raumschiff zog der Planet Uranus auf seiner Bahn dahin. Er war schwarz – nichts als ein dunkles Loch inmitten der spitzen Sternenlichter. Die Sonne lag drei Milliarden Kilometer irgendwo hinten, ein Stern unter Sternen, vielleicht ein wenig heller als die anderen, aber unfähig, den Hauch von Gold über das Relief zu breiten, der selbst den Wolkenfeldern des Jupiters noch einen Anflug...