Freund Liebe unter Fischen
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-552-06216-0
Verlag: Zsolnay, Paul
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 208 Seiten
ISBN: 978-3-552-06216-0
Verlag: Zsolnay, Paul
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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16. Juli
Liebe Susanne! Ich habe jemanden kennengelernt. Sie heißt Mara und ist quasi aus dem See gestiegen, wie eine Nixe, obwohl sie aus der Slowakei kommt. Kennen Sie Zvolen? Das muss eine kleine, ganz reizende Stadt sein. Eine Universitätsstadt außerdem. Mara macht ihren Doktor in Biologie. Am Kleinen Elbsee studiert sie das Verhalten von phoxinus phoxinus, also, wie Sie zweifellos wissen, der Elritze. Mara spricht ein ausgezeichnetes Deutsch, von einem kaum auffallenden Doppel-s-Fehler abgesehen. Sie ist keine Studentin im Sinne von Mädchen frisch von der Schulbank. Ja, sie ist jünger als ich, aber nicht viel jünger. Wenn sie mit dem Studium endgültig fertig ist, möchte sie als Gewässerexpertin für den Umweltschutz oder einen Nationalpark arbeiten. Vielleicht in den Karpaten. In der Niederen Tatra. Das ist nicht weit von dort, wo sie aufgewachsen ist. Da könnte sie in der Nähe ihrer Familie bleiben, und außerdem ist die Tatra »unfazzbar schön«. Wegen eines schweren Gewitters musste Mara in der Hütte übernachten. Mara sieht übrigens sehr gut aus. Aber glauben Sie bitte nicht, dass ich irgendwelche Hintergedanken hatte! Wir haben unseren Abend auch zu dritt beschlossen, denn plötzlich kam August bei der Tür herein. In den Armen hielt er Aisha, seine Hündin. Habe ich Ihnen schon von Aisha erzählt? Wie Sie wissen, verehrte Verlegerin, bin ich ja in Berlin und Umgebung nicht gerade als Hundefreund bekannt. Aisha ist eine Ausnahme. Sie ist schwarz mit einem weißen Fleck auf der Brust. Auch die Schwanzspitze ist weiß. Und dieser Hundeblick aus den dunkelbraunen Augen! Diese Augen sehen aufmerksam in die Welt, mit einer unglaublichen Hingabe und einer sanften Melancholie. Wenn August aufsteht oder sich fortbewegt, dann folgt ihm dieser Blick. Der Hund bewegt sich nicht, nur die Augenbrauen zeichnen kleine Fragezeichen in die Luft. August war in einem entlegenen Teil seines Reviers, mitten auf einem Bergrücken, von dem Gewitter überrascht worden. Da es zu gefährlich gewesen wäre, in dieser Höhe, die keinerlei Schutz vor Blitzschlägen bietet, weiterzugehen, hatte er sich mit seinem Hund in einer Felsnische verkrochen. Beim Abstieg in der Dämmerung hatte sich Aisha an einer scharfen Steinkante die Pfote aufgeschnitten. Nun musste August außer seinem Jagdgewehr und dem Rucksack auch noch den Hund tragen, der ziemlich stark blutete und nicht weitergehen konnte. Erschöpft war August bei der Hütte angelangt und hatte Licht gesehen. Da bis zu seinem Auto noch ungefähr eine Stunde Fußmarsch zurückzulegen gewesen wäre, bat er darum, über Nacht in der Hütte bleiben zu dürfen. Ich sagte natürlich gleich zu, obwohl ich eine gewisse Unsicherheit in Maras Blick erkennen konnte. Jetzt saß die Arme mit zwei wildfremden Männern allein in einer Hütte am Ende der Welt. Als erstes versorgten wir Aishas wunde Pfote: Ich holte frisches Wasser, August wusch die aufgeplatzte Pfote damit ab. Dann desinfizierte er mit Schnaps. Für den Verband mussten wir eines Ihrer Geschirrtücher (Blümchenmuster) opfern, aber ich nehme einmal an, Ihnen als Tierfreundin macht das nichts aus. Von seiner Lederhose wollte sich August auch in der Nacht nicht trennen, die müsse, sagte er, am Körper trocknen, weil sie sonst ihre Geschmeidigkeit verliert. Er streckte sich einfach auf seiner Seite der Eckbank aus und sagte noch: »Morgen wird’s schön.« Wenige Sekunden später hörten wir ihn tief und regelmäßig schnaufen, und es klang ähnlich wie das Rauschen der Bäume im nächtlichen Wind. Das Prasseln des Regens auf dem Dach hatte aufgehört. Mara und ich lächelten einander ein wenig ratlos an. Augusts Müdigkeit wirkte wie ansteckend. Natürlich überließ ich Mara mein Bett. Sie nahm es ohne große Umstände an. Ich setzte mich zum Hund auf den Boden und streichelte ihn. Aisha sah mich zuerst verwundert an, dann ließ sie ihren Kopf mit einem Seufzer auf den Boden fallen. Eine Welle der Entspannung glitt sichtbar durch ihren Körper. Was für ein weiches, warmes Fell. Ich löschte die Kerze und legte mich auf meinen Teil der Bank. Der Duft von frischem Kaffee weckte mich. August hatte Feuer gemacht und stand wohlgelaunt am Herd. »Kein Wolkerl am Himmel«, sagte er, »und die Pfote ist auch schon viel besser.« Er brachte mir eine Tasse Kaffee ans Bett, also an den Tisch. Es dauerte nicht lange, und Mara erschien. Sie ist offensichtlich kein Morgenmensch. Ich sehe so etwas auf den ersten Blick. Morgenmenschen sehen in der Früh ungefähr so aus wie am Abend. Bei Nicht-Morgenmenschen hinterlässt der Schlaf kleine Polster auf den Wangen, Verschwollenheiten in den Augenlidern, eine Ungenauigkeit im Blick und ein leichtes Schwanken im Körper. Schlaftrunkenheit. August und ich grüßten artig. Ich half Mara dabei, sich auf einen Sessel zu setzen, August brachte heißen Kaffee. Sie sagte nichts und wir auch nicht. Ich sah ihr zu, wie sie allmählich das Bewusstsein erlangte, wie ihr Blick sich klärte, Haare und Haut sich glätteten, als würden sie von unsichtbarer Hand gestreichelt. Nun sind beide fort. August begleitete sie ans andere Ufer zu ihren Sachen, die zweifellos fürchterlich nass sind. Sein Auto steht in der Nähe, er wird sie dann in ihr Quartier bringen, das Moped hängt er hinten aufs Auto. Morgen kommt Mara angeblich wieder. Wissen Sie eigentlich, was der Name Alfred bedeutet? Herzliche Grüße Alfred Firneis PS: Drei Stunden später – bin doch nach Grünbach hinunter gefahren, um diesen Brief aufzugeben und einzukaufen. Saß in der Gams auf ein Bier. Hier ist jetzt alles voll mit Wiener Touristen. Wenn man länger nicht in Wien war, klingt die Sprache der Wiener merkwürdig. Die Frauen ziehen die Selbstlaute so entseeetzlich in die Lähhhnge, und die Männer hochnäseln mit einer Wichtigkeit, als würden Sie gerade direkt vom Kaiser kommen. Das Frollein von der Post will übrigens dasselbe wie Sie: Ich soll endlich abgeben. Auf Wiedersehen! 17. Juli
»Phoxinus phoxinus gilt als sehr gefährdet«, erklärte Mara. Sie war am späten Vormittag gekommen, das Holpern und Knattern ihres Mopedmotors vorausschickend, und tatsächlich, Fred konnte Mara zwischen den Bäumen ausmachen, wie sie auf dem uralten Puch-Mofa ihrer Zimmervermieterin über die Schotterstraße tuckerte und blaue Rauchwölkchen hinterließ. Ihre Haare wirbelten im Fahrtwind, und Fred sah ihr konzentriertes Gesicht. Von Helmpflicht hatte man im inneren Elbtal offensichtlich noch nichts gehört. Zitronenfalter, hatte Fred gedacht, als Mara in ihrem luftigen, gelben Sommerkleid den Pfad herabgeschwebt war. Nun knieten sie nebeneinander auf dem Steg. Mara hatte einen Block mit, darauf kritzelte sie Wörter und Zahlen, importance 250–330 konnte Fred entziffern, effects, gender und performing. »Spricht man in der Slowakei Englisch?«, fragte er. »Man schaut nicht in die Schriften von anderen Menschen«, tadelte Mara, obwohl sie am Vortag Freds Schnipsel genauso neugierig begutachtet hatte. »Tut mir leid. Ich weiß das normalerweise. Ich verwildere hier«, antwortete Fred, während er gleichzeitig die Wörter patterns und behaviour erspähte. Er sah zu, wie die gestreiften Fischchen im flachen Wasser in geordneter Formation im Kreis schwammen. Manchmal ergriff den Schwarm ohne ersichtlichen Grund eine plötzliche Erregung, die Formation wich dem Chaos, scheinbar zappelte jeder Fisch, wie er wollte, und die Wasseroberfläche brodelte. »Was machen die Fische?«, fragte Fred. »Sex«, antwortete Mara trocken. »Oh«, sagte Fred. »Ich bin hier, um ihr Fortpflanzungsverhalten zu studieren«, erklärte die Forscherin. »Diese Fische kommen fast nur noch in klaren Seen in den Alpen vor. Slowakisches Ministerium für Umwelt überlegt ein Programm der Wiederansiedelung in den Wazzern der Karpaten. Ich gehöre zu einem Team und wir machen eine Evaluation von den biologischen Auswirkungen von diesem Projekt.« »Bleibst du lange hier?« »Nein. Ich muzz Ergebnizze bringen. Und die Zeit für reproduction ist bald vorbei.« »Sex aus«, stellte Fred trocken fest, aber das kam ihm so blöd vor, dass er eine Frage nachschob: »Haben die Fische Spaß dabei?« »Phoxinus ist ein typischer … wie sagt man … Schwarmlaicher. Das heizt, es müzzen viele sein, damit sie in Stimmung kommen.« »Aha«, sagte Fred. »Nicht so wie bei uns«, fügte Mara hinzu und lächelte Fred an. »Nicht so wie bei uns«, hallte es in Freds Kopf nach. Vielleicht kann sie einfach die Wirkung ihrer deutschen Sätze nicht so richtig einschätzen. Während Fred am Rand seines Blickfelds wahrnahm, dass Mara unter ihrem Kleid einen schwarzen Bikini trug, setzte er ein sehr wissenschaftliches Gesicht auf und sagte: »Ich habe mich sehr oft gefragt, ob es so etwas wie Schwarmintelligenz gibt. Ich glaube jedenfalls nicht daran. Zumindest nicht beim Menschen. Das, was man Schwarmintelligenz...