Frisch / Stuhlmacher | Gespräche über Religion und Natur | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 228 Seiten

Frisch / Stuhlmacher Gespräche über Religion und Natur

Neuer Atheismus, Gottesfurcht, Hirnforschung und das biblische Erbe
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-384-15602-0
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Neuer Atheismus, Gottesfurcht, Hirnforschung und das biblische Erbe

E-Book, Deutsch, 228 Seiten

ISBN: 978-3-384-15602-0
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die Religion ist auf breiter Front auf dem Rückzug. Nach neuesten Umfragen hat über ein Drittel der Deutschen ein atheistisch-naturalistisches Weltbild. Der Naturalismus ist eine Weltanschauung, nach der das, was wir über die Welt wissen und überhaupt wissen können, allein von den Naturwissenschaften bestimmt wird. Mit deren Werkzeugen wie der Evolutionstheorie, der Genetik oder der Hirnforschung sollen alle traditionell religiösen Fragen wie etwa die Fragen nach Gott, nach der Seele oder der Moral als menschliche Illusionen entlarvt und aufgelöst werden. In einem Dialog über die Themenbereiche Gott, Natur und Naturalismus, Schöpfung, Mensch, Seele, Vernunft, Ethik und Moral sowie Bibelverständnis und Judentum diskutieren der Psychologe Stefan Frisch und der Theologe Peter Stuhlmacher an den Schnittstellen zwischen Religion und Naturwissenschaft. Dabei zeigen sich nicht nur Grenzen und Widersprüche des Naturalismus, sondern auch der unersetzliche geistige, ethische und spirituelle Gewinn des biblischen Erbes für unser Selbstverständnis.

Stefan Frisch, geb. 1971, studierte Psychologie, Philosophie und Allgemeine Sprachwissenschaft an den Universitäten Heidelberg und Berlin (FU) und wurde von der Universität Potsdam zum Dr. phil. promoviert. Seine Promotionsarbeit verfasste er am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig, dem er bis 2021 als Gastwissenschaftler angehörte. Ab 2004 war er an verschiedenen Kliniken als Neuropsychologe und Psychotherapeut in Neurologie, Psychotraumatologie, Psychosomatik und Psychiatrie tätig. Er verfügt über eine langjährige Lehr-, Forschungs- und Publikationstätigkeit zu verschiedenen Themen der Neuropsychologie, Psychiatrie sowie zu den historischen und philosophischen Wurzeln der Hirnforschung. Aktuell ist er Leitender Psychologe an der Klinik für Gerontopsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Pfalzklinikum Klingenmünster.

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Kapitel 2: Natur und Naturalismus SF Das folgende Thema setzt einiges voraus, was ich auch erst durch unseren Austausch verstanden habe. Ich fasse das kurz zusammen, damit wir es im nachfolgenden Gespräch voraussetzen können. Denn der Begriff „Naturalismus“ ist fast ebenso schillernd wie der in ihm steckende Begriff „Natur“. Die verschiedenen Dimensionen und Definitionen dieses Begriffs auch nur annähernd zusammenzufassen, ginge weit über das Anliegen unseres Gesprächs hinaus. Aber einige grundsätzliche Klärungen erscheinen im Vorfeld notwendig. Zuallererst ist mit „Naturalismus“ nicht eine möglichst „naturgetreue“ Darstellung von Sachverhalten gemeint, wie etwa in der gleichnamigen literaturgeschichtlichen Epoche des ausgehenden 19. Jahrhunderts, in der die Lebensverhältnisse unterprivilegierter Gesellschaftsschichten möglichst realistisch dargestellt wurden. „Naturalismus“ meint im Folgenden vielmehr eine philosophisch-weltanschauliche Position, deren Reichweite und Begründung sehr unterschiedlich ausgeprägt sein kann. Eine eher triviale Auffassung von Naturalismus wäre beispielsweise die, dass die Naturwissenschaften uns wesentliche Einblicke und Eingriffsmöglichkeiten in die Welt um uns herum ermöglicht haben und es weiterhin tun. Diese Auffassung kommt etwa in dem englischen Wort „naturalist“ zum Ausdruck, was ja einfach mit „Naturforscher“ übersetzt werden kann. Einen Gegensatz könnte nur eine Position bilden, die wissenschaftliche Erkenntnisse und auf ihr beruhende Technik rundheraus ablehnt, aber diese wird sich selbst unter religiösen Fundamentalisten nur selten finden. So nutzen auch die meisten christlichen Fundamentalisten Bankautomaten, orientieren sich als Architekten an den Gesetzen der Statik oder verschreiben schizophrenen Patienten Neuroleptika, wenn sie Psychiater sind. Die interessanteren und kritisch wirksamen Auffassungen von Naturalismus, die ja auch die modernen Atheisten vertreten, gehen über eine allgemeine Wertschätzung der Naturwissenschaften hinaus. Sie erheben den quasi totalitären Anspruch, dass nur die Naturwissenschaften das Ganze der Wirklichkeit erfassen können. Das ist natürlich erst einmal eine legitime Position. Das Verlockende am Naturalismus ist, dass er ein geschlossenes Weltbild anbietet, in das sich alles einordnen lässt. PS Verlockend ist diese Denkweise aber nur für Menschen, die geistig alles beherrschen wollen und ihre geschöpfliche Hinfälligkeit verdrängen. SF Der Naturalismus wirkt auf den ersten Blick für uns moderne Menschen fast zwingend, seine Probleme stecken aber im Detail. Denn jeder Definitionsversuch wirft wieder neue Probleme auf.24 Ich will das kurz ausführen. Frühe Formen von Naturalismus gab es schon in der Antike. Sie haben bestimmte Behauptungen über die Beschaffenheit der Welt aufgestellt. Ein solcher ontologischer Naturalismus besagt, wie die Natur als Ganzes beschaffen ist, also beispielsweise wie im Materialismus: Alles, was es gibt, ist Materie, oder: Es gibt nur Materie. Diese Behauptungen sind jedoch vage geblieben, was im Beispielfall nicht zuletzt damit zu tun hat, dass sich der Materiebegriff vom 19. Jahrhundert, als der Materialismus prominent war, durch die revolutionären Entwicklungen in der Physik im 20. Jahrhundert stark gewandelt hat. In gewisser Weise ist die Materie „entmaterialisiert“ worden, sie wurde Mathematik. Die Philosophen haben eingesehen, dass es sinnvoller ist, der Wissenschaft keine Vorgaben über die Beschaffenheit der Welt zu machen, sondern sich umgekehrt selbst an den jeweils aktuellen Forschungsprozessen und Methoden der Naturwissenschaften zu orientieren in dem, was man Naturalismus nennt. Ein solcher methodologischer Naturalismus ist inhaltlich aber auch wieder schwer zu definieren. Zum einen, weil sich Methoden und Begrifflichkeiten der Wissenschaften im Forschungsprozess stetig verändern, sich also nicht ein für alle Mal bestimmen lassen. Zum anderen, weil, anders als oft angenommen und verbreitet, Wissenschaft nicht in einer Sammlung ewiger Wahrheiten besteht, sondern einen selbstreflexiven Prozess beschreibt, der prinzipiell unabschließbar ist. Ein Problem ist, dass sich ein methodologischer Naturalismus den jeweils herrschenden Auffassungen der Naturwissenschaftler überlässt. Aber das ist schon deshalb kein Vorteil, weil der wissenschaftliche Fortschritt nicht zuletzt durch kritische Anregungen angestoßen wird, die außerhalb der Wissenschaften liegen, z. B. ethischer, gesellschaftspolitischer oder technischer Art sind. Um diesen Problemen entgegenzuwirken, gab es dann doch wieder Versuche, inhaltliche Kriterien für den Naturalismus festzulegen. Diese spielen auch bei vielen modernen Naturalisten eine wichtige Rolle. Beispiele für solche Kriterien sind etwa, dass die Welt lückenlos und erschöpfend ausschließlich in objektiven Ursache-Wirkungs-Beziehungen beschreibbar sein soll. So sollen wissenschaftliche Theorien weder auf teleologische Begriffe zurückgreifen müssen wie „Zweck“ oder „Ziel“ noch auf geistige wie „Überzeugung“, „Wunsch“ oder „Absicht“. Das ist ambitioniert und anspruchsvoll und auch eine ernst zu nehmende Version des Naturalismus. Sie ist allerdings bis heute nicht einmal ansatzweise erfolgreich durchgeführt worden. Es hat beispielsweise bis heute niemand geschafft, unser Denken, Erleben und Erleben gänzlich mithilfe von Gehirnvorgängen zu erklären. Summa summarum: Der Naturalismus ist eine weniger klare und belegbare Position, als er sich selbst gerne sieht. PS Deine für mich hoch interessanten Ausführungen machen mich gegenüber dem Naturalismus hellhörig und skeptisch. Er nimmt sich mehr vor, als er leisten kann! SF Der Neue Atheismus ist durch und durch naturalistisch geprägt. Er beruft sich in ganz besonderer Weise auf Ergebnisse der Naturwissenschaft, etwa auf die Evolutionstheorie, die Genetik oder die Hirnforschung. Für viele Neue Atheisten, wie zum Beispiel auch Dawkins, ist dementsprechend die Frage der Existenz Gottes eine wissenschaftliche Hypothese wie jede andere wissenschaftliche Hypothese auch.25 Ähnlich wie die Frage, ob es schwarze Löcher gibt oder eierlegende Säugetiere oder was auch immer. Was sagt das über denjenigen, der so eine Behauptung aufstellt? PS Dass er keine Ahnung hat von dem Gott, von dem die Bibel spricht und von dem sie Zeugnis ablegt. Denn der ist nie eine empirische Größe. Man kann Gottes Tun und Lassen erfahren. Aber - wir haben das beim vorigen Thema schon besprochen - Er ist von vornherein da und umgibt uns. Mit Heidegger ausgedrückt: Gott west an. Das wird mit dem Ausdruck „empirisch“ nicht erfasst. Denn empirisch schaut man immer nur nach dem, was mich umgibt, was das ist, wie das aussieht usw. Und das ergibt bloß Teilaspekte. Es gibt ganz verschiedene Arten von Gotteserfahrung. Aber Gottes Dasein jenseits der Welt und für die Welt lässt sich als solches empirisch nicht erfassen. Der Gott, der die Welt erschaffen und sich Mose vom Sinai aus offenbart hat, ist der Unsichtbare, von dem sich Israel kein Bild machen darf. Er ist der Gott, der sich Israel zum Eigentumsvolk erwählt hat. Als Vater Jesu Christi ist er auch der Gott, der in Christus Juden und Heiden erwählt hat, damit sie zum Heil gelangen. Auch wenn man das Theologische ausklammert, Erwählung lässt sich rein empirisch nicht ergründen. Insofern ist schon in der Aussage von Dawkins eine Eingrenzung und Verkürzung des Gottseins Gottes gegeben. Sie zeigt seine Eigenmächtigkeit: Was Dawkins nicht begreift, wird abgeurteilt, es ist nicht vorhanden, es ist unwesentlich oder unvernünftig. Aber so darf man nicht vorgehen, wenn man die biblische Gotteswirklichkeit begreifen will. SF Wir müssen uns also aus unseren gewohnten Denkbahnen lösen, um zu verstehen, von welchem Gott in der Bibel die Rede ist. Könnte man es so sagen: Die Idee eines transzendenten Gottes zeigt uns die Grenze dessen, was wir empirisch überhaupt erforschen können? PS Richtig. Unsere Empirie in Ehren, ohne sie können wir nicht leben, und sie ist auch ein probates Mittel zur Erkennung der Welt. Aber es ist eben unsere beschränkte Schau auf eine uns von Gott insgesamt vorgegebene Wirklichkeit. Mein verstorbener Fakultätskollege Eberhard Jüngel spricht in seinem Hauptwerk nicht umsonst von „Gott als Geheimnis der Welt“.26 SF Das heißt also: Wir müssen einen Unterschied machen zwischen der Naturwissenschaft auf der einen Seite, dieser Sammlung von Methoden, um etwas über die Welt herauszufinden, die ja in vielen Bereichen sehr erfolgreich war und ist, und auf der anderen Seite der Weltanschauung des Naturalismus. Der Naturalismus bietet den Vorteil eines auf den ersten Blick geschlossenen Weltbildes, in dem die Welt konsistent gedeutet werden kann. Ich muss zugeben, dass ich in der Zeit meines Lebens, als ich „hauptberuflich“ Hirnforschung betrieben habe, mich selbst im Nachhinein als Naturalisten bezeichnen würde. In diesen Jahren gehörte...



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