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E-Book

E-Book, Deutsch, 144 Seiten

Freund Ans Meer

Roman
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-552-06371-6
Verlag: Zsolnay, Paul
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 144 Seiten

ISBN: 978-3-552-06371-6
Verlag: Zsolnay, Paul
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Es ist ein ziemlich übler Tag im Leben von Anton, dem Fahrer eines Linienbusses auf dem Land. Vor kurzem hat er sich verliebt: in Doris, seine Nachbarin. Doch letzte Nacht hat er auf ihrem Balkon einen Mann husten gehört. Dann steigt auch noch die krebskranke Carla in den Bus, die ein letztes Mal das Meer sehen möchte, und zwar sofort. Es ist heiß, und die Gedanken rasen in Antons Kopf. Mut gehört nicht zu seinen Stärken, aber hatte Doris nicht gesagt, dass sie Männer mag, die sich etwas trauen? Wenig später hören die Fahrgäste im Linienbus eine Durchsage: „Wir fahren jetzt ans Meer.“ Ein herzerwärmendes Buch voller Humor über eine bunt gemischte Schar von Fahrgästen auf ihrer Reise in den Süden.
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24   Und immer noch ähnelte es einem Tanz, was Anton und Frau Prenosil auf dem gefährlichen Parkett des Pannenstreifens vollführten. Die Hupen tröteten einen etwas schrägen Rhythmus vor, und das Blaulicht hinter der Windschutzscheibe des schwarzen Audi steuerte ein surreales Blinken bei, das freilich im milchigen Licht der Vormittagssonne verschwamm. Ein Schritt vor, ein Schritt zurück, eine Drehung, eine feste Umklammerung, fast wie ein Liebespaar, das nach Wochen endlich wieder zusammengefunden hat. »Guter Mann, das ist sehr leichtsinnig«, sagte der erste Polizist, der aus dem Wagen sprang. Der zweite lief hinter den Bus, um Ferdinand von der Fahrbahn zu fischen. »Guter Mann« hatte der Zivilpolizist gesagt, der sich nun seine Kappe aufsetzte, die zu seiner Jeans und seinem blauen Hemd reichlich unpassend wirkte. »Guter Mann«, das hört sich schon mal nicht schlecht an, dachte Anton. »Ein Notfall«, sagte Anton, und dann erzählte er dem etwas ungeduldig wirkenden Beamten eine lange Geschichte von einem Stopp bei der Raststation und von dieser etwas verwirrten Frau, die aber zu ihrer Reisegruppe gehörte, und die sich auf die Fahrbahn verirrt hatte, weil sie eigentlich für ihre Kinder kochen musste … Seit wann man denn mit Linienbussen auf Reisen fahre, wollte der Polizist wissen, aber Anton beteuerte, dass es sich eigentlich nicht mehr um einen Linienbus handle, sondern um eine außertourliche Fahrt. Und zwar nach Salzburg. Zum Adventmarkt, hätte Anton, etwas übereifrig, fast hinzugefügt, aber Adventmarkt Mitte Mai, da wäre dann wohl der Alkotest unvermeidlich gewesen, doch zum Glück fiel ihm stattdessen das Wort »Felsenreitschule« ein, die stellte auch eine touristische und durchaus plausible Attraktion dar. »Fahrzeug sichern, Kollege?«, fragte der zweite Polizist, der Ferdinand bereits zurück in den Bus geschickt hatte. Doch der angesprochene Kollege winkte ab. Ganz bestimmt machte es mehr Spaß, mit dem schnittigen Auto Raser zu verfolgen, als die Personalien eines biederen Busfahrers und einer verwirrten Frau festzustellen, gerade Letzteres konnte unendlich mühsam werden, und wenn man erst einmal damit angefangen hat, darf man nicht mehr aufhören. »Die einzige Gefahr im Verzug ist der Bus auf dem Pannenstreifen«, stellte der erste Polizist in tadellosem Amtsdeutsch fest und wandte sich an Anton: »Bitte verlassen Sie so schnell wie möglich den Pannenstreifen. Wir sichern Sie beim Hinausfahren. Gute Fahrt und bitte keine solchen Extratouren mehr.« »Auf keinen Fall«, antwortete Anton. »Danke sehr für alles.« Und Frau Prenosil flüsterte er ins Ohr: »Und jetzt bitte schnell in den Bus zurück, wir müssen einkaufen fahren, für die Kinder.« Er hakte sich bei ihr unter, winkte den Polizisten jovial zu und zerrte die alte Frau in den Bus. Anton schloss die Türen. »Alle ordentlich hinsetzen!«, befahl er. »Eva, bitte kümmere dich um Frau Presenil.« »Ich mag nicht, wenn du Frau Presenil zu ihr sagst«, gab Eva zurück. Eva drückte Frau Prenosil vorsichtig an sich. Sie hatte solche Angst um sie gehabt. Eva mochte alte Leute, viel lieber als junge. Ihre Oma hatte ihr Palatschinken gemacht, wenn Papa auf Geschäftsreise und Mama auf Wellnesskur war. Oma hatte Tee gekocht und Wärmeflaschen gerichtet, wenn Eva krank war. Oma hatte ihr Haar gebürstet, ihr einen Kuss auf die Stirn gedrückt und immer ein Lächeln geschenkt. Als ihre Großmutter vor zwei Jahren gestorben war, hatte sich Eva sehr allein auf der Welt gefühlt, und dieses Gefühl machte keinerlei Anstalten, schwächer zu werden. Der Audi vor dem Bus setzte sich langsam in Bewegung. Der Beifahrer hielt eine Kelle aus dem Fenster und winkte Anton, dem Auto zu folgen. Sie fuhren fast einen Kilometer auf dem Pannenstreifen, bevor Antons alter Bus eine halbwegs autobahntaugliche Geschwindigkeit erreicht hatte. Der Audi wechselte auf die linke Spur, der Beifahrer winkte Anton, es mit dem Bus ebenso zu machen, und als er das endlich geschafft hatte, zog das schwarze Gefährt davon und verschwand sehr schnell am Horizont. Anton atmete auf. Sein Handy piepste. Anton sah auf das Display. Fünf verpasste Anrufe. Zwei neue Mitteilungen auf der Mobilbox. Mechthild. Erste Nachricht: »Ja, ich wollte dich nur fragen, glaubst du, ist das gesundheitsschädlich, wenn ich einen Zwieback esse, der vor acht Jahren abgelaufen ist?« Zweite Nachricht: »Bitte melde dich. Ich bin halbtot vor Sorge.« Anton wandte sich an Helene, die neben Annika in der ersten Reihe saß. »Ich hab Hunger«, sagte er. »Kannst du mir bitte eine von den Butterbrezeln geben?« »War wohl ein anstrengendes Tänzchen da draußen«, sagte Helene. »Hier. Ich geb dir gleich zwei.« »Gutes Kind«, murmelte Anton, bevor der weiche Teig und die dick aufgetragene Butter in seinem Mund das wohlige Gefühl auslösten, es wäre eigentlich alles in Ordnung.     25   »Fräulein Doris!« »Ja.« »Wo sind Sie? Anton antwortet nicht mehr. Ich weiß nicht, was ich tun soll.« »Ich bin unterwegs, Frau Schwenk. Leider stehe ich momentan im Stau.« Mechthild machte sie zwar nervös, aber Doris war Antons Mutter unendlich dankbar dafür, dass sie angerufen hatte. Das war noch keine Stunde her … »Sie haben doch einen Draht zu meinem Sohn«, hatte sie geschluchzt, »er macht einen riesigen Blödsinn, und ich habe solche Angst um ihn …« »Woher haben Sie meine Nummer?« »Na von den Grünen Welten, für die arbeiten Sie doch. Fräulein Doris, Anton hat gesagt, dass er heute vielleicht gar nicht zum Abendessen kommt, aber er ist doch am Dienstag und am Donnerstag immer bei mir!« »Na ja, dann ist er einmal nicht bei Ihnen …« »Er hat gesagt, er kommt morgen auch nicht. Weil er im Gefängnis sein wird!« Ein lautes Schluchzen, und dann, mit ersterbender Stimme: »Fräulein Doris, ich weiß, dass da etwas nicht stimmt. Anton macht irgendetwas Schreckliches.« »Das glaube ich nicht, Frau Schwenk. Aber ich verspreche Ihnen, ich werde ihn suchen.« Doris kannte Mechthilds dramatische Ader, aber aus ihrer Stimme hatte sie echte Not herausgehört. Zum Glück hatte Anton seine »Finde mich!«-App nicht gelöscht, und auch sein Standort war noch freigegeben. So hatte Doris mühelos herausfinden können, dass er sich in der Nähe von Salzburg befand, und zwar auf der A1. Womit klar war: Mechthild hatte recht. Anton war von seiner Linie abgewichen. Er hatte nicht auf ihre beiden WhatsApp geantwortet, zu Recht eigentlich, was für ein Blödsinn war das gewesen, wer braucht schon Zeit und Abstand? Sie hatte ihn angerufen. Er hatte nicht abgehoben. Doris war zu seinem Haus hinübergelaufen. Antons Auto stand vor der Garage. Er musste also mit einem anderen Fahrzeug unterwegs sein. Mit dem Bus vielleicht? War er durchgedreht? Was sollte der Satz mit dem Gefängnis bedeuten? Oder hatte das seine Mutter erfunden? Doris hatte plötzlich die ganz starke Intuition gehabt, Anton nachfahren zu müssen. Und auch wenn sie ihrer Intuition sonst eher widerwillig folgte, diesmal war sie sich ihrer Entscheidung sicher gewesen. Denn schließlich musste sie etwas wiedergutmachen. O mein Gott, sie war so blöd gewesen! Und alles nur wegen des Wetters. Zwei Tage, bevor der Föhn kam, war Doris immer außer sich. »Eine Vorföhnerin«, so hatte ihre Mutter das genannt, von der sie diesen Defekt geerbt hatte. Die meisten bekamen Kopfweh, wenn der heiße Südwind über die Berggipfel pfiff und die Täler mit trockener Luft erstickte. Da hatte Doris keine Beschwerden. Aber zwei Tage davor war sie unruhig. Ihr Herz klopfte unkontrolliert, mal schnell, mal langsam, mal stolpernd. Sie hatte den Eindruck, ihre Nervenenden zu spüren. Sie war übel gelaunt. Mindestens. Und im Vorföhn vor drei Tagen hatte sie sich plötzlich ein wenig eingeengt gefühlt von Antons Fürsorge. Sie war das ja nicht gewohnt, bis jetzt hatte immer sie sich für das Wohlergehen ihrer Partner verantwortlich gefühlt. Gerade das, was sie suchte, nämlich die Geborgenheit, war ihr plötzlich zu viel geworden, und da hatte sie einen Satz ausgesprochen, einen scheinbar harmlosen Satz, den sie später so bereute. Sie hatte gesagt: »Es ist seltsam für mich, so viel Liebe zu bekommen, und ich weiß gar nicht, wohin damit.« Anton war einfach in sein Haus hinübergegangen. Sie hatte noch von »ein wenig Abstand« geredet und sich gewundert, warum Anton gar nichts sagte, aber sie kannte ihn ja schon, im Vermeiden von Konflikten war er Weltmeister. Und jetzt, da Anton weg war, stolz und stumm gegangen, jetzt war ihr klar geworden, dass er auch das nur aus Liebe zu ihr gemacht hatte.     26   »Wir müssen Frau Prenosil nach Hause bringen«, sagte Eva. »Da gebe ich dir ausnahmsweise recht«, pflichtete Ferdinand ihr bei. »Es ist unverantwortlich, sie hier auf die Allgemeinheit loszulassen.« »Sei doch still«, sagte Eva. »Darum geht es nicht. Sie fühlt sich nicht wohl. Sie muss nach Hause. Dort kennt sie sich aus.« »Ihr habt recht«, sagte...


Freund, René
René Freund, geboren 1967, lebt als Autor und Übersetzer in Grünau im Almtal. Er studierte Philosophie, Theaterwissenschaft und Volkerkunde und war von 1988 bis 1990 Dramaturg am Theater in der Josefstadt. Zuletzt erschienen Liebe unter Fischen (2013), seine Familiengeschichte Mein Vater, der Deserteur (2014), Niemand weiß, wie spät es ist (2016), Ans Meer (2018), Swinging Bells (2019), Das Vierzehn-Tage-Date (2021) und Wilde Jagd (2023).



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