Buch, Deutsch, 50 Seiten, Paperback, Format (B × H): 155 mm x 220 mm, Gewicht: 99 g
Reihe: Bachelorarbeit
Buch, Deutsch, 50 Seiten, Paperback, Format (B × H): 155 mm x 220 mm, Gewicht: 99 g
Reihe: Bachelorarbeit
ISBN: 978-3-95993-115-1
Verlag: Bachelor + Master Publishing
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
Weitere Infos & Material
Textprobe:
Kapitel 2.1 schœne als fundamentale Eigenschaft:
Als Attribut, das den weiblichen Figuren im Nibelungenlied dauerhaft beigegeben wird, aber teilweise auch männlichen Figuren zukommt, soll die allgegenwärtige schœne die vorliegende Arbeit einleiten und getrennt von der hövescheit untersucht werden.
„Das Attribut schœne kommt im ersten Teil des Nibelungenliedes gleichmäßig verteilt 45 Mal vor“, zählt Katharina Freche. Bereits in der ersten Strophe wird Kriemhild unter Erwähnung ihrer unvergleichlichen Schönheit vorgestellt (Str. 1,2). Bleibt man zunächst bei der Beschreibung der Schönheit Kriemhilds, so fällt auf, dass es bei einer bloßen Benennung bleibt. „Ihre Schönheit wurde apodiktisch festgestellt und nicht beschrieben, nicht einmal durch die Erwähnung einiger unter den wenigen stereotypen Versatzstücken [.], weil sie den Eindruck einer Absolutheit, Allgemeingültigkeit, also Idealität [Herv. des Autors] entstehen lassen mußte“. Kriemhilds Begründung für ihre Minneverweigerung (Str. 13, 4–5) hebt jedoch ein weiteres Element hervor. „Schönheit ist hier […] Ausdruck emotionaler Unversehrtheit.“
Die Vorstellung von Schönheit, die Ute in ihrer Antwort (Str. 14, 3–4) vertritt, ist dagegen eine andere. Ute koppelt Schönheit an einen Glückszustand, der nur durch die Verbindung mit einem Mann entstehen kann. Doch auch dieser Definition wird Kriemhild schnell gerecht.
Siegfried, von Berichten über ihre Schönheit motiviert, wirbt um sie und die beiden heiraten. Kriemhilds Schönheit, die schon zuvor „heterosexuelles Begehren“ hervorgerufen und „Interaktionen der Geschlechter“ bewirkt hatte (Str. 43, Str. 44), wird nun in den höfischen Kontext eingebunden und durch Siegfrieds Begehren legitimiert. Hier wird deutlich, dass Schönheit auch an Rang und Status einer Figur gebunden ist. Als Siegfrieds Minnedame ist Kriemhild noch schön (Str. 614,4). Ihr gutes Aussehen ist „öffentlich angeschauter Repräsentationswert“ und „Kriemhilt von ihrer Herkunft her angeboren“ Daher verliert Kriemhild mit Mann, Hort und Herrschaft auch ihre schœne. Freche stellt beispielsweise fest, dass im zweiten Teil des Nibelungenliedes Kriemhilds Schönheit „nur noch zehnmal erwähnt“ wird.
Jan-Dirk Müller weist darauf hin, dass Kriemhild selbst daran zweifelt, „ob sie noch schön genug ist, um neben Etzel auftreten zu können.“ (1242,3f.) Kriemhilds Schönheit enthält demnach die „Potentialität“ jederzeit zurückzukehren, ist aber nicht durchgängig zu beobachten.
Auf konkrete Geschlechterdifferenzen soll im Punkt 2.3 noch eingegangen werden, doch in diesem Teil der Untersuchung bleibt zu betonen, dass im Nibelungenlied auch Männer schön sein können. Dies wird an Siegfried besonders deutlich. Wie auch bei Kriemhild löst Siegfrieds Anblick „heterosexuelles Begehren“ aus (Str. 20,3–4). Hier könnte man argumentieren, dass auch Siegfrieds attraktives Äußeres der Konstruktion seiner Idealität dient, es lässt sich aber ebenso sagen, dass dadurch die positiven Auswirkungen dieser Eigenschaft auf weibliche Figuren abgeschwächt werden und Geschlechterdifferenzen thematisiert werden. Für Kriemhilds Identität ist Schönheit ausschlaggebend, ist ihr jedoch nicht allein vorbehalten.
Wo der Nibelungendichter folglich die Grenze zwischen den Geschlechtern zieht, mag deutlicher werden, wenn sich die Betrachtung nun Brünhild zuwendet.
Wie bei Siegfried und Kriemhild ist es auch Brünhilds Schönheit, die Gunther zur Werbung um sie motiviert. Renz stellt fest, dass die Beschreibung Brünhilds als schön dazu dient, ihre Exzeptionalität herauszustellen (Str. 324). Wichtig ist hier auch das Gespräch zwischen Siegfried und Gunther in den Strophen 388 bis 390. Wieder ist es das Begehren eines Mannes, das weibliche Schönheit beschreibt und, so Renz, „letztlich in der reziproken Logik des heterosexuellen Begehrens die Weiblichkeit der Isensteiner Königin sicher[stellt].“ In den Fenstern sitzen hêrliche megde (Str. 392,2), die sowohl von der Königin, die diese sogleich wegschickt, als auch von den beiden Rittern als solche erkannt werden. Dennoch muss Gunther nur einmal seinen Blick schweifen lassen, um Brünhild, die er zuvor noch nie gesehen hat, von weitem als besonders zu erkennen. „Brünhild ist für Gunther nicht anders als andere Frauen, nur noch attraktiver.“
In Strophe 324 wird aber auch eine weitere exzeptionelle Eigenschaft Brünhilds erwähnt: Stärke, welche mehr noch als die eher weibliche Eigenschaft der Schönheit den Männern vorbehalten ist. Inwiefern sich dieses Attribut auf Geschlechterdifferenzen im Nibelungenlied auswirkt, soll zu einem späteren Zeitpunkt noch erörtert werden. Für die aktuelle Kategorie der schœne lässt sich feststellen, dass hier das Bild der Amazone aufgerufen wird. Isenstein liegt uber sê (324,1), also „abseits der zivilisierten Welt von Xanten und Worms“, was der „Anziehungskraft“ der Königin jedoch keinen Abbruch tut.
Brünhilds schönes Äußeres, wenn es auch durchaus bei seinen Betrachtern Gefallen findet, hat von Anfang an eine gefährliche Konnotation und kann nicht, wie bei Kriemhild, alleinstehend betrachtet oder genossen werden. Schulze vergleicht sie daher mit der Amazone Penthesilea. Diese Konnotationen sind es, die Brünhild als „abnormes Wesen“ kennzeichnen und später im Text „die Ausübung von Gewalt und Betrug im Interesse der männlichen Herrschaft und der Begrenzung der sozialen Rolle der Frau“ begründen.
Renz weist darauf hin, dass im Werbungskampf die Männer mit ritterlichen Tugenden bedacht werden, während Brünhilds Schönheit betont wird. Hier wird die Grenze zwischen den Geschlechtern im Nibelungenlied deutlich: Brünhilds Stärke ist einer Tugend unwürdig, lobenswert ist allein ihre weibliche Schönheit. Gunther und Siegfried können Attraktivität, Kraft und Kampfbereitschaft durchaus vereinen, die Königin jedoch wird auf ihr Äußeres reduziert und somit werden die Grenzen ihrer Weiblichkeit aufgezeigt.
Brünhild verliert zwar mit ihrer Jungfräulichkeit ihre Stärke, doch ihre Schönheit bleibt ihr, anders als Kriemhild, ohne Ausnahmen erhalten. Allerdings muss erwähnt werden, dass diese Schönheit durch Kriemhilds Verkebsung (836,5) entwertet wird. Kriemhild spricht aus, dass es um den schœnen lîp (Str. 837,3–4) Brünhilds geht, lange bevor von êre (Str. 846, 2) die Rede ist. Außerdem nimm Kriemhild an, dass Siegfried Brünhild die Jungfräulichkeit nahm, was das für die Schönheit konstitutive männliche Begehren zu einem illegitimen machen würde.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass weibliche Schönheit im Nibelungenlied von der männlichen Wahrnehmung abhängig ist. Für Kriemhild, die sich im höfischen Kontext bewegt, spielen außerdem Status, Rang, und Affekte eine Rolle, sodass sie als immer weniger schön dargestellt werden kann. Obwohl auch männliche Figuren schön sein können, ist Schönheit im Nibelungenlied ein vornehmlich weibliches Merkmal, sodass männlich konnotierte Gewaltbereitschaft, zu sehen beispielsweise an Kriemhilds Racheplänen, Schönheit zerstören kann. Gleichzeitig ermöglichen diese Paradigmen es Kriemhild auch, jederzeit wieder schön zu werden.
Brünhilds Schönheit dagegen ist ambivalent, weil die Figur schon bei ihrer ersten Erwähnung mit männlicher Stärke in Verbindung gebracht wird. Die Kombination dieser beiden Eigenschaften stellt eine Bedrohung für die Geschlechterordnung des Nibelungenliedes dar, weshalb auch nur die Schönheit Brünhilds Bezwingung in der Brautnacht überlebt.